Mit Lothar Bisky verliert DIE LINKE einen ihrer Gründungsvorsitzenden. Ein Nachruf von Helge Meves
Redaktionelle Vorbemerkung:
Wir haben Lothar Bisky erst in der letzten Phase seines politischen Lebens wirklich kennengelernt – als letzten Vorsitzenden der PDS und dann als ersten Vorsitzenden der LINKEN neben Oskar Lafontaine. Das Netzwerk marx21 ist nur so alt wie die Partei. Über Biskys Wirken vor 2007 möchten wir hier nicht urteilen.
Für einen Nachruf auf Lothar Bisky haben wir darum Helge Meves gebeten. Anders als wir ist Meves Bisky schon zu DDR-Zeiten begegnet. Zudem hat er im Prozess der Vereinigung von WASG und PDS zur LINKEN mit ihm zusammengearbeitet.
Aus unserer Sicht gebührt Lothar Bisky Respekt dafür, dass er sein politisches Kapital auch gegen Widerstände in der PDS dafür in die Waagschale geworfen hat, DIE LINKE zu gründen. Über den Kurs der von ihm mitgeschaffenen neuen Partei hatten wir jedoch oft unterschiedliche Vorstellungen.
Raus aus der Ostenge, raus auf die Straße
Noch im Februar äußerte er in einem Interview mit der Zeit, es sei denkbar, für ein rot-rot-grünes Bündnis außenpolitische Forderungen wie etwa den Ausstieg aus der NATO über Bord zu werfen. Wir halten Rot-Rot-Grün für keine gute Idee, das ist kein Geheimnis, aber den Ausstieg aus der NATO schon.
Es gäbe noch viele Beispiele für Meinungsverschiedenheiten, doch mit dafür gekämpft zu haben, dass es wieder eine massenwirksame sozialistische Partei links von der SPD gibt, die den Rahmen sowohl für Debatte als auch für Aktion bietet, bleibt Lothar Biskys großes Verdienst. Gegenüber der Zeit verteidigte er die Vereinigung seiner PDS mit der WASG: »Wir mussten raus aus der Ostenge. Ich hasse das Wort Regionalpartei« und empfahl: »DIE LINKE muss raus auf die Straße, dahin, wo gearbeitet wird.«
marx21-Onlineredaktion
Helge Meves: Lothar Bisky – was bleibt
Eine meiner ersten Erinnerungen an Lothar Bisky hatte ich bei Gelegenheit einer Studentenaufführung an der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin Ende der 80er Jahre. Zuschauer waren Dozenten und Professoren, Studenten. Einige tuschelten über die Inszenierung Georg Büchners oder Heiner Müllers, schätzten die Studentinnen und die Studenten ab.
Dazwischen neugierig, still und konzentriert, sah jemand zu und genoss das Spiel der Jungen als Gast bei Kollegen. Ich fragte meinen Vater, wer dieser schweigende, dabei doch entspannte, innerlich fröhliche Mann mit dieser Präsenz sei. Es war Lothar Bisky, damals Rektor an der Filmhochschule in Babelsberg.
Politisch verteidigen
Etwa in derselben Zeit hatte eine Studentin bei ihm, meine spätere Frau, einen Dokumentarfilm gedreht. Über Max Hoelz, nach einem Gedicht, als Poet, visionär und populär. Ein Politikum für Sozialismusbildner; tatsächlich oder vermeintlich anarchistisches, trotzkistisches, utopistisches hatte man aus der Tradition verbannt und all das hing Hoelz seit den 30ern an.
Der Dokumentarfilm der Studentin wurde zum Problem erklärt: filmisch zu gut, als das man ihn hätte übergehen konnte, eröffnete kulturpolitische Prominenz eine Debatte über Filmästhetik und den Klassenstandpunkt der Studentin mit der Forderung, sie von der Uni zu relegieren. Einige sprachen mit-, andere intrigierten gegeneinander. Die Filmhochschule blieb standhaft und hielt zu ihr. Der späteren Regisseurin selbst gab Lothar Bisky danach den Rat, einen politischen Film auch politisch zu verteidigen.
Respekt vor dem Gegenüber
Wiedererkannt und geschätzt habe ich später beim Parteivorsitzenden Lothar Bisky seine Fähigkeit, zuhören zu können, seinen Respekt vor dem politischen Gegenüber – das Wort Gegner war nicht seine Sache, polternde Verurteilungen bekam er nicht hin – anerkannt wurde seine Geradlinigkeit und Verbindlichkeit.
