Hunderte Aktivistinnen, Politiker, Gewerkschafterinnen und Wissenschaftler diskutierten vier Tage lang in Berlin über marxistische Theorie, praktische Perspektiven für den Widerstand und einen antifaschistischen Sommer. Verpasst? Kein Problem! Hier findest Du die Highlights von »MARX IS MUSS 2018«
Zum zwölften Mal kamen auf Einladung von marx21 Menschen aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Hochschulen und politischen Organisationen auf dem »MARX IS MUSS«-Kongress zusammen, um sich gemeinsam auf über 100 Veranstaltungen und Workshops weiterzubilden und zu vernetzen. Mit 825 Teilnehmerinnen und Teilnehmern konnten wir sogar den Besucherrekord vom letzten Jahr noch brechen, wenn auch denkbar knapp.
Wie auch im letzten Jahr bildeten Antirassismus und Antifaschismus sowie der Kampf im Krankenhaus gegen den Pflegenotstand zwei zentrale Themenschwerpunkte des Kongresses. Hinzu kamen im dreifachen Jubiläumsjahr 2018 die Schwerpunkte »200 Jahre Karl Marx«, »100 Jahre Novemberrevolution« und »50 Jahre 1968«.
Theorie und Praxis
Los ging es am Donnerstag mit unserem Seminartag. Ob Ökonomie, Philosophie, Faschismustheorie oder Frauenbefreiung — in verschiedenen Workshops wurde den etwa 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine Einführung in zahlreiche Aspekte marxistischer Theorie geboten. Auf der anschließenden Auftakt-Rally heizten neben Bernd Riexinger, dem Parteivorsitzenden der LINKEN, die Pariser Aktivistin Sana Belaid von der »Nouveau parti anticapitaliste«, die Sprecherin der LINKEN in Münster, Katharina Geuking, sowie Julia Holzhauser, Pflegekraft und Gewerkschaftsaktivistin aus dem Saarland, der Menge ein. Den Abschluss machte Stefan Bornost vom marx21-Koordinierungskreis.
»Ich bin jetzt zum sechsten Mal auf diesem Kongress als Vorsitzender der LINKEN eingeladen und habe das Gefühl, das Podium wird immer jünger oder ich werde immer älter«, so Riexinger zur Eröffnung seiner Rede. Mit beidem hat er wohl recht. In seinem Vortrag ließ er dann kein gutes Haar an der Politik der neuen Bundesregierung und analysierte, warum deren Versuch, die AfD kleinzuhalten, indem sie ihre Positionen übernimmt, zum Scheitern verurteilt ist. Zudem machte er klar, dass es die Aufgabe der LINKEN ist »überall, wo die Rechten ihren Dreck verbreiten — an den Stammtischen, in den Betrieben, in den Stadtteilen — dagegenzuhalten und einen klaren Wall gegen ihre Ideologie aufzubauen.«
Marx is‘ Muss Eröffnungspodium: Perspektiven für den Widerstand (Teil 1)
Antirassismus und Klassenkampf
Auch zu den Streitfragen in der LINKEN bezog Riexinger klar Stellung: »Ich bin völlig dagegen, die flüchtlingspolitischen Themen der LINKEN aufzuweichen« rief er unter großem Applaus in den Saal. »In einer Situation, in der die Rechte ausschließlich mit Hetze gegen Flüchtlinge, Ausländer und Muslime arbeitet, darfst du an dieser Stelle nicht wanken. Es muss eine Partei geben, die dagegen ist, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, die dagegen ist, dass Mauern um Europa gezogen werden und dass Menschen in Länder abgeschoben werden, aus denen sie aus gutem Grund geflohen sind.«
Marx is‘ Muss Eröffnungspodium: Perspektiven für den Widerstand (Teil 2)
Der entschlossene Kampf gegen Rassismus bedeute aber keineswegs, dass DIE LINKE die soziale Frage hintenanstellen müsste: »Wir müssen soziale Kämpfe und Antirassismus miteinander verknüpfen. Wir müssen soziale Kämpfe führen, in denen die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen miteinander kämpfen und nicht gegeneinander ausgespielt werden«, so Riexinger. Nicht nur das gegeneinander Ausspielen von Geflüchteten und der einheimischen Arbeiterklasse, sondern auch von verschiedenen Milieus dieser Klasse kritisierte der LINKE-Vorsitzende scharf: Die Debatte, ob DIE LINKE jetzt auch »so eine grüne Hipster-Partei« werde, hält er für »Quatsch«. Junge Akademikerinnen und Akademiker seien heute genauso von Prekarität betroffen und würden häufig ein geringeres Einkommen erzielen als die Generation ihrer Eltern ohne ein Studium.
