Der Geheimdienstexperte Edward Snowden hat die Überwachungstechniken der USA enthüllt. Obwohl der Wahrheitsgehalt seiner Aussagen nicht bestritten wird, muss er flüchten. Sein »Verbrechen« besteht darin, die Verbrechen des Staates offengelegt zu haben. Wer sich darüber empört, sollte am 7. September an der Demo „Freiheit statt Angst« teilnehmen, meint Oliver Völckers
Bisher hatten sich das nur Verschwörungstheoretiker ausgemalt, jetzt ist es Tatsache: Der US-amerikanische Geheimdienst NSA verfolgt weltweit einen Großteil aller Telefonate und E-Mails. Durch digitale Hintertüren in Computern, Handys und Servicezentren hat er Zugriff auf privateste Daten. Google-Suchabfragen werden ebenso überwacht wie SMS oder Facebook-Einträge.
Die deutsche Regierung befindet sich in einem Dilemma: Einerseits behauptet sie, die Enthüllungen Snowdens seien nichts Neues, andererseits will sie nichts gewusst haben. Politiker, Journalistinnen, Anwälte, Ärztinnen und in der Konkurrenz stehende Unternehmen stellen fest, dass ihre vertrauliche Kommunikation im Auftrag der Regierung der USA ausgehorcht wird und sind empört.
Abhörmonster entlarvt
Wofür dient eigentlich dieser Riesenapparat? Es geht nicht um Terroristen, denn dafür bräuchte die Mehrheit der Bevölkerung nicht kontrolliert werden. Selbst besonders geschützte diplomatische EU-Vertretungen werden von der NSA abgehört. Es handelt sich weder um Wirtschaftsspionage noch um einen außer Kontrolle geratenen Polizeiapparat.
Vielmehr sind Geheimdienste ebenso wie Militär und Polizei ein Mittel zur Festigung der Macht des Staates. Sie agieren gegen jede Gruppe, die die Autorität des Staates herausfordert: Das können Terroristen sein ebenso wie die Grünen, DIE LINKE, Journalisten, revolutionäre Studentinnen oder Gewerkschaften. Die Besonderheit von Geheimdiensten besteht darin, dass sie fast vollständig einer demokratischen Kontrolle entzogen sind.
Kein individuelles Entkommen
Auch kommerzielle Medien machen sich jetzt Sorgen um die Privatsphäre. In ihrer Hilflosigkeit empfehlen sie, E-Mails zu verschlüsseln und sich von Facebook abzumelden. Doch eine vertrauliche Datenübertragung ist selbst für Experten schwierig. Die heutigen Computersysteme wie Windows und Macintosh sowie Smartphone-Betriebssysteme wurden alle in den USA entwickelt. Da ihr interner Aufbau geheim ist, können wir nicht feststellen, wann und wie diese heimlich Daten beim Geheimdienst abliefern. Ein kompliziertes Kennwort nützt wenig, wenn die Tastatur-Software Eingaben für die NSA mitprotokolliert.
Die Überwachung findet auf zahlreichen Ebenen statt: Handy-Netzbetreiber zeichnen auf, wann wir mit wem telefonieren und welchen Funkmast (Ort) wir dabei nutzen. Jeder E-Mail-Transfer hinterlässt eine Spur von sogenannten IP-Nummern, aus der deutlich wird, welchen Weg sie genommen hat. Viele Handy-Fotos sind mit Ortskoordinaten versehen. Kartenzahlungen, Flugbuchungen, Überweisungen und online gebuchte Hotels sind nachverfolgbar. Dienste wie Facebook oder WhatsApp, die elektronische Adressbücher ausspionieren, können Kontaktpersonen ausfindig machen, die ihre Daten selbst gar nicht preisgeben. Von daher ist das sogenannte Privatleben utopisch.
Revolution nur mit Massenbewegung
Angesichts der allumfassenden Kontrolle könnte man zweifeln, ob es möglich ist, eine oppositionelle oder gar revolutionäre Bewegung aufzubauen. Aber die gleichen Hightech-Methoden, die der Überwachung dienen, helfen auch der Gegenseite. Wer gegen die Nazis in Dresden demonstrierte, dessen Handy-Position wurde zwar registriert. Zugleich waren Handys aber auch ein wichtiges Organisationsmittel für Demonstranten zur Navigation und Koordination. Insgesamt gab es noch nie so viel Öffentlichkeit wie heute. Diktaturen hatten es noch nie so schwer, ihre Verbrechen zu verbergen. Jede Smartphone-Kamera ist zugleich eine Waffe für die Weltöffentlichkeit.
Das »Manifest der Kommunistischen Partei« von 1848 war eine Absage an sektiererische Geheimorganisationen. Es begann der Kampf um Mehrheiten. Zwei Jahrzehnte später wanderte August Bebel als Handwerker mit angeklebtem Schnurrbart durch Deutschland, um Arbeiter in der damals sozialistischen SPD zu organisieren.
Die preußische Polizei schickte Geheimpolizisten zu ihren Versammlungen, konnte den Aufstieg der Sozialdemokratie aber nicht verhindern. Das Erfolgsrezept hieß damals wie heute offene Diskussion, Transparenz und massenhafte politische Aktivität. Eine elitäre Minderheit wie die RAF muss dagegen scheitern. Auch deshalb, weil sie als kleine Geheimorganisation gegen den Staatsapparat keine Chance hatte. Dies hat sich wieder im arabischen Frühling gezeigt: eine Gruppe wie Al-Kaida kann keinen Staat ins Wanken bringen, aber in Tunesien und Ägypten konnten Massenbewegungen das Internet nutzen, um ihre Regierungen wegzufegen.
Wir brauchen Transparenz
Geheimdienste fürchten die Fragen der Öffentlichkeit: Welche Dienste haben wie viele Mitarbeiter in Deutschland? Wen überwachen sie und an welche Gesetze sind sie gebunden? Wer verfügt über die ausgeforschten Daten und wer kontrolliert die Kontrolleure? Wie viel Geld verbrauchen sie und wo kommt das her?
Der Staat beansprucht, demokratisch zu sein und im Dienste der Bürger zu stehen. Dann gäbe es keinen Platz für geheime Massenüberwachung und die Geheimdienste sollten aufgelöst werden. Die Staatsmacht muss transparent sein und sich Gesetzen unterwerfen, sonst verkommt sie zur Diktatur. Deshalb ist es wichtig, mit Whistleblowern und kritischen Journalisten solidarisch zu sein. Wir sollten die weltweite Bewegung gegen staatliche Einschüchterung, Überwachungswahn und Zensurversuche unterstützen.
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