Mit einem Bürgerbegehren will eine Initiative den Bau von mehr Sozialwohnungen und niedrigere Mieten in Frankfurt durchsetzen. Wir sprachen mit Jürgen Ehlers, LINKE-Mitglied und Mitbegründer einer Mieterinitiative, die den »Mietentscheid« unterstützt. Es geht dabei auch darum, wer an den hohen Mieten Schuld ist und wie die LINKE gegen den Mietenwahnsinn in den Ballungszentren mobil machen kann
marx21: Mit einer Unterschriftensammlung für einen »Mietentscheid« macht sich eure Initiative für mehr Sozialwohnungen und niedrigere Mieten in Frankfurt stark. Wer steckt dahinter?
Jürgen Ehlers: Die Idee einen »Mietentscheid« ins Leben zu rufen, ging nicht von den Mieterinitiativen in der Stadt aus, sondern von neuen jüngeren Mitgliedern der Linkspartei.
Was habt ihr gemacht?
Wir sind mit der Idee auf »Tour« gegangen und haben andere Organisationen angesprochen. Also attac, den AStA der Frankfurter Uni und das Bündnis »Eine Stadt für alle!«. Dann geriet der Stein langsam ins Rollen. Mieterinitiativen, die Organisation DIDF und der Bezirksverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kamen hinzu. Mittlerweile ist ein breites, handlungsfähiges Bündnis entstanden.
Was sind genau eure Forderungen?
Wir fordern, dass die städtische Wohnungsbaugesellschaft (ABG Frankfurt Holding) nur noch geförderte Wohnungen baut und nicht mehr freifinanzierte Miet- oder Eigentumswohnungen. Denn diese Wohnungen kann sich die große Mehrheit der Frankfurterinnen und Frankfurter nicht leisten.
Wie viele Wohnungen besitzt die ABG?
Die städtische Wohnungsbaugesellschaft besitzt über 50.000 der knapp 380.000 Wohnungen in der Stadt. Wir fordern auch, dass bei allen Mieterinnen und Mietern, die Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, die Miete bei der ABG auf höchstens 6,50 Euro abgesenkt wird.
Warum ist das wichtig?
Vielen Mietern in ehemaligen Sozialwohnungen, die schon lange aus der Bindung gefallen sind, steht das Wasser buchstäblich bis zum Hals, weil die Gesellschaft in der Vergangenheit dauernd die Miete erhöht hat. Wir wollen erreichen, dass die städtische Wohnungsbaugesellschaft mit günstigen Mieten eine Alternative darstellt. Aus diesem Grund fordern wir auch, dass alle frei werdenden Wohnungen der ABG, wenn ein Mieterwechsel ansteht, anschließend zu Mieten zwischen 6,50 und maximal 10,50 Euro vermietet werden.
Werden denn überhaupt mehr Sozialwohnungen gebraucht?
Ja, sehr viele sogar. Jeder zweite Haushalt in Frankfurt hat aufgrund seines Einkommens einen Anspruch auf eine Sozialwohnung. Wir sprechen hier von weit über 180.000 Haushalten.
Und wie viele Sozialwohnungen gibt es zurzeit?
In Frankfurt gibt es zurzeit nur noch 26.000 Sozialwohnungen, die für 5 bis 6,50 Euro über das Wohnungsamt belegt werden können, Tendenz weiter fallend.
Wer hat eigentlich Anspruch auf geförderten Wohnraum in Frankfurt, der für 5 bis 6,50 Euro vermietet wird?
Ein alleinerziehendes Elternteil darf im Monat ein Bruttoeinkommen von etwa 2600 Euro beziehen und eine vierköpfige Familie etwa 4340 Euro. Das sind auf den ersten Blick keine ganz geringen Einkommen, wenn man aber Steuern und Sozialabgaben abzieht, dann bleibt nur so viel übrig, dass auf dem freien Wohnungsmarkt in diesen Fällen zwischen 40 und 50 Prozent des verfügbaren Einkommens für die Miete und die Nebenkosten weggeht. Das ist zu viel! Es kann nicht sein, dass eine vierköpfige Familie 1400 Euro und mehr für die Miete aufbringen muss.
Wenn wir über Sozialwohngen sprechen, was sind das eigentlich für Wohnungen?
Bei den Sozialwohnungen gibt es feste Wohnungsgrößen, die den Mietern zustehen, oder besser zugebilligt werden, denn sie sind eigentlich zu klein.
Warum?
Die oder der Alleinerziehende hat einen Anspruch auf eine 57 Quadratmeter große Wohnung und die vierköpfige Familie darf über höchstens 81 Quadratmeter verfügen. Die geringen Wohnungsgrößen können aber das soziale Miteinander in der Familie erschweren. Kinder bringen andere Kinder mit nach Hause, die Großeltern kommen zu Besuch oder die Eltern laden Freunde ein, dann wird es schnell sehr eng.
Bleiben Sozialwohnungen denn immer Sozialwohnungen?
