Italiens radikale Rechte ist auf dem Vormarsch. Ihr Dreh- und Angelpunkt ist die einstige Regionalpartei Lega Nord und deren Führer Salvini. Eine Analyse der brandgefährlichen politischen Kraft und ihrer rasanten Radikalisierung. Von Britta Höpken und Henric Meyer
Als der italienische Innenminister und Vizepremier Matteo Salvini den Rettungsschiffen im Mittelmeer verbot, Geflüchtete nach Italien zu bringen, wurde deutlich, dass im Stiefelstaat ein neuer Wind weht und nun die radikale Rechte die Politik bestimmt. Mit der Lega sitzt eine rassistische und antidemokratische Partei an den Hebeln der italienischen Regierung.
Bereits drei Wochen nach der Parlamentswahl in diesem Frühjahr hatten sich die Kräfteverhältnisse zwischen der Lega (17,4 Prozent) und dem Movimento 5 Stelle (M5S, 33,3 Prozent) fast auf einen Gleichstand verschoben. Im Juni bei den Kommunalwahlen konnte die Lega weitere Stimmengewinne verzeichnen und hat zwischenzeitlich ihren Koalitionspartner in der Wählergunst überholt. Doch nicht nur Wählerinnen und Wähler fliegen der Partei zu, auch Abgeordnete, Mandatsträgerinnen und Mandatsträger anderer Parteien, insbesondere der abstürzenden Forza Italia von Silvio Berlusconi, wechseln zur Lega.
Um den Aufstieg und die Etablierung der Lega Nord verstehen zu können, lohnt ein Blick auf ihre Entstehung und Entwicklung.
Der Aufstieg der Lega Nord
Die »Lega Nord per l’indipendenza della Padania« (Liga Nord für die Unabhängigkeit Padaniens) wurde im Jahr 1991 als Zusammenschluss von sechs Regionalbewegungen gegründet. Der Name war Programm: Man strebte einen »padanischen Staat« an. »Padanien« ist der eigentlich geografische Begriff für die Regionen am Fluss Po und wird von der Lega noch immer als Synonym für den wirtschaftlich starken Norden Italiens verwendet.
Der Aufstieg der Lega Nord begann, als im Jahr 1992 die Mailänder Staatsanwaltschaft mit einer groß angelegten Antikorruptionskampagne die bis dahin regierende Fünf-Parteien-Koalition, das »Pentapartito«, zu Fall brachte und eine institutionelle Krise auslöste, in deren Folge die gesamte italienische Parteienlandschaft in Umbruch geriet. Es entstand ein politisches Vakuum, in dem sich neue Akteure ausbreiten konnten. Einer davon war Silvio Berlusconi, der Italien die folgenden zwei Jahrzehnte mit seiner Skandalpolitik beherrschen sollte. Ein anderer Gewinner war Umberto Bossi mit seiner Lega Nord.
Bossi gelang in den 1990er Jahren mit dem gegen die korrupte Regierung gerichteten Slogan »Roma ladrona« (Diebisches Rom) der Einzug seiner Partei ins italienische Parlament. Dass die Lega Nord und Bossi selbst in eine Korruptionsaffäre verwickelt waren, beeindruckte dabei offenbar niemanden.
In ihrer knapp dreißigjährigen Geschichte war die Lega Nord dreimal, insgesamt fast zehn Jahre, an Regierungen beteiligt, stets im Verbund mit der jeweiligen Berlusconi-Liste. Dabei erhielt sie im Schnitt zehn Prozent der Wählerstimmen, was nicht unbedeutend ist, wenn man bedenkt, dass die Lega Nord zunächst nur in den nördlichen Regionen antrat.
Nachdem Bossi selbst wegen Betrugs und illegaler Parteienfinanzierung zurücktreten musste, übernahm Matteo Salvini im Jahr 2013 das Ruder. Bossi blieb Ehrenpräsident.
Salvini und der Weg zur Macht
Die politische Laufbahn Salvinis begann in den frühen 1990er Jahren in der Jugendorganisation der Partei. Mit Geert Wilders und den Le Pens als politischen Vorbildern startete er eine steile Parteikarriere: 2004 Europaabgeordneter, 2008 Parlamentsabgeordneter, 2009 erneut Europaabgeordneter und schließlich Parteisekretär der Lega Nord.
Auch als Innenminister tritt Salvini noch gerne im offenen Hemd mit Jeans auf. Damit versucht er auch äußerlich seine Distanz zur Führungskaste Italiens zu betonen.
