Nach der Europawahl ist in der LINKEN eine Debatte über die Ursachen des mäßigen Ergebnisses und die Schlussfolgerungen für die anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland entfacht. Wir sprachen mit Christine Buchholz über die Gemengelage in der Partei und die Perspektiven für einen linken Aufbruch
Christine Buchholz ist Bundestagsabgeordnete der LINKEN sowie Mitglied des Parteivorstands.
marx21: In der Bundestagsfraktion der LINKEN wurde recht kontrovers über die Interpretation der Ergebnisse der Europawahl diskutiert. Kannst Du uns einen Einblick in die Debatte geben?
Christine Buchholz: Es gibt eine ähnliche Gemengelage wie in der Vergangenheit, bei der sich das politische Lager um die Fraktionsführung gegen den Kurs der Parteivorsitzenden stellt. Mit Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch haben sich zwei politisch unterschiedliche Lager zu einem Machtbündnis in der Bundestagsfraktion zusammengeschlossen – das sogenannte Hufeisen. Das Hufeisen-Spektrum macht den Kurs der Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger sowie den Rückzug von Sahra Wagenknecht für die insgesamt unbefriedigenden Wahlergebnisse verantwortlich.
Klingt nach einem unpolitischen Machtkampf.
Nein, es gibt auch inhaltliche Differenzen. In den letzten beiden Jahren hatten wir einen Streit um die Migrationspolitik. Jetzt hatten wir zunächst eine Diskussion über die Bewertung der Wahlergebnisse der Grünen und den Stellenwert der Klima- und Umweltpolitik für DIE LINKE.
Linke Antworten auf Klimakrise
Geht es dabei um die gleiche Frage, also inwieweit DIE LINKE mit einer progressiven Flüchtlings- bzw. Klimapolitik ihr Kernklientel in der Arbeiterklasse verschrecken würde?
Im Prinzip ja. Doch genau wie in der Flüchtlingsdebatte gilt: Es ist schlicht falsch zu glauben, dass sich Arbeiterinnen und Arbeiter, Erwerbslose oder Rentnerinnen und Rentner nicht für Antirassismus oder Umweltfragen interessieren: Unter weiblichen Gewerkschaftsmitgliedern bekamen die Grünen am meisten Stimmen, ebenso bei Gewerkschaftsmitgliedern unter 30 Jahren.
Wir können der Klimafrage nicht ausweichen, sondern müssen zeigen, dass DIE LINKE die besten Positionen und Forderungen hat, um den Klimakollaps zu verhindern
Also muss DIE LINKE »grüner« werden?
Nein. Die Frage ist doch nicht, ob wir uns zum Klimaschutz positionieren, sondern wie. Die IG Metall hat gerade erst 50.000 ihrer Mitglieder unter dem Motto #FairWandel zu einer Demonstration in Berlin mobilisiert. Sie schreibt: »Ökologie und Soziales dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. (…) Nun müssen Arbeitgeber und Politiker endlich liefern.«
Was bedeutet das für die Klimapolitik der LINKEN?
Dass die Klimafrage eine Klassenfrage ist. Wir brauchen ein scharfes antikapitalistisches und konzernkritisches Profil in der Klimafrage und müssen dafür kämpfen, dass die Konzerne die Rechnung bezahlen, nicht die Arbeiterklasse. DIE LINKE muss radikaler werden und offensiver!
Was gibt es für alternative Vorschläge zu einer offensiven linken Klimapolitik in der Fraktion?
Abgeordnete aus dem Wagenknecht-Lager argumentieren, DIE LINKE müsse stattdessen die EU schärfer kritisieren und das friedenspolitische Profil der Partei hochfahren.
Das klingt auch beides richtig.
Ich bin sehr dafür, die EU stärker zu kritisieren und auch für ein starkes friedenspolitisches Profil, aber wir dürfen das nicht gegeneinanderstellen. Wir können der Klimafrage nicht ausweichen, sondern müssen zeigen, dass DIE LINKE die besten Positionen und Forderungen hat, um den Klimakollaps zu verhindern.
