55 Jahre nach seiner Ermordung ist Che Guevara als Filmheld und T-Shirt-Motiv immer noch lebendig. marx21 erzählt die Geschichte hinter dem Mythos
1928 wird Ernesto »Che« Guevara als Sohn eines Plantagenbesitzers in Argentinien geboren. 200 Familien aus Großgrundbesitz, Handel, Industrie und Politik besitzen dort praktisch alles, während die Mehrheit der Menschen in Argentinien in Armut lebt. Unter den indigen Wanderarbeitern wütet die Tuberkulose. In den Kohlegruben sterben die Arbeiter gewöhnlich mit 30 Jahren, die Lungen von Kohlestaub zerfressen.
Che Guevara politisiert sich
Che wächst in einem kritischen Elternhaus auf. In einem Liebesbrief an eine Tochter aus reichem Hause schreibt er mit 17 Jahren: »Die Summe des Elends ist zu groß, die Schuld dieser Klasse in die du hineingeboren bist, ist zu groß, als das ich sein könnte, sein möchte wie sie: Ich verspüre diese Schuld manchmal nachts als einen Alpdruck. Der Duft Deines Körpers kann nicht aus meiner Phantasie die Anklage verdrängen, die von dem Elendsgestank ausgeht, der aus den Slums herausdampft: Reichtum; nein, ich will keinen Teil daran haben. Ich will keinen Teil daran haben, dass diese Ungerechtigkeit fortbesteht.«
Als Medizinstudent reist er mit einem Freund auf einem Motorrad durch fast alle Länder Mittel– und Südamerikas. Das Tagebuch, das er auf dieser Reise geführt hat, ist 2004 von Walter Salles verfilmt worden. Che erlebt auf seiner Reise, wie US-Konzerne riesige Mengen an Rohstoffen und Profiten aus dem Kontinent ziehen und Regierungen ein- oder absetzen, wie es ihnen gefällt. Die Länder bleiben unterentwickelt und abhängig. Die einheimischen Herrscher verprassen ihren Reichtum oder schaffen ihn ins Ausland. Überall rebellieren Menschen, doch meistens ersetzt am Ende nur eine Clique die andere.
Che Guevara trifft Fidel Castro
1955 trifft Guevara in Mexiko den kubanischen Rechtsanwalt Fidel Castro (marx21 Nachruf auf Fidel Castro), der seine Heimat von dieser Knechtschaft befreien will. Che ist begeistert: »…in diesem Kampf gab es nur Sieg. Ich teilte seinen Optimismus. Es war unausweichlich, mit dem Jammern aufzuhören und mit dem Kampf zu beginnen.«
Im Dezember 1956 stechen Castro und Guevara mit 80 weiteren Kämpfern in Richtung Kuba in See. Die Wirtschaft der Insel gehört praktisch den USA: Die US-Beteiligung an der Telefon- und Elektrizitätsversorgung übersteigt 90 Prozent, bei den Eisenbahnbetrieben macht sie die Hälfte aus, in der Rohrzuckerproduktion 40 Prozent.
Zucker macht 80 Prozent aller kubanischen Exporte aus. Das Pro-Kopf Einkommen war seit 50 Jahren nicht gestiegen. Zwei Jahre Kampf genügen, um das Regime des Diktators Batista zu besiegen. Am Ende besteht die Streitmacht der Revolutionäre aus 800 Guerilleros und zivilen Einheiten von etwa 2200.
Batistas Regime in Kuba fällt
Die Bauern unterstützen die Revolutionäre passiv, auch die Arbeiter bleiben weitgehend ruhig. Die Leitung des Kampfes liegt in den Händen der Guerilla-Führung, deren Kern aus Intellektuellen besteht. Batistas Regime ist so wenig verwurzel, korrupt und so schwach, dass der Widerstand gleich null ist, als Castro und Guevara in Havanna einmarschieren. Selbst die Regierung der USA glauben nicht mehr an Batista. Als wichtiger militärischer Führer übernimmt Che leitende Funktionen. Er wird Präsident der Nationalbank, Leiter des Instituts für Agrarreform und wichtiger Vordenker der »neuen Gesellschaft«.
