marx21-Thesenpapier zum Start der Sammlungsbewegung »Aufstehen«
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Der Start der Sammlungsbewegung »Aufstehen« stieß auf große Resonanz in den Medien und in Teilen der Bevölkerung. Mehr als hunderttausend Personen haben sich seit dem 4. August auf der Homepage von »Aufstehen« registriert. Laut einer »Focus«-Umfrage können sich ein Drittel der Befragten vorstellen, solch ein Bündnis zu wählen, wenn es zur Bundestagswahl antreten würde. Dieser Zuspruch belegt die Hoffnung auf einen neuen linken Aufbruch. Die Ausgangsfrage ist richtig: Wie kann die Linke stärker werden angesichts der bedrohlichen Erfolge der AfD und der Erosion der Sozialdemokratie? Die Antworten, die die Sammlungsbewegung darauf gibt, weisen allerdings in eine falsche Richtung. Die politischen Schwächen der Sammlungsbewegung werden durch den konkreten Aufruftext bereits deutlich, stärker jedoch in den begleitenden Stellungnahmen und Interviews der Initiatorinnen und Initiatoren. Es ist wichtig, sich diese Schwächen vor Augen zu führen. Mit der Gründung von »Aufstehen« wird der Richtungsstreit in der LINKEN in eine neue Phase treten.
1. Es ist nötig und richtig, für soziale Gerechtigkeit und Frieden aufzustehen … aber auch gegen Rassismus und rechte Hetze.
Die Krise der SPD beruht auf ihrer pro-kapitalistischen Ausrichtung, derentwegen ihr Hauptaugenmerk der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gilt. Die Prekarisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse, Spardiktate für Europa und die Militarisierung der Außenpolitik sind die Folgen. Sie stehen im Gegensatz zu den Reformhoffnungen der klassischen sozialdemokratischen Anhängerschaft. Auch die Große Koalition, an der die SPD beteiligt ist, betreibt Sozialabbau, Aufrüstung und Auslandseinsätze und macht Geflüchtete zu Sündenböcken – vor allem Innenminister Seehofer, der gerade die Migration zur »Mutter aller Probleme« abgestempelt hat. Es ist richtig und nötig, gegen diese Politik Widerstand zu organisieren. Dafür müssen viel mehr Menschen aktiviert und mobilisiert werden als bisher. Allein die Mitglieder der LINKEN werden dafür nicht ausreichen. Mehr Menschen dazu zu bringen, sich einzumischen und für Ihre Interessen aktiv zu werden, ist der richtige Ansatz. Kurz: Wir brauchen mehr Widerstand und Klassenkämpfe sowie eine grundsätzliche Kritik an einem Wirtschaftssystem, das zu Krisen, Kriegen, Elend und Umweltkatastrophen führt.
Allerdings wird »Aufstehen« diesen Anforderungen nicht gerecht, insbesondere weil die Initiatorinnen und Initiatoren den Kampf für soziale Gerechtigkeit vom Kampf gegen Rassismus trennen. Das ist kein Ansatz, der die Rechte schwächen wird, und bietet zudem falsche Lösungen an.
2. Ein Kernproblem der führenden Akteure von Aufstehen ist die falsche Positionierung in der Migrationsdebatte, wo sie die Bedürfnisse von Geflüchteten in einen Gegensatz zu den Interessen der hiesigen Arbeiterklasse stellen.
