Das Elektroauto dient nicht dem Klimaschutz, sondern dem Überleben der Autokonzerne. Winfried Wolf über die Mythen der E-Mobilität.
Auf der Hauptversammlung des VW-Konzerns 2019 in Berlin wurde ein weiteres Mal deutlich: Das Setzen aufs Elektroauto – verbrämt als »Elektromobilität« – ist in erster Linie ein Propagandacoup, mit dem die Autokonzerne ihre Glaubwürdigkeitskrise überwinden und ihre bedingungslose Orientierung auf die fortgesetzte Profitmaximierung – die ausschließlich über die fortgesetzte Expansion der Produktion und die ständige Erhöhung der Kfz-Dichte garantiert wird – kaschieren will.
VW-Chef Herbert Diess erklärte in seiner Eröffnungsrede, die Orientierung auf E-Pkw sei »alternativlos« und eine Entscheidung »für weniger CO-2 im Verkehr«. Im Konferenzzentrum CityCube wurden von den verschiedenen Gesellschaften des VW-Konzerns jeweils ein Modell vorgestellt. Bei allen Pkw-Marken (VW, Skoda, SEAT, Bentley, Bugatti, Lamborghini und Porsche) waren dies jeweils ein SUV (mit Benzin- oder Diesel-Motoren) mit CO-2-Emissionswerten, die bei gut dem Doppelten des EU-Grenzwertes für 2020 liegen.
Investitionsprogramm fürs Elektroauto
Die VW-Tochter SEAT schuf 2018 eine neue Marke mit der Bezeichnung CUPRA. Sie tritt ohne jeden Verweis auf SEAT bzw. VW auf. Laut Geschäftsbericht »spricht CUPRA vor allem Autoliebhaber an und steht für Einzigartigkeit, Hochwertigkeit und Leistung.« So das neue Cupra-Modell Ateca. In der Eigenwerbung wird das Gegenteil von Verantwortung, wird Egozentrik gefeiert: »Wir bauen ein Auto für Deinen ganz eigenen Weg. Setz Dir Ziele. Keine Grenzen. Cupra Ateca. Create your own path.« Die CO-2-Werte des Ateca liegen offiziell bei 166 g/km; laut Fahrbericht in AutoBild (vom 11.1. 2019) sind es 198 g/km.
Das heißt nicht, dass das Projekt Elektro-Pkw substanzlos wäre. Tatsächlich starteten die 20 weltweit größten Autokonzerne 2019 das größte Investitionsprogramm in ihrer Geschichte zur Umsetzung von »Elektromobilität«. Die drei deutschen Konzerne VW, Daimler und BMW stemmen davon mit 140 Milliarden Euro fast die Hälfte. Doch die »Elektromobilität« ist zum einen ein ergänzendes Programm zur weiteren allgemeinen Steigerung der Pkw-Dichte. SUV-Orientierung und E-Pkw-Orientierung werden gemeinsam betrieben. Teilweise verschmelzen beide Entwicklungsstränge in das Projekt Elektro-SUV. Siehe die Modelle Audi e-tron und Porsche Taycan. Zum anderen ist die Behauptung, Elektro-Pkw seien ein Mittel zur Reduktion von CO2, blanker Unsinn.
Mythos 1: Elektroautos sind »CO-2-neutral«.
Die reine CO2-Bilanz eines E-Pkw ist im Vergleich zu einem Benzin- oder Diesel-Pkw maximal um ein Viertel günstiger – wenn der gesamte Lebenszyklus des Autos betrachtet wird. Und wenn es sich um kleine Elektroautos handeln würde. Dabei sind die E-Auto-Modelle inzwischen deutlich schwerer und oft größer als herkömmliche Mittelklasse Pkw. Der VW Käfer wog 700 Kilogramm. Der aktuelle Golf bringt 1,3 Tonnen auf die Waage. Der E-Golf wiegt 1,6, ein Tesla Model S bringt 2,1 Tonnen auf die Waage.
Mythos 2: E-Pkw ersetzen herkömmliche Pkw.