Angemerkt wurde dennoch, dass er zu leise sei für den politischen Betrieb, zu hintersinnig und reflektiert, also kompliziert, ohne Gier nach persönlicher Macht. Eigentlich kein richtiger Politiker, meinten einige Parteipolitiker, gefangen im Erfahrungshorizont ihrer parteiinternen Karriere, die ihm fehlende déformation professionnelle derart als Mangel anschreibend.
Quereinsteiger Bisky
Lothar Bisky war ein Quereinsteiger. Seine erste große politische Rede hielt er mit 48 am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz, mit 52 wurde er Parteivorsitzender und repräsentierte die PDS mit Gregor Gysi in der Bundestagsfraktion, zusammen, und jeder auf seine Art. Prompt gab es Gerede, dass an der Filmhochschule vom Ministerium für Staatssicherheit Berichte über Westfahrten der Studenten und Dozenten erstellt wurden, als ob er dafür verantwortlich sei.
Nicht geredet wurde darüber, dass seine Studentinnen und Studenten schon Ende der 80er nach Westberlin fuhren, um dort neueste Filme zu sehen oder zu Festivals zu gehen – wovon Studenten anderer Fachrichtungen und mit anderen Rektoren nicht mal zu träumen wagten. Verdrängt wurde, dass damals jede und jeder aus diesen Kinos wieder zurückkam, weil sie nur bei ihm studieren wollten, der seine Hand immer schützend über sie hielt.
Bisky machte die Tür auf
Zehn Jahre später war Lothar Bisky ein zweites Mal Parteivorsitzender, wieder in schwieriger Zeit. Bei der Bundestagswahl hatte die PDS 2002 die 5-Prozent-Hürde verpasst, strategische Differenzen brachen ungeschönt auf. Die Partei drohte zur Regionalpartei Ost zu werden; in den alten Bundesländern entstand die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit WASG. Ich war dabei und die Wege kreuzten sich wieder. Einige sprachen mit-, andere polemisierten via Presse übereinander, eine Herausforderung für PDS, WASG, aber auch SPD. Deren Generalsekretär rief in einem internen Schreiben umgehend zur Abweichlerfahndung von der Parteispitze bis zu den Ortsvereinen auf und drohte mit Parteiausschluss.
Lothar Bisky dagegen zur neuen potentiellen Konkurrenz seiner Partei um die damals raren Stimmen links von der SPD: »Wähler werden nicht weggeschnappt. Wähler entscheiden sich selber. Ich will damit nicht sagen, dass mich das freuen würde, aber wenn auf der linken Seite etwas Neues entsteht, reagiere ich nicht hysterisch, sondern frage mich, ob es da mögliche Partner gibt oder ob es Felder gibt, die wir vernachlässigt haben.« Er machte die Tür zur WASG auf – und die PDS zog eine Woche später souverän ins Europaparlament 2004 ein.
Für die neue Linkspartei
Als ein Jahr später der damalige Kanzler Schröder nach der Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen vorgezogene Bundestagsneuwahlen ausrief, drängte das Verhältnis zwischen PDS und WASG zur Entscheidung. Am Dienstag danach war ich zu einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung »Die Linke nach der NRW-Wahl« eingeladen. Unterwegs las ich im Nachrichtenticker von Lothar Bisky, dass er »ein Linksbündnis mit der Wahlalternative grundsätzlich für möglich halte«. Einige sprachen mit-, andere polemisierten in endlosen Sitzungen übereinander.
Lothar Bisky sah früher als andere die vielfältigen Gefahren bei der Bildung einer neuen Linkspartei und bat gegen die Kritik in der eigenen Partei darum, dass man »nicht Kränkungen oder auch negative Erfahrungen vor die politische Überlegung stellen soll«. Politische Konzepte zu formulieren, um ins Parlament oder dort zu Mehrheiten zu kommen, war ihm fremd. Er gehörte zur alten Schule, strebte ins Parlament und nach Mehrheiten, um politische Konzepte zu verwirklichen, die nicht kleiner sein sollten, als seine linke Idee – ganz alte Schule.
Über die Grenzen
Lothar Bisky hat danach mit Oskar Lafontaine die 2007 neu gegründete LINKE geführt, zusammen, und wie jeder von beiden Führung versteht. Wieder mit höchsten persönlichen Belastungen, wieder bis über seine Grenzen. Er wurde Vorsitzender der Europäischen Linken.
Aber was darüber hinaus bleibt, ist die Erinnerung an einen Menschen, der sich als Dozent, Rektor und Politiker Respekt erarbeitet hat, weil er sich seine Geduld, Sanftmütigkeit aber auch Konsequenz nie ohne feinen Geist, seinen weiten Blick auf die Linke erhalten hat, von Genossen und Kollegen nicht immer verstanden aber dennoch eigentümlich beneidet, unersetzbar.
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