Am 24. Oktober ist Uta Spöri im Urlaub in Griechenland bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Uta hatte sich einen hohen Grad an Verankerung in ihrer Klasse erkämpft, zugleich aber ihre politische Praxis aus einer sicheren Verortung in marxistischer Theorie abgeleitet. Ein Herangehen, das in der deutschen Linken leider viel zu wenig verbreitet ist. Uta war in den letzten Jahren freigestellte Personalrätin beim größten Arbeitgeber ihrer Stadt, der Uni-Klinik Freiburg, als Verdi-Vertrauensfrau hat sie sich die Anerkennung ihrer Kolleginnen und Kollegen in mühsamer Kleinarbeit über lange Jahre erkämpft.
Zugleich hat sie sich im Netzwerk marx21 in Freiburg für den Aufbau einer klassenkämpferischen sozialistischen LINKEN engagiert. Oder – um es mit Bertold Brecht in seinem Gedicht »Lob des Revolutionärs« auszudrücken: »Er organisiert seinen Kampf um den Lohngroschen, um das Teewasser und um die Macht im Staat.«
Flucht aus der DDR
Utas politischer Lebenslauf begann sehr früh. Zwei Ereignisse, die scheinbar nichts miteinander gemeinsam haben, sind doch prägend gewesen für ihre politische Entwicklung: die Flucht der Familie aus der DDR 1961 und die Beteiligung fast noch als Kind an der 68er Revolte.
Die Mutter verließ am 12. August 1961 zusammen mit Uta und ihren zwei älteren Geschwistern einen Tag vor dem Bau der Berliner Mauer Dresden und die DDR. Sie hatte keine Besuchserlaubnis erhalten, an der Beerdigung ihres Vaters im Westen teilzunehmen. »Grund genug für die Flucht«, wie Uta in einem Interview 2009 sagte.
Politisiert im Jahr 1968
Die Familie zieht in die Nähe von Freiburg. Uta geht 1965 in Freiburg ins Gymnasium. Noch als Zwölfjährige gerät sie in den Freiburger Zweig der 68er Bewegung. In einem Interview als Freiburger Direktkandidatin der LINKEN im Bundestagswahlkampf 2009 wird Uta in einem Online-Interview der Studentenzeitung fudder gefragt, »Frau Spöri hat ja schon einige Aktionen in ihrem Leben mitgemacht – gibt es einen Protest, an der sie teilgenommen hat und die sie für die heutige Situation besonders prägend fand?« Uta antwortete: »Am ehesten prägend war der Wasserwerfereinsatz bei der Demo gegen Fahrpreiserhöhung 1969.«
Anfang Februar 1968 (Uta hatte sich wohl im Jahr geirrt) war es in Freiburg wie zuvor in Bremen, Hannover und anderen Städten zu Straßen- und Gleisblockaden aus Massendemonstrationen gegen Fahrpreiserhöhungen gekommen, die »neue politische Kultur« des Protestes und des zivilen Ungehorsams war auch in Freiburg angekommen und führte zur Politisierung von Uta und hunderten weiteren Jugendlichen. »Demonstrationen gegen Notstandsgesetze und Vietnamkrieg schlossen sich an«, erinnerte sich Uta.
»Nicht nur etwas tun«
Kurze Zeit später verließ sie das Gymnasium. »Ich wollte etwas Praktisches machen, mein eigenes Geld verdienen, selbständig sein,« sagte sie in einem Interview mit der Badischen Zeitung 2009. Sie entschied sich für den Besuch der Fachschule für Chemisch-Technische Assistenten. Auf die Frage der Badischen Zeitung, »wieso« sie sich dafür entschied, sagte sie: »Da konnte ich das Praktische mit dem Grundlagenwissen verbinden. Nicht nur etwas tun, sondern auch wissen und erklären, warum und wieso bestimmte Prozesse ablaufen. Wie in der Politik.« (BZ-Interview 4.9.2009)
Eine wichtige, prägende Erfahrung Utas in den 70er Jahren war ihre Beteiligung an dem ersten (und letzten) siegreiche Kampf gegen den Bau eines Atomkraftwerkes bei Wyhl am Kaiserstuhl (1970-75). Eine ganze Region erhob sich damals erfolgreich. »Whyl« wurde zum Synonym für radikalen und massenhaften Widerstand gegen Staat und Konzerne. Der erfolgreiche Widerstand von Whyl wurde zum Fanal für eine große, bundesweite Antiatombewegung in der zweiten Hälfte der 70er Jahre.
