An der Spitze der katholischen Kirche löst ein neuer erzkonservativer Papst den alten ab. Hans Krause erklärt, warum Katholiken aber manchmal auch Revolutionäre sind
Er hat alle Befürchtungen bestätigt und einige übertroffen. Als »wir« 2005 Papst wurden, ahnten viele, dass Benedikt XVI. jede Art von Reformierung oder Liberalisierung der Katholischen Kirche verhindern würde.
Wie zu erwarten sprach er rassistisch über den Islam und lehnte jede Änderung der Frauenunterdrückung in der Kirche oder der menschenfeindlichen Sexualmoral ab. Tiefpunkt seiner Amtszeit war die Enthüllung, dass Benedikt jahrzehntelang sexuellen Missbrauch von Kindern durch katholische Priester verschwiegen und hingenommen hatte.
Zusammenarbeit mit Militärdiktatur
Es gibt wenig Hoffnung, dass Franziskus I. fortschrittlicher sein wird. Die Einführung der Ehe für Homosexuelle in seiner argentinischen Heimat bezeichnete der neue Papst 2010 als »Teufels-Manöver«.
Argentinische Journalisten und Menschenrechtler berichten von Zusammenarbeit mit der Militärdiktatur von 1976 bis 1983. So entzog er zwei Priestern, die wegen ihrer fortschrittlichen Gesinnung verhaftet worden waren, seine Unterstützung. Zudem hinderte er internationale Menschenrechtler an der Aufklärung von Verbrechen gegen politische Gefangene.
Die Liste der Verbrechen von Päpsten, Kardinälen und anderen mächtigen Männern der Katholischen Kirche ist lang. Doch ebenso sind schon Millionen von Katholiken gegen Diktatur, Kapitalismus oder die Herrschaft der Banken in Europa aufgestanden.
Proteste in katholischen Ländern
Nach der Volkszählung 2011 bezeichnen sich 84 Prozent der Menschen in Irland selbst als Katholiken. Nur 6 Prozent glauben nicht an Gott und 46 Prozent gehen jede Woche in eine Kirche. Trotzdem sind die Iren kein konservatives Volk.
In dem Land mit 4,6 Millionen Einwohnern haben am 11. Februar 100.000 Menschen gegen die Übernahme von 64 Milliarden Euro Schulden der irischen Banken durch den Staat demonstriert. Es ist zehn Jahre her, dass im weit weniger religiösen Deutschland so viele Menschen demonstriert haben, trotz der 18-fachen Zahl an Einwohnern.
Auch in Portugal gab es in den letzten Monaten große Demonstrationen und Generalstreiks gegen die Kürzungspolitik der Regierung. Hier bezeichnen sich 81 Prozent als Katholiken und 7 Prozent als nicht religiös.
Hoffnung auf den Himmel
Wie ist das möglich? Wie viele Sozialisten, lehnte auch Wladimir Lenin Religion grundsätzlich ab. In seinem Text »Sozialismus und Religion« von 1905 schrieb er über die Funktion des Christentums für Arbeiter- und Kapitalistenklasse:
»Denjenigen, der sein Leben lang arbeitet und Not leidet lehrt die Religion Demut und Langmut hienieden und vertröstet ihn mit der Hoffnung auf himmlischen Lohn. Diejenigen aber, die von fremder Arbeit leben, lehrt die Religion Wohltätigkeit hienieden, womit sie ihnen eine recht billige Rechtfertigung ihres ganzen Ausbeuterdaseins anbietet und Eintrittskarten für die himmlische Seligkeit zu erschwinglichen Preisen verkauft.«
Einheit im Kampf auf Erden
Doch Lenin lehnte im selben Text ab, die revolutionär-sozialistische Partei für antireligiös zu erklären:
»Warum erklären wir in unserem Programm nicht, dass wir Atheisten sind? Warum verwehren wir Christen nicht, in unsere Partei einzutreten?
