4.000 Menschen aus ganz Europa kamen am 23. Januar in Brüssel zusammen, um gemeinsam gegen das geplante Entsendegesetz zur Erleichterung von grenzüberschreitenden Lohnsenkungen zu protestieren. Mit dabei waren die ehemals Beschäftigten von Maredo, die seit knapp einem Jahr für ihre Wiedereinstellung kämpfen. Von David Paenson
Der lauteste Block an diesem Tag war sicher der von Maredo. Nach einem Jahr wöchentlicher Kundgebungen vor der Maredo-Filiale in Frankfurt gegen die ungerechtfertigte Massenentlassung am 26. November 2011, der Teilnahme an etlichen Protesten in Frankfurt wie dem 1. Mai und Blockupy sowie den Solidaritätsaktionen mit den Streiks in Portugal, Spanien, Griechenland und Belgien am 14. November letzten Jahres, ist die Ex-Belegschaft von Maredo mittlerweile so etwas wie »kampferprobt«.
In dieser Zeit hat sich die Solidarität untereinander und von ihren Unterstützern aus der LINKEN, der Akademie der Arbeit und anderen immer mehr gefestigt.
Aufgezwungene Eigenkündigungen
Die Massenentlassung am 26.11.2011 war in jeder Hinsicht ein absoluter Skandal. Die Kolleginnen und Kollegen der Morgenschicht und die der Abendschicht wurden an diesem Samstagnachmittag um 16 Uhr bei Schichtwechsel allesamt im verdunkelten Restaurant versammelt. Handynutzung verboten, Gespräche untereinander untersagt. Der Strom war angeblich ausgefallen, es stellte sich aber schnell heraus, dass die Aktion von langer Hand geplant war.
»Entweder ihr unterschreibt eure Eigenkündigung, oder ihr werdet gekündigt. Im ersten Fall erhaltet ihr ein ordentliches Arbeitszeugnis, im zweiten schicken wir euch die Polizei auf den Hals, denn ihr seid alle Diebe. Ihr habt »in erheblichem Umfang« Ware gestohlen, sodass dem Konzern ein »erheblicher wirtschaftlicher Schaden« entstanden ist«.
Solche Vorwürfe und Drohungen wurden den Mitarbeitern an den Kopf geworfen. Währenddessen standen zwei Mitglieder des Betriebsrats, die sofort Hausverbot bekommen hatten, draußen vor dem Fenster und versuchten, mit Handzeichen ihren Kolleginnen und Kollegen davon abzuraten, Eigenkündigungen zu unterschreiben – was einige dennoch taten, weil sie dem Psychoterror eines Dutzend Vorgesetzten, Sicherheitskräften und Rechtsanwälten einfach nicht standhielten.
Diebstahl »in erheblichem Umfang«?
Unter Diebstahl »in erheblichem Umfang« in einem Restaurantbetrieb versteht der normale Mensch vielleicht das Entwenden von frischer, zum Verkauf bestimmter Ware, den Griff in die Kasse oder das Servieren von Speisen ohne Rechnung, um das Geld dann in die eigene Tasche zu stecken.
Vor dem Arbeitsgericht reduzierte sich der Vorwurf des »Diebstahls in erheblichem Maße« dann auf ein paar Baguette-Enden, die den Kunden grundsätzlich nicht serviert werden sollen, weil sie zu hart sind, auf zu kleine Kartoffeln – die Maredo-Norm verlangt ein bestimmtes Minimalgewicht -, einen Kaffee – wohlgemerkt mit Milch – und das Zapfen von Wasser im heißen Sommer 2011, wobei das Personalwasser zeitgleich wegen »Lieferschwierigkeiten« eingestellt war.
Einseitige Argumentation
Diesen Widerspruch zwischen »erheblichem Diebstahl« und dem realen Verzehr von Kleinigkeiten erwähnte den Arbeitsrichter Dr. Becker – der pikanterweise einen Lehrauftrag an der Akademie der Arbeit hat – nicht. Auch die Tatsache, dass der Verzehr von unverkäuflichen oder vom Kunden monierten Speisen (sogenannten Retornaden) seit Bestehen von Maredo Praxis war, interessierte den Richter ebenso wenig. »Diebstahl ist Diebstahl«, verkündete er, »erst Recht, wenn ein Aushang im Betrieb darauf hinweist. Und eine rote Ampel ist eine rote Ampel, und auch wenn in der Vergangenheit immer wieder geduldet wurde, dass auch bei Rot über die Straße gegangen wurde, rechtfertigt das keinesfalls, dass man weiterhin bei Rot über die Straße geht.« So seine Argumentation, die ich mir im Gerichtssaal aufschrieb.
Was ist, wenn neben der Ampel ein Polizist steht (in unserem Fall ein Betriebsleiter), der ausdrücklich dazu auffordert, auch bei Rot die Straße zu überqueren? Diese Frage warf der Arbeitsrichter zu keinem Zeitpunkt auf, obwohl er immer bekundete, die »Wahrheit« ans Tageslicht bringen zu wollen.
Regelmäßige Aktionen vor Maredo
Unsere wöchentlichen Aktionen vor der Maredo-Filiale in der Frankfurter Luxusstraße Fressgass‘ haben jedenfalls mehr bewirkt, als alle Gerichtsverhandlungen zusammen genommen. Wir stehen jedes Mal zu zwanzig, verteilen jedes Mal ein paar hundert Flugblätter, sammeln jedes Mal Dutzende von Unterschriften, halten Megafonreden über die Ausbreitung des Niedriglohnsektors – die neuen Angestellten verdienen statt 9 Euro die Stunde nur noch 7,50 Euro brutto.
Auch der Musiker Ernst Schwarz trägt seine, teilweise extra auf Maredo komponierten Lieder und die Gedichte seines Freunds und Poeten Hartmut Barth-Engelbart unter kräftiger Gitarrenbegleitung und mit lauter Stimme vor.
Breites Interesse
Unsere Beharrlichkeit trägt auf vielfältige Weise Früchte. Erst letztes Wochenende begleitete uns ein Fernsehteam von der ARD während der gesamten Aktion einschließlich einer spontanen Demonstration zur zweiten Frankfurter Filiale etwa hundert Meter weiter und brachte uns einschließlich Interview mit der Kollegin Sonja in der Sendung FAKT zum Thema Video-Überwachung am Arbeitsplatz unter.
Der Betriebsratsvorsitzende Mimoun, der selbst seit über 30 Jahren bei Maredo arbeitet, wurde von Berufsschullehrerinnen eingeladen, um über die Arbeitsverhältnisse im realen Leben zu berichten. Die Lehrerin meinte anschließend, die Klasse wäre noch nie so still gewesen, so gebannt hörten sie sich das alles an. Während Blockupy gab es die Aktion »Goldene Kamera« mit 200 Demonstranten, die auch in YouTube Verbreitung fand.
Mit unseren Aktionen fordern wir die Wiedereinstellung aller Kolleginnen und Kollegen zu den alten Konditionen. Das ist ein Kampf, der uns stark macht, der uns die Sympathie von tausenden Passanten eingebracht und den Eigentümern von Maredo, dem Equity Capital Management, viel Kopfzerbrechen und Geld für teure Rechtsanwälte gekostet hat.
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