Oskar Lafontaine hat in einem Interview mit der »Welt am Sonntag« seine Position bekräftigt, dass die Zuwanderung beschränkt werden müsse, um die AfD zu schwächen. Er und Sahra Wagenknecht konnten sich mit dieser Haltung nicht in der LINKEN durchsetzen. Im Gegenteil: Bei ihrem letzten Parteitag bekräftigte DIE LINKE ihre Position gegen Obergrenzen und für offene Grenzen. Das Herangehen von Lafontaine und Wagenknecht in der Migrationsfrage ist nun konstituierend für die Gründung von »Aufstehen«. So schrieb »Die Zeit« in einem Portrait einiger prominenter Unterstützerinnen und Unterstützer von der Sammlungsbewegung: »Dass Andrea Nahles vor einiger Zeit eine pragmatische Flüchtlingspolitik angemahnt hat (›Wir können nicht alle bei uns aufnehmen‹), begreifen Stegemann und Streeck als ersten Wirkungstreffer der neuen Bewegung.« Da ist es bezeichnend, dass ihre »Bewegung« nicht Bezug nimmt auf die aktuellen Mobilisierungen gegen Seehofer (#ausgehetzt, #seebrücke) und gegen die AfD, sondern sich stattdessen explizit von einer »grenzenlosen Willkommenskultur« (Wagenknecht/Stegemann) distanziert. Gebetsmühlenartig wiederholen sie die Erzählung, dass bestehende soziale Probleme und Verteilungskämpfe durch den Zuzug von Geflüchteten verschärft würden – zum Nachteil der Inländer. Sie machen sich nicht einmal die Mühe, dafür konkrete Belege anzuführen.
Doch der Ruf nach Grenzschließung ist die falsche Antwort. Wenn die Zugewanderten zu Sündenböcken erklärt werden, dann lenkt das erstens von den Verantwortlichen und den Profiteuren in Politik und Wirtschaft ab. Zweitens schwächt es den Widerstand, etwa gegen Dumpinglöhne und Miethaie. Die sozialistische Antwort auf Verteilungskämpfe und Konkurrenz auf dem Arbeits- und dem Wohnungsmarkt muss ein antikapitalistischer und internationalistischer Klassenstandpunkt sein. Nötig sind gemeinsame Kämpfe mit Zugewanderten für Umverteilung, einen höheren Mindestlohn, bezahlbaren Wohnraum und gegen rechte Hetze.
3. Die Rechten werden nicht durch Zugeständnisse an ihre Positionen geschwächt, sondern durch scharfen Widerspruch von antirassistischen und antifaschistischen Bewegungen.
Oskar Lafontaine behauptet, dass die von ihm damals maßgeblich mit vorangetriebene Verschärfung des Asylrechts von 1993 (»Drittstaatenregelung«) dazu beigetragen habe, die rechtsradikale Partei Die Republikaner zu marginalisieren. Diese Erzählung ist falsch. Die Debatte um die Asylrechtsverschärfung sah die neofaschistische Rechte ebenso als Bestätigung ihrer Forderung »Ausländer raus« wie Helmut Kohls Aussage »Das Boot ist voll«. Beides ermutigte sie zu fremdenfeindlichen Übergriffen. Erst die antirassistische Bewegung nach den Anschlägen von Mölln und Solingen veränderte die gesellschaftliche Stimmung und brachte die Republikaner in die Defensive. Hunderttausende beteiligten sich beispielsweise im Dezember 1992 an Lichterketten in vielen deutschen Städten. »Die Zeit« resümierte damals: »Der Umschwung kam von den Bürgern: Die Lichterketten gegen Ausländerhass und Gewalt verändern die Republik.«
Wenn wir die Entwicklung der AfD betrachten, wird deutlich, wie falsch Lafontaines Behauptung ist. Die Zuwanderung ist seit 2016 deutlich eingeschränkt worden und die Rechten werden trotzdem immer stärker. »Aufstehen« wird die AfD nicht schwächen können, wenn sie sich um den Kampf gegen jede Form von Rassismus drückt. Eine klare Position gegen Islamfeindlichkeit ist elementar in einer Zeit, in der Sarrazin, AfD und Pegida Muslime unter Generalverdacht stellen, ihre Religionsfreiheit einschränken wollen und den Islam für unvereinbar mit der »westlichen Lebensweise« erklären.
