Angesichts der sozialen Verwerfungen durch die Globalisierung werden auch in der Linken Rufe nach nationaler Abschottung laut. Doch bereits Karl Marx wusste, dass dies ein Irrweg ist. Von Volkhard Mosler
Spätestens nachdem Donald Trump das neue amerikanisch-asiatische Freihandelsabkommen TTP für nichtig erklärt und sich zum angeblichen Freund der amerikanischen Arbeiterklasse ausgerufen hat, ist auch in Deutschland die Diskussion über Freihandel oder Schutzzölle, Globalisierung oder Protektionismus, also die nationale Abschottung der Märkte, ausgebrochen.
Die »Süddeutsche Zeitung« befürchtet, dass Trumps Drohung, den Import von Autos mit 35 Prozent Schutzzöllen zu belegen, das Ende der Ära der Globalisierung einläuten könnte. Vom weltweiten Freihandel profitieren vor allem die klassischen Exportländer wie Deutschland, China und Japan. Im Jahr 2016 stand Deutschland mit knapp 300 Milliarden Dollar Exportüberschuss wieder an der Spitze.
Globalisierung mit menschlichem Antlitz?
Doch auch hierzulande wächst die Kritik an »der Globalisierung«, der wachsenden internationalen Verflechtung der Weltwirtschaft. Der Begriff steht für Lohndumping, für skrupellosen Umgang mit der Umwelt, für ungleiche Handelsverträge der reichen Industrieländer des Nordens mit dem globalen Süden und für wachsende soziale Ungleichheit innerhalb der Staaten.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verkündete im Vorfeld der Proteste gegen das »Globalisierer-Treffen« G20 in Hamburg die Parole für eine alternative, faire Globalisierung: eine Globalisierung mit »verbindlichen Regeln im Arbeits-, Umwelt-, Verbraucher- und Klimaschutz, sowie demokratischer Mitsprache und offenen Debatten.«
Aber die »Globalisierung mit menschlichem Antlitz« ist eine Illusion. Seit über 20 Jahren streiten Gewerkschaften in der EU gegen Arbeitnehmer-Entsenderegeln, nach denen tarifliche und gesetzliche Mindeststandards durch Beschäftigung von schlechter bezahlten Arbeitskräften aus Ost- und Südosteuropa unterhöhlt werden. Trotzdem waren 2016 fast eine halbe Million »entsendete Beschäftigte« in Deutschland tätig, die im Durchschnitt 50 Prozent weniger verdienten als die ansässigen Beschäftigten.
Links und rechts gegen Lohndumping?
Die Lohnabhängigen wissen sehr wohl, dass solche Praktiken von den Unternehmern benutzt werden, um die Arbeiterklasse zu erpressen und höhere Profite zu machen.
Es erstaunt deshalb nicht, dass protektionistische Forderungen in den Zeiten der anhaltenden Stagnationskrise Zulauf haben. Sie kommen hauptsächlich von rechten Politikerinnen und Politikern wie Le Pen in Frankreich oder der AfD in Deutschland. Aber auch innerhalb der Linken mehren sich Forderungen nach einem »Arbeiterprotektionismus«.
Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass die ausländische Konkurrenz an der Senkung der Löhne und der Vernichtung von Arbeitsplätzen schuld sei. Deshalb fordern einige den Schutz der nationalen oder regionalen (im Rahmen der EU) Märkte, die Schließung der Grenzen für Geflüchtete oder billigen chinesischen Stahl und die Abschaffung der freien Arbeitsplatzwahl innerhalb der EU.
Wie sollen sich Sozialistinnen und Sozialisten gegenüber solchen Forderungen verhalten? Diese Frage stellt sich nicht zum ersten Mal.
Im 19. Jahrhundert war die englische Bourgeoisie lange die einzige konsequente Verfechterin des Freihandels und globaler Märkte. Als das am weitesten fortgeschrittene Industrieland besaß England das Weltmonopol auf Industrieprodukte und wollte seinen Status beibehalten.
Die USA und Frankreich hingegen erhoben hohe Importzölle, damit sich ihre eigenen nationalen Industrien entwickeln konnten. Die verschiedenen deutschen Staaten bildeten 1834 eine Zollunion, um einen Binnenmarkt zu schaffen, der hinter moderaten Zollmauern nach außen eine langsame Industrialisierung des Landes ermöglichte.
Früher Schutzzölle -heute kapitalistische Kampfmittel?
Karl Marx analysierte, dass der Freihandel das schnellste Wachstum der Produktivkräfte ermöglichte. Dies bewertete er durchaus positiv, da sich dadurch auch die Arbeiterklasse entwickelte, welche unter den Erfahrungen von Ausbeutung, Unterdrückung und Verelendung durch Krisen zum Totengräber des Kapitalismus bestellt sei. Freihandel sei zwar »Freiheit des Kapitals«, er beschleunige aber die soziale Revolution.
