Erstmals haben Abgeordnete der Linksfraktion einem Auslandseinsatz der Bundeswehr zugestimmt. Christine Buchholz MdB begründet im Gespräch mit marx21.de ihre Ablehnung und erläutert die neue deutsche Außenpolitik
marx21.de: Der Bundestag hat beschlossen, das deutsche Kriegsschiff »Augsburg« ins Mittelmeer zu entsenden. Angeblich geht es bei seinem Einsatz darum, die Vernichtung von 500 Tonnen syrischer Chemiewaffen an Bord eines US-Militärfrachters zu schützen. Von wem soll diesem Schiff denn überhaupt eine Gefahr drohen?
Christine Buchholz: Selbst die Bundesregierung schätzt die Bedrohungslage als gering ein. Es ist kaum vorstellbar, dass ein Staat das Schiff überfällt. Auch Angriffe von Terroristen oder Kriminellen sind sehr unwahrscheinlich, denn das riesige US-Frachtschiff ist kaum zu entern und wird durch US-Militärs an Bord und US-Marine geschützt. Die Bundesregierung schickt das Kriegsschiff nicht wegen einer konkreten Bedrohungslage, sondern um ihren Bündnispartnern unter Beweis zu stellen, dass sie überall militärisch dabei sein kann.
Die Zerstörung der Reststoffe soll in den Anlagen der Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten mbH (Geka) in Munster erfolgen. Die Geka gehört zum Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministeriums. Hältst Du die Bundesregierung für einen vertrauenswürdigen Partner in Sachen Abrüstung?
Es ist richtig, dass die Reststoffe des syrischen Giftgases in Munster vernichtet werden. Das ist ein sinnvoller Beitrag zur Vernichtung des syrischen Chemiewaffenprogramms. Ansonsten ist die Regierung kein zuverlässiger Partner in Sachen Abrüstung. Die Bundesregierungen unter den Altkanzlern Helmut Kohl und Gerhard Schröder und auch noch unter Angela Merkel haben erst die Exporte von Bauteilen für Giftgasfabriken und dann die Exporte der zur Produktion nötigen Dual-Use-Chemikalien genehmigt – in dem Wissen, dass Assad ein Chemiewaffenprogramm betreibt. Am selben Tag, als der Bundestag die Entsendung der »Augsburg« beschlossen hat, hat die Linksfraktion beantragt, die weitere Lieferung von Dual-Use-Chemikalien an solche Länder zu stoppen, die die Chemiewaffenkonvention immer noch nicht unterzeichnet haben. Union und SPD haben dagegen gestimmt, die Grünen haben sich enthalten. Das zeigt, dass es keine Entschlossenheit gibt, ernsthaft die Verbreitung von Chemiewaffen zu verhindern.
Außerdem hat der Bundestag einen Einsatz der Bundeswehr in der Zentralafrikanischen Republik beschlossen. 80 Soldaten sollen eine Militärmission der EU unterstützen. Davor schickte der Bundestag schon Soldaten nach Somalia und Mali. Die jüngsten Auslandseinsätze der Bundeswehr finden alle in Afrika statt. Warum?
Zum einen ist Afrika ein Kontinent, auf dem es durch die jahrhundertelange Ausplünderung eine Vielzahl von Problemen gibt: Hunger, Armut, brutale Ausbeutung und korrupte Machthaber, um einige zu nennen. Dies führt zu vielen Krisen und politischer Instabilität. Europäischen Mächten und anderen geht es um die Stabilisierung von Regierungen, die berechenbar bleiben, im Interesse des internationalen Kapitals. Zum anderen gibt es einen Wettlauf dieser Mächte untereinander um den Einfluss in Afrika. Konkret geht es um Lizenzen für die Förderung wichtiger Rohstoffe wie Öl, Gas, Uran, Gold oder seltene Erden, die unter anderem für Handys und Flachbildschirme nötig sind. Die Vorherrschaft der alten Kolonialstaaten wie Frankreich bröckelt, die USA und China kämpfen um Einfluss. Deutsche Konzerne wollen nicht zurückstehen. Aus der Sicht der Strategen der neuen deutschen Außenpolitik kann die katastrophale humanitäre Situation in weiten Teilen Afrikas ausgenutzt werden, um den Einsatz von Soldaten zu rechtfertigen und so eine militärische Stärke aufzubauen, die der deutschen Wirtschaftskraft entspricht.
Afrika ist ein bettelarmer Kontinent. Täglich riskieren Tausende ihr Leben, um von dort zu fliehen. Warum gibt die Bundesregierung Millionen aus, um die Bundeswehr dorthin zu schicken?
