Die Bundestagswahl am 22. September wird die deutsche Politik nicht fundamental verändern. So viel lässt sich aus den Erfahrungen der vergangenen 15 Jahre schließen. In diesem Zeitraum sind im Bund drei verschiedene Koalitionsvarianten durchgespielt worden: Rot-Grün (1998-2005), Schwarz-Rot (2005-2009) und Schwarz-Gelb (seit 2009), erst unter dem Bundeskanzler Gerhard Schröder, dann unter Angela Merkel.
So unterschiedlich die Personen an der Spitze der Regierungen waren, so sehr ähnelten sie sich hinsichtlich ihrer politischen Zielsetzungen. Sie folgten einer Strategie, die in den 1990er Jahren von den deutschen Eliten als Antwort auf die neue globale Situation nach dem Fall der Mauer entwickelt wurde. Deren Eckpunkte sind:
Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in der globalen Konkurrenz muss erhalten und ausgebaut werden. Wesentliche Instrumente dafür sind ein Niedriglohnsektor, Leiharbeit und Hartz IV. Durch sie wird der Druck auf die Beschäftigten permanent aufrechterhalten und die Löhne werden gedrückt.
Die Militarisierung der Außenpolitik wird vorangetrieben. Die Bundeswehr soll zur weltweit operierenden Interventionsarmee umgebaut werden. Sie wird vom Kosovo über Afghanistan bis Mali eingesetzt – und tritt insgesamt immer forscher auf.
Wenig Zustimmung zur Wirtschafts- und Außenpolitik
Die Innenpolitik folgt dem Muster von Zuckerbrot und Peitsche. Auf der einen Seite bedeutet das, dass die über Jahrzehnte erkämpfte gesellschaftliche Liberalisierung in Gesetzesform gegossen wird (zum Beispiel: Homoehe). Vorzugsweise geschieht das in Bereichen, die den Staat nichts oder nur wenig kosten. Auf der anderen Seite wird der Sicherheitsstaat ausgebaut und die Kompetenzen der entsprechenden Behörden ausgeweitet. Ständige Begleitmusik hierzu ist die Kampagne gegen den »Islamismus« – ein Freibrief zur Diskriminierung von Muslimen.
Zumindest die Wirtschaftspolitik und die Militarisierung der Außenpolitik stoßen nur auf wenig Gegenliebe unter der Bevölkerung. Umfrage für Umfrage belegt, dass es große Mehrheiten gegen Bundeswehreinsätze, Rentenkürzungen und für einen Mindestlohn gibt.
Seit Jahren verfolgen die Regierungen trotzdem unbeirrt eine Politik, die von der Mehrheit abgelehnt wird. Das ist der wesentliche Grund für die steigende Wahlabstinenz und Politikerverdrossenheit. Im Jahr 1972 betrug die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 91,1 Prozent, im Jahr 2009 waren es nur noch 70,8 Prozent.
Steigende Wahlabstinenz und Politikerverdrossenheit
Bei der Kommunalwahl im Mai in Schleswig-Holstein gingen gerade einmal 46,5 Prozent zur Urne. Das vorherrschende Gefühl ist, mit der Stimmabgabe nichts beeinflussen zu können.
Dieses Gefühl trügt nicht, denn die Zusammensetzung des Parlaments ist nur ein Oberflächenphänomen des Politikbetriebs. Viel einflussreicher sind Planungsstäbe, Ministerialbürokratien und Think Tanks. Sie sind eng mit der Wirtschaft und deren Interessen verwoben. Bei Regierungswechseln wird nur sehr wenig Personal ausgetauscht. Der Politikerkopf wechselt, der Normalbetrieb geht anhand der vorhandenen Planungen weiter. Es bleibt die oben skizzierte »Staatsräson«. Wer auch immer am 22. September das Ruder übernimmt, wird diesen Kurs beibehalten.
