Sie trat in den Straßen von Paris auf und sang, dass sie auf die Suite im »Ritz« gut verzichten könne. Nun ist das zweite Album der Chansonsängerin Zaz erschienen. Statt Authentizität gibt es diesmal seelenlosen Wohlfühl-Pop – so zumindest der erste Eindruck. Glücklicherweise täuscht er, findet David Jeikowski
Hach, Frankreich! Flirrende Straßencafés, Kultur an jeder Straßenecke, der Wein fließt in Strömen und die Arbeiter sind wehrhaft wie sonst nirgendwo in Europa. Während das savoir-vivre, wörtlich zu-leben-wissen, bei uns das Ideal eines jeden Gourmets und Weltenbummlers ist, wird es unter Franzosen bloß im Sinne von gute Umgangsformen gebraucht. Was uns ein Hochgenuss, scheint den Franzosen obligat zu sein.
Und auch musikalisch scheinen wir unserem Nachbarland bei Weitem nicht das Wasser reichen zu können. Heißen Schlagersänger und Schnulzendrescher hierzulande Andrea Berg und Udo Jürgens, haben sie jenseits des Rheins wohlklingende Namen wie Édith Piaf und Yves Montand. Selbst Popmusik scheint in Frankreich weniger Abfallprodukt ewiggleichen Radiogedudels zu sein, als vielmehr melodiöse Ausdrucksform echter zwischenmenschlicher Gefühle.
Markenzeichen Straßenromantik
Eben jene Klischees bedienend begeisterte im Jahr 2010 die Nouvelle-Chanson-Sängerin Zaz mit ihrem selbstbetiteltem Debütalbum, das sich in Frankreich und Belgien eine ganze Weile auf Platz eins der Albumcharts halten konnte und es in Deutschland mit fünfmonatiger Verspätung dann auch noch auf Platz drei schaffte. Zaz‘ Markenzeichen ist eine Mischung aus fröhlich-naivem Auftreten, Straßenromantik und einer Stimme, die mitunter klingt, als habe sie ihre Kindheit in einer Gauloises-Fabrik verbracht.
Vor ihrem Durchbruch stellte sich die heute 33-Jährige regelmäßig dem Straßenpublikum des Pariser Künstlerviertels Montmatre. Nach eigener Aussage lebte sie sogar eine Zeit lang ausschließlich von dem Geld, das sie auf diese Weise verdiente.
Seltsam blutleer
Waren die Songs des ersten Albums musikalisch noch minimalistisch gehalten, bietet das neue Album »Recto Verso« einen bunten Mix aus ruhigen Chansons, Gypsy-Swing und Mitklatsch-Pop. Letzteres stellt ein Novum bei Zaz dar und könnte dazu führen, dass Fans des vorherigen Albums beim ersten Anhören von »Recto Verso« enttäuscht sind.
Seltsam blutleer kommt dann auch das erste Lied des Albums »On ira« daher, das zugleich erste Singleauskopplung ist. Zu programmierten Schlagzeug-Beats und Streichern werden hier stakkatoartig Poesiealbum-Weisheiten vom Stapel gelassen: »Oh wie schön ist unser Glück/ dass sich tausend Farben dieser Menschheit/ vermischen in unseren Unterschieden/ an der Wegkreuzung des Schicksals/«.
Laut und mitreißend
Als diente diese Anbiederung an seelenlosen Wohlfühl-Pop nur der argumentativen Vorbereitung auf das kommende Lied, wehrt sich Zaz dort gegen den grade noch gewonnenen Eindruck: »Ihr ändert mich nicht./ Ich bin so,/ dumm gelaufen/Ihr hindert mich nicht daran/ meinem Weg zu folgen/ und auf meine eigenen Hände zu vertrauen/«. Dazu ein lockerer Swing-Sound samt Gitarre und Klavier und plötzlich macht »Recto Verso« Spaß.
Nach einem weiteren, dafür jedoch heftigen Schwächeanfall (»Gamine«), geht es kontinuierlich bergauf.
»T’attends quoi?« (»Worauf wartest du?«) beispielsweise erzählt die Schicksale indigener Bevölkerungen, die vom Klimawandel betroffen sind. Die einfachen, doch schönen Beschreibungen kulminieren im Refrain in einer gemeinsamen, anklagenden Frage: Worauf wartest du eigentlich bei der Bekämpfung der Klimaerwärmung? Dabei setzt ein Schlagzeug ein, das eben noch minimalistische Gitarren-Lied wird laut und mitreißend, ohne dabei jedoch seine Tragik zu verlieren.
Tragikomische Note
Eher gruselig schön ist »J’ai tant escamoté« geraten. Ein heulender Wind, dazu ein Leierkasten-Walzer und eine raue, abgekämpfte Stimme. Sie berichtet von innerer Zerrissenheit und einer destruktiven Liebschaft. Die Stimme findet Kraft, bäumt sich auf und doch – es bleibt vergebens. Eine Tuba ertönt und gibt dem Lied eine tragikomische Note, vor den Augen des Zuhörers entsteht ein Geister-Zirkus.
Spätestens beim albern-verspielten »Oublie Loulou« geht das dem Konsumenten durch Albumtitel (zu Deutsch etwa: »vorne hinten«) und Farbkleckser auf dem Coverfoto aufgedrängte Konzept des Albums dann auch endgültig auf: Zaz‘ Stimme funktioniert bei Musik fast jeder Richtung und Couleur.
Besonders ärgerlich sind daher auf »Recto Verso« jene Tracks, bei denen Zaz mit ihrer Stimme genauso wenig Innovation zeigt wie die Claps, die sie begleiten. Zum Glück hält sich ihre Zahl in Grenzen. Wenig ist geblieben von der Zaz, die zu Kontrabass und Gitarre Pariser Fußgänger und deutsche Radiohörer begeisterte. Auf »Recto Verso« hat sie sich dafür, trotz kleiner Schönheitsfehler, in sehr würdiger Form wiedererfunden. La reine est morte, vive la reine.
Angaben zur CD:
Zaz
Recto Verso
Sony Music Entertainment 2013
Foto: yopuz
Schlagwörter: Kultur, Musik