Untersuchungen im E-Auto-Musterland Norwegen ergeben: E-Autos sind – u.a. wegen ihrer technischen Parameter wie lange Ladezeit und geringe Reichweite – zum großen Teil Stadtautos und zu 60 Prozent Zweit- und Drittwagen. Damit sind E-Autos in erheblichem Umfang Mobilitätsmittel für den gehobenen Mittelstand. Also für Leute, in deren Haushalt es spätestens jetzt einen Zweit-Pkw gibt. Mit den E-Autos wechseln oft Radfahrer und ÖPNV-Nutzende ins grün lackierte Gefährt. Damit erhöhen E-Pkw die Pkw-Dichte ausgerechnet dort, wo Pkw besonders schädlich sind: in den Städten. Gleichzeitig verschärfen sie die Krise des ÖPNV.
Mythos 3: Elektroautos sind ein Mittel
gegen die weltweite Klimaerwärmung.
Bei allen Modellrechnungen über die zukünftige Elektromobilität ist immer die Rede davon, dass der Anteil der Elektroautos an einer vorgegebenen Größe (an Produktion, Verkauf oder Bestand) steigen soll. Das ist ein fataler Denkfehler. Mit der e-mobility wird in der Regel nicht verbunden, dass die Gesamtzahl der Autos stagniert oder gar sinkt. Besonders deutlich ist dies bei der oft zitierten »Agora«-Studie. Dort heißt es: »Bis zum Jahr 2050 könnte ihre Zahl [die der Pkw; W.W] von derzeit 900 Millionen auf 2,4 Milliarden ansteigen. Um die Klimaziele dennoch zu erreichen, ist es deshalb unerlässlich, den Anteil emissionsfreier Fahrzeuge zu steigern. [1]
Das ist grotesk. Man akzeptiert eine Steigerung der Pkw-Zahl weltweit um das Zweieinhalbfache. Und sagt dann: Aber der Anteil der Elektroautos in der Weltautoflotte muss möglichst hoch sein. Selbst wenn am Ende alle Pkw Elektroautos wären, und selbst wenn es stimmen würde, dass ein Elektroauto im Vergleich zu einem herkömmlichen Pkw 25 Prozent weniger CO2 emittiert, dann hieße das in der Gesamtbilanz doch, dass die CO2-Emissionen des zu 100 Prozent mit E-Autos abgeleisteten Straßenverkehrs weiter drastisch steigen.
Mythos 4: E-Pkw »tanken« Ökostrom.
Die Behauptung, Elektromobilität könne ganz oder so gut wie komplett mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen gespeist werden, ist absurd. In Deutschland können wir froh sein, wenn der Atomstrom, der aktuell noch einen Anteil von 13 Prozent einnimmt, nach dem Abschalten der AKW durch den Zuwachs der Erneuerbaren ersetzt wird. Auf absehbare Zeit bleibt es bei 40 Prozent Kohle-Strom. Mit entsprechender CO2-Bilanz. Klar ist auch: Millionen Elektro-Pkw erfordern einen Zubau von Stromkapazitäten.
In China werden zwei Drittel der Stromerzeugung in Kohlekraftwerken erzeugt. In Zukunft soll nur der Anteil des Kohlestroms sinken. Doch die absolute Menge an Kohle, die in Kraftwerken verfeuert wird, soll bis 2030 wachsen. Nicht zuletzt dank Elektromobilität. Für das Klima sind nicht Anteile, sondern die absoluten Mengen relevant. Hinzukommt: Elektromobilität befördert den Ausbau der Atomenergie. China hat derzeit 39 Atomkraftwerke. 15 Atomkraftwerke befinden sich in Bau. Zusätzliche zwei Dutzend befinden sich im Planungsstadium. Vor dem Klima-Gau droht ein weiterer AKW-Gau.
Mythos 5: Mit dem Elektroauto endet die Abhängigkeit von endlichen Rohstoffen.