Klassenkampf statt Grüne
Utas politische Biografie weist zwei Besonderheiten auf, die sie von anderen ihrer Generation der »Achtundsechziger« unterscheiden. Sie ist zwar – wie viele radikalisierte 68er in Freiburg für kurze Zeit im maoistischen Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) aktiv gewesen, aber sie hat dessen spätere Rechtsentwicklung und Auflösung in die neu entstehende Partei der Grünen nicht mit vollzogen. Nach dem Rückzug aus dem KBW hat sie sich zunächst gar keiner Partei mehr angeschlossen.
Uta ist damals vom politischen Kampf in den betrieblich-gewerkschaftlichen oder ökonomischen Klassenkampf gegangen. Auch das hat sicherlich dazu beigetragen, dass Uta in den Jahren des Niedergangs der Klassenkämpfe in Deutschland nicht mit den Grünen nach rechts gegangen ist.
Neustart bei attac
Über ihren Sohn Dirk, der sich in den 90er Jahren der revolutionären marxistschen Organisation Linksruck angeschlossen hatte, kam sie in Kontakt zu neuen antikapitalistischen Protesten der globalisierungskritischen Bewegung, in Deutschland waren diese wesentlich durch Attac getragen.
In Freiburg gehörte Uta zu den Mitbegründerinnen von Attac. Nach Einschätzung von Linksruck bot Attac ein neues Forum auch für sozialistische und marxistische Ideen. Von den Massenprotesten in Seattle 1999 über die riesigen Demonstrationen in Genua und Prag formierte sich eine neue antikapitalistische Massenbewegungen, an der auch Uta aktiv teilgenommen hat und in der sie selbst sich re-politisierte.
Gründung der Freiburger WASG
Die neue Bewegung war von Beginn an eine internationale Bewegung. Aus diesen Erfahrungen entstand auch ihr ausgeprägter, praktizierter Internationalismus, der politische Austausch mit radikalen Linken im nahen Frankreich oder auch ihre große Solidarität mit der griechischen Arbeiterbewegung.
Als dann 2004 in Deutschland mit der »Wahlalternative« eine neue politische Partei aus der sozialen Protestbewegung gegen die Agenda 2010 entstand, war Uta von Beginn an dabei und gründete zusammen und dann schon auch als Mitglied von Linksruck die WASG in Freiburg.
Radikal mit wachsendem Alter
Uta hat sich mit wachsendem Altern nicht »gemäßigt«, sie hat vielmehr ihre Kapitalismuskritik aus der »Achtundsechziger Epoche« nur wieder belebt, weiter entwickelt und gefestigt.
Wer sich ihre »Chronik« auf Facebook anschaut, wird feststellen, dass Uta kaum eine Möglichkeit ausgelassen hat, den gewerkschaftlichen Kampf gegen den »Arbeitgeber« auf eine höhere Ebene des politischen Klassenkampfes gegen den Kapitalismus zu führen.
Aktivistin der Uni-Klinik
Die Uni-Klinik Freiburg steht heute exemplarisch und unter Utas Einfluss für eine Gewerkschaftstätigkeit, die auf Aktivierung, Mitgliedergewinnung und politische Aktionen setzt. Ihr Sohn Dirk schreibt: »Für mich war beeindruckend, wie sie schon gegen den Kosovo-Krieg 1999 über die Vertrauensleute eine Mahnwache an der Uniklinik organisierte.«
Ihre uneingeschränkte Solidarität mit dem Widerstand der südeuropäischen Arbeiterklassen gegen die fortschreitende Verelendung durch den Kapitalismus zieht sich durch ihre Aktivitäten wie ein roter Faden. Uta beteiligte sich an den großen Europäischen Sozialforen zwischen 2002 und 2006 in Florenz, Paris, London und Athen.