Castro wird zum »Marxisten-Leninisten«
Die neue Regierung will Kuba aus seiner Abhängigkeit befreien, modernisieren und industrialisieren. Aber selbst wenig radikale Maßnahmen der Regierung wie eine milde Landreform gehen den USA zu weit. Amerikanisches und kubanisches Kapital wird von der Insel abgezogen. Dann verhängt die US-Regierung eine komplette Wirtschaftsblockade, um das Regime in die Knie zu zwingen.
Eine eigenständige nationale Entwicklung gegen den Druck der USA und in deren unmittelbarer Nachbarschaft ist unmöglich. Die kubanische Führung sieht keinen anderen Weg als die Annäherung an die Sowjetunion. Castro erklärt sich 1961 plötzlich zum »Marxisten-Leninisten«. Die Führung der UdSSR sieht die revolutionäre Insel vor der Haustür der USA als Trumpf im Kampf der Supermächte. Sie nutzt die kubanische Wirtschaft zum eigenen Vorteil. Guevara ist entsetzt.
Das neue Kuba in der Sackgasse
Die Sowjetunion fordert Lebensmittel und Rohstoffe, fördert aber die industrielle Entwicklung auf Kuba nicht. Für Zucker zahlen die Sowjets nur Weltmarktpreise. 1963/64 muss sich die Regierung eingestehen, dass die Abhängigkeit vom Zucker so groß ist wie eh und je. Noch unter Ches Regierung versucht man, durch Rationierung von Lebensmitteln und Textilien Geld für die Industrie vom Lebensstandard der Arbeiter abzuknapsen. Mit Appellen an die soziale Verantwortung und die sozialistische Moral versucht Guevara, die Opferbereitschaft der Arbeiter zu erhöhen. Schließlich greift das Regime mehr und mehr auf Zwang und Autorität zurück. Kuba steckt in einer Sackgasse. Jetzt treten Ches Stärken und Schwächen klar hervor.
Che Guevara: Seine Stärken und Schwächen
Seine Stärke liegt in seiner revolutionären Überzeugung, seinem Internationalismus und in seinem Tatendrang. Während Castro versucht, den Spielraum des Landes zu erweitern, indem er Spannungen zwischen der Sowjetunion und China ausnutzt, will Che die Revolution ausbreiten. Che kritisiert die politische Führung der UdSSR, weil sie bereit ist, auf Aufstände zu verzichten, um das Gleichgewicht mit den USA zu halten. 1965 klagt Guevara die »sozialistischen Staaten« an, »Komplizen der Ausbeuter« zu sein. Obwohl die UdSSR keine von ihnen unabhängige Befreiungsbewegung tolerieren will, beharrt Che: »Wir können nicht aufhören, unser Beispiel zu exportieren.« Sein Motto: »Schafft zwei, drei, viele Vietnams« wird von der Studierendenbewegung aufgegriffen, die sich im Westen während des Kriegs der USA gegen die vietnamesische Befreiungsbewegung entwickelt.
Guerillakampf in Kuba als Vorbild?
Guevara versucht, aus seinen Erfahrungen in Kuba ein Drehbuch für andere Revolutionen zu machen. In Bolivien zeigen sich die Schwächen dieser Idee. Dort will Che das Fanal für den Aufstand der Unterdrückten in ganz Südamerika setzen. Er scheitert kläglich. 1966/67 fängt Guevara mit einigen kubanischen Mitstreitern an, ein Guerilla-Lager in Bolivien aufzubauen und Kämpfer um sich zu sammeln. Auf Bolivien fällt die Wahl eher zufällig. Der Ort spielt in Ches Theorie keine große Rolle. Guevara meint, dass Revolutionäre nicht auf die Bedingungen für eine Revolution warten müssen, sondern diese selbst durch ihre Taten schaffen könnten. Die Guerillas sollten einfach in einem begrenzten Gebiet mit ihrem »heldenhaften Kleinkrieg« beginnen.
In diesem Kleinkrieg würden dann Bastionen der Partisanen entstehen. Der Kampf würde die Diktatur zwingen, sich ohne Maske und in ihrer ganzen Brutalität zu zeigen und so die Gesellschaft offen in Herrscher und Beherrschte polarisieren. Die Reihen der Partisanen könnten dann durch Bäuerinnen und Bauern aufgefüllt werden. Immer weitere Gebiete würden unter die Kontrolle der Aufständischen geraten – bis zum endgültigen Sieg.