(…) Wir dürfen uns auf keinen Fall dazu verleiten lassen, die religiöse Frage abstrakt, idealistisch, »von Vernunft wegen«, außerhalb des Klassenkampfes zu stellen, wie das radikale Demokraten aus der Bourgeoisie häufig tun. Es wäre unsinnig zu glauben, man könne in einer Gesellschaft, die auf schrankenloser Unterdrückung und Verrohung der Arbeitermassen aufgebaut ist, die religiösen Vorurteile auf rein propagandistischem Wege zerstreuen. Es wäre bürgerliche Beschränktheit zu vergessen, dass der auf der Menschheit lastende Druck der Religion nur Produkt und Spiegelbild des ökonomischen Drucks innerhalb der Gesellschaft ist.
Durch keine Broschüren durch keine Propaganda kann man das Proletariat aufklären, wenn es nicht durch seinen eigenen Kampf gegen die finsteren Mächte des Kapitalismus aufgeklärt wird. Die Einheit dieses wirklich revolutionären Kampfes der unterdrückten Klasse für ein Paradies auf Erden ist uns wichtiger als die Einheit der Meinungen der Proletarier über das Paradies im Himmel.«
Oben und unten in der Kirche
Lenin macht hier einen wichtigen Unterschied zwischen religiösen Arbeitern und der religiösen Ideologie beziehungsweise ihren Vertretern an der Spitze der Kirche. Diese waren 1905 noch mehr als heute eng mit den Eliten der Wirtschaft und des Staates verbunden.
Gleichzeitig empfanden viele Menschen ihren christlichen Glauben als ein Eintreten für Gerechtigkeit, Frieden und Hilfe für Arme. Das machte sie keineswegs zu Sozialisten, stand aber auch nicht im Widerspruch zu Streiks und Betriebsbesetzungen, die es während der »ersten« Russischen Revolution 1905 häufig gab.
Religion verschieden ausgelegt
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts hatten nicht nur Gläubige und Führung der christlichen Kirchen immer wieder ein verschiedenes Verständnis ihrer Religion. Teilweise entstanden sogar unterschiedliche Auslegungen des Katholizismus bis hinauf zu den Bischöfen.
So kritisierte Benedikt XVI. nicht nur, dass in Europa immer weniger Menschen an Gott glauben, sondern auch die »Befreiungstheologie«, eine Interpretation des Katholizismus die sich seit den 60er Jahren in Lateinamerika entwickelt hat.
Erlösung als sozialpolitische Botschaft
Die Befreiungstheologie versteht den christlichen Glauben als Sprachrohr der Unterdrückten und leitet aus der Bibel politische Forderungen für die Menschen in den Gemeinden ab. »Erlösung« wird nicht hauptsächlich spirituell, sondern als sozialpolitische Botschaft verstanden. Dafür werden verschiedene Zitate der Bibel verwendet, wie etwa im Neuen Testament die Aussage Marias über die ihr zugesagte Geburt des Messias:
»Er stößt die Mächtigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen erfüllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.«
Einer der bekanntesten Befreiungstheologen war Óscar Romero, Erzbischof von San Salvador. Durch die landesweite Übertragung seiner Predigten im Radio wurde er einer der Führer des linken Volksaufstands gegen den Militärputsch 1979. Ein Jahr später erschoss ein Soldat auf Befehl der Regierung Romero während einer Predigt. Es war der Beginn eines zwölfjährigen Bürgerkriegs.
Keimzellen der Opposition
Auch während der landesweiten Streiks gegen die stalinistische Diktatur in Polen 1980 spielte der katholische Priester Jerzy Popieluszko eine wichtige Rolle. Nach dem Verbot der Gewerkschaft Solidarnosc war seine Gemeinde in Warschau Anlaufstelle für Oppositionelle.
Der Pfarrer übertrug seine völlig überfüllten Messen mit Lautsprechern ins Freie und kritisierte scharf die Regierung. Auch nachdem diese 1981 das Kriegsrecht verhängt hatte. 1984 wurde Popieluszko vom polnischen Geheimdienst ermordet.
Kritik wird leicht rassistisch
Ohne die Unterscheidung zwischen oft konservativen Religionsführern und Millionen Gläubigen kann gut gemeinte Kritik an einer Religion in Rassismus umschlagen. So verlangte der linke Sachbuchautor Günter Wallraff 2007, den islamkritischen Roman »Satanische Verse« in einer großen Kölner Moschee öffentlich vorlesen zu dürfen. Als die Leiter der Moschee wie erwartet ablehnten, behauptete Wallraff, das beweise den Konservatismus »des Islam«.