Es geht um das langfristige Ziel einer weltweit einsetzbaren Armee. Die Grundsatzentscheidung dafür ist Anfang der 90er unter Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) getroffen worden. Die Einsätze in Jugoslawien und Afghanistan sowie die Bundeswehrreform waren die nächsten Etappen, um Deutschland immer besser in Stellung zu bringen. Die einzelnen Schritte mögen kurzfristig sehr aufwändig erscheinen, aber sie sollen sich langfristig im Sinne der größeren militärischen Selbstständigkeit auszahlen. Um die Bundeswehr zu einer global agierenden Armee umzurüsten, muss sie Erfahrungen sammeln und gegebenenfalls nachbessern. Sie lernt, welche Kapazitäten vorzuhalten sind, damit Menschen und Material unter allen Umständen weltweit funktionieren. Die Bundeswehr stellt selten Fußtruppen zur Verfügung. Sie stellt Ausbilder und Stabssoldaten und steigert durch die Koordinierung der Einsätze ihre eigene Machtposition unter den Bündnispartnern. Trotz dieser jahrelangen Gewöhnung sind die Auslandseinsätze unbeliebt. Eine klare Mehrheit der Bevölkerung lehnt sie ab.
Auch andere Mächte interessieren sich für Afrika. Das Handelsvolumen zwischen China und afrikanischen Ländern hat sich seit 2000 verzwanzigfacht, auf rund 200 Milliarden US-Dollar im Jahr 2012. Damit hat China die USA als größter Handelspartner Afrikas abgelöst. Aber auch das Handelsvolumen zwischen den USA und Afrika verdreifachte sich binnen zehn Jahren und betrug 2011 95 Milliarden Dollar. Könnten militärische Interventionen Chinas und der USA folgen?
Am offensichtlichsten agiert Frankreich durch die Interventionen im Norden Malis und in Zentralafrika. Die USA agieren derzeit nicht so offensichtlich, sind aber dennoch sehr präsent. So stellen sie in verschiedenen Ländern Drohnen bereit, zum Beispiel für Kampfeinsätze in Somalia oder zur Herstellung von Lagebildern für den Krieg in Mali. In Zentralafrika erhöhen die USA derzeit ihr Engagement deutlich und rüsten bestimmte afrikanische Länder wie Ruanda auf. China agiert vor allem politisch und wirtschaftlich, beispielsweise durch die Entwicklung von Infrastruktur. Aber China ist auch an der Militäroperation gegen Piraterie am Horn von Afrika beteiligt und in Mali stationiert. Aktuell droht da keine direkte Konfrontation. Ich gehe aber ohnehin davon aus, dass die Staaten sich eher Stellvertreter suchen und dann zum Beispiel deren Armeen ausbilden. Das kann gründlich in die Hose gehen wie aktuell im Südsudan. Dort hat die Bundeswehr im Rahmen der Uno die Gründung und den Aufbau eines neuen Staats unterstützt, der jetzt in einem Bürgerkrieg zerfällt.
Aber es fließt auch Geld nach Afrika. Bis 2012 betrugen allein die chinesischen Investitionen in mehr als 50 afrikanischen Ländern insgesamt 21,23 Milliarden US-Dollar. Mehr Arbeitsplätze in Afrika können doch nur gut sein.
Die ausländischen Investoren und die lokalen Eliten kooperieren, aber die Mehrheit der Bevölkerung hat nichts davon. Der Bergbauminister von Mali Boubou Cissé kündigte beispielsweise im September 2013 an, alle Verträge zwischen Mali und den Bergbaukonzernen auf den Prüfstand zu stellen. Sofort intervenierten EU-Vertreter und der malische Bergbauverband und pochten auf die Gültigkeit der bestehenden Abkommen. Auf dem afrikanischen Kontinent sind 62.000 französische Firmen tätig. Was die erwirtschaften, wird zum großen Teil abgeschöpft und bringt wenig für eine unabhängige Entwicklung oder die Bevölkerung.
Was würde den Menschen in Afrika wirklich helfen?