Die Erzählungen von einigen Initiatoren der Sammlungsbewegung lassen eher Geflüchtete bedrohlich erscheinen als rechte Gewalttäter. Das ist unerträglich, vor allem weil sie die mehr als tausend Anschläge auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte, die seit 2015 jährlich stattfinden, nicht erwähnen. Bei Jeremy Corbyn oder Bernie Sanders, auf die sich »Aufstehen« gerne bezieht, ist das anders. Sanders fordert zwar auch keine offenen Grenzen, aber er macht im Unterschied zu den Initiatoren von »Aufstehen« die Begrenzung der Zuwanderung nicht zum strategischen Punkt seiner Kampagnen. Stattdessen sind diese von Empathie für illegalisierte Arbeitsmigranten und die Nöte von Geflüchteten geprägt und richten sich gegen die Ausgrenzung von Muslimen. Sanders nimmt Zuwanderer als politische Akteure ernst. Monatelang ist er durchs Land gereist, um sich mit Einwanderern zu treffen: »Betroffen war ich auch von der Furcht und Niedergeschlagenheit, die viele von ihnen wegen des zunehmend düsteren Tons der gegenwärtigen Migrationsdebatte empfinden.«
Auch Oskar Lafontaines Behauptung, er verträte in der Frage der Einwanderung die gleiche Position wie Jeremy Corbyn, ist nicht richtig. Die Anhänger des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair und die Strömung Blue Labour um Ed Miliband, einen weiteren ehemaligen Labour-Parteichef, haben im Vorfeld der letztjährigen Parlamentswahlen massiven Druck auf Corbyn ausgeübt. Um Brexit-Wählerinnen und -Wähler für Labour zurückzugewinnen, sollte Corbyn für eine massive Beschränkung der Freizügigkeit bei der Arbeitsemigration nach Großbritannien eintreten. Ganz wie Wagenknecht hält die Labour-Rechte eine restriktive Migrationspolitik für den Schlüssel, um Wählerinnen und Wähler aus der Arbeiterklasse zurückzugewinnen. Corbyn hielt dem erheblichen Druck in dieser Frage jedoch stand und wies die Forderungen zurück.
4. Von wegen »Latte-Macchiato-Linke«: Es ist falsch, der LINKEN einen »progressiven Neoliberalismus« zu unterstellen und einen Gegensatz zwischen dem Kampf gegen Ausbeutung einerseits und dem Widerstand gegen Unterdrückung andererseits aufzumachen.
Oskar Lafontaine meint, DIE LINKE sei dem »progressiven Neoliberalismus« verfallen, und empört sich über eine vermeintliche Schieflage, wonach die Partei die Sorgen der Arbeiterinnen und Arbeiter ignoriere: »Rechte der Homosexuellen oder die Rechte der Migrantinnen und Migranten rücken in den Mittelpunkt des linken Diskurses«. Er beruft sich dabei auf die Philosophin Nancy Fraser. Auch andere Unterstützer von »Aufstehen«, wie der Schriftsteller Andreas Nölke, schlagen in diese Kerbe, wenn sie behaupten, dass Arbeiterinnen und Arbeitslose zur AfD abwandern, während sich die Linken kosmopolitischen Blütenträumen hingäben.
Die dem zugrundeliegende These der US-Feministin Fraser vom »progressiven Neoliberalismus« ist jedoch nicht auf DIE LINKE gemünzt, sondern auf die neoliberale Politik der US-Demokraten, die in der Regierung Sozialabbau, Privatisierung und Kriege vorantrieben und gleichzeitig Fortschrittlichkeit vortäuschten, »indem sie auf Vielfalt, Multikulturalismus und Frauenrechte schworen« (Fraser). Lafontaine dreht diese Beobachtung gegen die Linkspartei, welche sich »mehr oder weniger mit dem vorherrschenden neoliberalen wirtschaftlichen Denken« verbünde. Ein Blick auf die Kampagnenthemen der LINKEN belegt jedoch das Gegenteil: Hier standen die sozialen Fragen – Löhne, Mieten, Rente, Hartz IV – immer im Zentrum. Darüber sehen die »Vordenker« von »Aufstehen« bewusst hinweg, weil sie davon ausgehen, eine multikulturelle Gesellschaft und offene Grenzen würde die (männliche, weiße) Arbeiterklasse überfordern. Doch wo sind in diesem Bild die vielen Menschen aus der Arbeiterklasse, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren und ein wichtiger Teil der »Willkommenskultur« waren?
