Für den Herbst plant das Bündnis »Ende Gelände« Massenaktionen des zivilen Ungehorsams im Hambacher Forst. Alexis J. Passadakis erklärt die Strategie dahinter und lädt ein zur Aktionskonferenz im August
»This Changes Everything« lautet der Titel von Naomi Kleins 2014 veröffentlichtem Buch über die Klimakrise. In diesem Lichte ist es wenig überraschend, erschreckt aber dennoch: Prognosen zur Klimaerwärmung werden von der Realität inzwischen nicht nur eingeholt, sie werden überholt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Plus-Zwei-Grad-Schwelle in zehn bis fünfzehn Jahren überschritten wird, ist sehr hoch. Möglicherweise geschieht dies deutlich früher. Die Klimaforschung motiviert derzeit mit ihren Datenanalysen eine »neue Radikalität«. Ein Vokabular, das auch von UN-Generalsekretär António Guterres, jüngst auf einer Pressekonferenz verwendet wurde.
Keine Endzeitphantasie, sondern Zukunftsszenario
Angesichts der Klimakrise befindet sich die gesellschaftliche Linke in einer neuen historischen Dynamik. Francis Fukuyamas infames 1990er-Jahre-Diktum vom »Ende der Geschichte« ist inzwischen selbst Historie. Dennoch ist die menschliche Geschichte keineswegs wieder völlig offen. Stattdessen ist sie auf neue Art und Weise durch die rapide Beschleunigung der Klimaerwärmung vorstrukturiert. Wir stehen unter Beschleunigungsdruck. Zivilisations- und Biospährenkollaps sind keine obskuren Endzeitphantasien, sondern konkrete Zukunftsszenarien.
So schwierig es auch ist, dem Terror der Gegenwart zu entkommen: Es ist an der Zeit, die Politik der Gegenwart wieder aus der Zukunft oder den möglichen Zukünften heraus zu bestimmen. »Hyperstition« nannte der britische Kulturwissenschaftler Mark Fisher diese Methode. Die Begründung liefert Rosa Luxemburgs Aphorismus: »[Öko-]Sozialismus oder Barbarei«. Ohne die Energie einer konkreten Utopie ist der Klimakollaps nicht zu bremsen. Strategien einer aus der Zukunft bezogenen – daher »spekulativen« – Realpolitik müssen aus Skizzen vom »grünen Tisch« und aus Erfahrungen sozialer Kämpfe entwickelt werden. Für den Kapitalismus gibt es in der konkreten Utopie keinen Platz.
Energieversorgung unter demokratische Kontrolle
»Spekulative Realpolitik« ist der Modus der Kampagne »Ende Gelände«, die seit 2015 als Teil der Bewegung für Klimagerechtigkeit mit ihren Massenaktionen des zivilen Ungehorsams für einen sofortigen Kohleausstieg streitet. Die Macht der großen transnationalen Stromkonzerne ist allerdings bis jetzt im Wesentlichen ungebrochen. Ihr politischer Einfluss ließ sich in den vergangenen Jahren eindrucksvoll beobachten, zum Beispiel als unter SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel der Zubau von Photovoltaik und Windstrom an Land substanziell gedeckelt wurde. Und auch die aktuell anstehende Reorganisation, Teilfusion und damit Konzentration von RWE und Eon fand breite Zustimmung bei der Bundesregierung und leider auch bei den Gewerkschaften IG BCE und ver.di.
»Ende Gelände« setzt sich dafür ein, dass die Stromkonzerne enteignet, zerlegt und in kleinere, demokratisch kontrollierbare Einheiten überführt werden. In Großbritannien hat die Idee der Energiedemokratie Konjunktur: Im vergangenen September beschloss der Gewerkschaftsdachverband (!) Trade Union Congress eine Resolution mit der Forderung, die Energieversorgung in öffentliches Eigentum zu überführen und unter demokratische Kontrolle zu bringen. Begründet wird dies zuallererst mit der Notwendigkeit einer effektiven Klimapolitik.
»Ende Gelände«: Massenaktionen des zivilen Ungehorsams
Für den Zeitraum vom 25. bis 29. Oktober ruft »Ende Gelände« dazu auf, RWE im Rheinischen Braunkohlerevier daran zu hindern, den Hambacher Forst für die Ausweitung des Tagebaus weiter abzuholzen. Denn Druck wirkt: Durch vielfältigen Widerstand konnte im vergangenen Winter das erste Mal seit vierzig Jahren eine Rodungssaison verhindert werden! Bereits im Sommer wird es beim Klimacamp im Rheinland vom 17. bis 19. August eine Strategiekonferenz der Bewegung für Klimagerechtigkeit geben, um vor allem Handlungsoptionen für 2019 auszuloten, aber auch grundsätzliche langfristige bewegungspolitische Zukunftsperspektiven zu entwickeln.
Zum Autor: Alexis J. Passadakis ist aktiv bei attac und beim Bündnis »Ende Gelände«.
Foto: Break Free
Schlagwörter: Braunkohle, ende gelände, Energieversorgung, Hambacher Forst, Klima, Klimakrise, Klimawandel, Kohle, Kohleausstieg, Ökologie, RWE, Ziviler Ungehorsam