Ist das denn so?
Die Grünen haben die Kompetenzwerte und den Zuspruch in Umweltfragen zu Unrecht, denn sie können mit ihrer Orientierung auf grüne Marktwirtschaft den Klimawandel nicht stoppen. DIE LINKE kann hier andere Antworten geben: Es ist die kapitalistische Produktionsweise, die effektiven Klima- und Umweltschutz verhindert. Deshalb wollen wir die Konzerne in die Pflicht nehmen, sie zwingen, anders zu produzieren, anstatt die Verbraucherinnen und Verbraucher für den Konsum zu bestrafen.
In der aktuellen Klimabewegung tritt DIE LINKE bislang kaum als wahrnehmbare Kraft in Erscheinung. Wie kann sie das ändern?
Wenn wir die eigenen Positionen und Ideen weiterentwickeln, wie wir die Erderwärmung begrenzen wollen, dann können wir auch eine starke Rolle in der Klimabewegung spielen und dort in der Breite an Zuspruch gewinnen. Unsere Forderungen müssen sich allerdings von den Konzepten von Grünen und SPD unterscheiden. Während diese unter anderem mit der Idee einer CO2-Steuer auf marktkonforme Instrumente setzen, die in der Praxis nicht nur wenig wirken, sondern auch noch vor allem die lohnabhängige Bevölkerung treffen, sollte DIE LINKE auf die Vergesellschaftung der Energiekonzerne, die Beendigung des Braunkohleabbaus sowie die Stärkung des ÖPNV fokussieren. Diese antikapitalistischen Forderungen der LINKEN müssen wir viel bekannter machen und in der Bewegung dafür werben.
Schwäche bei der Europawahl
Wie bewertest Du das Ergebnis der Europawahl insgesamt?
Wir erleben eine rasant schwindende Bindekraft der Regierungsparteien – insbesondere der Sozialdemokratie, die sich nicht aus der GroKo heraus erneuern und ihren Niedergang aufhalten kann. Der Aufstieg der AfD wurde zwar etwas gebremst, aber auf gefährlich hohem Niveau. Die breite antirassistische Bewegung mit Demonstrationen wie #unteilbar oder #ausgehetzt, den Aktivitäten von Aufstehen gegen Rassismus und den zahlreichen Mobilisierungen gegen die AfD hat ihrem Vormarsch einen Dämpfer verpasst. Zudem dominierten anstelle der Migrationsdebatte – durch soziale- und Umweltbewegung gesetzt – andere Themen den gesellschaftlichen Diskurs rund um den Wahlkampf, etwa Mieten oder Klima.
Der Hauptgewinner sind die Grünen, die ganz klar wegen der durch die Fridays for Future-Bewegung ins Zentrum gerückten Klimafrage massiv an Stimmen hinzugewannen. Außerdem wirkten die Grünen – trotz erheblicher interner Differenzen – nach außen als eine Partei, die eindeutig ist. Das konnte man nach den Debatten der letzten zwei Jahre von der LINKEN nicht behaupten.
Wie erklärst Du Dir das schwache Abschneiden der LINKEN?
Zunächst lohnt es sich genauer hinzusehen: Bei der LINKEN setzt sich der Trend der letzten Jahre fort: größere Verluste im Osten und schwache Zugewinne im Westen. Trotz eines Anstiegs der Wahlbeteiligung um mehr als 13 Prozentpunkte – das sind 8 Millionen Wählerinnen und Wähler – hat DIE LINKE auch in absoluten Zahlen fast 110.000 Stimmen verloren. In allen ostdeutschen Ländern und in Rheinland-Pfalz ging die Zahl der absoluten Stimmen zurück. In allen anderen westdeutschen Ländern wurden etwas mehr Stimmen geholt. Dennoch konnten wir in keinem einzigen Bundesland unser prozentuales Ergebnis verbessern.