Es ist unredlich von Lafontaine, sich auf Nancy Fraser zu berufen. Denn ihr Anspruch an eine »neue Linke« lautet: »Diese kämpft um soziale Gerechtigkeit und für Emanzipation und Vielfalt.« Fraser geht es im Gegensatz zu Lafontaine um eine solidarische Klassenpolitik, die neoliberale Politik von links angreift und dabei nicht unterschiedliche Gruppen gegeneinander ausspielt. Der ehemalige »taz«-Redakteur Daniel Bax hat es gut zusammengefasst: »Es ist allerdings ein Kurzschluss, die vermeintlich ›Abgehängten‹ und ›die kleinen Leute‹ gegen vermeintliche Minderheitsinteressen auszuspielen. Denn auch ›kleine Leute‹ und ›Abgehängte‹ können Minderheiten angehören. Im Niedriglohnbereich und in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten oft Menschen aus Einwandererfamilien, sie sind häufiger von Armut betroffen. Auch LGBTQI finden sich in allen Schichten der Gesellschaft. Und alleinerziehenden Müttern kann es nicht nur wichtig sein, finanziell über die Runden zu kommen, sondern auch, nicht diskriminiert zu werden. Kurz gesagt: Es gibt viele ›kleine Leute‹ und ›Abgehängte‹, denen Antirassismus und eine diskriminierungsfreie Gesellschaft wichtig sind.«
5. Ein Faktor für die Anziehungskraft des Projekts »Aufstehen« ist die trügerische Hoffnung auf die Machtoption einer »Kanzlerkandidatin Sahra«, getragen von neuen linken Mehrheiten im Bundestag.
Durch die Erosion der Sozialdemokratie und den Einzug von FDP und AfD in den Bundestag gab es nach der letzten Bundestagswahl – anders als noch 2013 – keine rechnerische Mehrheit mehr für SPD, Grüne und DIE LINKE. Das führt bei vielen zu Desillusionierung, weil damit die Option einer R2G-Regierung verloren gegangen ist. Nun hoffen viele, dass sich mit der Sammlungsbewegung eine neue Dynamik für eine linke Mehrheit ergibt. In dieser Orientierung auf linke Mehrheiten im Parlament liegt eine zentrale strategische Differenz, die wir mit »Aufstehen« haben.
Eine rot-rot-grüne Regierung würde einen grundsätzlichen Kurswechsel von SPD und Grünen voraussetzen, zumindest wenn DIE LINKE nicht ihre politische Seele verkaufen will. Unter den prominenten Unterstützern von »Aufstehen« finden sich jedoch einige, deren bisherige Ansichten im deutlichen Widerspruch zu den »roten Haltelinien« stehen, die sich DIE LINKE für Regierungsbeteiligungen auferlegt hat. Zu nennen sind hier etwa Wolfgang Streecks Vergangenheit als Mitgestalter der Agenda 2010 oder der Grüne Ludger Volmer, der entscheidenden Anteil daran hatte, seine Partei auf Nato-Treue und Interventionsbereitschaft im Kosovo-Krieg einzuschwören. Für einen konsequenten Kurs gegen Neoliberalismus und Krieg ist die Orientierung auf R2G grundfalsch. Die friedenspolitische Positionierung im Aufruf von »Aufstehen« fällt bereits deutlich schwächer aus als die der LINKEN. So wird sich dort positiv auf die »Bundeswehr als Verteidigungsarmee in einer europäischen Sicherheitsgemeinschaft« bezogen. Das Problem ist, dass die deutsche Regierung aktuell selbst auf die gemeinsame Aufrüstung und Militarisierung der EU setzt. Der Aufruf von »Aufstehen« spricht sich auch nicht für den Abzug der Bundeswehr aus den Auslandseinsätzen aus, wie es DIE LINKE fordert, sondern nur gegen neue.
