Überall überwanden Gauland und Konsorten die Fünfprozenthürde – nur nicht im westfälischen Münster. Dort gelang es einer aufmerksamen Zivilgesellschaft und einer rebellischen LINKEN, sie mit breiten Massenprotesten zurückzudrängen. Von Hannes Draeger
Das starke Abschneiden der AfD bei der Wahl hat einen Schock ausgelöst. Zum ersten Mal seit den 1950er-Jahren ziehen überzeugte Rassistinnen und Rassisten sowie Nazi-Strategen ins Parlament ein. Ausgestattet mit Steuermillionen und Personal hat die AfD nun noch mehr Möglichkeiten, Muslime und Geflüchtete zu Sündenböcken des sozialen Elends zu erklären. Doch die Polarisierung geht in beide Richtungen. In der Tendenz hat DIE LINKE dort stärker dazugewonnen, wo sie sich wahrnehmbar als Alternative zum Establishment präsentierte. So auch in Münster.
Zu wenig Attacke im Wahlkampf
DIE LINKE setzte auf Straßenwahlkampf und eine scharfe Abgrenzung von jenen Parteien, die den Sozialstaat zu Grunde gerichtet haben. Aus Sicht der Mitglieder verfehlten die linken Bundeswahlplakate den Zeitgeist der Polarisierung: »Zu brav« und »zu wenig Attacke« hörte man oft, weshalb sich der Kreisverband dazu entschloss, eigene Plakate zu drucken: Insgesamt wurden 3000 Wahlplakate in der Stadt aufgehängt mit einer Mischung aus klaren sozialen Forderungen (»Millionäre zur Kasse«) und scharfen Attacken gegen Rechts (»Flüchtlinge willkommen, Nazis raus«). Die Plakate kamen gut an: »Wenigstens eine Partei, die Inhalte transportiert«, so ein Kommentar am Infostand. Das LINKE-Büro verwandelte sich in der Schlussphase des Wahlkampfs zur Anlaufstelle für Menschen, die unzufrieden mit dem Status Quo sind. Im Verlauf des Wahlkampfs stießen häufig auch jüngere Leute zur LINKEN. Zumeist aus Sorge vor dem drohenden Rechtsruck, aber auch Waffenexporte und der Atomkonflikt mit Nordkorea wurden als Gründe genannt. Vorstand und Wahlkampfleitung betonten die Wichtigkeit der Selbstaktivität: Insgesamt kämpften über 50 Genossinnen und Genossen bis zum Schluss für ein starkes Ergebnis. Highlight war die Eroberung des Bahnhofplatzes einen Tag vor der Wahl – mit einem über zehn Stunden besetzten Infostand und Live-Musik. Die Mühe hat sich gelohnt: DIE LINKE hat 10,14 Prozent bei den Zweitstimmen erzielt und damit gut 8000 Stimmen dazugewonnen – eine Steigerung um 70 Prozent. Doch das alleine erklärt das schwache Abschneiden der AfD in Münster nicht.
Bündnisbildung in Münster
Alles begann vor fast zwei Jahren. Die AfD wurde stärker, das gesellschaftliche Klima auch in Münster rauer. Die AfD wollte einen Coup landen, indem sie ihre Bundesvorsitzende Frauke Petry in die Stadt holte. Doch daraus wurde nichts: Ein altes Bündnis namens »Keinen Meter den Nazis« wurde reaktiviert – ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Grünen, Sozialdemokratie, LINKEN, Kirchen und der radikalen Linken. Nach einer Woche Gegenmobilisierung mit Flugblättern und in den sozialen Netzwerken sowie Versteckspielen und Raumabsagen auf Seiten der AfD musste Petry frustriert abreisen, kurz bevor die Veranstaltung stattfinden sollte. Ihr Fazit gegenüber dem Lokalradio: »Der linke Mob hat gesiegt.« Lange Gesichter bei der AfD, Partystimmung im Parteibüro der LINKEN. Breite Bündnisse gegen Rechts aufzubauen ist leichter gesagt als getan, und die Bedingungen sind von Ort zu Ort unterschiedlich. Auch in Münster – wo die Bedingungen in einer Universitätsstadt und mit einem großen links-alternativen Milieu einfacher sind – waren Hürden vorhanden. Auf linker Seite waren es Vorbehalte, Bündnisse mit der SPD und ihren Milieus einzugehen: War es doch die SPD, die beispielsweise die Asylgesetzgebung auf Bundesebene verschärfte. Auf der anderen Seite gab es Vorurteile gegenüber der radikalen Linken, ein Bündnis mit ihnen könnte bürgerliche AfD-Gegnerinnen und -Gegner verprellen.