Eine Verbesserung für die Mehrheit kann meiner Meinung nur aus den Ländern selbst heraus im Konflikt sowohl mit den internationalen Konzernen und Mächten, als auch im Konflikt mit den eigenen herrschenden Klassen erreicht werden. In extremen Situationen wie Hungersnöten bin ich natürlich für humanitäre Hilfe. Aber selbst viele Projekte der so genannten Entwicklungszusammenarbeit sind im Kern ein Beitrag zur Stabilisierung von Regimen, die in einem Gegensatz zur Mehrheit der eigenen Bevölkerung stehen. Die vom Auswärtigen Amt finanzierte Ausbildung von Polizeikräften verschiendener afrikanischer Staaten ist zum Beispiel kein Beitrag, den ich unterstützen kann. Im Unterschied zu den anderen Parteien im Bundestag sehen wir keinen Fortschritt darin, dass europäische Staaten die malische Armee aufbauen, um einen Bürgerkrieg zu führen. Linke sollte für humanitäre Nothilfe in Krisensituationen eintreten, aber ansonsten vor allem zivile Kräfte unterstützen, die die politischen Kräfteverhältnisse in den Ländern im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung verschieben können.
Gibt es denn Beispiele für solchen Widerstand?
Es gibt zum Beispiel in einer südwestlichen Provinz von Mali eine Initiative gegen Umsiedlung und Uranabbau. Wir haben Vertreter dieser Initiative eingeladen. Das ist ein Beitrag, den wir leisten können, um vor Ort Widerstand zu entwickeln. Auch gibt es in vielen Ländern bedeutende Klassenkämpfe, wie die Streiks in den Minen Südafrikas. Die Bergleute und ihre Familien dort sind unsere Partnerinnen und Partner im Kampf um eine bessere Welt, von denen wir viel lernen können.
Bei der Abstimmung über die Entsendung des deutschen Kriegsschiffes »Augsburg« haben erstmals fünf Abgeordnete der Linksfraktion einem Auslandseinsatz der Bundeswehr zugestimmt. Besonders Stefan Liebich hat schon lange dafür plädiert, die Einsätze der Bundeswehr im Einzelfall zu prüfen und nicht mehr grundsätzlich abzulehnen. Ist er seinem Ziel jetzt näher gekommen?
Ja und Nein. Ja, weil die Fraktion erstmals eine Abstimmung über einen Auslandseinsatz der Bundeswehr freigegeben hat. Es gab aber schon vorher Abgeordnete, die von der Fraktionslinie abgewichen sind und sich zum Beispiel bei der Abstimmung über die UN-Mission im Südsudan enthalten haben, obwohl die Fraktion für eine Ablehnung war. Nein, weil dieser Einsatz von dem klassischen Schema der Auslandseinsätze abweicht, wo die Bundeswehr in laufende Konflikte eingreift. Viele derer, die sich hier enthalten haben, sehen den Marineeinsatz tatsächlich nur als einen punktuellen Beitrag zur Zerstörung der Giftgasbestände und wollen ansonsten keine Einzelfallprüfung von Einsätzen.
Was ist denn das Problem daran, wenn die Linksfraktion jeden Bundeswehreinsatz im Einzelfall prüft?
Alle Auslandseinätze sind im Zusammenhang der neuen deutschen Außenpolitik zu sehen. Es gibt in jedem Einsatz einzelne Aspekte, die für sich genommen unproblematisch scheinen, zum Beispiel der Bau einer Brücke in Afghanistan. Es ist eine bewusste Strategie der Bundesregierung, die Grenzen zwischen militärischen und zivilen Aspekten zu verwischen, indem sie der Bundeswehr auch zivile Aufgaben überträgt oder militärische Einsätze durch Maßnahmen der zivilen Entwicklungszusammenarbeit flankiert. Wenn wir dem auf den Leim gehen, machen wir uns erpressbar. Denn viele zukünftige Einsätze der Bundeswehr werden keine klassischen Kampfeinsätze sein. Sondern es wird häufig um die Bereitstellung militärischer Ausbilder oder von Transportkapazitäten gehen. Doch sie sind zumeist Teil von kriegerischen Handlungen wie in Mali, Somalia und Zentralafrika. Selbst wenn die Bundeswehr nicht an der vordersten Front kämpft, leistet sie Beihilfe zum Krieg. Zudem bleiben auch diese Einsätze Teil der globalen Strategie der Bundesregierung, die auf den Aufbau internationaler militärischer Interventionsfähigkeit ausgerichtet ist. Ich denke, wir müssen in jedem einzelnen Fall unsere Ablehnung begründen können, aber bei der generellen Ablehnung aller Auslandseinsätze bleiben.
Mehr zur Person:
Christine Buchholz ist Mitglied des Verteidigungsausschusses im Bundestag und des geschäftsführenden Vorstands der LINKEN. Sie unterstützt das Netzwerk marx21.
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Foto: Uwe Hiksch