Die neue Regierung Québecs hat ihre Wahlversprechen eingehalten und das Notstandsgesetz und die Erhöhung der Studiengebühren zurück genommen. Die Unabhängigkeitspartei hätte das nicht von sich aus getan – die anhaltenden Proteste haben die Partei zu diesem Schritt gezwungen. Von Paula Rauch
Nach dem Sieg der Parti Québecois (Unabhängigkeitspartei) bei den Wahlen am 4. September hat die neue Regierung der kanadischen Provinz die Erhöhung der Studiengebühren und das die Demonstrationsrechte einschränkende Gesetz 78 zurück genommen. Die größten Studierendenproteste, die es in der Region je gegeben hat, sind damit auf ganzer Linie erfolgreich. Die Bewegung ist ein Beispiel dafür, dass auch als unumgänglich dargestellte und tiefgreifende neoliberale Reformen durch den Widerstand der Bevölkerung verhindert werden können.
Zunächst drohten die Proteste zu scheitern
Im Rahmen eines als »Kulturrevolution« betitelten Kürzungsprogramms hatte die bis vor kurzem regierende liberale Partei unter dem Ministerpräsidenten Jean Charest bereits 2010 eine deutliche Erhöhung der Studiengebühren um 1625 kanadische Doller angekündigt.
Die Gewerkschaften der Studentinnen und Studenten rief zu Beginn des Wintersemesters 2011/2012 einen unbefristeten Streik aus, im Frühjahr folgten Großdemonstrationen, an denen sich Hunderttausende beteiligten. Von März bis Mai demonstrierten die Studierenden täglich und machten mit kreativen Aktionsformen oder Blockaden auf ihren Protest aufmerksam.
Der Uni-Betrieb wurde in Montréal und anderen Städten für ein halbes Jahr lahm gelegt und mancherorts immer wieder auch das öffentliche Leben. Doch statt nach Zugeständnissen von der Politik, sah es zunächst eher nach einem Misserfolg aus: die Demonstrationen wurden kleiner, die Reaktionen der Politik ruppiger.
Das Verbotsgesetz mobilisierte für Demonstrationen
Zu unverhofftem Wiederaufschwung der Proteste half schließlich ein Gesetz, das eigentlich genau das Gegenteil bewirkten sollte. Die von Ministerpräsident Charest eingebrachte »Loi 78« sollte für einige Monate spontane Demonstrationen unmöglich machen, denn die Anmeldung und Durchführung von Demonstrationen wurde fast unmöglich gemacht, jeglicher politischer Aktivismus unter einen Generalverdacht gestellt und bei Verstößen drohten besondere Strafen.
Die Proteste richteten sich nun nicht mehr nur gegen die Erhöhung der Studiengebühren, sondern gegen die undemokratischen Reaktionen der Regierung. Nicht nur Studierende, Schülerinnen und Schüler fühlten sich von der Regierung angegriffen – ein Großteil der Bevölkerung unterstütze die Forderungen der Studierenden und beteiligte sich in Teilen sogar selbst an den Protesten.
Reformen gibt es nur durch den Druck von der Straße
So kam es am 22. Mai in Montréal und anderen Städten zu den größten Demonstrationen in der Geschichte Québecs und einem Abrutschen der seit acht Jahren regierenden liberalen Partei in den Umfragen zur nahenden Wahl. Mit dem Wahlversprechen, die Erhöhung der Studiengebühren und die »Loi 78« zurück zu nehmen, konnte die linksgerichtetere Parti Québecois am 4. September die Wahlen für sich entscheiden.
Ihr Wahlversprechen hat die neue Regierung unter der (übrigens ersten weiblichen) Ministerpräsidentin Pauline Maurois vorerst eingehalten und die Erhöhung der Studiengebühren und die »Loi 78« zurück genommen. Allerdings hat sie auch zu einem Bildungsgipfel eingeladen, auf dem explizit alle Möglichkeiten zur Studienfinanzierung diskutiert werden sollen.
Bereits Ende der 90er Jahre wollte die Parti Québecois die Studiengebühren erhöhen, als sie an der Regierung war. Im Jahr 2007 setzte sich die damalige Vorsitzende und heutige Ministerpräsidentin schon einmal für eine Erhöhung der Studiengebühren ein.
Neu gewonnenes Selbstbewusstsein
Die Rücknahme und der Erfolg der Proteste ist nicht auf die Programmatik der Unabhängigkeitspartei zurück zu führen – einzig die anhaltenden Proteste konnten diesen Schritt der Partei erzwingen. Dessen sind sich die Studentinnen und Studenten in Québec bewusst.
Sie ruhen sich nicht auf dem errungenen Erfolg aus und wissen, dass er in Zeiten der Wirtschaftskrise nicht von Dauer sein könnte. Gleichzeitig wird die Forderung nach einer komplett gebührenfreien Hochschulbildung immer lauter – und vielleicht bald von den Studierenden, Schülerinnen und Schülern Québecs mit dem neu gewonnenen Selbstbewusstsein erstritten.
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