Die Warnstreiks bei T-Systems waren dieses Jahr so groß wie nie. Warum ver.di dem Klassenkampf bei der Informationstechnik-Sparte der Deutschen Telekom mehr Gewicht einräumen sollte, erklärt Thomas Frischkorn aus der Streikleitung bei T-Systems Darmstadt
marx21.de: Ver.di-Verhandlungsführer Michael Jäkel hält den Tarifabschluss für T-Systems für ein „zufriedenstellendes Gesamtpaket«. Was meinst du dazu?
Thomas Frischkorn: Das sehe ich anders. Wir bekommen eine Lohnerhöhung von 3,5 Prozent für die nächsten zwei Jahre, obwohl die Forderung von ver.di 5,5 Prozent für ein Jahr war. Außerdem hat ver.di mit dem Tarifvertrag die Vernichtung von 4900 Arbeitsplätzen unterschrieben. Das halte ich für einen Fehler.
Als Gegenleistung gibt es Arbeitsplatzsicherheit …
… nur bis Ende 2017. Und was bitte ist ein Kündigungsschutz, der beginnt, sobald 4900 Stellen gestrichen wurden? Natürlich will T-Systems nach diesem Kahlschlag nicht sofort weitere Arbeitsplätze abbauen. Das ist kein Verhandlungserfolg von ver.di.
Habt ihr gestreikt?
Ja. Natürlich streiken bei T-Systems nicht so viele Kollegen wie bei Volkswagen. Aber wir hatten dieses Jahr die größten Warnstreiks unserer Geschichte.
Wie sieht ein Streik bei T-Systems aus?
Wir hatten bisher einen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von nur 16 Prozent. In meinem Betrieb in Darmstadt haben bisher von 2800 Kollegen immer etwa 50 gestreikt.
Klingt nicht berauschend.
Aber die angekündigte Vernichtung von Arbeitsplätzen hat mobilisierend gewirkt. Bei den ersten Warnstreiks vor Ostern haben zunächst immerhin 80 Kollegen gestreikt.
Als die Arbeitgeber auch in der dritten Verhandlungsrunde noch nicht bereit waren, ein Angebot vorzulegen, hat sich die zentrale Arbeitskampfleitung mit einem Brief an alle Mitglieder bei T-Systems gewandt. Die Formulierungen in diesem Brief haben sich deutlich von den bisherigen Gewerkschaftsinfos unterschieden: Es wurde offen zugegeben, dass die bisherige Streikbeteiligung nicht ausreicht, um die Arbeitgeber zu Zugeständnissen zu bewegen und wir mit dem Rücken zur Wand stehen.
Außerdem waren jedem Brief weitere Schreiben für Nichtmitglieder beigelegt. Damit sollten die ver.di-Mitglieder ihre noch nicht organisierten Kolleginnen und Kollegen zum Streik mobilisieren.
Hat das geholfen?
Nach Ostern hat sich die Zahl der Streikenden noch mal verdoppelt. Bei der vierten Verhandlungsrunde am 29. April standen 1200 Streikende aus allen deutschen T-Systems-Standorten vor dem Verhandlungslokal.
An diesem Tag hatten erstmals etwa 10 Prozent der Beschäftigten bei T-Systems gestreikt. Und zum ersten Mal entstand eine Eigendynamik: Streikende haben dafür gesorgt, dass komplette Teams in den Streik getreten sind. Teilweise wurden ganze Flure geräumt.
Die Argumentation begann sich umzukehren: Man musste nicht mehr begründen, warum man streikt, sondern auch, warum man nicht streikt. Sogar Kollegen, die gar keine Gewerkschaftsmitglieder sind, haben gestreikt, ohne Streikgeld zu bekommen.
Und dann …
… hat die ver.di-Verhandlungskommision das erste Tarifangebot, das vom Arbeitgeber vorgelegt wurde, angenommen.
Gab es eine Alternative?
Das Angebot hätte vor dem Abschluss im Betrieb diskutiert werden müssen. Stattdessen haben die Verhandlungsführer abgeschlossen und wie immer behauptet, sie hätten den bestmöglichen Abschluss ausgehandelt und bei einer Ablehnung würde alles noch schlimmer.
