Tolerierung ist nicht die »weiche« Alternative zu einer Regierungsbeteiligung. DIE LINKE in Hessen hat andere Möglichkeiten, in der jetzigen Situation im Interesse ihrer Wähler zu agieren. Ein Kommentar von marx21
Durch das andauernde Patt in Hessen ist die Debatte um mögliche Koalitionsmodelle in vollem Gange. Der ehemalige SPD-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt Reinhard Höppner empfiehlt eine rot-grüne Minderheitsregierung, die von der LINKEN toleriert wird. Das ähnelt dem so genannten »Magdeburger Modell«: Höppner war acht Jahre lang Chef einer von der PDS geduldeten Minderheitsregierung. Von 1994-1998 tolerierte die PDS Rot-Grün, zwischen 1998 und 2002 duldete sie eine SPD-Minderheitsregierung.
Auch Oskar Lafontaine hatte im Vorfeld der Wahlen die Tolerierung ins Gespräch gebracht. In Sachsen-Anhalt habe die Tolerierung vor einigen Jahren »ganz gut funktioniert«, betonte Lafontaine. Doch er liegt falsch. Das »Magdeburger Modell« war schlecht. Diese Option ist nicht besser als eine Regierungsbeteiligung und DIE LINKE in Hessen sollte sie ablehnen.
De facto war die Tolerierung in Sachsen-Anhalt eine Regierungsbeteiligung der PDS, deren Grundlage ein Tauschgeschäft war: Die PDS bekommt Mitspracherecht bei der Ausgestaltung des Regierungsprogramms und darf Schwerpunkte wie zum Beispiel den Erhalt der Infrastruktur der Kinderbetreuung mitbestimmen. Dafür trägt die PDS mit ihren Stimmen die Grundlinie der Regierung mit, nämlich Haushaltskonsolidierung. Auch wenn die Partei formell nicht in die Regierungskoalition eingebunden war, liefen die Absprachen der Fraktionsspitzen faktisch auf eine Art Koalitionsausschuss hinaus.
Angesichts der dramatischen Haushaltslage des besonders stark von der Deindustrialisierung betroffenen Landes fiel auch der Sparkurs rigide aus. Im Reigen der Mittelkürzungen gingen auch die linken Projekte der PDS unter.
Davon profitierte die neonazistische DVU: Sie lenkte mit einer Kampagne die Wut über Sozialabbau gegen Ausländer und zog 1998 mit 13 Prozent in den Landtag ein. Trotz dieser Warnung wurde die Tolerierung fortgesetzt. Bei den Verhandlungen zum Haushalt 2000 kam es dann knüppeldick für die PDS. Der neue Haushalt beinhaltet neben Streichungen bei der kommunalen Finanzausstattung und bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erstmalig einschneidende Kürzungen im Bereich der Kinderbetreuung. Großes Wahlversprechen der PDS war, bis zum Letzten gegen Mittelkürzungen in diesem Bereich zu kämpfen. Doch dann stimmte sie den Kürzungen zu. Bei einer Demonstration Anfang 2000 von Elternverbänden, Studentenräten und Gewerkschaften griffen die Demonstranten explizit die PDS für ihren Wortbruch an.
Die PDS hatte sich erpressen lassen. Höppner hatte regelmäßig den Schwarzen Peter zur PDS geschobent: Sie als „Zünglein an der Waage« sei dafür verantwortlich, Rot-Grün beziehungsweise die SPD drin und die Schwarzen draußen zu halten. Dadurch wurde die PDS diszipliniert. Letztendlich hat 2002 die CDU die Regierung übernommen.
Die Lehre für Hessen: Tolerierung ist nicht die »weiche« Alternative zu einer Regierungsbeteiligung.
DIE LINKE in Hessen hat andere Möglichkeiten, in der jetzigen Situation im Interesse ihrer Wähler zu agieren. Sie kann Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin wählen, um der »Koch muss weg«-Stimmung zu entsprechen. Darüber hinaus muss sie mit ihren Inhalten in die Offensive gehen. Die Linksfraktion in Hessen plant, die Aufhebung der Studiengebühren als einen der ersten Anträge in den hessischen Landtag einzubringen und fordert SPD und Grüne auf, ihren Wahlversprechen folgend diesen Antrag zu unterstützen. Das ist eine gute Politik, um abseits einer formalen Tolerierung oder Koalition linke Politik nachvollziehbar aufs Tapet zu bringen. Wichtige Punkte um im Landtag begrenzte Bündnisse auf inhaltlicher Grundlage zu schließen hat Dieter Hooge in einem Offenen Brief an Andrea Ypsilanti benannt.
Desweiteren, und das ist das eigentlich Zentrale, kann die LINKE immer mobilisieren für gesellschaftliche Veränderungen – zum Beispiel in Solidarität mit den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst in ihrer Tarifbewegung.