Die meisten Kommentatoren sehen den pragmatischen Flügel der LINKEN nach dem Europaparteitag gestärkt. Ob die Partei links bleibt, entscheidet sich aber wesentlich durch ihre außerparlamentarische Arbeit
Für viele Linke war es eine Enttäuschung, dass die Delegierten des Europaparteitags der Kritik an der EU in der Präambel des Wahlprogramms die Schärfe genommen haben und dass sie den profilierten Kandidaten aus der Friedensbewegung Tobias Pflüger nicht auf einen Listenplatz gewählt haben. Das ist verständlich. Aber seien wir ehrlich: Hätten die Delegierten anders entschieden, wären die wichtigsten Probleme der LINKEN trotzdem nicht gelöst.
Der Streit um die Präambel hatte eine lange Vorgeschichte.
Die Parteivorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping hatten einen Leitantrag verfasst, der im Großen und Ganzen zustimmungsfähig für die gesamte Partei war. Dennoch hatten die Bundestagsabgeordneten Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke einen Alternativentwurf eingebracht, der zwar in der Sprache radikaler war, allerdings der EU ein idealisiertes Bild des Nationalstaats entgegensetzte. Damit schwächte der Alternativentwurf auch die Kritik an der Bundesregierung und die treibende Rolle der deutschen Regierung und des deutschen Kapitals bei der neoliberalen und militaristischen Ausrichtung der EU ab.
Scheindebatte um Europa
Der Parteivorstand übernahm später einen Absatz aus dem Alternativentwurf in den Entwurf der Vorsitzenden. Das war der Absatz über den neoliberalen, militaristischen und weitgehend undemokratischen Charakter der EU, den die Presse und das innerparteiliche »Forum demokratischer Sozialismus« (FDS) zum Zankapfel machten.
Es wurde eine Debatte konstruiert »seid ihr für oder gegen Europa«, die gar nicht der realen Differenz entsprach. Die Medien stellten den Streit so dar, als stünden sich prinzipielle Gegner und Befürworter »Europas« gegenüber, was die reale Debatte falsch beschrieb. Es ging im wesentlichen darum, wie scharf die EU kritisiert wird.
Mehrheitsverhältnisse in der LINKEN
Als dann der Bundesausschuss – ein Gremium von Vertreterinnen und Vertretern der Landesverbände – satzungsgemäß eine Vorschlagsliste für die Europaliste beschloss, knallte es. Denn der Bundesausschuss wählte eine Liste, die den linken Parteiflügel stärker repräsentierte, als es durch die Mehrheitsverhältnisse auf dem Parteitag gedeckt war.
In diesem Moment war klar, das weder die Präambel noch die Europaliste Bestand haben würden.
Daher beschloss der Parteivorstand unmittelbar vor dem Parteitag, die Präambel zu ändern, den Satz, dass die EU eine »neoliberale, militaristische und weitgehend undemokratische Macht« sei zu streichen und stattdessen eine leicht abgeschwächte Formulierung in die Präambel aufzunehmen. Der Parteitag selbst nahm wichtige Schärfungen gegenüber dem Ursprungsentwurf vor, während es in der Präambel jetzt Sätze gibt, die der EU unterstellen, gut für die Europäer zu sein.
Europaliste
Bei der Wahl zur Europaliste konkurrierten oft mehrere Kandidaten um denselben Platz. Neben der Vorschlagsliste des Bundesausschusses hatten die Landesvorsitzenden Ost eine Liste erstellt, die auch Gregor Gysi unterstützte.
Diese Liste hätte den Reformerflügel deutlich gestärkt.
Doch die fertige Europaliste gleicht weder der reinen Bundesausschussliste noch der reinen Ostvorsitzendenliste.
Flügel und Strömungen der LINKEN
Tobias Pflüger unterlag knapp dem WASG-Gründer Thomas Händel, der von den Ostvorsitzenden gestützt wurde. Er konnte aber viele Stimmen unter anderen Delegierten aus dem Osten mobilisieren.
Auf Platz vier unterlag Tobias knapp dem bisherigen EU-Parlamentarier Helmut Scholz, der etwas farblos ist, aber als treuer Partei-Soldat gilt und von daher ausreichend Stimmen mobilisieren konnte.