Salvini ist ein intensiver Nutzer sozialer Medien als Mittel seiner rassistischen politischen Agitation – mehrmals am Tag werden auf mindestens fünf verschiedenen Profilen Beiträge veröffentlicht, in denen er gegen Migrantinnen, Roma und Europa hetzt. Die Botschaften kommen im aufgeheizten politischen Klima Italiens an: Seine Beiträge werden in der Regel zwischen 20.000 und 40.000-mal gelikt und mehrere tausend Male geteilt, einige der Facebook-Profile haben mehr als 3 Millionen Likes, auf Twitter folgen ihm über 800.000 Userinnen und User.
Salvinis konstante Tabubrüche, die in der Bevölkerung auf wachsende Zustimmung treffen, sollen das M5S zum Bruch der Koalition reizen, damit es zu Neuwahlen kommt, die Salvini nach aktuellen Umfragen zum Premierminister machen würden. Mit dem Slogan »Salvini Premier«, der sich sogar auf dem aktuellen Parteilogo findet, wird diese Absicht auch eindeutig kommuniziert, häufig gekoppelt mit Heilsversprechen wie »Pace Fiscale« (Schuldenfrieden) oder »Il Buonsenso al Governo« (Gesunder Menschenverstand an die Macht).
Führerpartei und Rassismus
Kurz vor der Parlamentswahl 2018 erhob Salvini die bis dahin regionale Bewegung zu einer gesamtitalienischen Partei, die fortan als Lega auftrat, wenngleich sie offiziell ihren alten Namen beibehielt. Mittlerweile ist die Partei auf 120.000 Mitglieder angewachsen. An ihrem alljährlichen Aufmarsch im lombardischen Dorf Pontida nahmen dieses Jahr mehr als 50.000 Parteimitglieder und Sympathisanten teil.
Die Lega ist ganz im Sinne einer Führerpartei auf ihren Sekretär Salvini zugeschnitten. Andere Vertreterinnen und Vertreter spielen kaum eine Rolle. So gibt es auf der Website der Partei keinerlei Hinweise auf andere Vorstandsmitglieder, deren Aufgaben oder gar inhaltliche Positionen. Die verschiedenen Strömungen innerhalb der Partei konkurrieren nicht um ein anderes Politikmodell, sondern allein um die Nähe zu Salvini – ein klassisches Kennzeichen faschistischer Parteien.
Die Lega – und das ist die ideologische Konstante seit der Gründung bis heute – will die historisch entstandene Spaltung Italiens in Nord und Süd nicht verringern oder gar auflösen, sondern vielmehr vertiefen. Seit ihren Anfangstagen hetzte die Partei gegen Süditaliener und diffamierte sie als »terroni« (Erdfresser). Die »süditalienische Kultur«, so die Vorstellung, sei nicht vereinbar mit der »Leistungskultur« Norditaliens. Der Norden müsse sich von diesen »Schmarotzern« befreien, um Wohlstand zu erreichen. Jetzt, wo sie national agiert und keinen Sezessionismus mehr predigen kann, propagiert sie einen Föderalismus mit größtmöglicher Unabhängigkeit der Regionen bis hin zur de facto Auflösung der Staatlichkeit Italiens.
Seit dem Beschluss der Führung der Lega, die Partei auf ganz Italien auszudehnen, wird mit denselben oder ähnlichen Parolen nun gegen Zuwanderer, Roma und Sinti und andere Minderheiten gehetzt. Vorgestern polemisierte die Lega Nord also gegen Süditaliener, gestern ließ sie Roma-Siedlungen ohne Ankündigung plattwalzen und heute geraten Geflüchtete ins Fadenkreuz ihrer rassistischen Agitation.
Einwanderung wird als »Invasion« verstanden – eine Invasion, die von der Europäischen Union gesteuert und insbesondere von Angela Merkel zu verantworten sei, um Italien und die »italianità«, also das Italienischsein, zu zerstören. Italien ist in diesem Weltbild ein unterdrücktes Land, das sich selbst verteidigen muss. Der Slogan »Schiavi dell’Europa? No, grazie!« (Sklaven Europas? nein danke!) zeugt davon.
Radikalisierung und Gewalt
Die rassistische Hetze der Lega Nord äußert sich nicht nur verbal. Parteispitze und Anhänger sind mehr als gewillt, ihre Worte in Taten umzusetzen. Das zeigte sich ebenfalls bereits in den Anfängen der Partei: In Gewaltphantasien schwelgte schon Umberto Bossi, als er die Norditaliener bewaffnen wollte, damit sie sich selbst gegen Rom verteidigen könnten. Ähnliche Ideen hegt nun Salvini, der im Jahr 2016 einen viermonatigen Dienst zum Erlernen des Gebrauchs von Schusswaffen für alle jungen Männer vorschlug und erst kürzlich eine Gesetzesänderung zum Recht auf Selbstverteidigung mit einer Schusswaffe bei Einbrüchen und ähnlichen Fällen auf den Weg brachte. Der Parteiführer ließ sich im Wahlkampf auch gerne einmal mit einem Gewehr in der Hand ablichten.