Zuletzt skizzierte Riexinger das Modell einer LINKEN, wie er sie sich vorstellt: »Gesellschaften werden nicht nur durch Wahlen und Parlamente verändert, sondern dadurch dass zigtausende LINKE-Mitglieder in den Stadtteilen, in Betrieben und Gewerkschaften, in sozialen Bewegungen und Bündnissen für eine solche gesellschaftliche Veränderung kämpfen.« Dafür, so Riexinger, »brauchen wir eine breit aufgestellte Mitgliederpartei.« Und zweitens »brauchen wir dauerhafte Demokratie innerhalb der Partei. Eine linke Partei muss von unten nach oben aufgebaut sein.« Für dieses Modell für DIE LINKE werde er »bis auf’s Messer kämpfen«, so der Vorsitzende weiter.
Grüße aus Paris, Münster und Saarbrücken
Im Anschluss berichtete die Aktivistin Sana Belaid aus Paris von den Kämpfen der Studierenden, Arbeiterinnen und Arbeiter gegen den Generalangriff der Regierung von Emmanuel Macron. Streiks, besetzte Universitäten und Massendemonstrationen — die französische Linke ist keinesfalls bereit sich geschlagen zu geben. »Tous ensemble! Grève générale!« hallte es nach ihrem Vortrag durch den Münzenbergsaal.
Katharina Geuking zeigte auf, dass es alles andere als ein Zufall ist, dass Münster die bundesweit einzige Stadt ist, in der die AfD bei der Bundestagswahl unter fünf Prozent blieb. Hier ist es gelungen, ein breites und entschlossenes Bündnis aufzubauen, dass bislang jeden Versuch der AfD, einen Fuß in die Stadt zu bekommen, mit Massenprotesten verhinderte.
Marx is‘ Muss Eröffnungspodium: Perspektiven für den Widerstand (Teil 3)
Schließlich berichtete die Krankenpflegerin Julia Holzhauser von ihren Arbeitsbedingungen in einem Saarbrücker Krankenhaus und darüber, wie sie zur Gewerkschaftsaktivistin wurde und wie es ihr nach und nach gelang, ihre Kolleginnen und Kollegen dafür zu gewinnen, sich ebenfalls zu organisieren und Widerstand gegen die Personalnot im Krankenhaus aufzubauen.
Bevor wir uns zum Abschluss in Solidarität mit den 40.000 Menschen, die am gleichen Tag in München gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz demonstrierten, zu einem Gruppenfoto aufstellten, spannte Stefan Bornost vom marx21-Koordinierungskreis noch mal eben den Bogen von der weltpolitischen Lage und der wachsenden Kriegsgefahr über die Lehren von 1968 bis hin zu den Perspektiven der LINKEN und des Klassenkampfs in Deutschland.
200 Jahre Karl Marx
200 Jahre Marx und der Kapitalismus existiert immer noch. 200 Jahre Marx und die Theorie über Ausbeutung und Unterdrückung ist aktueller denn je. Doch die Linke weltweit steht vor einer schwierigen Aufgabe. Die Rechte baut auf, der Glaube an Alternativen ist kleiner als die Vorstellungskraft des kollektiven Untergangs. Die klimapolitische Uhr tickt, jeden Tag drängt der entfesselte Markt ein Stück weiter und die Vermögensverteilung nähert sich längst vergessener Zeiten. Was tun? Wird der Kapitalismus jemals enden? Und wenn ja, wie? Das diskutierten Ronda Kipka und Alex Callinicos auf dem Podium zum Geburtstag unseres Namensgebers.
Wie aktuell ist Marx‘ revolutionäre Politik?
50 Jahre 1968
Viele reden vom Scheitern der Bewegung. Aber stimmt das? Auch in den letzten Jahren haben sich viele junge Leute politisiert, waren in der Geflüchteten-Soli aktiv, haben sich bei G20 Protesten gegen Trump und Erdogan gestellt oder sich an Protesten zum Klimawandel beteiligt. Auf unserem Kongress diskutierten Emily Laquer von der Interventionistischen Linken und Rhonda Koch von DIE LINKE.SDS, ob wir ein neues »68« brauchen, was dazu nötig wäre und was anders laufen sollte.
