Das Interview »DIE LINKE kann selbst die Sammlungsbewegung sein« ist ein Vorabdruck aus dem neuen marx21 Magazin (erscheint am 12. März 2018). Abonniere hier das Magazin oder bestelle dir bis zum 18. März 2018 ein Probeheft und bekomme die neue Ausgabe kostenfrei nach Hause geschickt.
Nach der Bundestagswahl ist in der LINKEN ein Streit über den Kurs der Partei entbrannt. Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine meinen, es bräuchte eine neue linke Volkspartei. Siehst du das auch so?
Die Fragen, die Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine aufwerfen, sind wichtig und treiben sicherlich einige Mitglieder um: Wie kann DIE LINKE weiter gesellschaftlich ausgreifen und wachsen? Wie kommen wir dahin, tatsächlich politische Veränderungen zu erreichen? Aber ich meine: Wir sollten dafür weniger über eine neue Volkspartei, als vielmehr über DIE LINKE als moderne Klassenpartei diskutieren.
Was meinst du damit?
DIE LINKE muss konsequent die Interessen derjenigen vertreten, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um überleben zu können. Ob migrantischer Jugendlicher ohne Ausbildung, ob die zwischen Praktika und Kurzzeit-Projekten hechelnde Akademikerin, ob Pflegekraft, Leiharbeiterin am Fließband von BMW, Erwerbslose in der sächsischen Kleinstadt oder Geflüchteter, der um sein Bleiberecht kämpft – ihre gemeinsamen Erfahrungen und Forderungen sollten wir als LINKE artikulieren.
Also eine Art Sprachrohr des Widerstands?
Ja, aber eine moderne kämpferische Linke sollte dabei nicht stehen bleiben, sondern sich auch als Motor von Bewegungen verstehen, die Druck für diese Forderungen entfalten können. Dort, wo DIE LINKE nach diesen Prämissen gearbeitet hat, konnte sie gesellschaftlich ausgreifen und wachsen.
Der Entschluss der SPD-Führung, erneut eine Große Koalition mit CDU und CSU zu bilden, hat zu einem »linken Aufstand« innerhalb der Sozialdemokratie geführt. Wie soll DIE LINKE mit dem Widerstand gegen die Große Koalition umgehen?
Die Groko-Gegnerinnen und -Gegner in der SPD führen einen ernsthaften Kampf um die Ausrichtung ihrer Partei, mit der sie sich größtenteils immer noch verbunden fühlen. Ich glaube nicht, dass wir diese Menschen durch einfache Beitrittsaufrufe gewinnen können – weder in DIE LINKE zu wechseln, noch sich hinter Sahra Wagenknecht als Führungsfigur einer von ihr ausgerufenen »Sammlungsbewegung« einzufinden. Da machen wir es uns zu einfach.
Ist die SPD denn überhaupt noch eine linke Partei?
Weite Teile der Wählerinnen und Wähler sowie der Parteibasis halte ich für links. Die Führung des SPD-Parteiapparats, der sich bis heute nicht von der Agenda 2010 distanzieren will, würde ich mehrheitlich nicht mehr als links bezeichnen. Die SPD ist jedoch eine ganz besondere politische Formation. Marxistische Theoretikerinnen haben in den 1920er-Jahren eine sehr treffende Formulierung für den Charakter der Sozialdemokratie gefunden.
Und die wäre?
Sie bezeichneten die SPD als eine bürgerliche Arbeiterpartei. Ich halte diese Analyse auch heute noch für aktuell.
Warum?
Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf den grundsätzlich widersprüchlichen Charakter der Sozialdemokratie. Von der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten 1914 bis hin zur Politik der Agenda 2010: Die SPD hat in ihrer langen Geschichte immer wieder gezeigt, dass sie mit aller Konsequenz zum deutschen Kapitalismus steht. Deswegen ist sie eine bürgerliche Partei.
…also doch eine rotlackierte CDU?