Darüber hinaus transportiert »Aufstehen« eine Botschaft, die bereits früher unter dem Label »LINKS wirkt« Erwartungen weckte, die sich nicht erfüllen konnten. Dass der Zuspruch unter Erwerbslosen in den letzten Jahren zurückging, hat auch damit zu tun. Für viele von ihnen hatte sich die Hoffnung nicht verwirklicht, dass sich durch ein Kreuz bei der LINKEN die sozialen Verhältnisse ändern würden. Denn trotz einer stärkeren LINKEN wurde die Umverteilung von unten nach oben nicht gestoppt. Gesellschaftliche Veränderungen erreichen wir in erster Linie nicht durch andere Mehrheiten in Parlamenten, sondern durch Mobilisierungen auf der Straße und in den Betrieben. Das Ziel linker Politik muss daher die Stärkung der Kampffähigkeit sein und nicht die Hoffnung auf politische Stellvertreter. Hier ist augenfällig, dass »Aufstehen« bisher keine Bewegungs-Sammlung darstellt: Der Aufruftext bezieht sich in keinem Satz auf reale Kämpfe und es gibt keine organische Verbindung zu den Hunderttausenden, die derzeit gegen den Rechtsruck auf der Straße sind.
6. Führende Vertreterinnen und Vertreter der Sammlungsbewegung wollen DIE LINKE umgestalten und damit politisch entwaffnen.
»Aufstehen« birgt Spaltungspotential für die LINKE – zum einen, weil das politische Profil in der Flüchtlingspolitik konträr zu dem der LINKEN steht. Die von Lafontaine und Wagenknecht gegründete Initiative ist nicht Ausdruck eines gesellschaftlichen sozialen Aufbruchs, sondern Ausdruck eines Machtkampfes innerhalb der LINKEN. Ihr Ziel ist es, »dass die Linke die Positionen verlässt, wo sie sich isoliert von den Abgehängten …«, sagt Sahra Wagenknecht. Sie will die Partei regierungsfähig machen, indem sie das betont, »was Linke, SPD und Grüne eint«. Zum anderen birgt die Sammlungsbewegung Spaltungspotenzial, weil sie an den Strukturen der LINKEN und am innerparteilichen Meinungsbildungsprozess vorbei organisiert wird. Perspektivisch wird der Antritt zur nächsten Bundestagswahl der Knackpunkt sein: Auf welcher Liste sollen die Kandidatinnen und Kandidaten der Sammlungsbewegung kandidieren? Wer kürt Sahra Wagenknecht zur Spitzenkandidatin?
Das Lager um Wagenknecht organisiert einerseits von außerhalb Druck auf DIE LINKE durch die Sammlungsbewegung und anderseits einen Strömungskampf innerhalb der Partei, um ihre Positionen und Akteure durchzusetzen. So erklärte Wagenknecht selbst: »Wenn der Druck groß genug ist, werden die Parteien, auch im Eigeninteresse, ihre Listen für unsere Ideen und Mitstreiter öffnen.« Wenn diese Überrumpelung nicht gelingt, drohen Unterstützer von »Aufstehen« mit der Gründung einer neuen Partei. »Wir wollen unsere Partei umkrempeln, um wieder Wahlen zu gewinnen und dieses Land zu verändern«, schrieb beispielsweise Sevim Dagdelen, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag. »Wenn wir damit Erfolg haben, braucht es keine neue Partei.«
Wir finden den Kurs von »Aufstehen« falsch, weil er politisch die LINKE nach rechts führen soll. Die Positionen der Sammlungsbewegung würden DIE LINKE nicht nur im Kampf gegen Rassismus und AfD entwaffnen, falls sie sich innerparteilich durchsetzen. Sie würden DIE LINKE auch außenpolitisch von ihrer bisherigen konsequenten Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr abbringen, um ein Zusammengehen mit Grünen und SPD zu ermöglichen. Deshalb unterstützen wir die Orientierung des geschäftsführenden Parteivorstands der LINKEN vom 13. August, der die Parteimitglieder dazu aufruft, sich »Aufstehen« nicht anzuschließen, sondern »DIE LINKE zu stärken, als Motor und Orientierungspunkt für linke und sozial gerechte Politik.« Nur durch eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit durch Klassenkämpfe von unten kann es sozialen Fortschritt geben und damit auch die Grundlage geschaffen werden, um die Rechtsentwicklung zu stoppen und umzukehren. Der regierungssozialistische Flügel der Linken hat diese Entwicklung vor allem in Ostdeutschland behindert und das wird sich nicht ändern, wenn sich Sahra Wagenknecht mit Hilfe von »Aufstehen« an die Spitze dieses Flügels stellt.