Doch ebenso wie das Christentum kann auch der Islam je nach Auslegung Ideologie der Unterdrücker oder der Unterdrückten sein. »Gott ist groß« war 1979 eine Parole der Iranischen Revolution gegen die mörderische Diktatur des nichtreligiösen Schah Mohammad Reza. Doch als die linken Kräfte der revolutionären Bewegung sich nicht durchsetzen konnten, errichtete Ruhollah Chomeini mit anderen Geistlichen eine neue Diktatur, die er islamisch nannte.
Als 2009 mehrere Millionen Iraner gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen demonstrierten, riefen die Menschen wiederum »Gott ist groß« durch die Straßen der Städte – in Tradition der Revolution von 1979 und gegen die Diktatur von Präsident Mahmud Ahmadinedschad und den Mullahs.
Religiöse Kräfte schwanken
Dass religiöse Kräfte in revolutionären Phasen einer Gesellschaft schnell von fortschrittlichen zu rückschrittlichen Teilen der Bewegung werden können, zeigte zuletzt der Arabische Frühling in Ägypten und Tunesien. Sowohl die Muslimbruderschaft als auch Ennahda waren wichtige Kräfte der Revolution 2011.
Doch als die Diktatoren gestürzt waren und die islamischen Parteien an die Macht kamen, begannen Mohammed Mursi und der tunesische Präsident Moncef Marzouki, ihre Macht zu erweitern, statt die Forderungen der Revolution umzusetzen.
Geistliche beim Wort nehmen
Schon Lenin wusste, dass religiöse Organisationen wichtiger Teil einer Protestbewegung sein können. Ihre Führung kann sich jedoch ebenso auf die Seite der kapitalistischen Unterdrückung schlagen. Dazu schrieb er in »Sozialismus und Religion«:
»Sogar sie [die Geistlichkeit] schließt sich der Forderung nach Freiheit an. Protestiert gegen die Bürokratenwirtschaft und Beamtenwillkür, gegen die polizeilichen Spitzeldienste, zu denen die »Diener Gottes« genötigt werden.
Wir Sozialisten müssen diese Bewegung unterstützen, indem wir die Forderungen der ehrlichen und aufrichtigen Geistlichen bis zu Ende führen, diese Leute, wenn sie von Freiheit sprechen, beim Wort nehmen, von ihnen fordern, dass sie jedes Band zwischen Religion und Polizei entschlossen zerreißen.
Entweder ihr seid aufrichtig – dann müsst ihr für die völlige Trennung der Kirche vom Staat und der Schule von der Kirche (…) sein. Oder ihr akzeptiert diese konsequenten Forderungen nach Freiheit nicht – dann seid ihr also immer noch in den Überlieferungen der Inquisition befangen, dann klebt ihr also immer noch an den Staatspöstchen und Staatspfründen, dann glaubt ihr also nicht an die geistige Kraft eurer Waffe und lasst euch nach wie vor von der Staatsmacht bestechen – und dann erklären euch die klassenbewussten Arbeiter ganz Russlands den schonungslosen Krieg.«
Gemeinsam für Verbesserungen auf Erden
Obwohl das strategische Konzept der »Einheitsfront« erst 1921 von der deutschen KPD formuliert und auf den gemeinsamen Kampf mit der SPD für soziale Reformen bezogen war, wendet Lenin in diesem Text von 1905 dieselbe Idee an: Sozialisten kämpfen zum Beispiel mit Christen für soziale oder demokratische Reformen und verlangen von der Kirche, sich konsequent statt halbherzig dafür einzusetzen.
Auch heute steht DIE LINKE vor der Aufgabe, Türken, Kurden, Araber und andere Menschen mit islamischer Herkunft oder Kultur von ihrer Politik zu überzeugen. Dafür darf die Partei keine pauschale Kritik am »Islam« oder »den Islamisten« üben, sondern muss Aktivitäten anbieten, bei denen Deutschstämmige und Muslime gemeinsam aktiv werden können. Ohne ein solches Angebot wird sich nichts am Eindruck vieler linker Muslime ändern, dass DIE LINKE sich hauptsächlich an Deutschstämmige richtet.
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