Schutzzölle hielt er nur ausnahmsweise für Agrarstaaten für sinnvoll, die damit die englische Übermacht zeitweise abwehren könnten, um ihre nationale industrielle Entwicklung voranzutreiben. Andernfalls drohte – wie das Beispiel Irlands zeigte – eine dauerhafte Verdammung zu einem rein agrarischen Zulieferer für das Industrieland England.
Rosa Luxemburg griff später diesen Gedanken auf: »Ohne den Zollschutz«, schrieb sie, »wäre das Aufkommen der Großindustrie in den einzelnen Ländern kaum möglich gewesen.«
Dieser fortschrittliche Aspekt der Schutzzollpolitik hätte sich aber überholt, sobald alle Länder auf einem annähernd gleichen Niveau der industriellen Entwicklung waren. Zölle standen nun nicht mehr im Dienst einer aufstrebenden kapitalistischen Produktion gegen eine reifere, sondern wurden zum »Kampfmittel einer nationalen Kapitalistengruppe gegen eine andere«.
Freihandel als Imperialistische Eroberungspolitik
Nach einer Epoche des allgemeinen Freihandels in den 1860er und frühen 1870er Jahren bereitete die dann einsetzende tiefe Wirtschaftskrise (1873) und die anschließende lange Depression »die Stimmung für den Schutzzoll«.
Der Übergang zur Kolonialpolitik und zur imperialistischen Konkurrenz bedeutete laut Marx, dass »der Freihandel, die Politik der ›offenen Tür‹, zur spezifischen Form der Schutzlosigkeit nichtkapitalistischer Länder gegenüber dem internationalen Kapital (…) geworden ist, zum Vorstadium ihrer partiellen oder vollständigen Okkupation als Kolonien oder Interessensphären.« So entpuppte sich der angeblich friedensstiftende, völkerverbindende Freihandel als ein Instrument imperialistischer Eroberungspolitik.
Engels fasst die von ihm und Marx entwickelte Position zum Protektionismus 1888 so zusammen: »Die Frage über Freihandel und Zollschutz bewegt sich gänzlich innerhalb der Grenzen des heutigen Systems der kapitalistischen Produktion und hat deshalb kein direktes Interesse für Sozialisten, die die Beseitigung dieses Systems verlangen. Sie interessiert sie aber indirekt so weit, als sie dem jetzigen Produktionssystem eine möglichst freie Entfaltung und möglichst rasche Ausdehnung wünschen müssen.«
An eine Zähmung des Kapitalismus, an eine Globalisierung mit menschlichem Antlitz, glaubten Marx und Engels keinen Moment. Deshalb wandte sich Marx erst recht gegen die Protektionisten, die sich schon damals als Arbeiterfreunde ausgaben. Die Anhänger des Protektionismus versprächen etwas, was sie weder halten wollten noch könnten. Das nationale Kapital sei genauso wenig ein Verbündeter der Arbeiterklasse wie das ausländische. Die Logik der nationalen Abschottung der Märkte sei für Arbeiter folgende: »Wenn ihr schon ausgepresst werdet, so lasst euch lieber von euren Landsleuten als von Fremden auspressen.«
Dass der Zollprotektionismus auch vom Standpunkt der kapitalistischen Entwicklung aus irrational ist, zeigte sich, als 1878 unter Kanzler Bismarck der Reichstag Schutzzölle für zahlreiche Agrar- und Industrieprodukte erhob. Diese führten zur Verteuerung von Lebensmitteln für die Arbeiterklasse sowie von Rohstoffen.
Beides erhöhte die Produktionskosten der Kapitalisten und führte dazu, dass mit Steuermitteln alte Industrien und Gewerbe am Leben erhalten wurden. Gewinner waren vor allem die Großgrundbesitzer und Industrielle, die für den heimischen Markt und nicht für den Export produzierten.
Die Sozialdemokratie stimmte im Reichstag konsequent gegen Schutzzölle.
Die Weltwirtschaftskrise von 1929
In der Weltwirtschaftskrise von 1929 wiederholte sich die Erfahrung von 1878. Wie damals bereitete die Krise den Boden für Schutzzollforderungen. Dieses Mal waren es die USA, die mit dem Smoot-Hawley Tariff Act 1930 für über 20.000 Produkte die Zölle auf Rekordniveau anhoben. Damit lösten sie eine internationale Kettenreaktion aus, die innerhalb eines Jahres zum Zusammenbruch des bisherigen Welthandelssystems führte und die Wirtschaftskrise beträchtlich beschleunigte.
Der russische Marxist Nikolai Bucharin wies unter dem Eindruck der Kapitulation der Sozialdemokratie vor der Kriegstreiberei des Ersten Weltkriegs auf einen weiteren wichtigen Aspekt des »Arbeiterprotektionismus« hin: »die Politik des Schutzes der »nationalen Industrie«, der »nationalen Arbeit« vor ausländischer Konkurrenz. Bucharin zeigte, wie die Zollpolitik im Zeitalter des Imperialismus ihren defensiven Charakter verlor. Sie wurde stattdessen zu einer wichtigen Angriffswaffe für die Eroberung von Weltmärkten durch die nationalen Monopole und Kartelle.
