Der Gipfel und die Proteste dagegen haben ein Ende gefunden. In Hamburg kehrt langsam wieder Ruhe ein. Die Gewaltdebatte tobt durch die Medien. Wir haben mit Matthias Richter über die Ereignisse des Wochenendes gesprochen. Er war einer von 43 Demonstrationsbeobachtern vom Komitee für Grundrechte und Demokratie.
Matthias, wie bist du dazu gekommen Demobeobachter zu werden?Ich bin aktiv bei pbi (peace brigades international), einer internationalen Menschenrechtsorganisation, die ähnlich wie amnesty international, nicht im eigenen Land aktiv wird. Wir versuchen durch persönliche Begleitung verfolgte Menschenrechtsaktivisten zu schützen. Allerdings sind unsere Einsatzorte meist sehr weit weg, in Kolumbien oder Guatemala und ein Einsatz dauert mindestens ein ganzes Jahr. Als ich gehört habe, dass es auch Demonstrationsbeobachtungen in Deutschland gibt, fand ich das interessant.
Wie sind deine bisherigen Erfahrungen als Demobeobachter?
Ich habe vor dem G20-Gipfel schon andere Demonstrationen beobachtet, bei denen im Vorfeld mit einer drastischen Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit zu rechnen war, beispielsweise bei den Blockupy-Demonstrationen in Frankfurt oder bei einer Demo gegen Abschiebungen in Schönefeld. Dort versuchten Teile der Polizei ohne jeden Anlass, dass Notstromaggregat der Demonstration zu beschlagnahmen. Wir haben uns beim Einsatzleiter, ob dieses Vorgehens beschwert. Er fand das Vorgehen seiner Kollegen ebenfalls unangemessen. Sie mussten das Aggregat wieder herausgeben.
Minutengenaues Protokoll des Handels der Polizei
Wie sieht eure Arbeit konkret aus?
Wir beobachten Demonstrationen, besonders das Vorgehen der Polizei. Zwar ist das, was sich bei Protesten ereignet ein Wechselspiel, aber unser Fokus liegt auf dem Handeln der Polizei. Um später eine gute Bewertung der Situation abgeben zu können, protokollieren wir minütlich, was passiert und wie die Polizei reagiert. Ob also die Helme auf oder abgesetzt werden oder die Wasserwerfer zum Einsatz kommen. Später verfassen wir auf Grundlage der Minutenprotokolle einen Bericht und bewerten in wie weit die Grundrechte und besonders das Recht auf Versammlungsfreiheit gewahrt worden sind.
Mit welchen Erwartungen bist du nach Hamburg gekommen?
Für mich zeichnete sich die staatliche Eskalation in der Woche vor dem Gipfel mit den Campverboten und der riesigen Zone, in der keine Demonstrationen stattfinden durften, bereits ab. Ich hatte die Erwartung, dass sich der Grad der Eskalation bis zum Ende des Wochenendes noch weiter steigern und es harte Polizeieinsätze geben würde.
Die G20-Proteste
Du warst von Donnerstagabend bis Samstag nach der großen Bündnissdemo im Einsatz, was hast du erlebt?
Ich bin am Donnerstagabend angekommen und wollte eigentlich zur »Wellcome to Hell«-Demo bin dann aber auf der Reeperbahn bei einer spontanen Blockade von »Recht auf Stadt« hängen geblieben. Dort war von Seiten der Demonstranten alles friedlich. Allerdings ist die Polizei immer wieder ohne ersichtlichen Grund in die Demo rein und hat Einzelne geschubst. Das Vorgehen wirkte eher wie spontane Provokation, als der Versuch eines zielgerichteten deeskalierenden Auftretens. Trotz allem blieb die Lage friedlich.