»Startschuss einer zivilgesellschaftlichen Gegenmobilisierung«
DIE LINKE konnte in Münster Brücken bauen, jedoch unter der Maßgabe, dass die Proteste gegen die AfD – egal unter welchen Bedingungen – an Ort und Stelle des AfD-Geschehens stattfinden müssten. Dabei war es nicht notwendig, formal alle Vorstände aller Organisationen an einem Tisch zu haben. Wichtig war aber, dass die verschiedenen Milieus abgedeckt waren. Und das Wichtigste: durch die Praxis und gemeinsame Erfahrungen das Bündnis zu erweitern. Die Verhinderung des Petry-Auftritts im Januar 2016 war der Startschuss einer zivilgesellschaftlichen Gegenmobilisierung, die bis heute anhält. Genau ein Jahr später sollte es zu einem Wiedersehen mit Frauke Petry in Münster kommen. Die Protest-Niederlage wollten die lokalen AfD-Funktionäre nicht auf sich sitzen lassen. »Wir haben noch eine Rechnung mit Münster offen«, ließ AfD-Stadtratsmitglied Martin Schiller in der Presse verlauten. Also lud die AfD Frauke Petry im Februar 2017 erneut nach Münster ein. Zur Sicherheit mietete die AfD das Rathaus an, im Wissen, dass die konservative Stadtverwaltung so schnell keine Raumabsage in Betracht ziehen würde. Eine AfD-Veranstaltung im Rathaus des Westfälischen Friedens empfanden viele als besondere Provokation. Künstlerinnen und Künstler schrieben antirassistische Plakatwettbewerbe aus. DIE LINKE druckte tausende Sticker und lud zum Schildermalen im Büro ein. In Gottesdiensten betete man gegen den Hass der AfD. Selbst die SPD veröffentlichte ein Mobilisierungsvideo gegen den Besuch von Frauke Petry.
Mobilisierung gegen rechts
Mit dieser Dynamik hatte die AfD nicht gerechnet: Verzweifelt versuchte sie ein Gewalthorrorszenario an die Wand zu malen, das die Lokalpresse unkritisch übernahm. Am Ende demonstrierten dennoch 10.000 Menschen vollkommen friedlich gegen den Neujahrsempfang der AfD und feierten auf dem Prinzipalmarkt ein antifaschistisches Familienfest. AfD-Mitglieder beschwerten sich anschließend kleinlaut über »Spießrutenläufe« über den Prinzipalmarkt. In den darauffolgenden Monaten versuchte die AfD immer wieder, bekannte Gesichter nach Münster zu holen. Insgesamt vier Mal in zwölf Monaten besuchten AfD-Parteiprominente die Stadt – meist ohne Erfolg. Als eine Veranstaltung mit dem rechtsradikalen NRW-Spitzenkandidaten Martin Renner aufgrund von Gegenprotesten und Raumabsagen ausfallen musste, resignierte ein lokaler AfD-Sprecher: »Wir sind schon so daran gewöhnt, dass wir uns gar nicht mehr richtig aufregen können.« Dauerstress für die AfD auch kurz vor der Landtagswahl: Nachdem die AfD angekündigt hatte, ihren Wahlkampfabschluss in einer Schule in einem Außenbezirk in Münster durchzuführen, schaltete DIE LINKE um und verband den Wahlkampfendspurt mit einer Mobilisierung gegen rechts. Ein Lokaljournalist, der offensichtlich in der Nähe der Schule wohnte, schrieb einige Tage vorher in den »Westfälischen Nachrichten«:
»Es ist Sonntagnachmittag, als ein Lautsprecherwagen der Linken durchs Gievenbecker Auenviertel fährt und für den kommenden Samstag für Demonstrationen mobil macht. Wer hier noch nicht mitbekommen hat, dass am 13. Mai die AfD im Stein-Gymnasium ihren Wahlkampfabschluss für den Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen mit einer Rede von Bundessprecherin Frauke Petry abhalten will, weiß es jetzt«. Der Wahlkampfabschluss war ein Flop: Während die Polizei außerhalb der Schule den Gegenprotest auf Abstand hielt, protestierten in der Schule rund 500 Schülerinnen, Schüler und Lehrerkräfte lautstark gegen 100 AfD-Anhängerinnen und -Anhänger.