Im vergangenen Jahr besucht sie die internationalen Kongresse wie das Weltsozialforum 2013 in Tunis, den »Alter Summit« diesen Sommer in Athen und selbst während ihres letzten Urlaubs nahm sie an einer Kundgebung von Syriza, der griechischen Schwesterpartei der LINKEN teil.
Liebe zu Griechenland
Griechenland, dem Land und den Menschen, galt ihre besondere Liebe. Sie hatte die griechische Sprache erlernt und verbrachte ihre Urlaube dort, so auch ihre letzten Tage auf der Insel Tilos. Wie die Genossen von SYRIZA waren die Genossinnen und Genossen von der revolutionären griechischen Partei SEK bestürzt von der Nachricht ihres Todes, Uta hatte vor ein paar Jahren auf ihrem Kongress in Athen gesprochen.
Utas Tod ist auch deshalb so tragisch, gewaltsam und zerstörerisch, weil ihr politisches Tempo und ihre Fähigkeiten, andere Menschen politisch zu führen, gerade in den letzten Jahren enorm gewachsen waren.
Uta stand fast immer vorne
Seit 2010 war sie Sprecherin des Kreisverbandes DIE LINKE Freiburg und sie hat den Wahlkampf der LINKEN in Freiburg in hohen Maße geprägt – mit zahlreichen Aktionen und Aktivitäten auf den Straßen und Plätzen, gegen den drohenden Krieg gegen Syrien, gegen die unmenschlichen Flüchtlingspolitik der rot-grünen Landesregierung, gegen Mietwucher in Freiburg. Und sie ist, ebenfalls seit 2010, freigestellte Personalrätin. 2005 war sie am erfolgreichen Abwehrkampf gegen die Einführung der 41-Stundenwoche in der Klinik maßgeblich beteiligt. Sie hat den Streik gegen den Ausstieg der Unikliniken aus dem Tarifverbund erfolgreich mitgeführt und sie war zu recht sehr stolz, dass »wir es an der Klinik bisher geschafft haben, alle Leiharbeitsanträge abzulehnen.«
Freiburg hat in den letzten zehn Jahren erfolgreiche Abwehrkämpf gegen die Privatisierung des kommunalen Wohnungsbestandes geführt. Freiburg hat eine Tradition erfolgreicher Abwehrkämpfe, aus Freiburg waren im letzten Jahr bei nationalen und internationalen Protesten (z. B. Blockupy im Mai 2013 in Frankfurt) immer große Delegationen und Kontingente gewesen und vorne dran stand fast immer eine revolutionäre Sozialistin: Uta Spöri.
Neue Mitkämpferinnen und Mitkämpfer
Utas politische Ausstrahlung, ihre Eintreten für eine Welt ohne Ausbeutung und ohne Kriege, ohne Rassismus und ohne Frauenunterdrückung, waren auch deshalb so stark, weil sie selbst nie eigennützig, überheblich oder arrogant gegenüber Andersdenkenden auftrat. Unsere Gedanken sind bei Utas Sohn Dirk und den Freiburger Genossinnen und Genossen, die jetzt ohne Uta weiter machen müssen.
Aber es gehörte auch zu Utas Stärken, dass sie ihre Überzeugungen nicht nur praktiziert und erklärt hat, sondern damit auch viele Mitkämpferinnen und Mitkämpfer geprägt und aufgebaut hat. Auch wenn ihr Tod ein großer Verlust ist, werden andere ihren Kampf weiterführen.
Vom marx21-Koordinierungskreis