Auf Platz sechs setzte sich Fabio de Masi gegen den FDS-Favoriten Dominic Heilig durch. Das ist insofern bemerkenswert, als Fabio scharfe Kritik an der EU geäußert hat und Mitglied im Bundessprecherkreis der gewerkschaftlich orientierten Strömung Sozialistische Linke (SL) ist.
Dass auf Platz sieben die zweite SL-Kandidatin Sabine Wils gegen Martina Michels aus dem Landesverband Berlin verlor ist schade, aber auch als Reaktion auf die Wahl Fabio de Masis zu verstehen.
Wahlkampf organisieren
Die organisierten Strömungen spielten zwar eine wichtige Rolle im Vorfeld, aber der Parteitag hatte seine eigene Dynamik.
Was bedeutet das Ergebnis des Europaparteitags für DIE LINKE? Die Partei kann jetzt relativ geschlossen die eigentliche Aufgabe anpacken: Den Wahlkampf zu organisieren. Bei allen Differenzen ist klar: Bisher haben in Europaparlament und Bundestag immer alle LINKE-Abgeordneten gegen Marktliberalismus, Krieg oder Sozialabbau von Konservativen und Sozialdemokraten gestimmt, egal welcher Strömung sie angehörten, egal ob Gregor Gysi oder Sahra Wagenknecht. Und es ist auch klar: An den Beschlüssen der jeweiligen Parlamente hat das wenig bis nichts geändert.
Kräfteverhältnisse verändern
Ob DIE LINKE tatsächlich eine Alternative zur Politik von CDU, SPD und Grünen entwickeln kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab:
Zum einen wird es wichtig Versuche zu verhindern, die politische Grundlage der Partei – z.B. in Bezug auf Auslandseinsätze der Bundeswehr – zu verändern. In diesem Sinne ist der internationale Teil des Europawahlprogramms ein guter Baustein.
Allerdings reichen Defensivkämpfe nicht aus. Entscheidend wird sein, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu verändern, und für eine Gegenbewegung gegen Sozialabbau und Militarismus in der Gesellschaft zu kämpfen. Wer zu Recht befürchtet, dass eine rot-rot-grüne Bundesregierung mehr linke Ziele verraten als durchkämpfen wird, muss eine Alternative dazu entwickeln.
Eine echte Gegenmacht zur Herrschaft der Banken und Konzerne kann DIE LINKE nur aufbauen, wenn sie gemeinsam mit Gewerkschaften und anderen außerparlamentarischen Kräften eine Bewegung aufbaut, die in den Betrieben und auf der Straße genug Druck gegen die herrschenden Eliten entfacht.
Aktive Mitgliederpartei
Dass Menschen mit Niedriglohn nicht nur eine linke Partei wählen, sondern den Kampf gegen milliardenschwere Unternehmen aufnehmen können, haben wir letztes Jahr in den Streiks im Einzelhandel und bei Amazon gesehen. Die Partei könnte einen großen Schritt nach vorne machen, wenn sie den Europawahlkampf nutzt, um DIE LINKE zu einer politisch intervenierenden, bewegungsorientierten aktiven Mitgliederpartei umzubauen.
Eine Möglichkeit dafür bietet ab nächsten Monat die Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Dabei kann DIE LINKE mit den Beschäftigten diskutieren, warum ein Vollstreik von ver.di erfolgversprechend ist. Zudem kann DIE LINKE die Auseinandersetzung durch Solidarität in der Öffentlichkeit begleiten und sich politisch mit dem »Nein zur Schuldenbremse« einbringen – eine Position die essentiell ist im Kampf um den Öffentlichen Dienst angesichts der leeren Haushaltskassen und die von keiner anderen Partei im Bundestag vertreten wird. Eine zweite Chance sind die bundesweiten Aktionstage, die von der Blockupy-Bewegung gegen die Herrschaft der Banken gezielt auf den 16. und 17. Mai gelegt wurden, um sich in den Europawahlkampf einzumischen. DIE LINKE könnte dafür ein entscheidender Mobilisierungsfaktor werden.
Aktuelles zu den Blockupy-Aktionstagen im Mai: http://blockupy.org/3002/blockupy-newsletter-februar-2014/.
Mehr auf marx21.de:
- Für eine linke Europakritik: Am 24. Mai 2014 wählt Europa. Die extreme Rechte in Europa erhofft sich einen Durchbruch. Doch die Linke kann kontern – wenn sie ihre Haltung zur Europäischen Union klärt, meint Werner Halbauer.