Die Arbeitgeber hatten inzwischen schon gemerkt, dass die Zeit gegen sie spielte. Leider hatten sie den Verhandlungsablauf weitgehend in der Hand. Sie konnten damit drohen, die Verhandlungen abzubrechen.
Wäre mehr drin gewesen?
Natürlich weiß ich, dass wir bei T-Systems noch nicht erzwingungsstreikfähig sind. Aber dieses Angebot hätte mit Sicherheit noch mal mobilisierend gewirkt.
Ich hätte daraus eine Aktion „Abstimmung mit den Füßen« gemacht: Alle Beschäftigten, die nicht mit dem Angebot einverstanden sind, sollen sich am Warnstreik beteiligen. Selbst wenn wir gescheitert wären, hätten die Kollegen gesehen, dass es an der zu geringen Zahl an Streikenden lag und nicht daran, dass die ver.di-Unterhändler sowieso machen, was sie wollen.
Ist es wirklich so schlimm?
Dieses Mal schon. Bei T-Systems Frankfurt hatten sich gerade Streikende vor dem Betrieb versammelt, als Kollegen sie fragten, warum sie noch draußen rumstehen. Die Gewerkschaft habe gerade abgeschlossen. In dieser entscheidenden Situation waren Tarifverhandlungen und Streiks völlig voneinander abgekoppelt.
Woran liegt das?
Der ver.di-Fachbereich „Telekommunikation / Informationstechnologie« hat sehr viel Streikerfahrung im Kernbereich des Telekom-Konzerns. Hier liegt die Hauptstreikmacht bei Service-Technikern oder in Call-Centern.
Die Streikstrategie richtet sich hauptsächlich an diesen Bereichen aus und das ist bei Tarifrunden im Telekom-Konzern auch richtig. Durch den frühen Abschluss der Telekom in dieser Tarifrunde stand aber T-Systems alleine da. Und dann zeigte sich überdeutlich, dass wir noch keine passende Streikstrategie für IT-Betriebe haben.
Wie könnte ver.di so eine Strategie entwickeln?
Es wird hauptsächlich gefragt, was passieren muss, damit sich die Beschäftigten an die Gewerkschaftsorganisation anpassen. Ich möchte die Frage umdrehen: Wie muss sich die Gewerkschaft an die betrieblichen Realitäten in der IT-Branche anpassen, um die Beschäftigten auch wirklich vertreten zu können?
Außerdem hat die ver.di-Führung grundsätzlich noch nicht erkannt, welche Möglichkeiten an gewerkschaftlicher Macht in der Informationstechnik steckt. In der Branche wird traditionell gut bezahlt und sie ist gewerkschaftlich schlecht organisiert. Deshalb traute uns die ver.di-Führung in der Vergangenheit nichts zu und suchte ihr Glück am Verhandlungstisch. Aber das ist ein Fehler.
Wieso?
Es ist wichtig, dass ver.di große Streik-Kampagnen in Konzernen wie Amazon macht, die sehr schlecht bezahlen. Aber wir müssen uns auch fragen: In welchen Branchen können wir mit Streiks den größten wirtschaftlichen Druck auf das Kapital ausüben. Und da kommt die Informationstechnik ins Spiel.
Die Computer-Nerds streiken und legen die Wirtschaft lahm? Klingt nach Science-Fiction.
Aber das muss es nicht sein. Nach nur drei Tagen Streik von 10 Prozent der Beschäftigten sind erstmals Projekttermine in Frage gestellt worden, weil wichtige Know-How-Träger nicht verfügbar waren. Wartungstermine wurden abgesagt, weil man nicht sicher war, ob im Fehlerfall die entscheidende Person arbeitet. Das heißt, wir haben mit unseren Streiks zum ersten Mal die „Produktion« von T-Systems in Ansätzen gestört.
Ein verschobener Termin ist noch keine Streikmacht.
Nein. Aber wir haben mit diesen Warnstreiks unseren Organisationsgrad auch von 16 auf 18 Prozent erhöht. Und T-Systems ist eben kein Einzelhändler, wo jeder mit Streikbrechern ersetzt werden kann. Wenn die Hälfte der Kollegen streiken würde, könnten wir das gesamte Unternehmen still stehen lassen.