Die Umsetzung dieser ökonomischen und politischen Strategie kann nur verhindert werden durch massiven gesellschaftlichen Druck. Entscheidend wird sein, den Widerstand gegen die europäische Krisenpolitik und die zu erwartenden Angriffe auf die Bevölkerung in Deutschland zu stärken.
DIE LINKE ist nicht die Antwort, kann aber ein wichtiger Teil davon sein
Hier kommt DIE LINKE ins Spiel. Sie wird mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht mitregieren – und wenn sie es doch tut, ist sehr zweifelhaft, ob sie sich der Staatsräson entziehen kann. Denn der Einfluss der Wirtschaft auf die Politik ist groß, wer bockt, wird schnell »auf Linie gebracht«. Das ist derzeit gut im Nachbarland Frankreich zu beobachten, wo sich Staatspräsident Francois Hollande als sozialer »Anti-Merkel« wählen ließ und jetzt den Franzosen eröffnete, dass ihr Sozialstaat zu ausufernd und ihre Löhne zu hoch seien.
Der Grund, sich für eine starke LINKE einzusetzen, ist ein anderer: Sie hat das Potenzial, die gesellschaftlichen Kräfte zu stärken, die der bisherigen Entwicklung etwas entgegensetzen wollen. DIE LINKE ist nicht die Antwort, sie kann aber ein wichtiger Teil davon sein.
Die Tatsache, dass die SPD starken Einfluss auf die Gewerkschaftsbewegung hat, führte dazu, dass es unter Rot-Grün wenig Widerstand gegen die Agenda 2010 gab. Aus dem gleichen Grund ist gegenwärtig der Kampf gegen Niedriglöhne so schwach.
Das liegt daran, dass die DGB-Spitze auf eine Große Koalition setzt. Sie hofft, dass eine solche Bundesregierung weitere Maßnahmen zur Milderung der Krisenfolgen wie das Kurzarbeitergeld einführen wird. Doch diese Hoffnung ist trügerisch. Merkel und Steinbrück werden – im Fall, dass sich die Krise verschärft – sehr wahrscheinlich die in Südeuropa eingesetzten Rezepte auch hier anwenden.
Teil antikapitalistischer Proteste
Die Gewerkschaften können nur Handlungsfähigkeit gewinnen, wenn sie auf ihre eigene Kraft vertrauen. Dafür müssen sie die Standortpolitik beenden, die hiesigen Kämpfe vorantreiben und Solidaritätskampagnen für die Menschen in Südeuropa entwickeln.
Politisch leistet hier DIE LINKE einen wichtigen Beitrag. Sie kann und muss eine Alternative für enttäuschte SPD-Anhängerinnen und -Anhänger aufbauen.
Zudem ist sie eine wichtige Partnerin bei den Antikrisenprotesten. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Blockupy-Bewegung, an der DIE LINKE einen wichtigen Anteil hat: Sie war von Anfang an in dieser Bewegung aktiv und hat sich in dem Bündnis für die Einheit aller beteiligten Kräfte sowie für seine Ausweitung eingesetzt. Sie hat auf diese Weise viele Menschen zu Blockupy mobilisiert, die nicht von sich aus an einer antikapitalistischen Demonstration teilgenommen hätten.
Aktivistinnen und Aktivsten der LINKEN haben zudem während der Blockupy-Proteste eine wichtige Rolle in der Kommunikation mit Passantinnen und Passanten gespielt. Diese Fähigkeit hat die Partei gut entwickelt. Denn ihre Hauptaufgabe besteht in der Kommunikation linker Anliegen »nach außen«, an die Bevölkerung.
Abgeordnete der LINKEN haben geholfen, die Proteste zu sichern und sind eingeschritten, als die Polizei die Demonstration gewaltsam gestoppt hat. Der Auftritt von Katja Kipping und vielen anderen Abgeordneten im Polizeikessel am 1. Juni hat geholfen, die Polizeigewalt sichtbar zu machen und das Vorgehen des Staates zu skandalisieren.