Wir müssen aufzeigen, wie bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen erkämpft werden können. Da gibt es eine große Leerstelle in der LINKEN
Was sind die Ursachen dafür?
Augenfällig ist, dass wir in der Umweltthematik weit weniger stark profiliert sind als die Grünen und in den Augen der Wählerinnen und Wähler entsprechend deutlich niedrige Kompetenzwerte haben.
Aber ein schärferes ökologisches Profil ist doch kein Allheilmittel.
Nein, aber es ist ein wichtiger Baustein. Hinzu kommt, dass unser Profil zur EU zwischen wenig greifbarer Grundsatzkritik und dem ebenso wenig greifbaren Appell für ein soziales Europa schwankt. Es blieb unklar, was DIE LINKE auf dieser Ebene erreichen kann und auch was unsere Fraktion im Europaparlament tut.
Im Kontrast dazu steht das gute Abschneiden der Spaßpartei DIE PARTEI, deren Abgeordneter Martin Sonneborn öffentlich sehr profiliert im und zum EU-Parlament mit Anti-Establishment-Kurs aufgetreten ist und im Wahlkampf mit einem TV-Spot gegen das Sterben im Mittelmeer zuspitzte.
Da kommt ein weiterer wichtiger Punkt hinzu: Durch die Debatte zur Migrationspolitik, sind wir in der Frage Migration und Rassismus nicht immer als Bollwerk gegen die Rechtsentwicklung wahrgenommen worden. Das hatten wir – trotz eindeutiger Positionierung in den Wahlkämpfen in Hessen und Bayern – schon bei den Landtagswahlen 2018 zu spüren bekommen.
Sehr hohe Kompetenzwerte hat DIE LINKE hingegen im Bereich der sozialen Gerechtigkeit. Warum macht sich das nicht an der Wahlurne bemerkbar? Ist die soziale Frage den Wählerinnen und Wählern nicht so wichtig?
Doch, das ist sie. Und tatsächlich geben 98 Prozent unserer Wählerinnen und Wähler an, dass DIE LINKE die Partei ist, die sich am stärksten für Gerechtigkeit einsetzt. Aber gleichzeitig finden 92 Prozent unserer eigenen Wählerinnen und Wähler, dass DIE LINKE zwar die Probleme anspricht, sie aber nicht lösen kann. Das zeigt, wie dringend wir unsere Ansprache ändern müssen. Statt eines Stellvertreteransatzes, nach dem Motto »du wählst uns und wir ändern die Politik für dich im Parlament«, müssen wir aufzeigen, wie bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen erkämpft werden können. Da gibt es eine große Leerstelle in der LINKEN.
»Machtoption« Regierungsbeteiligung?
Auch Katja Kipping meint, DIE LINKE brauche eine »Machtoption«. Für sie besteht diese allerdings in »Regierungsmehrheiten links der Union«. Sollte DIE LINKE deutlicher für die Perspektive rot-rot-grüner Regierungskoalitionen eintreten?
Ich halte eine Debatte über Rot-Rot-Grün im Bund für völlig falsch. Anstatt der Orientierung auf eine Regierungsbeteiligung braucht es außerparlamentarische Kämpfe, die wir im Parlament, in den Betrieben, Schulen und Hochschulen sowie auf der Straße unterstützen, und eine Strategie zur Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Entscheidend dafür, was man an Verbesserungen erreicht, sind erfolgreiche soziale und politische Kämpfe. Wir müssen mit außerparlamentarischen Partnerinnen und Partnern über eine solche Perspektive diskutieren, anstatt sie in ein rot-grün-rotes Projekt einzubinden.
Wo siehst Du den Widerspruch?
Für Rot-Rot-Grün im Bund gibt es keine politische Grundlage. Wie wollen wir mit der SPD und den Grünen Hartz IV abschaffen, die Strom- und Autokonzerne enteignen und Auslandseinsätze der Bundeswehr beenden? Im Bund müsste DIE LINKE für eine Regierungsbeteiligung grundlegende Positionen aufgeben – der Preis wäre u.a. die Zustimmung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr und zur NATO.
