Linke haben in der Vergangenheit oft versucht, an der Regierung Reformen durchzusetzen. Die Ergebnisse waren meist dürftig und manchmal tragisch
Die Linke kommt oft dann an die Macht, wenn der Wunsch nach Veränderung so stark ist, das alles besser erscheint als weitere Jahre Herrschaft der Konservativen und Neoliberalen. Allerdings haben in der Vergangenheit viele nominell linke Regierungen, in Deutschland wie international, wieder und wieder die Hoffnungen ihrer Wählerinnen und Wähler enttäuscht. Waren die beteiligten Politiker einfach nur unfähig oder nicht links genug?
Wann kommt die Linke an die Macht?
Linke Regierungen wurden meist gewählt, als politische und soziale Bewegungen das gesellschaftliche Klima nach links verschoben hatten. Die fünf Jahre vor der Abwahl Helmut Kohls 1998 waren zum Beispiel von Massendemonstrationen gegen das Kohl’sche Sparpaket geprägt. Höhepunkt war eine Mobilisierung von rund 300.000 Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern 1996 auf der Bonner Hofgartenwiese. Die Politisierung machte vor den Betrieben nicht halt, wie sich in den »Wutstreiks« (BILD) von 200.000 Kolleginnen und Kollegen bei Daimler-Benz gegen die geplante Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zeigte. Weitere Höhepunkte dieser Bewegung waren der Aufstand der Stahlarbeiter 1997, die zu Tausenden die FDP-Zentrale in Bonn belagerten und die Polizeiabsperrungen stürmten, oder die größte Studierendenbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik im Wintersemester 1997/98 – der sogenannte Lucky Streik.
Hoffnung auf linke Politik
Der damaligen SPD gelang es, die Wut und Unzufriedenheit auf den Wahltag zu kanalisieren. Der damalige Parteivorsitzende Oskar Lafontaine konnte die Stahlarbeiter mit dem Hinweis auf die bevorstehende Bundestagswahl nach Hause schicken. Die SPD konnte auf dieser Bewegung auch deswegen reiten, weil sie den linkesten Wahlkampf seit langem gemacht hat. Die Hoffnungen in die SPD waren entsprechend hoch. Aber diese Hoffnung war ein zweischneidiges Schwert: Gerade weil viele Menschen der Regierung viel zutrauten, ebbten die sozialen Bewegungen ab. »Lasst ihnen Zeit!,« war die Standardantwort an alle, die für die weiterfürhung der Proteste eintraten.
Die Linke und der »Genosse der Bosse«
Was danach kam ist bekannt: Die Regierung Schröder/Fischer ging in die Geschichte ein als diejenige Regierung, die Krieg als Mittel der deutschen Außenpolitik wieder etablierte. Als die Regierung, die die Kapitalmärkte deregulierte und Spekulation Tür und Tor öffnete. Als Regierung der Steuererleichterung für Unternehmen und Reiche. Als Regierung, die die paritätische Finanzierung der Sozialversicherungen zu Gunsten der Unternehmen aufhob. Und nicht zuletzt als die Regierung, die mit den »Hartz-Reformen« einen Niedriglohnsektor in Deutschland schuf und die Gewerkschaften empfindlich schwächte. All das konnte Rot-Grün ohne nennenswerten Widerstand seitens der sozialen Bewegungen durchsetzen.
Die persönlichen Fähigkeiten von Politikerinnen und Politikern sind nicht der entscheidende Faktor
Jede CDU-geführte Regierung wäre bei solcher Politik an den zu erwartenden Protesten zerbrochen. Jetzt kann man sagen, dass Gerhard Schröder, der »Genosse der Bosse«, der »Autokanzler«, kein echter Linker war. Und das war er auch nicht, auch wenn auch Schröder eine linke Vergangenheit bei den Jusos hatte (wie auch Joschka Fischer in der linken Szene der 70er Jahre ). Trotzdem, so einfach ist die Erklärung des Verrats nicht.
Die Linke in der SPD kapituliert
Viele der Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in der SPD hatten die Hoffnung, in der Regierung etwas für die Menschen tun zu können. Einige davon wurden auch Ministerin oder Staatsminister, wie zum Beispiel Oskar Lafontaine. Und auch von Gerhard Schröder hätten die wenigsten gedacht, dass er so etwas wie die Agenda 2010 durchsetzen würde. Aber konfrontiert mit dem bürgerlichen Staatsapparat (angefangen mit der Ministerialbürokratie), den Medien (insbesondere der Springer-Presse) und den Lobbyverbänden der Wirtschaft, kapitulierten die Linken in der Partei gegenüber dem wirtschaftsfreundlichen Kurs Gerhard Schröders. Lafontaine, der sich mit seinen Vorstellungen zur Regulierung der Zentralbanken in Europa den besonderen Hass der Herrschenden zugezogen hatte, kapitulierte nach gerade mal einem Jahr als Finanzminister und trat (nach einer massiven Kampagne gegen ihn) von allen Posten zurück.
