Die Instabilität und das Chaos in Italien sind das Produkt neoliberaler Politik und von der Linken versäumter Möglichkeiten. Von Phil Rushton, Neapel
Das Chaos des sich in den Straßen von Neapel ansammelnden Mülls und der politischen Krise, die Italien erfasst hat, sind kein Ausdruck italienischer Korruption und Inkompetenz.
Dieser Aufruhr wird von den desaströsen Strategien einer herrschenden Klasse verursacht, die verzweifelt versucht, Konkurrenzfühigkeit auf der europäischen und globalen Ebene herzustellen.
Die Mitte-Links-Koalition von Romano Prodi trat ihr Amt vor 20 Monaten an, inmitten von Feiern anlässlich des Endes der fünfjährigen Regierungszeit von Silvio Berlusconi. Italiens reichster Geschäftsmann steckte am Ende seiner Amtszeit in einem Sumpf aus Korruptionsvorwürfen.
Prodis Regierung fiel, weil sie keine ausreichende Mehrheit mehr hatte. Sie verlor diese Mehrheit, nachdem Clemente Mastellao im vorigen Monat als Justizminister zurücktreten musste. Seine Frau, die Provinzvorsitzende der Campania um Neapel, war wegen angeblicher Bestechung unter Hausarrest gestellt worden. Gegen Mastella wurde bereits nach dem Bankrott von Neapels Fußballklub ermittelt, dessen Vizepräsident er war.
Freier Markt statt Soziales
In der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts war Italien das Zentrum von Massenprotesten: gegen den G8-Gipfel in Genua im Jahr 2001, gegen den Irakkrieg und die neoliberalen „Reformen". Prodi und die Demokratische Partei (größte Partei des Mitte-Links-Bündnisses, die Redaktion) haben es allerdings bewusst vermieden, eine Massenbasis in den nach Genua entstandenen Bewegungen zu suchen.
Dies demobilisierte die Massenbewegungen und führte zu einer hauchdünnen Mehrheit, die Prodis Regierung im Amt hielt.
Prodi begann sein Amt unter dem Zeichen der Suche nach einem effizienteren italienischen Kapitalismus, der von den Prinzipien des freien Marktes geprägt sein sollte – und nicht von Schmiergeldern.
Prodis Regierung achtete darauf, nicht zu irgendwelchen Reformen zu ermutigen, die die Masse der Bevölkerung dazu hätten inspirieren können, umfassendere soziale und wirtschaftliche Forderungen zu stellen.
Berlusconi wartet auf seine Chance, wieder an die Macht zu gelangen. Den Großunternehmern hingegen ist er zu eigennützig. Sie würden eine „große Koalition" zwischen der Demokratischen Partei und Berlusconis Forza Italia unter der Leitung einer „nicht-politischen" Figur vorziehen. Der Name des Präsidenten der italienischen Zentralbank wird oft genannt.
Müllkrise
Die gleiche Logik, die Prodis Regierung zu Grunde lag, kommt auch hinter der Müllkrise in Neapel zum Vorschein. Die von einer Mitte-Links-Koalition geführte regionale Verwaltung hat sich jahrelang vor einer politischen Strategie gedrückt, die auf realen sozialen Reformen basiert – zu Gunsten rein kosmetischer Veränderungen und Koalitionen mit angeblich progressiven Teilen des Großkapitals. Doch das Großkapital sieht Riesenprofite im Bau von Megaverbrennnungsanlagen.
Es war keine Überraschung, dass die lokale Bevölkerung rebellierte. Sie wandte sich gegen Pläne, den Müll in Gegenden abzuladen, die eigentlich für die Nahversorgung vorgesehen waren.
Viele sorgten sich auch um die angsterregenden Konzentrationen von Schadstoffen in der lokalen Umwelt – mittlerweile ein offenes Geheimnis und Gegenstand gerichtlicher Verfolgung.
Rifondazione Comunista
Inmitten all dessen könnte man erwarten, dass die linke Partei Rifondazione Comunista, die in den Genua- und Antikriegsprotesten so zentral war, eine führende Rolle gespielt hätte.
Aber Rifondazione war Teil der Prodi-Regierung und wurde mit dem Argument zurückgehalten, dass man nicht riskieren könne, die Regierung zu Fall zu bringen. Dafür war sie sogar bereit, für die andauernde italienische Militärpräsenz in Afghanistan zu stimmen. Das Resultat ist weitverbreitete politische Verwirrung in den sozialen Bewegungen.
Neuformierung des Widerstands
Die gute Nachricht in alledem ist, dass der Nachrichtenagentur ANSA zufolge der Streikpegel in Italien seinen Höchststand seit 2000 erreicht hat. Basisproteste gegen Wasserprivatisierung sind lebendig und erfolgreich. Erst letzte Woche beschloss die örtliche Obrigkeit in Nola bei Neapel, das Wasser zurück unter lokale Kontrolle zu nehmen, trotz Drohungen mit rechtlicher Aktion von den Multis.
Die Antikriegsbewegung liegt danieder, ist aber nicht tot. Im Dezember demonstrierten 100.000 in Vicenza gegen den Aufbau eines neuen US-Militärstützpunktes.
In den kommenden Monaten plant die antikapitalistische Linke eine Reihe von Foren, um sich neu aufzustellen. Es ist an der Zeit, Widerstand zu leisten und uns wieder aufzubauen.
Zum Autor:
Phil Rushton ist ein Mitglied der linken Sinistra Critica-Gruppe in Italien
(Übersetzung aus dem Englischen von Carla Krüger)