Wie sieht es auf Landesebene aus? Der Koalitionsvertrag des neuen Bremer Senats wurde gerade veröffentlicht. DIE LINKE ist nun in vier Bundesländern an der Landesregierung beteiligt. Eine Chance?
Mein erster Eindruck vom Koalitionsvertrag ist: Es stehen dort sinnvolle Dinge drin, aber vieles steht angesichts der schlechten Finanzlage Bremens unter Finanzierungsvorbehalt und die Schuldenbremse wird anerkannt.
Ich denke der ehemalige Fraktionsvorsitzende der LINKEN in der Bremer Bürgerschaft Peter Erlanson hat Recht mit seiner Kritik am Koalitionsvertrag von R2G in der Hansestadt. Bezogen auf die Akzeptanz der Schuldenbremse sagte er heute in einem Interview mit der Taz: »Es schmerzt mich, wenn ich als Linker sehe, dass meine Linke in eine Koalition gehen will, die neoliberale Politik mitträgt.«
Wäre ich in Bremen, würde ich beim jetzigen Stand der Informationen mit Nein stimmen
Die Bremer LINKE bezieht sich auf das Berliner Modell einer Schulbau GmbH zur Umgehung der Schuldenbremse, indem sich ein öffentliches Unternehmen verschuldet. Kann das nicht ein Weg sein, den Sparzwang zu umschiffen?
Dieses Modell ist in Berlin in der Bevölkerung und in der LINKEN zurecht sehr umstritten. Eine Volksinitiative hat mehr als 20.000 Unterschriften dagegen gesammelt, weil es bedeutet, Schulgebäude und Schulbau in eine GmbH zu geben und damit formell zu privatisieren. Die Banken leihen öffentlichen Unternehmen sehr gerne das Geld, fordern aber im Gegenzug Sicherheiten, zum Beispiel, dass die Grundstücke und Gebäude eben aus den Kommunen bzw. in Berlin aus den Bezirken an die öffentliche GmbH gegeben werden.
Was hätte die Bremer LINKE angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der neuen Bürgerschaft tun sollen?
Ich finde es problematisch, dass in Bremen keine »roten Haltelinien« oder Mindestbedingungen benannt wurden. Das kann uns auf die Füße fallen, wenn SPD und Grüne bei schwächelnder Konjunktur auf dem Kurs der Haushaltskonsolidierung beharren. Wäre ich in Bremen, würde ich beim jetzigen Stand der Informationen mit Nein stimmen.
Und »roten Haltelinien« könnten uns davor schützen?
Auch in meinem Landesverband in Hessen war in der Vergangenheit der Druck auf DIE LINKE groß, mit SPD und Grünen zu regieren. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, mit inhaltlichen Bedingungen – »roten Haltelinien« gegen Privatisierung, Sozialabbau und Personalabbau – in die Sondierungsgespräche zu gehen. Wir sind dann in die Opposition gegangen, weil wir als LINKE keiner »Reduzierung der Personalkosten« im öffentlichen Dienst zustimmen konnten.
Lässt sich diese Erfahrung so einfach verallgemeinern?
Wir haben damals Schlussfolgerungen für DIE LINKE bundesweit gezogen. Erstens: Das Bestehen und der öffentliche Verweis auf die »roten Haltelinien« bieten eine Möglichkeit, den Weg in die politische Isolation zu vermeiden, ohne die Identität der Partei zur verraten. Zweitens: Die Politik der Haushaltskonsolidierung ohne eine andere Steuerpolitik, die zu Mehreinnahmen der öffentlichen Hand führt, geht zu Lasten des öffentlichen Dienstes. Das trifft die öffentlich Beschäftigten ebenso wie die Menschen, die auf öffentliche Dienstleistungen angewiesen sind. Ich finde der Schaden für DIE LINKE ist langfristig größer, wenn sie eine solche Politik mitmacht.