Was würde das bedeuten?
Bei einem Vollstreik bei T-Systems würden nicht nur ein paar Autos weniger vom Band rollen. Wenn wir nicht arbeiten, kann zum Beispiel die Deutsche Post in ganz Deutschland kein einziges Paket ausliefern, weil das Scannen des Strichcodes nicht funktioniert.
Wir machen inzwischen auch weite Teile der Informationstechnik für E.ON. Mit einem gezielten Streik bei T-Systems könnten in vielen Konzernen buchstäblich die Lichter ausgehen.
Ist das wirklich denkbar? Informationstechniker verdienen doch so gut.
Unser Durchschnittsgehalt liegt bei 60.000 Euro im Jahr und es steigt kaum noch. Vor allem aber werden immer mehr unserer Arbeitsplätze vernichtet und ins Ausland verlagert. Der Arbeitsdruck hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Kolleginnen und Kollegen haben immer mehr das Gefühl, ein austauschbares Rädchen im Getriebe zu sein. Die Stimmung bei T-Systems ist auf dem Tiefpunkt, weil jeder Angst um seinen Job hat.
Woran merkt man das?
Seit zwölf Jahren werden bei uns immer mehr Stellen gestrichen. Als bei der letzten Betriebsversammlung ein Geschäftsführer behauptet hat, der jetzige Arbeitsplatz-Abbau sei der letzte, haben ihn die 1000 Teilnehmer laut ausgelacht.
Trotzdem seid ihr von größeren Streiks weit entfernt …
… und müssen deshalb diskutieren, wie wir bis zur nächsten Tarifrunde mehr Kollegen für einen Streik gewinnen. Zum Beispiel sollten die Streiks bei uns mehrere Tage vorher angekündigt werden und für die Beschäftigten nicht überraschend sein.
Damit das Unternehmen die Arbeit umorganisieren kann?
Das ist in der Informationstechnik nicht so schnell möglich. Aber die Kollegen müssen ihre Arbeit selbst so organisieren, dass ein Streik „eingepasst« werden kann.
Das ist nicht der Sinn eines Streiks.
Stimmt. Aber in der Informationstechnik haben die Leute das Problem, dass die Arbeit bei einem Streik nicht wegfällt, sondern sich am Arbeitsplatz stapelt und die folgenden Tage zur Hölle macht. Wir müssen unsere Arbeit alle weitgehend selbst organisieren und sind auch selbst verantwortlich, wenn sie nicht erledigt wird.
Das macht Streiks schwierig.
Aber man könnte neuen Kollegen den Zugang zum Streik erleichtern, wenn sie so langfristig davon erfahren, dass sie sich darauf einstellen können. In einem nächsten Schritt könnte man dann gemeinsam diskutieren, welche Arbeiten beim Streik tatsächlich ausfallen und zwar so, dass danach nicht irgendwer doppelt so viel leisten muss.
Dahin ist es ein weiter Weg …
… den wir jetzt beginnen müssen, damit die nächste Tarifrunde erfolgreicher wird. Ich bin überzeugt, dass in der Informationstechnik große Chancen für die Gewerkschaften liegen. Wir packen das an.
Die Fragen stellte Hans Krause.
Zur Person:
Thomas Frischkorn arbeitet als IT-Berater bei T-Systems Darmstadt. Er ist dort ver.di-Betriebsrat und war bei der Tarifrunde letzten Monat Mitglied der Streikleitung.
Mehr auf marx21.de:
- »Ich bin nicht Willy Brandt«: In der diesjährigen Tarifrunde im öffentlichen Dienst kam es bereits nach der zweiten Warnstreikwelle zu einem Ergebnis am Verhandlungstisch. Welche potenzielle Sprengkraft diese Tarifrunden jedoch haben, zeigt Jürgen Ehlers‘ Blick in die Vergangenheit
Schlagwörter: Amazon, Gewerkschaft, Gewerkschaften, Streik, Streiks, Ver.di, Warnstreik