Der große Finanzkrach 2007/2008 überschattet weiterhin die Weltwirtschaft. Ende Januar war in den Wirtschaftsmedien die große Nachricht, dass die US-Zentralbank, die Federal Reserve Bank (»Fed«), ihre Leitzinsen nicht weiter erhöht hat. Der Versuch, in den USA wieder zu einer normalen Geldpolitik mit Zinsen deutlich über null zurückzukehren, ist damit erstmal gescheitert, meint Alex Callinicos
Dass die US-Zentralbank Ende Januar ihre Leitzinsen nicht weiter erhöht hat, war ein sehr bedeutsames Nicht-Ereignis. Um das zu erklären, müssen wir uns in Erinnerung zurückrufen, wie die führenden kapitalistischen Staaten aus der Großen Rezession, die vom großen Crash ausgelöst worden war, herausgekommen sind. Wesentlich war, dass sie die neoliberale Ideologie nicht berücksichtigten und stattdessen fleißig Geld ausgaben. Das bedeutete zusätzliche Staatsverschuldung. Aber mit Hilfe eines gewieften politischen Manövers durch die herrschenden Medien und die überlebenden Banken definierten sie dies bald zur »Staatsschuldenkrise« um. Das Ergebnis war die Austeritätspolitik mit dem Ziel, die öffentlichen Ausgaben zu senken. Aber die Volkswirtschaften waren immer noch zu schwach, um es ohne staatliche Stütze zu schaffen. Die Zentralbanken kamen zu Hilfe. Sie hatten spätestens im neoliberalen Zeitalter die Kontrolle darüber gewonnen, wie viel Geld sie in Umlauf bringen und wie hoch sie ihre Leitzinsen setzen würden.
»Quantitative Easing« der Zentralbanken
Die so sich ergebende aktive Geldpolitik hatte speziell die Form der »quantitativen Lockerung« (quantitative easing, QE). Die privaten Geschäftsbanken konnten ihre Forderungen (Schuldscheine), die sie gegenüber Regierungen und Privatfirmen besaßen, den Zentralbanken verkaufen und kamen so zu Geld. Die Idee war, dass die Banken dieses Geld dann nutzen sollten, um es Unternehmen für Investitionen zu leihen.
Als dies nicht klappte, probierten die Zentralbanken andere Methoden aus. Zum Beispiel führten sie negative Zinssätze ein. Dies belastete die Banken, die ihr Geld bei den Zentralbanken parkten. Aber der Plan der Zentralbanken war immer, die Geldpolitik so früh wie möglich wieder zu »normalisieren«. Sie wollten mit anderen Worten die Leitzinsen von ihren extrem niedrigen Niveaus aus, auf die sie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise abgesenkt worden waren, wieder anheben und sie wollten auch die Quantitative Lockerung bald wieder beenden. Dahinter standen zwei Gedanken. Erstens die Annahme, dass der Crash und die Große Rezession nur ein kurzer Einbruch des grundsätzlich gesunden und wachsenden kapitalistischen Systems sein würde. Nach Überwindung der Nachwirkungen könnte zur neoliberalen »Normalität« zurückgekehrt werden.
Inflation
Zweitens geht die orthodoxe Ökonomie von der sogenannten Quantitätstheorie des Geldes aus. Diese Theorie behauptet, dass wenn die Geldmenge zu schnell erhöht wird, dies zu höherer Inflation führt. Deshalb warnten viele Ökonomen, dass die Quantitative Lockerung zu sehr hoher Inflation führen würde. Doch der Weg zur »Normalität« erwies sich als schwierig, wie verschiedene Chefs der US-Zentralbank feststellen mussten. 2013 deutete der damalige Chef der Fed Ben Bernanke an, dass er die Geldschöpfung, die Erhöhung der Geldmenge, drosseln würde (»to taper«). Im darauf folgenden »taper tantrum« (etwa »Drossel-Koller«) drehten die Finanzmärkte durch. Bernanke musste rasch zurückrudern. Seine Nachfolgerin Janet Yellen fing aber erneut damit an, die Quantitative Lockerung zu drosseln und die Leitzinsen zu erhöhen. 2016 musste sie dies aber erst einmal stoppen, als die chinesische Wirtschaft in ernste Schwierigkeiten geriet.
Vor einem Jahr setzte Donald Trump Jay Powell an die Stelle von Yellen. Trump wurde wütend, als Powell die Politik von Yellen wieder aufnahm und schrittweise die Leitzinsen anhob. Die Fed kauft auch nicht mehr neue Schuldscheine nach, wenn die alten fällig werden, also von den Staaten und Firmen, die sie ursprünglich ausgegeben hatten, wieder zurückgekauft werden müssen. Das heißt, die Fed pumpt kein neues Geld mehr in das Bankensystem. Trump fürchtete, dass die Fed so den Wachstumsschub abwürgen würde, dessen sich die US-Wirtschaft seit Trumps Wahl zum Präsidenten erfreute. Aber die orthodoxen Ökonomen in der Fed befürchteten, dass die sinkende Arbeitslosigkeit zu höherer Inflation führen würde. Niedrigere Arbeitslosigkeit könnte die Arbeiter und Arbeiterinnen dazu ermutigen, für höhere Löhne Druck zu machen.
»Das Ende des Normalen«
Tatsächlich ist aber Inflation ein weiteres bedeutsames Nicht-Ereignis. Die Zentralbanken hatten Mühe, die Preise gemäß ihrer angestrebten Zielrate, gewöhnlich zwei Prozent Inflation, steigen zu lassen. Die Arbeitslosenzahlen sehen nämlich besser aus, als sie tatsächlich sind. Viele Menschen haben es aufgeben nach einem Arbeitsplatz zu suchen. Sie haben sich so von der Arbeitslosenstatistik abgemeldet.
Als Hauptgrund für den Stopp der Leitzinserhöhungen Ende Januar nannte aber Powell »Seitenwinde« von der Weltwirtschaft. Dazu gehört der beginnende Handelskrieg zwischen den USA und China, die wirtschaftliche Abschwächung in der Eurozone und die Verunsicherung durch einen womöglich harten Brexit. Aber der eigentliche Grund ist, dass der globale Kapitalismus, der immer noch stark mit der Ideologie des freien Marktes verbandelt ist, es ohne staatliche Stütze einfach nicht schafft. Das macht das »Ende des Normalen« aus, von dem der linke Ökonom James Galbraith gesprochen hat.
Der Artikel erschien ursprünglich auf englisch in Socialist Worker, Dienstag, 5. Februar 2019, Ausgabe No. 2640. Übersetzung von Thomas Weiß
Foto: AgnosticPreachersKid
Schlagwörter: Bankenkrise, Finanzkrise, Kapitalismus, Krise, USA, Zentralbanken