Hätte, hätte, Fahrradkette
Was ist die Lehre aus dem Scheitern von Rot-Grün? Manche denken, der Ausverkauf an der Regierung wäre nicht passiert, wenn ein wirklicher Linker Kanzler geworden wäre? Wenn Lafontaine statt Schröder Kanzler geworden wäre, wenn sich die Parteilinke in der SPD durchgesetzt hätte, hätte die SPD vielleicht erfolgreicher Widerstand gegen die Wirtschaftslobby leisten können. Zumindest hätte sie die Verteidigung des Sozialstaates in Angriff nehmen können, beziehungsweise gar dessen Ausbau.
Den Herrschenden ist jedes Mittel recht
Eine solche Argumenation geht über die Tatsache hinweg, dass die persönlichen Fähigkeiten von Politikerinnen und Politikern oder das politische Programm einer Partei in der Regierung nicht der entscheidende Faktor sind. Die Macht in der Gesellschaft liegt nicht in erster Linie in den Parlamenten und Regierungen. Wir haben es mit einer ungeheuren Machtkonzentration großer Konzerne zu tun, die nicht bereit sind einfach zuzugucken, wenn Politik gegen sie gemacht wird. Vielmehr versuchen sie, Regierungen zu einer kapitalfreundlichen Politik zu bewegen. Dabei ist den Herrschenden jedes Mittel recht: Von Diffamierungskampagnen über die Medien, zum wirtschaftsschädigenden Investitionsstreik, bis hin zum Einsatz von Gewalt.
Frankreich: Investitionsstreik gegen eine linke Regierung
In Frankreich wurde 1980 mit François Mitterand ein Sozialdemokrat zum Präsidenten gewählt, der im Wahlkampf versprochen hatte, in Hundert Tagen den Sozialismus einzuführen. Nach Jahrzehnten der konservativen Dominanz feierten am Wahlabend Hunderttausende in den Straßen von Paris und anderen Städten. Mitterand begann umgehend mit Reformen im Arbeitsmarkt und bei der Steuerpolitik zugunsten der Arbeitnehmer und leitete die Verstaatlichung großer Betriebe ein.
All das war kein Sozialismus, aber es war auf jeden Fall eine Politik der Umverteilung von Oben nach Unten. Die Reaktion der Unternehmer war ein Investitionsstreik. Die Weltbank organisierte eine Kapitalflucht im großen Stil. Der Staat fand keine Abnehmer mehr für Staatsanleihen. Die Folge war ein Anstieg der Inflation, der Arbeitslosigkeit und der Staatsverschuldung. Mitterand knickte ein, machte die Reformen rückgängig und begann, seine eigenen Wähler anzugreifen. Er hatte die Lektion gelernt und nie wieder versucht, sich gegen das Kapital durchzusetzen.
Chile: Putsch gegen den Linken Allende
Eine noch dramatischere Erfahrung machte die parlamentarischer Linke in Chile. Auch sie wurde auf einer Welle sozialer Kämpfe, vor allem Bauern, die das ungenutzte Land von Großgrundbesitzern besetzten, und Streiks in der Kupferindustrie, in die Regierung gespült. Auch sie glaubte sich an der Macht und versuchte alles, um die Bewegungen zu demobilisieren, damit sie »ungestört« regieren könnte – natürlich im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung. Aber auch in Chile ließen die Unternehmen sich nicht kampflos die Butter vom Brot nehmen. Unternehmerstreiks bis hin zur offenen Sabotage der Produktion ließen die Wirtschaft einbrechen. Am Ende organisierte die CIA einen Putsch durch genau den General Pinochet, den der linke Präsident Salvator Allende zuvor zum Armeechef ernannt hatte. Allende und tausende weitere Linke und Gewerkschafter wurden ermordet. Die Gewerkschaften und die Bauernbewegung, die durch ihre Aktivität den Putsch hätten verhindern können, waren von der linken Regierung zu sehr geschwächt worden, um noch reagieren zu können.
Berlin: Demos gegen die Linke
Nicht nur auf der Ebene von Staaten, auch auf Länderebene sind die Erfahrungen von Regierungsbeteiligung schlecht. Die PDS in Berlin hat sich 2001 auf eine Regierung mit der SPD eingelassen, diese wurde von der LINKEN bis 2011 fortgesetzt und dafür hat die Partei kräftig bezahlt. Sie hat die Folgen der von der CDU verursachten Pleite der Berliner Bankgesellschaft verantworten müssen, vor allem die Haushaltssanierung. Mit Beteiligung der LINKEN ist Berlin aus der Tarifgemeinschaft der öffentlichen Arbeitgeber ausgetreten, was ansonsten nur die Regierung Koch in Hessen gewagt hat. Sie hat den Wettlauf der Löhne im Öffentlichen Dienst nach unten angeführt.