Nein, und das ist ein sehr großes Problem. Die geltenden Gesetze führen dazu, dass viele dieser Wohnungen nur eine soziale Zwischennutzung erfahren.
Wie das?
Sobald die Bindungsfrist abgelaufen ist, und die kann heute deutlich unter 20 Jahren liegen, kann die Wohnung vom Eigentümer wie eine frei finanzierte am Markt platziert werden, und dann steigt die Miete.
Wie wirkt sich das auf den Wohnungsmarkt aus?
In Frankfurt ist das ein riesiges Problem. Während im letzten Jahr nur 134 Sozialwohnungen gebaut worden sind, fallen dieses Jahr über 400 allein in einem Gebäudekomplex, der sehr attraktiv zur Innenstadt liegt, aus der Bindung.
Die Römer-Fraktion der FDP warnt vor eurem »Mietentscheid«. Er könne »die ABG in wirtschaftliche Gefahr bringen«. Stimmt das?
Nein, die Forderungen sind durchgerechnet und lassen sich finanzieren.
Warum machen Wirtschaftsverbände und die FDP dann so eine Welle?
Unsere Forderungen stellen die Gewinnorientierung in Frage. Zurzeit rechnet die ABG mit einer Eigenkapitalverzinsung von 4 Prozent. Wenn unsere Forderungen umgesetzt werden, würde sich diese halbieren. Wir wissen, dass die ABG in den letzten 5 Jahren wegen ihrer hohen Eigenkapitalverzinsung knapp 400 Millionen Euro an Gewinn gemacht hat.
Und dieses Geld reicht, um eure Forderungen umzusetzen?
Nein. Wir wollen außerdem, dass in Frankfurt zur Finanzierung des Vorhabens die Gewerbesteuer auf ein Niveau angehoben wird, das sie schon einmal hatte.
Wer trägt deiner Meinung nach die Verantwortung für die hohen Mieten in der Stadt?
Ob in Frankfurt oder anderswo: Die Ursache für den Mietenwahnsinn liegt in der Funktionsweise des Wohnungsmarkts.
Kannst du das genauer erläutern?
Wie jede Ware hat eine Wohnung im Kapitalismus sowohl einen Gebrauchswert (Schlafen, Kochen, Rückzugsort) als auch einen Preis. Während die Mieterinnen und Mieter vor allem am Gebrauch interessiert sind, zählt für die Vermieter letztendlich nur der Gewinn, den sie durch Vermietung oder Verkauf erzielen können. Wohnungen sind für sie eine Kapitalanlage wie jede andere auch: Ziel ist es, eine möglichst hohe Rendite zu erlangen.
Mit welchen Konsequenzen?
Private Investoren legen ihr Geld in den profitträchtigsten Wohnungsmarktsegmenten an, und es entsteht ein ständiger Druck, den Profit durch Mieterhöhungen und Luxussanierung zu erhöhen.
Aus der Marktlogik ergibt sich also, dass die Nachfrage nach günstigen Wohnungen nicht erfüllt wird und Wohnungsnot für Geringverdienende im Kapitalismus die Regel und nicht die Ausnahme ist?
Ja, absolut. Und die Finanz- und Wirtschaftskrise, die bis heute andauert, hat dann ihr Übriges getan. Die niedrigen Zinsen und die Flucht von Kapitalanlegern in »Betongold« wirken bis heute wie ein Treibsatz für eine Spekulationsblase am Immobilienmarkt.
Aber genau wegen dieser vom Markt erzeugten systematischen Ungleichheit griff doch der Staat immer wieder in den Wohnungsmarkt ein: Durch kommunale Wohnungsunternehmen, den sozialen Wohnungsbau und das Wohngeld sollte insbesondere Menschen mit geringem Einkommen Wohnraum zur Verfügung gestellt werden.
Das stimmt, und diese wohnungspolitischen Instrumente waren eine zentrale Säule der »Sozialen Marktwirtschaft« der Nachkriegszeit in Westdeutschland. Aber die Wohnungsbaupolitik ist in den 1980er und 1990er Jahren radikal umgestellt worden. Der geförderte Wohnungsbau und die Sozialwohnungen sind zu einer Randerscheinung verkommen.
Kannst du Beispiele nennen?
Während es im Jahr 1987 in Westdeutschland noch 3,9 Millionen Sozialwohnungen gab, waren es 2001 nur noch halb so viele. In den vergangenen zehn Jahren schrumpfte der Bestand bundesweit jährlich um 100.000 Sozialwohnungen. Auch die kommunalen Wohnungsbestände wurden stark abgebaut.
Wer hat diese neoliberale Wende in der Wohnungspolitik zu verantworten?
Diese Politik wurde sowohl von der CDU als auch von SPD und Grünen in der Bundesregierung durchgesetzt. Leider hat aber auch die frühere PDS und später die LINKE auf Länderebene, beispielsweise in Berlin, diese Politik mitgetragen. Sie haben auf die Wunderkräfte des Marktes gesetzt. Dieser Ansatz ist schon immer von links scharf kritisiert worden.