7. Während Sahra Wagenknecht behauptet, die Flüchtlingspolitik der LINKEN sei der Grund für ihre Wahlverluste im Osten, kommt kaum jemand auf die Idee, den staatstragenden Kurs von großen Teilen der dortigen LINKEN zu hinterfragen.
Oskar Lafontaine hat nach der Bundestagswahl geäußert, dass DIE LINKE unter Arbeitern an Zuspruch verloren habe und dass dies an zu viel »Refugees welcome« und Antirassismus gelegen habe. Dass dieser »Befund« falsch ist, zeigen nicht zuletzt folgende Zahlen: Vielerorts hat DIE LINKE unter Arbeiterinnen, Arbeitern und Angestellten dazugewonnen. Im Westen hat sie insgesamt 40 Prozent mehr Stimmen erhalten als 2013. Ein antirassistisches Profil war dabei kein Hindernis. Stattdessen ließe sich umgekehrt sagen, dass die öffentliche Infragestellung der LINKEN durch Lafontaine und andere aktuell ein Hindernis für ihr Wachstum ist. Die Spaltung der Partei über ihre Migrationspolitik verunsichert ihre Mitglieder, Wählerinnen und Wähler. Ferner stärkt sie zurzeit nicht nur die AfD am rechten Rand, sondern auch die Grünen, die vielen Aktiven der Massenbewegung gegen Rassismus als einzige konsequent antirassistische Kraft erscheint.
Dass sich im Osten der wahlpolitische Abwärtstrend auch 2017 fortgesetzt hat, liegt nicht an der Flüchtlingspolitik der LINKEN. Das Problem ist vielmehr ihr staatstragender Kurs im Osten. In der Vergangenheit hat sich DIE LINKE dort durch ihre Beteiligung an mehreren Landesregierungen als Teil eines neoliberalen Blocks dargestellt und kaum klassenpolitisches Profil entwickelt, weil die gegensätzlichen Interessen von Kapital und Arbeit nicht zum Ausgangspunkt genommen wurden. DIE LINKE erscheint vielerorts nicht als Kraft für grundsätzliche Veränderung. In den Wahlkampagnen vermied sie es, die herrschenden Verhältnisse scharf anzuklagen – etwa bei den Landtagswahlen 2016 in Sachsen-Anhalt mit dem Slogan »Wirtschaftskenner« und Mecklenburg-Vorpommern mit dem Slogan »Heimat ist dort, wo Familie ist«. Mit diesem angepassten Profil verlor DIE LINKE selbst aus der Opposition heraus noch Wählerstimmen. Zugleich konnte die AfD den berechtigten Unmut über die sozialen Verhältnisse als vermeintliche Protestpartei gegen das Establishment auf ihre rassistischen Mühlen lenken. Das darf sich nicht wiederholen. Den aktuellen Spekulationen über mögliche Koalitionen mit der CDU sollte DIE LINKE mit einem eindeutigen Nein begegnen. Sahra Wagenknechts Bündnis mit Dietmar Bartsch in der Bundestagsfraktion wirkt für Teile des Ost-Reformerlagers wie ein Schutzschild, der verhindert, die Ursachen für den dortigen Schrumpfungsprozess zu analysieren.
