Seit Jahrzehnten bespitzeln sich auch »befreundete« Staaten gegenseitig, weil ihre Konzerne auf dem Weltmarkt konkurrieren. Der US-Geheimdienst NSA ist keine Ausnahme, meint Hans Krause
»Der BND muss das Thema Wirtschaftsspionage künftig aktiver begleiten«, forderte noch im Juli Martin Lindner, Vorsitzender der FDP Berlin. Denn: »Wir brauchen dringend Waffengleichheit.« Während Lindner seine Forderung mit einer angeblichen »Rückständigkeit« der deutschen Geheimdienste begründet, hat der ehemalige NSA-Angestellte Edward Snowden andere Informationen.
Danach hat der britische Geheimdienst GCHQ in den letzten Jahren Überwachungstechnik gemeinsam mit den Geheimdiensten von Deutschland, Frankreich, Spanien und Schweden entwickelt. Es ist unwahrscheinlich, dass nur Großbritannien die Technik nutzt, wenn sie auch Deutschland und anderen Staaten zur Verfügung steht.
BND spitzelt mit
Die Empörung der deutschen Politiker über die Bespitzelung von Kanzlerin Merkel ist nicht echt. »Die Amerikaner betreiben Wirtschaftsspionage bei uns. Wir betreiben Wirtschaftsspionage bei ihnen, weil es im nationalen Interesse ist, unsere Unternehmen zu schützen«, so Bernard Squarcini, bis 2012 Direktor des französischen Geheimdienstes DCRI.
Auch der BND beschafft Informationen aus den angeblich befreundeten USA. Beispielsweise erstellte der deutsche Auslandsgeheimdienst vor einigen Monaten für die Bundesregierung eine Analyse der künftigen Energiequellen der US-amerikanischen Wirtschaft.
Kampf auf dem Weltmarkt
Warum setzen Staaten, die sich zu Bündnissen wie NATO und EU zusammengeschlossen haben, Agenten aufeinander an? Der Grund ist, dass die Konzerne aus diesen Staaten auf dem Weltmarkt miteinander um Marktanteile und Profite kämpfen, egal ob sich die Politiker ewige Treue schwören oder nicht.
Im Band 3 des »Kapital« erklärte Karl Marx 1894 die feindselige Haltung der Unternehmen gegeneinander zudem mit den immer wiederkehrenden wirtschaftlichen Krisen des Kapitalismus: »Solange alles gut geht, agiert die Konkurrenz (…) als praktische Brüderschaft der Kapitalistenklasse, so daß sie sich (…) die gemeinschaftliche Beute teilt. Sobald es sich aber nicht mehr um Teilung des Profits handelt, sondern um Teilung des Verlustes, sucht jeder soviel wie möglich sein Quantum an demselben zu verringern und dem andern auf den Hals zu schieben. Wieviel aber jeder einzelne davon zu tragen (…) hat, wird dann Frage der Macht und der List, und die Konkurrenz verwandelt sich dann in einen Kampf der feindlichen Brüder.«
Kleinere Absatzmärkte
Marx bezieht sich hier nicht auf Geheimdienste. Dennoch passt seine Beschreibung des Verhältnisses zwischen Kapitalisten auf das Verhältnis zwischen kapitalistischen Staaten, die für ihre Konzerne so viele Wettbewerbsvorteile wie möglich erreichen wollen, auch mit illegaler Wirtschaftsspionage.
Zwar scheint der erste Tiefpunkt der europäischen Krise überwunden. Doch die Regierungen großer Wirtschaftsmächte wie Deutschland gehen zu Recht davon aus, dass die Absatzmärkte in Frankreich, Italien, Spanien oder Griechenland langfristig nicht mehr so groß sein werden, wie vor zehn Jahren. Auch das Wachstum des chinesischen Marktes wird in den nächsten Jahren voraussichtlich sinken.
Kapitalistische Konkurrenz beenden
Dass sich die Geheimdienste scheinbar verbündeter Staaten gegenseitig bespitzeln, zeigt, dass die Regierungen wissen, dass der weltweit zu verteilende Profit-Kuchen kleiner wird. Doch ihre einzige Antwort ist, der eigenen Wirtschaft ein möglichst großes Kuchenstück zu sichern und die anderen mit allen Mitteln zu bekämpfen.
Deshalb ist die Forderung von Sahra Wagenknecht, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der LINKEN, in ihrem aktuellen Kommentar nach »Souveränität und Gleichheit zwischen den Völkern« Deutschlands und der USA richtig, aber nicht zu Ende gedacht. Denn wer den Kampf der Staaten untereinander abschaffen will, muss auch die kapitalistische Konkurrenz beenden, die auf der ganzen Welt herrscht.
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- Sie kontrollieren und sie fürchten uns: Geheimdienste erklären Antifa-Bands zu Staatsfeinden, bespitzeln Bundestagsabgeordnete und verfolgen jede unserer Bewegungen im Internet. Da bleiben nur zwei Fragen: Warum machen sie das? Und wie werden wir sie los?