Die Landtagswahlen im Osten
Bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen zeichnet sich ein Durchbruch für die AfD in Ostdeutschland ab. Sind angesichts dessen Regierungsbeteiligungen der LINKEN nicht doch eine Notwendigkeit – sei es, um rechte Regierungen zu verhindern?
Ob die AfD in die Regierung kommt, hängt vom gesellschaftlichen Klima, den antirassistischen Mobilisierungen im Vorfeld, dem Wahlergebnis der AfD und der Haltung der Union sowie der anderen Parteien ab. Ich halte es für problematisch mit dem Argument des »kleineres Übels«, unsere linken Prinzipien und Grundsätze zur Disposition zu stellen. Es wird uns langfristig schaden, wenn wir nicht als politische Alternative, sondern als Mehrheitsbeschafferin für ein »Weiter-so« wahrgenommen werden.
Die AfD ist nicht geschlagen, aber sie ist schlagbar
Können Mitte-Links-Regierungen nicht auch zur Schwächung der Rechten beitragen?
Die Bilanz der Regierungsbeteiligungen der LINKEN spricht nicht dafür, denn in Brandenburg oder Thüringen konnte die AfD weiter aufbauen.
Was ist deine Erklärung dafür?
Ein grundsätzlicher Politikwechsel ist bislang überall ausgeblieben. Thüringen ist trotz des ein oder anderen Erfolges weit entfernt von einer sozialen Kehrtwende. So ist beispielsweise der Anteil der von Armut bedrohten Kinder in den letzten Jahren kaum zurückgegangen und liegt konstant über 20 Prozent – trotz der stabilen wirtschaftlichen Entwicklung und sinkender Arbeitslosenzahlen.
In Brandenburg verantworten wir eine zutiefst problematische Regierungspraxis mit: Braunkohleabbau, verschärftes Polizeigesetz, Stärkung des Verfassungsschutzes und Verankerung der Schuldenbremse in der Landesverfassung.
Aber in Berlin ist der LINKEN mit dem »Mietendeckel«, der für fünf Jahre Mieterhöhungen untersagt, doch ein kleiner Coup gelungen.
Der »Mietendeckel« ist vor allem dem Druck der Straße zu verdanken. Es war die Mieterbewegung, die mit dem Volksbegehren für die Enteignung von Immobilienkonzernen den Berliner Senat zum Handeln zwang. Tatsächlich hat Berlin aufgrund der guten Konjunktur und aktueller Haushaltsüberschüsse finanzielle Spielräume, die von starken Bewegungen für Reformen herausgefordert werden können. Doch auch die Berliner Regierung behebt trotz Rekordüberschüssen nicht den Mangel an bezahlbaren Wohnungen oder den Personalmangel in Schulen und Kitas.
Kampf gegen die AfD
Wenn mitregieren für DIE LINKE der falsche Weg ist, welche Strategie hilft dann gegen den weiteren Aufstieg der Rechten?
Die unablässige politische Mobilisierung, die wir seit dem Sommer 2018 mit #unteilbar und anderen Protesten gegen Rassismus im Allgemeinen und gegen die AfD im Besonderen erleben, hat gezeigt: Die AfD ist nicht geschlagen, aber sie ist schlagbar.
Woran machst Du das fest?
Die AfD steht unter Druck und in der Partei nehmen die Konflikte weiter zu. Das liegt zum einen an der Gegenbewegung, zum anderen an der ungebremsten Radikalisierung der AfD. Der neofaschistische Flügel um Björn Höcke, den Brandenburger Landes- und Fraktionsvorsitzenden Andreas Kalbitz und den sächsischen Vorsitzenden Jörg Urban dehnt seinen Einfluss immer weiter auch in den westlichen Landesverbänden aus. Einzelne AfD Vertreter, wie der bayerische Landtagsabgeordnete Raimund Swoboda, treten wegen der Dominanz des »Flügels« aus der Partei aus. Der Antisemit und Volksverhetzer Wolfgang Gedeon legt nach und bezeichnet nach dem Lübcke-Mord rechten Terror in Deutschland in Anlehnung an Alexander Gauland als einen »Vogelschiss«.