»Arbeiterprotektionismus«
In der Arbeiterbewegung entwickelte sich eine Strömung, die das Bündnis mit Kapital und Staat im eigenen Land an die Stelle der internationalen Klassensolidarität setzte.
Bereits im Jahrzehnt vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte der rechte Flügel der Sozialdemokratie sich für Einwanderungsbeschränkungen gegen Arbeiterinnen und Arbeiter aus Niedriglohnländern ausgesprochen und scheute dabei auch die Zusammenarbeit mit den bestehenden bürgerlichen Regierungen nicht. Zugleich unterstützte der »arbeiterprotektionistische« Flügel der Sozialdemokratie die Kolonialpolitik »ihrer« jeweiligen Regierungen.
Bucharin sah in dieser Form des Arbeiterprotektionismus ein Bindeglied zum Sozialpatriotismus, der in der Idee des Vaterlands, dem die Arbeiterklasse dienen müsse, zum Ausdruck kommt. Insofern war der Arbeiterprotektionismus in der Form der gesetzlichen Einwanderungsbeschränkung immer schon eine Brücke zur Vaterlandsverteidigung im Krieg gegen andere kapitalistische Staaten.
Im Zeichen der anhaltenden Stagnation des Weltkapitalismus in Folge der Finanzkrise von 2008 erhalten Ideen eines Arbeiterprotektionismus wieder Zulauf.
Zugleich versuchen multinationale Konzerne aller entwickelten kapitalistischen Länder, den Abschluss neuer Formen von Handelsabkommen, wie TTIP, Ceta, TTP, durchzusetzen. Unter dem Vorwand offener Märkte sollen mit diesen Abkommen nationale Standards des Arbeiter-, Konsumenten- und Umweltschutzes unterlaufen sowie öffentliche Aufgaben wie Bildung, Verkehr und Gesundheit privatisiert werden. Zusätzlich werden die Handlungsmöglichkeiten nationaler Parlamente damit stark eingeschränkt.
Hier zeigt sich die zerstörerische Form der Globalisierung: Sie zielt darauf ab, die Profite der Wenigen auf Kosten der arbeitenden Klasse international zu steigern. Die Ablehnung des »Arbeiterprotektionismus« sollte immer einhergehen mit einer ebenso klaren Positionierung gegen diese Formen der zerstörerischen Globalisierung.
Internationaler Sozialismus statt Freihandel
Linke sollten außerdem das Recht der halbabhängigen Entwicklungsländer des globalen Südens verteidigen, sich durch Schutzzölle gegen die ungleiche Konkurrenz der imperialistischen Länder und Blöcke zu wehren. Hier gilt immer noch das Argument von Marx und Engels, die Schutzzölle als vorübergehende Maßnahme der nationalen Entwicklung verteidigt haben. Auch die EU ist als Block mittlerer und kleinerer imperialistischer Mächte an solchen Knebelverträgen mit der großen Zahl vorwiegend agrarischer Staaten in Afrika und Asien beteiligt. Letztere sollen ihre Märkte vollständig öffnen, sogar für Agrarprodukte, erhalten aber keinen freien Zugang zum EU-Markt.
So gilt immer noch die Kritik von Marx und Engels am Freihandel: »Alle destruktiven Erscheinungen, welche die freie Konkurrenz in dem Innern eines Landes zeitigt, wiederholen sich in noch riesigerem Umfange auf dem Weltmarkt.«
Der vom Freihandel beherrschte Weltmarkt führe unweigerlich zur Bereicherung der Monopole und der entwickelten Industriestaaten auf Kosten der armen, agrarischen Länder und zu Konflikten unter den reichen Ländern um die Vorherrschaft. Wer das abstreite, habe den Kapitalismus nicht verstanden: »Wenn die Freihändler nicht begreifen können, wie ein Land sich auf Kosten des anderen bereichern kann, so brauchen wir uns darüber nicht zu wundern, dass dieselben Herren noch weniger begreifen wollen, wie innerhalb eines Landes eine Klasse sich auf Kosten einer anderen bereichern kann.«
Der Freihandel der multinationalen Konzerne ist ein Desaster für die gesamte Menschheit und insbesondere für die Menschen in den Entwicklungsländern. Der Protektionismus ist jedoch kein Mittel, das die Konzentration des Kapitals oder das Anwachsen von Ungleichheit verringern kann.
Protektionismus und Freihandel sind in Wirklichkeit nur zwei Facetten der kapitalistischen Ausbeutung. Weder die eine noch die andere Form kann der Menschheit einen Ausweg bieten. Die destruktiven Erscheinungsformen des Kapitalismus werden durch seine weltweite Ausbreitung erst recht wirksam. Nur die Abschaffung von Profit und Konkurrenz, das heißt von kapitalistischer Marktwirtschaft, und die Ersetzung durch ein System der Planung und Gestaltung durch die Produzierenden selbst, durch internationalen Sozialismus, kann zu einer »fairen« Weltwirtschaft führen.
Foto: BostonCatholic
Schlagwörter: Freihandel, Gewerkschaft, Globalisierung, Marx, Protektionismus, Rosa Luxemburg, Weltwirtschaftskrise