Das Erbe der 68er-Bewegung und der Studierendenrevolte
Kampf gegen Rassismus uns Faschismus
Islamfeindlichkeit ist derzeit die aggressivste und am weitesten verbreitete Form von Rassismus in Deutschland. Wir diskutierten darüber, welche Rolle antimuslimischer Rassismus in der Strategie der extremen Rechten in Deutschland spielt und welche Perspektiven der gemeinsame Widerstand hat?
Feindbild Islam: Muslime unter Generalverdacht und der Aufstieg der AfD
Zum Abschluss des Kongresses stellen wir beispielhafte Kämpfe und Kampagnen gegen Rechts vor und riefen zu einem antifaschistischen Sommer auf. Los geht es mit Massenblockaden gegen den AfD-Aufmarsch am 27. Mai in Berlin.
Abschlusspodium: Der Sommer des Antifaschismus
Populismus und DIE LINKE
Wir wollen der tiefsitzenden Ablehnung von neoliberaler Politik eine linke Alternative entgegensetzen und dabei die Interessen der lohnabhängigen Bevölkerung vertreten. Ironischerweise können wir hier viel vom Auftreten und Duktus linker Sozialdemokraten, wie dem US-Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders und dem Vorsitzenden der britischen Labour Party Jeremy Corbyn, lernen. Sie begeistern Millionen mit einer zugespitzten Anklage der gesellschaftlichen Zustände und markieren die Kluft zwischen der einfachen Bevölkerung und den herrschenden Eliten. Sie gelten landläufig als »Linkspopulisten«. Gemeinsam mit Janine Wissler, Thomas Goes und Raul Zelik gingen wir den Fragen nach, was »Populismus« ist und welche Stärken und Schwächen mit dessen linker Variante einhergehen.
Wieviel Populismus braucht die Linke?
Krieg und Imperialismus
Donald Trump schürt als US-Präsident einen internationalen Konflikt nach dem anderen. In Ostasien facht er Handelskonflikte an und treibt den Konflikt mit Nordkorea an den Rand einer nuklearen Konfrontation. Im Mittleren Osten legte er mit der einseitigen Anerkennung Jerusalems den nächsten Brandherd und kündigt das Atom-Abkommen mit dem Iran. In der Außenpolitik setzt Trump sein aggressives Wahlkampfmotto »America first« um. Alex Callinicos ging der Frage nach, warum die USA dennoch in vielen Teilen der Welt an Einfluss gegenüber den anderen Großmächten China und Russland verlieren. Und ob uns Trump mit seinem Irrsinn in einen 3. Weltkrieg treibt.
Gefährlich irrational? US-Imperialismus in Zeiten Trumps
Internationale Kämpfe
Wie jedes Jahr blickten wir in zahlreichen Veranstaltungen über den Tellerrand hinaus und analysierten gemeinsam die internationale Lage und die Kämpfe in verschiedenen Regionen und Ländern. So diskutierten Frank Renken und Peshraw Mohammed mit uns über die Perspektiven und Grenzen des kurdischen Befreiungskampfs.
Kurdistan: Wie weiter für den Kampf um nationale Unabhängigkeit?
Auch 70 Jahre Nakba und der Nahostkonflikt heute waren Thema auf dem Kongress. Der renommierte Historiker Ilan Pappé, der die geschichtspolitische Doktrin des Staates Israel in seinem bahnbrechenden Werk »Die ethnische Säuberung Palästinas« einer grundlegenden Kritik unterzogen hat, stellte auf »MARX IS MUSS 2018« mit »Zehn Mythen über Israel« sein neuestes Werk vor.
10 Mythen über Israel (Teil 1)
10 Mythen über Israel (Teil 2)
Die Entscheidung von Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, hat zu einem globalen Aufschrei der Empörung geführt. Der US-Präsident hat damit klar gemacht, dass die Palästinenser bei umstrittenen Fragen des sogenannten »Friedensprozesses« wie den Status Jerusalems kein Mitspracherecht haben. Gegen diese Arroganz gingen weltweit Tausende auf die Straße. Doch in Deutschland ist es offenbar schwerer als in vielen anderen Ländern, öffentlich Solidarität mit Palästina zu bekunden. Die Proteste gegen Trumps Jerusalem-Entscheidung wurden, wie viele Proteste zuvor, umgehend von Bundesregierung und Medien als »antisemitisch« verurteilt. Ramsis Kiliani und Anna-Esther Younes diskutierten mit uns, wie die Dämonisierung des palästinensischen Widerstands durchbrochen werden kann.