Kunstaktion als kreativer Protest
Eine Woche vor der Bundestagswahl kam es dann zu einem schwerwiegenden Zwischenfall. Kunstaktivistinnen und Kunstaktivisten aus dem Umfeld der Kampagne »Keine Stimme der AfD« schütteten Asche vor einem Infostand der AfD aus. Die Asche stammte aus einer abgebrannten Flüchtlingsunterkunft in Münster. Die friedliche Aktion stand unter dem Motto »Die einen zündeln mit Worten, die anderen mit Brandsätzen«. Das war für zwei – als Security getarnte – Schläger der AfD schon zu viel. Sie setzen Pfefferspray ein und verletzten mehrere AfD-Gegnerinnen und -gegner. Während die Polizei gegen die Opfer ermittelte, solidarisierte sich DIE LINKE mit den Betroffenen. Sie warnte öffentlich vor AfD-Schlägerbanden im Wahlkampf und bezeichnete den lokalen AfD-Bundestagskandidaten als »Hasskandidaten«. Dieses Beispiel zeigt, welche Gefahr von der AfD ausgeht. Der faschistische Flügel um Björn Höcke will aus der AfD eine Straßen- und Kampfpartei machen. Die AfD soll in die Lage versetzt werden, öffentliche Räume zu erobern und die politische Opposition einzuschüchtern. Die bürgerliche Maske der AfD ist längst gefallen: Zum Vorschein kommen rechte Strategien, die sich von denen der NPD kaum noch unterscheiden.
Ein lokales Anti-Nazi-Bündnis vereint
In Münster ist es gelungen, die AfD klein zu halten. Durch die Proteste herrschte ein Klima in der Stadt, das den harten AfD-Kern vom Rest der Bevölkerung isolierte. Das war nur möglich, weil es einer antirassistischen Gegenbewegung gelungen ist, in entscheidenden Momenten einzugreifen und der AfD nicht die Hoheit zu überlassen. Grundlage dafür war, dass ein lokales Anti-Nazi-Bündnis viele Gruppen vereint und zugleich inhaltliche Klarheit darüber herrscht, dass man Nazis und Rassismus am Ort des Geschehens mit Protesten konfrontieren muss. DIE LINKE konnte darin gerade deshalb eine vorwärtstreibende Rolle spielen, weil sie vor Ort Räume geschaffen hat für aktivistische Politik: Auf wöchentlichen »Aktiventreffen« diskutieren die Genossinnen und Genossen aktuelle politische Fragen und beraten die nächsten Schritte fernab von Satzungs- und Geschäftsordnungsdebatten. Zumeist hat DIE LINKE die Aktionen auch mit Aufklärungsveranstaltungen begleitet. So diskutierten beispielsweise Janine Wissler (DIE LINKE) und Andreas Kemper (Soziologe und AfD-Kenner) vor 130 Leuten über Ursachen und Gegenstrategien zum Aufstieg der AfD. DIE LINKE kann darin wichtige inhaltliche Impulse setzen: So stellte sie in Münster gängige rot-grüne Erklärungsmuster des Rassismus vom Kopf auf die Füße: Rassismus entsteht nicht spontan aus der Bevölkerung, sondern wird von den Herrschenden geschürt, um von sozialen Problemen abzulenken.
Das Video von der Veranstaltung »Ursachen und Gegenstrategien zum Aufstieg der AfD«:
Solange die wirtschaftlich Mächtigen ein Interesse daran haben, die Menschen zu spalten, um von ihren eigenen Untaten abzulenken, wird es Phänomene wie die AfD geben. Deshalb ist der Kampf gegen Rechts eng mit dem Kampf für eine andere Wirtschaftsordnung verbunden.
Zum Autor: Hannes Draeger ist aktiv in der LINKEN Münster.
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Schlagwörter: AfD, Alternative für Deutschland, Antifaschismus, Bundestagswahl, Inland, Münster