Am Freitagvormittag habe ich die Blockaden von »Shut down the Habour« im Hamburger Hafen beobachtet. Hier war alles friedlich und es kam immer wieder zu Absprachen und Kooperation zwischen den Teilnehmern der Demonstration und der Polizei. Als die Demonstration nicht mehr weiterkam, weil Poller im Weg standen, wurden diese kurzerhand von der Polizei abgebaut und als dringend ein Fahrzeug die Strecke der Demonstration passieren musste, wechselte diese, auf Anfrage der Polizei die Fahrbahn. Ich vermute im Hafen war die Lage so entspannt, weil dieser sich etwas Abseits des Geschehens befindet und durch ihn auch keine wichtigen Zufahrtsstraßen oder Protokollstrecken laufen.
Gegen 15:00 bin ich dann zur zweiten Blockadewelle am Millerntorplatz gegangen. Hier war zunächst alles friedlich. Auf der Kreuzung Blockade, drum herum Polizei und im Park picknickende Menschen. Auf einmal hat die Polizei dann angefangen Ketten zu bilden und es erweckte den Anschein als wollten sie die Blockade einkesseln. Allerdings haben sie weiter Menschen rein gelassen, raus kam man aber nur noch auf einer Seite Richtung Reeperbahn. In diese Richtung ist dann die aus der Blockade entstandene Demonstration geleitet worden. Es kam dann immer wieder zu Stoßereien von Seiten der Polizei. Die Demonstration hat sich daraufhin in, teils vermummte Kleingruppen, gespalten. Die Polizei war überfordert. Ich habe dann auf der Reeperbahn ein Grüppchen Schwarzvermummter gesehen, die Steine aus der Straße gebrochen haben und diese dann kleiner klopften um bessere Wurfgeschoße zu haben. Ich bin dann gegangen. Meine Aufgabe besteht darin, angemeldete Demonstrationen und keine Krawalle zu beobachten. Wäre ich geblieben, hätte ich mich wie ein Voyeur gefühlt.
Am Samstag hat das Beobachtungsteam, bei dem ich dabei war, bei der großen Bündnisdemonstration vor Allem den Block der Interventionistischen Linken begleitet. Sie wurden durchgehend von einer Reihe behelmter und einer weiteren Reihe nicht behelmter Polizisten begleitet. Die Demo verlief absolut friedlich
Das Handeln der Polizei und der Medien
Wie würdest du insgesamt den Polizeieinsatz bewerten?
In Sachen deeskalatives Verhalten von Seiten der Polizei ist noch jede Menge Luft nach oben. Das Verhalten der Einsatzkräfte wirkte oft planlos oder wie spontane Provokationen. An vielen Stellen wurden verletzte Demonstranten bewusst in Kauf genommen und es gab immer wieder massive Verstöße gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit
Die Medien haben sehr umfangreich vom Gipfel berichtet. Sogar das Eskalieren der »Wellcome to Hell«-Demo live übertragen. Ist so was hilfreich?
Mehr Transparenz ist auf jeden Fall gut. Mit den Liveübertragungen und den Handyfilmen kann sich die Polizei nicht mehr verstecken. Alles wird dokumentiert. Allerdings ärgert mich die Gewichtung der Berichterstattung, die sich einzig auf die Krawalle eingeschossen hat und die friedlichen Proteste kaum erwähnt.
Welches Resümee ziehst du vom Gipfel?
Es bleiben für mich viele Fragen offen: Warum macht man den Gipfel in einer Stadt mit einer so gut organisierten radikalen Linken? Was sollte damit bezweckt werden? Wollte die Polizei ihre Unterlegenheit demonstrieren, um jetzt bessere Ausrüstung fordern zu können? Soll die Bevölkerung daran gewöhnt werden, dass der Staat zur Not mit automatischen Waffen und dem SEK gegen Aufständige vorgeht? Welche Repressionen wird der Staat jetzt ausrollen?
Gibt es etwas, dass dir noch länger in Erinnerung bleiben wird?
Ja, es gab bei der Demo am Samstag einen Moment, da hatte ich richtig Gänsehaut. Wir sind unter einer Brücke durchgelaufen. An ihr hing ein Transparent auf dem stand »G20 – Wir sind nicht alle. Es fehlen die Ertrunkenen.«
Foto: Robert Anders
Schlagwörter: g20, G20-Gipfel, Grundrechte, Hamburg, Inland, Menschenrechte, Polizei, Protest