Die Piloten der Lufthansa verdienen nach zehn Dienstjahren mehr als 9000 Euro pro Monat. Hans Krause meint, dass ihre Streiks trotzdem richtig sind.
Die größte Fluggesellschaft Europas musste 3800 Flüge streichen. Erst am Samstag starteten Maschinen wieder nach Plan. Entscheidend dabei sind die für den Konzern entstandenen Kosten: laut Unternehmens-Analysten mindestens 50 Millionen Euro.
Diese Summe zeigt, dass Piloten ein großes wirtschaftliches Druckmittel auf ihren Arbeitgeber haben, dass anderen fehlt: Beim Streik der Einzelhandel-Beschäftigten organisierten die Konzerne manchmal innerhalb von 30 Minuten Ersatz. Die Filialen blieben geöffnet und der Umsatz-Rückgang war minimal. Streiken Bus- und Bahn-Fahrer im öffentlichen Dienst, bedeutet das für die Städte manchmal sogar einen Gewinn. Die entgangenen Einnahmen durch Einzelfahrscheine sind geringer als die eingesparten Ausgaben für Strom und Benzin.
Dass dieses Druckmittel eingesetzt wird, hielt Karl Marx für die entscheidende Chance von Beschäftigten, sich über ihre unterdrückte Situation im Kapitalismus bewusst zu werden und dagegen zu kämpfen. Er schrieb 1853: »Ich bin davon überzeugt, daß das aufeinanderfolgende Steigen und Fallen der Löhne und die ständigen daraus resultierenden Konflikte zwischen Fabrikanten und Arbeitern (…) die unerläßlichen Mittel sind, den Kampfgeist der Arbeiterklasse lebendig zu halten, diese in einer einzigen großen Vereinigung gegen die Übergriffe der herrschenden Klasse zusammenzufassen und sie davon abzuhalten, zu Mitleid heischenden, gedankenlosen, mehr oder weniger gut genährten Produktionsinstrumenten zu werden. In einer Gesellschaft, die auf dem Antagonismus der Klassen beruht, müssen wir, wenn wir die Sklaverei nicht nur in Worten, sondern auch in Taten verhüten wollen, den Kampf aufnehmen.«
Es gibt keine gerechten Lohn
Der hier erwähnte »Antagonismus der Klassen« ist laut Marx ein im Kapitalismus immer währender Widerspruch der Interessen von Unternehmen und Beschäftigten. Unabhängig davon wie hoch oder niedrig eine Tätigkeit bezahlt wird, versucht das Kapital wegen des weltweiten Wettbewerbs immer, Gehälter, oder wie im Fall der Lufthansa-Piloten, die Betriebsrenten weiter zu senken. Dies gilt für Top-Verdiener ebenso wie für Näher in Bangladesch, die für 50 Cent pro Stunde arbeiten.
Aber sind die Löhne der Piloten nicht ungerecht hoch? Marx lehnte die Vorstellung eines »gerechten Lohnes« ab, weil es diesen ebenso wenig gebe, wie einen »gerechten Profit« eines Unternehmens. Er schrieb in »Lohn, Preis, Profit« 1865: »Das Maximum des Profits ist begrenzt durch das physische Minimum des Arbeitslohns und das physische Maximum des Arbeitstags. Es ist klar, daß zwischen den beiden Grenzen dieser Maximalprofitrate eine unendliche Stufe von Variationen möglich ist. Die Fixierung ihres faktischen Grads erfolgt nur durch das unaufhörliche Ringen zwischen Kapital und Arbeit. (…) Die Frage löst sich auf in die Frage nach dem Kräfteverhältnis der Kämpfenden.«
Lufthansa bekämpft das Streikrecht
Auch der Streik der Lufthansa-Piloten ist ein solcher Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, bei dem die Kapital-Seite versucht, den nie aufhörenden Druck des internationalen Wettbewerbs auf die Piloten abzuwälzen, genau wie sie es in den anderen Tarifverhandlungen mit Flugbegleitern, Mechanikern und Boden-Personal versucht hat. Daher würde ein Nachgeben der Piloten nur kurzfristig zu einer Lösung des Konflikts führen, während der Konzern mittelfristig schon die nächsten Kürzungen vorbereitet.
Zwar ist es unwahrscheinlich, dass sich viele der Lufthansa-Piloten nach Marx‘ Vorstellung über ihren Streik so weit radikalisieren, dass sie ein revolutionäres Bewusstsein entwickeln und später am Sturz des Kapitalismus arbeiten. Doch ihr Erfolg gegen den DAX-Konzern Lufthansa könnte auch anderen Beschäftigten zeigen, dass es sich lohnt, Gewerkschaften beizutreten und zu kämpfen, statt die Entscheidungen des Arbeitgebers demütig hinzunehmen.
Auf der anderen Seite versucht Lufthansa, den Tarifkonflikt über die Rente der Piloten mit einer Diskussion über die Beschränkung des Streikrechts auch für andere Beschäftigte zu verbinden. Der Vorstandsvorsitzende Christoph Franz fordert: »Es sollte bei einem Streik die Pflicht auf Mindestaufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur geben, zu der auch die Bahn zählt.«
»Euer Kampf ist unser Kampf«
Gerade bei kleinen Gewerkschaften wie der »Vereinigung Cockpit« kritisieren Vorstände und Politiker Streiks vor allem, um sie als Bedrohung für die Gesellschaft darzustellen und mittelfristig das Streikrecht für alle Beschäftigten einzuschränken. Je mehr diskutiert wird, welche Streiks angeblich »unangemessen« oder »übertrieben« sind, desto größer ist die Gefahr, dass auch Busfahrer, Krankenschwestern oder Erzieherinnen gezwungen werden, eine »kritische Infrastruktur«
aufrecht zu erhalten, statt zu streiken.
So lange unsere Gesellschaft in Kapital und Arbeit gespalten ist, ist jeder Streik richtig, der mehr Geld oder Rechte für die Beschäftigten fordert. Und so lange gilt »euer Kampf ist unser Kampf«, auch wenn die Streikenden dreimal so viel verdienen wie viele andere.
Von Hans Krause
Foto: Jake VanderMolen
Schlagwörter: Gewerkschaft, Inland