Zudem spielt DIE LINKE eine wichtige Rolle in dem politischen Nachspiel zur Polizeigewalt. Bereits durch ihr Auftreten im Hessischen Landtag und im Bundestag in den Tagen nach den Protesten konnte sie einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, staatliche Repression aufzudecken und zu delegitimieren.
Der Schlüssel ist Aktivität von unten
Keine Frage: Die Ausgangslage ist schwierig. Keine der großen Negativentwicklungen, weder den Lohn- und Sozialabbau noch die Militarisierung oder den Ausbau des Sicherheitsstaates, konnten wir in den vergangenen Jahren stoppen oder gar umdrehen. Aber es gibt auch Erfolge: Die Blockupy-Proteste haben bewiesen, dass Merkels Krisenpolitik auch im »Herzen der Bestie« nicht ohne Opposition ist. Im gewerkschaftlichen Bereich haben so unterschiedliche Gruppen wie Gebäudereiniger, H&M-Beschäftige und Kitaangestellte durch ihre Streiks gezeigt, dass Widerstand auch in Bereichen möglich ist, die als nicht kampffähig gelten. Lokale Bewegungen wie die gegen Stuttgart21 oder gegen Mietwucher in verschiedenen Großstädten haben zum Teil erstaunliche Erfolge errungen und die Politik unter Druck gesetzt. Das sind alles kleine Erfolge. Aber sie lassen sich durchaus verallgemeinern. Doch die Aufgabe, den großen Strom umzulenken, steht noch an.
Dabei kann DIE LINKE auf verschiedenen Ebenen eine Rolle spielen. Aktivität von unten ist der Schlüssel. Doch Aktivität braucht Argumente und Analysen, wenn wir in den politischen Debatten gegen die Ideen der Herrschenden bestehen wollen.
DIE LINKE hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 2007 zum Knotenpunkt für Kritik an den Verhältnissen entwickelt. Sie bündelt Argumente, die in linken Gewerkschaftskreisen, der Friedens- und Studentenbewegung entwickelt wurden, und trägt sie in die Öffentlichkeit. Viele Themen sind mit Hilfe der LINKEN groß geworden: zum Beispiel die Werbetour der Bundeswehr durch Schulen, gegen die sich jetzt mehr und mehr Lehranstalten wenden.
DIE LINKE ist der beste Grund am 22. September zur Wahl zu gehen
Auch über das unfassbare Treiben des Verfassungsschutzes in Sachsen und Thüringen haben Vertreterinnen und Vertreter der LINKEN einiges zutage gefördert.
Viel von dieser Arbeit leisten die Fraktionen, die dafür die Mittel und den Zugriff zu Informationen nutzen, den eine parlamentarische Vertretung hat. Je stärker die Fraktion, desto mehr Arbeit kann sie leisten – ein guter Grund für eine starke LINKE.
DIE LINKE bietet für bewegungsorientierte Arbeit einen organisatorischen Rahmen. Ihre Mitglieder haben mit nicht parteilich gebundenen Aktivistinnen und Aktivisten zusammengearbeitet und die außerparlamentarischen Bewegungen der letzten Jahre mit aufgebaut. Sie waren zum Beispiel bei der Solidaritätsarbeit für gewerkschaftliche Kämpfe, der lokalen Verankerung von antikapitalistischen Krisenprotesten und der Organisierung von Aktivitäten der Friedensbewegung dabei.
Perfekt ist diese Partei bei weitem nicht. Im Parteialltag bleibt der aktive Bewegungsaufbau zu oft auf der Strecke. Und dennoch: DIE LINKE ist der beste Grund, am 22. September zur Wahl zu gehen – und gleichzeitig den Aufbau einer gesellschaftlichen Opposition fortzusetzen.
Von Christine Buchholz, friedenspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag
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