Wir sollten das Wochenende am 24/25. August zu einem Wochenende der antifaschistischen und antirassistischen Solidarität machen
Was heißt das für den Widerstand gegen die AfD?
Wir müssen die Situation nutzen und in der LINKEN und in den außerparlamentarischen Bündnissen auf die Gefahr durch die AfD als organisatorischem Träger rassistischer und völkischer Ideologie und als Sammelpunkt der verschiedenen Stränge des deutschen Rechtsextremismus hinweisen. In der Gründungsphase von »Aufstehen gegen Rassismus« standen wir mit einer Parole wie »Wer AfD wählt, wählt Nazis« noch ziemlich alleine da. Heute bekommen wir dafür viel Zustimmung.
Was muss jetzt konkret getan werden, um die AfD noch vor den Landtagswahlen im September zurückzudrängen?
Eine zentrale Aufgabe der nächsten Wochen wird es, die antifaschistischen und antirassistischen Mobilisierungen und Proteste in den Wahlkämpfen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen zu unterstützen sowie zur bundesweiten Demonstration in Dresden am 24. August zu mobilisieren.
Gleichzeitig jähren sich an diesem Wochenende die Chemnitzer Ereignisse von 2018. Ich finde wir sollten das Wochenende am 24/25. August zu einem Wochenende der antifaschistischen und antirassistischen Solidarität machen, DIE LINKE vor Ort unterstützen und die Wahlkampfzeitung von »Aufstehen gegen Rassismus« zur Sachsenwahl verbreiten.
Meinst du solche antirassistischen Massenproteste können die AfD tatsächlich schwächen?
Ja, weil sie das gesellschaftliche Klima beeinflussen können. Offene Rassisten und das direkte Umfeld der AfD werden wir damit natürlich nicht umstimmen können, die vielen Unentschlossenen jedoch schon.
Wie Massenprotest das politische Klima prägen kann, zeigt etwa das Beispiel der Stadt Münster. Dort holte die AfD bei der Europawahl nur 4 Prozent der Stimmen – der niedrigste Wert für die AfD in allen deutschen Wahlkreisen. Bereits bei der Bundestagswahl 2017 war Münster die einzige Stadt, in der die Partei nicht über 5 Prozent hinauskam. Der Grund dafür: Immer wieder organisierte ein breites Bündnis in Münster Massenproteste gegen die AfD. Beim Neujahrsempfang der AfD gingen im Februar über 8000 Menschen auf die Straße, um gegen die Veranstaltung zu demonstrieren.
DIE LINKE war und ist in Münster wesentlicher Teil und Motor dieser Bewegung. Das Beispiel zeigt also auch, wie wir mit einer kämpferischen LINKEN einen Pol der Hoffnung aufbauen und damit sowohl die AfD kleinhalten als auch DIE LINKE stärken können.
Die Strategie der Bewegungslinken
Um diese Strategie in der LINKEN stark zu machen, hat sich innerhalb der Partei die »Bewegungslinke« gegründet. Worum geht es dabei?
Die Auseinandersetzung mit den Positionen von Sahra Wagenknecht hat alle Strömungen in der LINKEN durcheinandergewirbelt. Die »Bewegungslinke« ist Ausdruck einer Neuformierung auf dem linken Parteiflügel. Unser gemeinsamer Ansatzpunkt: Der Bewegungsaufschwung – sei es gegen rechts, für die Klimawende oder für bezahlbaren Wohnraum – sollte der Bezugspunkt für eine Strategie zur Durchsetzung linker Politik sein.
Also mehr Bewegung und weniger Partei?