Ist Palästina Solidarität in Deutschland möglich?
Erkin Erdogan, Sprecher des prokurdischen Volkskongresses HDK in Berlin, analysierte für uns die widersprüchliche Machtbasis des türkischen Regimes unter Erdogan und stellte den innertürkischen Widerstand vor.
Stolpert die Türkei unter Erdogan in die Diktatur?
Der bekannte ägyptische Revolutionär und Blogger Hossam Hamalawy diskutierte mit uns über die Lehren aus der ägyptischen Revolution und Konterrevolution, über die soziale Krise, Streiks und den Widerstand heute.
Ägypten: Wie stabil ist das Sisi-Regime?
David Karvala und Lucia Schnell erklärten, warum sich Linke mit der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung solidarisieren sollten.
Katalonien und Rückkehr der nationalen Frage
Feminismus uns Frauenbefreiung
Marxismus und Feminismus müssen nicht im Widerspruch stehen. Wie sie aber produktiv zusammenzubinden sind, wird unterschiedlich beantwortet. Ausgehend von Lise Vogels systematischer Erweiterung der marxschen Analyse im Kapital hat sich um den Begriff der Sozialen Reproduktion eine spannende Debatte etabliert. Wer den Kapitalismus verstehen will, muss dessen Produktion und Reproduktion ins Auge fassen. Tithi Bhattacharya hat in ihrem Buch »Social Reproduction Theory« die neuesten Ideen zu dieser Debatte gesammelt und präsentiert die drängendsten Aufgaben rund um die Frage, wie wir mit Marx weiter an einer überzeugenden Analyse des Kapitalismus basteln können.
Eine Einführung in die Social Reproduction Theory
Kampf um die Stadt
Rasant steigende Mieten, Wohnungsnot, zunehmende Obdachlosigkeit. DIE LINKE hat sich auf die Fahnen geschrieben, daran etwas zu ändern. Doch die Lobby aus Spekulanten, Maklern und Immobilienhaien lässt nichts unversucht, um Eingriffe in den Markt zum Wohle von Mietern zu verhindern. André Holm und Aktive von Anwohnerinitiativen diskutierten mit uns, was geschehen muss, damit sich tatsächlich etwas ändert.
Wie können wir uns gegen steigende Mieten und Gentrifizierung wehren?
Digitalisierung und Überwachung
Unvorstellbar große Datenmengen fließen heutzutage in Sekunden um den Erdball. Milliarden Menschen haben Smartphones in der Tasche, mit denen sie Fotos und Videos machen, die sich im Internet rasend schnell verbreiten können. Diese Digitalisierung hat staatliche Herrschaft ebenso verändert wie die Kriegsführung. Mit Julia Meier und Martina Renner, die von der Arbeit aus dem NSA-Untersuchungsausschuss berichtete, diskutierten wir die Konsequenzen der digitalen Revolution für unseren Widerstand.
Was bedeutet elektronische Überwachung für eine linke Opposition?
Regieren oder opponieren?
Die Diskussion um Perspektiven und Grenzen linker Regierungen wird nicht erst seit ein paar Jahren geführt, sondern wurde in der Sozialdemokratie schon vor über hundert Jahren ausgefochten. Bekannteste Verfechterin des marxistischen Flügels war Rosa Luxemburg. Wie sie ihre ablehnende Haltung gegen linke Regierungsbeteiligungen begründete und was sich davon auf heute übertragen lässt, diskutierten wir gemeinsam mit Moritz Wittler.
Aus der Geschichte lernen: Warum Rosa Luxemburg gegen jede Regierungsbeteiligung war
Politik und Kultur
Ist Musik Weltflucht und maximal begleitender Soundtrack einer Bewusstseinsindustrie, die die Menschen verbindet, aber kapitalistische Zusammenhänge verschleiert? Oder können Lieder die Widersprüchlichkeit eines gesellschaftlichen Systems offenbaren und zur Bewusstseinsbildung mehr beitragen, als 15 politische Lehrbücher? In dieser Veranstaltung trafen Musikrichtungen aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Metal und HipHop. Aus den jeweiligen Musikrichtungen versuchten wir herauszufinden, ob und wie Musik zum Kampf um gesellschaftlichen Fortschritt beitragen kann.
Kann ein Song die Welt verändern?
Weitere Audioaufnahmen unserer Veranstaltungen auf »MARX IS MUSS 2018« werden wir in den kommenden Wochen auf unserer Homepage und auf Soundcloud veröffentlichen.
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