Eben nicht: Darauf verweist der zweite Teil der Charakterisierung, nämlich als Arbeiterpartei. Unabhängig von ihrer realen Politik gibt sich die SPD immer noch als »Partei der kleinen Leute«. Sie muss das tun, um ihren Einfluss zu bewahren. Das weckt aber andere Erwartungen unter ihren Wählerinnen, Wählern und Mitgliedern als bei den anderen bürgerlichen Parteien. Die gegenwärtige Krise der SPD ist Ausdruck davon. Die SPD ist tief gespalten.
Und was folgt daraus für DIE LINKE?
Wir müssen die Hoffnungen auf eine linke Erneuerung der SPD ernst nehmen. Der Krise der SPD mit Schadenfreude zu begegnen, oder sie gar zu beschimpfen, ist der falsche Weg. Das schweißt die Parteiführung und die Basis immer enger zusammen, selbst Kritikerinnen und Kritiker der Parteiführung verteidigen dann erstmal »ihre« Partei.
Was schlägst du stattdessen vor?
Der Weg führt über die gemeinsame Praxis: Es geht darum, ehemalige Wählerinnen und Wähler oder Mitglieder der SPD bei gemeinsamen Aktionen auf der Straße, etwa beim Kampf um eine bessere Pflege oder gegen die neuen Nazis, langfristig zu überzeugen.
Klingt für mich nach einer neue Sammlungsbewegung à la Wagenknecht?
Wieso? DIE LINKE kann selbst die zentrale Sammlungsbewegung sein, wenn sie in der Praxis überzeugt – denn sie vereint gewerkschaftliche und bewegungsorientierte Positionen, feministische und sozialistische Traditionen sowie ökologische und friedensbewegte Orientierungen unter ihrem Dach. Und wir müssen weiter wachsen, wenn wir der zentrale organisierte Pol gegen den Rechtsruck sein wollen.
Die SPD hat seit 1998 zehn Millionen Wähler verloren – DIE LINKE hat lediglich zwei Millionen Wählerinnen und Wähler mehr als die damalige PDS. Was macht DIE LINKE falsch?
Das jüngste Wachstum der Stimmen im Westen der Republik zeigt, dass wir auch Vieles richtig gemacht haben. Im Westen hat DIE LINKE vierzig Prozent mehr Stimmen bekommen als bei den Wahlen 2013. In Hessen, Baden-Württemberg und Schleswig Holstein hat die LINKE sogar wieder das Ergebnis von 2009 erreicht, in Hamburg und Bayern dies noch übertroffen.
Das ist in der Tat beeindruckend. Warum redet darüber niemand?
Gute Frage (lacht). Naja, jetzt reden ja zumindest wir darüber. Aber im Ernst: Bei uns in Bayern als LINKE über sechs Prozent zu holen, ist absolut keine Kleinigkeit. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass wir besonders dort erfolgreich sind, wo DIE LINKE mit einem klaren antirassistischen und antikapitalistischen Profil antritt und den Menschen außerdem Mut zum Mitmachen und Einmischen gibt.
Trotzdem ist von der Aufbruchstimmung der Gründungsphase irgendwie nicht mehr viel übrig.
Ganz im Gegenteil. An vielen Orten erlebt DIE LINKE gerade einen großen Aufschwung an Aktivität und einen Zustrom vieler junger Neumitglieder. Gerade durch die Gründungsphase der WASG und später der LINKEN ist mir aber klargeworden, dass sich kurzfristige Wahlerfolge nicht wiederholen oder verstetigen lassen, wenn die Partei nicht insgesamt im Alltag der Menschen als eine politische Kraft spürbar wird, auf die sie in ihren konkreten Kämpfen und Auseinandersetzungen – ob am Arbeitsplatz, in Schule oder Hochschule, um eine lebenswerte Stadt oder bezahlbaren Wohnraum – setzen können. Ich denke, es gibt keine Abkürzung zum Parteiaufbau und zur langfristigen Organisierung einer gesellschaftlichen Gegenmacht von links.
Sahra Wagenknecht meint, DIE LINKE würde den Fokus zu wenig auf soziale Themen legen und außerdem nicht die Sprache sprechen, die die Leute verstehen. Hat sie Recht?