Nein, aber als LINKE haben wir einen anderen Anspruch an Parteiarbeit als die bürgerlichen Parteien. Unsere Stärke können wir nur zur Geltung bringen, wenn wir von unten gesellschaftliche Gegenmacht aufbauen. Das ist kein einfacher Weg, vor allem angesichts des vergleichbar niedrigen Niveaus an Klassenkämpfen, aber es ist der einzige erfolgversprechende Weg.
Konkret könnte DIE LINKE versuchen, die Forderung nach einem massiven Ausbau des ÖPNV mit den Tarifkämpfen der dort Beschäftigten zu verbinden
Was können konkrete Ansatzpunkte für eine solche Perspektive sein?
Zum Beispiel die #unteilbar-Demonstration am 24. August in Dresden sowie die Unterstützung der Wahlkämpfe im Osten. In der Klimabewegung geht es darum, den Earth Strike Day am 20. September vorzubereiten und darin die Debatte um eine linke Energie- und Verkehrswende voranzutreiben.
Konkret könnte DIE LINKE etwa versuchen, die Forderung nach einem massiven Ausbau des ÖPNV mit den Tarifkämpfen der dort Beschäftigten zu verbinden. Auch die Mietenbewegung und die erfolgreiche Kampagne um die Volksbegehren in Berlin und Frankfurt können verallgemeinert werden.
Die bisherigen linken Strömungen wie die Sozialistische Linke (SL) und Antikapitalistische Linke (AKL) haben sich vor allem über Positionierungen in die Partei eingebracht, weniger über praktische Vorstöße. Spielt das jetzt keine Rolle mehr?
Beides ist wichtig. Wir brauchen sowohl praktische Initiativen als auch die Auseinandersetzung um Positionen. In den Neugruppierungen innerhalb der Partei gibt es politische Debatten und Konflikte, die wichtig für die weitere Ausrichtung der Partei sind. In diese Debatten wollen wir uns von marx21 mit unseren Analysen und Standpunkten einbringen.
Wir wollen eine umfassende Strategie verankern, die auf die Gegenmacht durch Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse setzt
Was heißt das konkret?
Erstens werben wir dafür, dem Kampf gegen rechts eine größere Bedeutung zu geben und sich offensiver gegen jede Form von Rassismus zu positionieren, weil wir die Gefahr, dass mit der AfD eine der faschistischenMassenpartei in Deutschland entsteht, für real halten. Zweitens streiten wir für ein klares Nein zu Auslandseinsätzen und zur NATO, denn wenn wir eine Debatte über eine Regierungsbeteiligung im Bund bekommen, wird das mit einer Infragestellung unserer Haltung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr und der Haltung zur NATO zusammengehen. Drittens muss eine sozialistische Partei internationalistisch sein, wir brauchen einen eindeutigen Kompass, wie wir uns in Zeiten einer zugespitzten imperialistischen Konkurrenz nicht auf der Seite von kapitalistischen Staaten, sondern an der Seite der großen Mehrheit der Menschen auf diesem Globus und ihren Kämpfen positionieren.
Was muss DIE LINKE dazu machen?
Wir haben uns in der Vergangenheit etwa stark gemacht für eine solidarische Haltung zu den Bewegungen des arabischen Frühlings und haben aktuell dafür gesorgt, dass sich DIE LINKE auf die Seite der revolutionären Bewegung im Sudan stellt und gleichzeitig die Bundesregierung für ihre Unterstützung des sudanesischen Militärs kritisiert. Und wir setzen uns dafür ein, dass der zivile Widerstand der Palästinenserinnen und Palästinenser gegen die Besatzungspolitik nicht weiter delegitimiert und kriminalisiert wird. Kurzum, wir wollen eine umfassende Strategie verankern, die auf die Gegenmacht durch Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse setzt, anstatt auf Regierungsbeteiligungen.
Danke für das Gespräch.
Das Interview führten Michael Ferschke und Martin Haller.
Foto: UweHiksch
Schlagwörter: Antikapitalismus, DIE LINKE, Europawahl, Kampf gegen Rechts