Im Gegensatz dazu plädieren »Wissenschaftliche Berater« in einem Gutachten für die Bundesregierung dafür, den sozialen Wohnungsbau noch weiter zurückzufahren und die Mietpreisbremse ersatzlos zu streichen.
Dieser Vorschlag zeigt vor allem, dass es zu viele »Experten« gibt, die keine Gegenwehr fürchten und sich deswegen trauen mit längst – aus Sicht der Mieterinnen und Mieter – gescheiterten Rezepten zu hausieren. Der Markt löst das Problem nicht, er ist die Ursache.
Warum ist es wichtig, dass die LINKE sich des Themas »Mieten« annimmt?
In den Ballungsräumen steigen die Mieten unaufhörlich. Aber das Problem betrifft nicht nur die Menschen in den Großstädten, auch Mieterinnen und Mieter in Jena, Greifswald oder Nürnberg müssen für ein Dach über dem Kopf immer tiefer in die Tasche greifen. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum und steigende Mieten führen in vielen Städten zu sozialen Auseinandersetzungen. DIE LINKE muss an der Seite der Betroffenen stehen.
Was bedeutet das für die Praxis der LINKEN?
DIE LINKE kann nur Erfolg haben, wenn sie nicht nur als Wahlverein auftritt, sondern eine reale Handlungsplattform für die Menschen darstellt. Die Partei sollte zu einem Vernetzungs- und Lernraum für Aktivistinnen und Aktivisten werden. Dass der Parteivorstand jetzt die »Mietenkampagne« beschlossen hat (siehe Kasten) ist ein wichtiger Ansatzpunkt dafür.
Was plant ihr als Partei DIE LINKE in Frankfurt, um die Initiative »Mietentscheid« zu stärken?
Für uns ist wichtig, dass die Partei nicht nur im parlamentarischen Raum agiert. Die Partei ist in meinen Augen stark gefordert, es ist eine große Chance, um zu zeigen, dass eine Partei nicht nur dazu gut ist, um gewählt zu werden, sondern auch ein verlässlicher und starker Partner im Kampf um mehr soziale Gerechtigkeit sein kann. Dabei geht es natürlich um Material, Geld und Räumlichkeiten. Das Wichtigste aber ist, dass Mitglieder der LINKEN gemeinsam mit anderen aktiv werden. So ändert sich auch das Bild der Partei vor Ort. Wir werden nicht als Stellvertreterpartei wahrgenommen, sondern als Organisation, die den Menschen in ihren Kämpfen und Auseinandersetzungen nützlich ist.
Es reicht also nicht, wenn die Partei über Anträge und Reden im Parlament die Mieterinnen und Mieter unterstützt.
Genau. Wir können als LINKE noch so gute Argumente im Parlament vortragen. Ohne gesellschaftlichen Druck ändert sich nichts. Deshalb brauchen wir starke außerparlamentarische Bewegungen, um etwas zu verändern.
Was plant ihr in Frankfurt konkret?
Für den »Mietentscheid« wollen wir 20.000 Unterschriften sammeln, das sind mehr als erforderlich, aber wir rechnen damit, dass einige ungültig sind. Dafür gibt es an mehreren Wochenenden »Sammelaktionen«. Die erste Resonanz war überwältigend: Es gab 20 Sammelpunkte und wir haben innerhalb kurzer Zeit 1.500 Unterschriften gesammelt. Darüber hinaus wollen wir mit einer hessenweiten Demonstration von Mieterinnen und Mietern in Frankfurt, den Druck auf Politikerinnen und Politiker erhöhen. DIE LINKE mobilisiert hessenweit zu dieser Demonstration. So kann die Partei auch im Wahlkampf den Anspruch, »Motor von sozialen Bewegungen« zu werden, einlösen.
Wie kann man euch unterstützen?
Jede Frankfurterin und jeder Frankfurter sollte den »Mietentscheid« natürlich unterschreiben und mithelfen, weitere Unterschriften zu sammeln. Wir hoffen natürlich, dass unser Beispiel »Schule« macht«.
Inwiefern?
Für uns waren beispielsweise der Berliner Mietenvolksentscheid und die große Mieterdemonstration eine Inspiration. Wir brauchen solche Mutmacher, die andernorts etwas Ähnliches auslösen können. Wir wissen, dass es auch in anderen Städten viele Mieterinitiativen gibt und die Empörung in der Bevölkerung über die Explosion der Mieten und die Vertreibung der ortsansässigen Bevölkerung aus den begehrten Stadtteilen riesengroß ist. Es gibt also eine Chance etwas zu verändern. Die ist umso größer, je mehr der Widerstand sich formiert.
Mehr Infos zum Mietentscheid Frankfurt findest Du hier.
Schlagwörter: Inland, Mieten, Sozialwohnungen