Nein. DIE LINKE hat seit ihrer Gründung den Fokus auf die »soziale Frage« niemals verloren. Gerade der letzte Bundestagswahlkampf war durch und durch von den großen sozialen Themen »bezahlbares Wohnen«, »mehr Geld für die Pflege«, »gute Arbeit und gute Rente« oder »für eine sanktionsfreie Mindestsicherung« geprägt. Die Frage ist vielmehr, wie wir die soziale Frage thematisieren.
Was meinst du damit?
Ich finde zum Beispiel unseren Slogan »Je stärker DIE LINKE, desto sozialer das Land!« nicht so gut, weil wir unseren Wählerinnen und Wählern etwas versprechen, was wir am Ende nicht halten können. Die LINKE ist seit ihrer Gründung stärker geworden, aber Leiharbeit, Niedriglöhne und das ungerechte Hartz-IV-System bestehen ja immer noch. Hinter solchen Slogans steht die alte sozialdemokratische Idee, dass die Partei stellvertretend für die Menschen im Parlament Veränderungen erreichen kann. Als Linke sollten wir diesem Politikmodell nicht folgen, sondern Menschen zur Selbstaktivität ermutigen.
Es ist für dich am Ende also nicht so entscheidend, ob LINKE-Plakate flächendeckend hängen, Pressemitteilungen abgedruckt werden oder die Abgeordneten der LINKEN die pointiertesten Reden in den Parlamenten halten?
Richtig. Es geht um die Frage: Sind unsere Stimmen dort hör- und erfahrbar, wo die Menschen leben und arbeiten und unter den Auswirkungen des kapitalistischen Systems leiden – in den Betrieben, Schulen und Wohnvierteln? Die Frage ist: Sind wir da, wo Menschen sich begegnen, gemeinsam Politik machen und sich organisieren können? Die LINKE in diesem Sinne von der Basis her aufzubauen – darum müssen wir kämpfen!
Aber DIE LINKE hat doch unter den abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen an Anhängerschaft verloren. Statt der »Arbeiterklasse« kommen jetzt die urbanen Alternativmilieus zur LINKEN…
Ich trete der Lesart entschieden entgegen, die meint, die neuen »urbanen Milieus« seien kein Teil der Arbeiterklasse. In München haben wir im Wahlkampf viele Menschen aus den Sozial- und Erziehungsdiensten, aus den Pflegeberufen oder aus dem völlig prekären Wissenschaftsbetrieb gewonnen. Was manche Linke nicht begreifen: Die Arbeiterklasse verändert sich. Für viele Menschen ist ihr Arbeitsraum eben nicht mehr die Fabrikhalle. In den sogenannten Care-Berufen arbeiten heute mehr Menschen als in der Automobilindustrie. Als Lohnabhängige sind sie natürlich Teil der Arbeiterklasse. Die neuen Wählerinnen und Wähler aus den Städten abschätzig als »Latte-Macchiato-Linke« zu bezeichnen, ist, ehrlich gesagt, eine Unverschämtheit. Einige von ihnen haben vielleicht akademische Abschlüsse, aber sie stehen vor ganz ähnlichen Problemen wie beispielsweise ein Arbeiter in der Automobilindustrie: Sie finden in den Großstädten keine Wohnung, keinen Kita-Platz und keine unbefristeten Arbeitsverträge, und im Alter erwartet sie eine Armutsrente.
Was hältst du von der These, dass die Haltung »Geflüchtete willkommen« die Arbeiterklasse überfordere und von der LINKEN verprelle?
Ganz ehrlich? Ich kann das nicht mehr hören.
Warum?
In den letzten Jahren haben sich zehntausende Menschen in der Flüchtlingshilfe engagiert, und ich behaupte, dass das in der Mehrzahl lohnabhängig Beschäftigte waren. Viele sind überhaupt nicht damit überfordert, in den syrischen oder afghanischen Familien, die zu uns vor Krieg und Zerstörung fliehen, Menschen wie sich selbst zu erkennen und Hilfe anzubieten. Und viele dieser Aktiven erwarten von der LINKEN, dass sie ihnen dabei zur Seite steht.
Das Gespräch führten Martin Haller und Yaak Pabst
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Schlagwörter: DIE LINKE, Klassenpartei, Linke, Sammlungsbewegung