Doch die bolivianischen Bauern haben kein Interesse an Ches Kampf. Die bolivianische Regierung ist lange nicht so wurzellos und schwach wie es das kubanische Regime unter Batista gewesen war. Die Partisanen bleiben völlig isoliert. Regierungstruppen mit Unterstützung aus den USA können immer mehr Guerilleros umbringen. Nach einem Jahr ist der Kampf endgültig verloren: Am 9. Oktober gerät Che mit seinen Mitstreitern in einen Hinterhalt. Er wird gefangen und später erschossen. Hätte die Geschichte anders ausgehen können?
Die Schwächen der Strategie von Che Guevara
Während Ches bolivianischen Abenteuers streikten die dortigen Minenarbeiter – unabhängig von Guevaras Guerillakampf. Sie waren schon 1952 die Vorkämpfer einer Revolution gewesen. In seinen bolivianischen Reisebüchern bezieht sich Guevara zwar ein paar Mal auf die Bergarbeiter, aber er hält die Verbindung zur bolivianischen Arbeiterklasse nicht für zentral oder überhaupt auf irgendeine Art und Weise für wichtig. Und das ist eine große Tragödie, denn Che hätte sein Ziel der nationalen Befreiung mit den Klassenkämpfen der Arbeiterinnen und Arbeiter verbinden können, die immer wieder auf dem Kontinent aufflammten. 1969 regierten Beschäftigte für eine kurze Zeit die argentinischen Städte Cordoba und Rosaria. Ende der 1960er Jahre wehrten sich auch in Chile immer mehr Arbeiter. Das war 1970 die Grundlage für einen gefeierten Wahlsieg einer Koalition von Sozialdemokraten, Sozialisten und anderen unter Führung von Salvador Allende.
Guerillakampf statt Selbstbefreiung
Doch für Che lag das Zentrum des Kampfes auf dem Land. Das bedeutete zwangsläufig, dass der Träger des Kampfes nicht die städtische Arbeiterklasse, sondern die Bauern – die allerdings von städtischen Intellektuellen geführt werden sollten – sein würden. Guevara hatte seit den 1950er-Jahren immer wieder Texte von Karl Marx studiert. Er teilte mit Marx eine grundsätzliche Feindschaft gegenüber Ausbeutung und Unterdrückung. In seiner Politik wich Che aber von Marx Grundüberzeugung ab, das die Befreiung vom Kapitalismus nur das Werk der Arbeiter selbst sein könne. Guevara meinte, das revolutionäre Potenzial erwachse aus der absoluten Armut und der Schärfe der Unterdrückung. Es brauche nur die Entschlossenheit der Tat, genügend Mut und die richtigen Ideen der Partisanen, um die Bauern mit zu reißen, zu erziehen und auf den richtigen Weg zu führen. Anders als auf Kuba konnten Ches Elan und seine Opferbereitschaft in Bolivien die Selbstaktivität der Arbeiterklasse nicht mehr ersetzen.
Was bleibt von Che Guevara?
Viele Menschen sehen heute in Che Guevara ein Symbol des Widerstandes. Bis heute inspiriert er Menschen undbringt ihr Verlangen nach einer besseren Welt zum Ausdruck. Che steht, trotz seiner Schwächen, für die Überzeugung, dass die Welt verändert werden kann und vor allem durch die Bewegung selbst verändert werden kann. Das Leben von Che Guevara ist eine historische Lehrstunde für uns, die mit der Annahme beginnt, dass Revolution machbar ist, dass sie gemacht werden sollte, und dass die Welt verändert werden muss. Ist man einmal soweit, stellt sich die Frage nach dem »wie?«. Die Antwort steht nicht in irgendwelchen Anleitungen oder Handbüchern, sondern sie liegt in der Geschichte, in der Erfahrung. Und das Leben dieses großen und engagierten Kämpfers für soziale Veränderung sollte Teil der politischen Bildung für eine neue Generation von Revolutionärinnen und Revolutionären sein. Wir können aus seinen Fehlern lernen.
Schlagwörter: Che Guevara, Guerilla, Klassenkampf, Kuba