Die Partei wurde zum Anhängsel und passivem Zuschauer des Senates
Sie war mitverantwortlich für Kürzungen in allen Bereichen, wie Kitas, Schulen, Öffentlicher Nahverkehr. In der Folge privatisierten unter Rot-Rot die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften weiter Wohnungen, der Senat verkaufte die Gewerbeimmobilien-Gesellschaft GSG30 und setzte zahlreiche Gründungen von tariffreien Tochtergesellschaften in den öffentlichen Betrieben wie Vivantes und der Charité durch, um Löhne zu drücken. Am Landesvorstand der Partei vorbei beschlossen die Senatorinnen und Senatoren und die Abgeordneten der LINKEN die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten gegen den Protest der Gewerkschaften. Am Ende war jede Demonstration auf den Straßen Berlins auch eine Demonstration gegen die LINKE – sie hat nach der Koalition über die Hälfte ihrer Wähler in Berlin verloren. Und sie verlor auch kontinuierlich Mitglieder – sie schrumpfte von ca. 12.000 Mitgliedern im Jahr 2001 auf 8000 im Jahr 2011, obwohl es einen Aufschwung von sozialen und linken Bewegungen gab. Die Partei wurde zum Anhängsel und passivem Zuschauer der Abgeordnetenhaus-Fraktion und des Senats. Die Regierungsbeteiligungen führten zu Widersprüchen und Zerreißproben in der Partei, zwischen Fraktion und Partei, zum Schaden der Partei.
Italien: Die Linke (Rifondazione Comunista) schafft sich ab
So sieht die Bilanz linker Regierungen aus, wenn die linken Parteien die Mehrheit stellen, wie Sozialisten Mitterands in Frankreich 1980 oder Allendes in Chile 1973, oder wenn die Linke immerhin ein fast gleichstarker Juniorpartner ist, wie in Berlin oder Brandenburg. Wie wird es aussehen, wenn die Linke nur eine fünf-Prozent-Partei ist, die sich an einer Koalition mit Parteien beteiligt, die wiederholt bewiesen haben, dass sie Politik im Interesse der Unternehmen machen? Ein Blick nach Italien kann da erhellen: Die Rifondazione Comunista, das italienische Pendant zur deutschen LINKEN, war das Prunkstück der europäischen radikalen Linken.
Sie war maßgeblich an den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua, an der Sozialforumsbewegung und an den Protesten von Gewerkschaften beteiligt. Bei den Wahlen 2006 errang sie über fünf Prozent und kam ins italienische Parlament. Unter dem Druck, lieber das »kleinere Übel« gegenüber Berlusconi zu ermöglichen, trat sie in eine »Mitte-Links«-Regierung ein. Sie konnte nichts beeinflussen, stimmte, um die Rückkehr Silvio Berlusconis zu verhindern, allem zu, einschließlich Krieg in Afghanistan, Rentenkürzungen und Lohnsenkungen, und verschwand bei der darauffolgenden Wahl 2008 im Nichts.
Die Macht außerhalb der Parlamente
Was sind die Lehren für die Linke aus diesen Efahrungen? Der Staat selbst ist keine neutrale Institution. Der Staatsapparat ist Ausdruck der kapitalistischen Klassengesellschaft und der Eigentumsverhältnisse. Dieses Demokratiedefizit kann auch eine Regierung unter Beteiligung der von linken Parteien nicht grundsätzlich lösen. Die eigentlichen Entscheidungsträger stehen außerhalb der parlamentarischen Kontrolle. Die Unternehmen kontrollieren die Produktion und damit die Grundlage jeder Gesellschaft. Die Medien bestimmen die alltägliche Berichterstattung. Und der Staatsapparat besteht aus Karrierebeamten, die aus ihrer Lebenssituation heraus eher dem Kapital zugeneigt sind. Eine Regierung kann, egal welche Persönlichkeiten in ihr vertreten sind, eine Konfrontation mit diesen Kräften nicht gewinnen.
Deshalb machen Linke in der Regierung letztlich die selbe Politik wie alle anderen auch. Linke Parteien sollten sich auch selbst der Grenzen der Möglichkeiten des Parlamentarismus bewusst sein und die gegenwärtigen Besitz- und Eigentumsverhältnisse infrage stellen. Weil die wahre Macht außerhalb der Parlamente und Regierungsgebäude liegt, muss auch der Kampf um Verbesserungen dort geführt werden: auf der Straße und in den Betrieben. Eine linke Parlamentsfraktion kann dafür hilfreich sein – eine Regierungsbeteiligung nicht, weder im Bund und noch in den Ländern.
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