8. Linkes Kernanliegen muss die Selbstermächtigung von ausgebeuteten und unterdrückten Menschen für den Widerstand und den Aufbau von sozialistischer Gegenmacht sein. Auch DIE LINKE muss sich verändern, um diesem Anspruch gerecht zu werden.
Um ihrer Rolle als sozialistische Kraft gerecht zu werden, muss DIE LINKE ganz anders sein als die etablierten Parteien. Wir brauchen eine sozialistische Massenpartei, die sich als Sprachrohr und Motor von Bewegungen und Klassenkämpfen versteht. Das bedeutet einen Bruch mit der Fixierung auf Parlamente als wichtigstes Aktionsfeld und als Instrument für gesellschaftlichen Wandel vom Kapitalismus zum Sozialismus.
Der amerikanische Sozialist Hal Draper grenzte schon vor mehr als 50 Jahren in seinem Aufsatz »Die zwei Seelen des Sozialismus« einen emanzipatorischen »Sozialismus von unten« von verschiedenen Spielarten des »Sozialismus von oben« ab. Den »Sozialismus von oben« beschrieb er als Ansatz, die Welt zu verändern, indem die Unterdrückten ihr Schicksal in die Hände einer weisen und wohlwollenden Führung legen. Sie werde schon die richtigen Entscheidungen treffen. Dies gilt bis heute für den sozialdemokratischen Sozialismus, dessen Prinzip ist: »Wählt uns und lasst euch in eine bessere Zukunft führen«. Eine andere Spielart des »Sozialismus von oben« haben wir im »Ostblock« beobachten können: Die kommunistischen Parteien agierten dort seit Stalins Machtübernahme in der UdSSR angeblich für die Arbeiter und Bauern, tatsächlich aber im Gegensatz zu ihnen. Letztendlich wurden sie genau von jenen gestürzt, die sie vermeintlich vertraten.
Wir wollen DIE LINKE in der Tradition des »Sozialismus von unten« aufbauen. Sie soll nicht lediglich auf breite Repräsentation der Bevölkerung setzen, sondern in der Arbeiterklasse für solidarische Perspektiven streiten und den Widerstand aufbauen. Wir stehen vor der Aufgabe, soziale und politische Kämpfe im Interesse der großen Mehrheit gegen die herrschende Minderheit zu stärken und ein antikapitalistisches Profil zu zeigen: Zehntausende Pflegekräfte sind in den vergangenen Jahren aufgestanden und haben gegen den Pflegenotstand gestreikt. In Berlin, Hamburg und Bayern engagieren sich Tausende in Volksbegehren für mehr Pflegepersonal. Unzählige Menschen sind bei »Aufstehen gegen Rassismus« und anderen antirassistischen und antifaschistischen Initiativen aktiv, um der rechten Hetze etwas entgegenzusetzen. Wir können dabei mit konkreten Aktionsangeboten und einer offenen Bündnispolitik auch die Anhängerschaft von SPD und Grünen erreichen. Ein Kristallisationspunkt ist dabei der Kampf gegen rechts in Mobilisierungen wie etwa zur Großdemonstration #unteilbar am 13. Oktober in Berlin oder die aktive Mitarbeit in einem Bündnis wie »Aufstehen gegen Rassismus«. Ein anderer können die Kampagnen für bezahlbaren Wohnraum oder für mehr Personal im Gesundheits- und Pflegebereich sein. Auch in der Anhängerschaft von »Aufstehen« werden wir für die Unterstützung solcher Kampagnen und realer Bewegungen werben. Wir wollen die Ansätze ausbauen, die es in der LINKEN gibt, um die Partei als kämpferische Kraft weiter aufzubauen.
Schlagwörter: AfD, DIE LINKE, Oskar Lafontaine, Protest, R2G, Rassismus, Rechtsruck, Sahra Wagenknecht, Sammlungsbewegung