Die Botschaft kam an: In Macerata schoss ein ehemaliger Kommunalpolitiker der Lega wahllos auf Migranten und streckte bei der Festnahme die Hand zum »Saluto Romano« aus, dem italienischen Pendant zum Hitlergruß. Die Reaktion Salvinis ließ nicht lange auf sich warten. Er ließ verlautbaren, es sei ja ganz klar, »… dass eine außer Kontrolle geratene Einwanderung, eine Invasion, wie sie in den letzten Jahren organisiert, gewollt und finanziert wurde, zu sozialen Zusammenstößen führen müsse«.
Dass die Lega Nord sich unter Salvini weiter radikalisiert, zeigen auch Kollaborationen mit der rechtsnationalistischen Partei Fratelli d’Italia, deren Wurzeln im neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) liegen, und mit der offen faschistischen Casa Pound, deren Schlägertrupps zur Bewachung von Lega-Wahlveranstaltungen herangezogen wurden.
Eindeutige Signale an die neofaschistische Rechte sendet Salvini auch noch als Innenminister, etwa als er am 29. Juli, dem Geburtstag des faschistischen Diktators Mussolini, diesen mit den Worten »Tanti nemici, tanto onore«, (»Viel Feind, viel Ehr«) zitierte.
Auf europäischer Ebene schmiedet Salvini Bündnisse mit Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National (ehemals Front National). Das geht so weit, dass die beiden gemeinsam auf Plakaten für den Europawahlkampf 2019 posieren. Außerdem sucht Salvini den Schulterschluss mit den rechtsradikalen Parteien der Visegrád-Staaten und der neofaschistischen FPÖ in Österreich. Im Europaparlament gehört die Lega der »Bewegung für ein Europa der Nationen und der Freiheit« an, ein Sammelbecken für rechtsradikale und nationalistische Strömungen.
Eine modernisierte faschistische Partei im Werden
Gewalt und Rassismus sind die Pfeiler der Lega Nord. In der Wirtschafts- oder Sozialpolitik bleibt die Partei hingegen vage und setzt nach wie vor auf neoliberale Prinzipien, was sie von klassisch faschistischen Parteien und deren national-sozialer Rhetorik unterscheidet. Zwar will sie die neoliberalen Arbeitsmarktreformen der Vorgängerregierung unter Matteo Renzi rückgängig machen, zum Thema Finanzen fällt ihr jedoch nicht viel mehr ein als eine Einheitsteuer auf alle Haushaltseinkommen und die Rückkehr zur Lira. Wirtschaftspolitisch setzt sie auf eine Förderung der Industrie, ohne jedoch genauere Angaben zu machen, wie diese aussehen soll. Außenpolitisch übt sie sich im Schulterschluss mit Putins Russland.
Rassismus, ideologische Anknüpfungen zum historischen Faschismus, enge Vernetzung mit neofaschistischen Gruppierungen in Italien und Europa, Gewaltbereitschaft, Führerprinzip und eine rasante Radikalisierung markieren die Lega als eine modernisierte faschistische Partei im Werden.
Die Stärke der Lega ist auch Ausdruck der Erosion der konservativen Milieus sowie der Schwäche der italienischen Linken, die gespalten und uneins ist. Das bürgerliche Lager ist nach den von Silvio Berlusconi angerichteten politischen und kulturellen Verheerungen weder willens noch in der Lage, Politik jenseits von Korruption, Misswirtschaft und Klientelismus zu betreiben. Die sozialdemokratische Partito Democratico (PD) hat unter Matteo Renzi mit ihrem neoliberalen Reformkurs ihre Basis und das Vertrauen in der Arbeiterklasse verloren. Die einst große Partito Communista Italiano (PCI) existiert nur noch in Legenden.
Angesichts dieser Lage wird es darauf ankommen, ob der italienischen Linken parlamentarisch und außerparlamentarisch ein neuer Aufbruch gelingt. Hoffnung geben die großen antifaschistischen Proteste im Vorfeld der Parlamentswahl, wie auch die Demonstration von 30.000 Menschen in Macerata nach den Schüssen auf Migranten. Im Juli demonstrierten Tausende in der Grenzstadt Ventimiglia gegen Rassismus und gegen die Abschottungspolitik Europas. In den sozialen Medien gehen Videos viral von Menschen, die in Bus oder Bahn spontan die antifaschistische Hymne »Bella ciao« anstimmen.
Italien braucht eine antifaschistische Massenbewegung, auch gegen die Lega, und eine geeinte Linke, die das Feld nicht den rechten Demagogen und Faschisten überlässt, sondern der anhaltenden sozialen Misere glaubwürdig den Kampf ansagt.
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Schlagwörter: Faschismus, Italien, Rassismus