In der Autogesellschaft der Zukunft wird es weiter die Abhängigkeit von dem endlichen Rohstoff Öl (es werden ja mehr Pkw mit Verbrenner-Motoren) geben, ergänzt um die Abhängigkeit von endlichen Rohstoffen wie Kupfer, Lithium, Kobalt und verschiedenen Seltenen Erden. Kriege um Öl werden erweitert um Kobalt-Militäreinsätze und Lithium-Kriege.
Mythos 6: Es geht bei E-Mobilität
um Klimaschutz.
Elektroautos gibt es seit 110 Jahren. Sie setzten sich aus naheliegenden Gründen (lange Ladezeiten, schwere Batterie, geringe Reichweite) nicht durch. Eine neue Situation entstand mit dem wirtschaftlichen Aufstieg von China. Der chinesische Automarkt ist seit knapp einem Jahrzehnt der mit Abstand größte der Welt. Alle großen Autokonzerne sind von ihm abhängig. China verfügt in den meisten Industriebranchen, die für die Weltmarktkonkurrenz wichtig sind, über konkurrenzfähige Konzerne. Das gilt für Computer (Lenovo), für Smartphones (Huawei) und für Hochgeschwindigkeitszüge (CRRC). Doch ausgerechnet in der Autoindustrie gibt es in der Spitzengruppe keinen einzigen chinesischen Konzern.
Die Weltautobranche wurde jedoch von der chinesischen Führung 2016 ausdrücklich als eine von zehn Industrien identifiziert, in der »China einen nationalen Champion, der auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig ist, schaffen« will.[2] Dies soll mit Elektromobilität gelingen. Seit dem 1. Januar 2019 gilt in China die erste E-Auto-Quote: 10 Prozent aller in China hergestellten oder importierten Autos müssen Elektroautos sein. 2020 beträgt die Quote 12 Prozent. Später noch mehr. Die westlichen Autokonzerne müssen in E-Pkw-Kapazitäten investieren, wenn sie nicht vom chinesischen Markt ausgeschlossen werden wollen – womit sie auch ihre Position im Weltautomarkt verlören. Es geht bei der e-mobility nicht um das Klima. Es geht um China.
Mythos 7: Mit dem Elektroauto wird
die Krise der Städte entschärft.
Umgekehrt wird ein Schuh draus. Indem E-Autos vor allem Stadtautos sind, wird die Krise der Städte erhöht und Urbanität weiter zerstört. Auch wenn alle Autos in Los Angeles Tesla-Pkw wären, so bliebe es in dieser Stadt bei der Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 km/h und dem Dauerstau. Auch wenn in allen Großstädten die Verbrenner-Pkw durch Elektro-Pkw ersetzt werden würden, bliebe es bei einem Flächenverbrauch dieser Blechlawine, der mindestens viermal größer ist als im Fall einer Verkehrsorganisation, in der das Zufußgehen, das Radfahren und der öffentliche Verkehr im Zentrum stehen.
Der VW-Chef Herbert Diess sagte am 12. März 2019 nach der jüngsten VW-Bilanzpressekonferenz und im Rahmen der traditionellen Information für die VW-Führungscrew »Ebit [Gewinn] macht frei«.[3] Er sagte dies in dieser Rede gleich mehrmals. Es war klar, dass das dem VW-Boss nicht so herausgerutscht ist. Diess formulierte gezielt und bewusst. Er nahm damit Bezug auf den höhnischen Spruch, der über dem Eingangstor zum KZ Auschwitz angebracht war: »Arbeit macht frei«. Und er sagte dies in Wolfsburg, wo in der NS-Zeit zehntausende Zwangsarbeiter, die aus dem KZ Auschwitz abgeordnet worden waren, durch Arbeit vernichtet wurden.
Gegen die Macht der Autokonzerne
Viele unter den Managern, die Diess‘ Rede hörten, waren fassungslos ob des Zynismus. Andererseits sagte Diess ja auch die brutale Wahrheit: Es geht in der gesamten Konzernstrategie allein um die Gewinnmaximierung. Aktuell sind Elektroautos eine ideale Ergänzung in dieser Strategie – zumal die Staaten die »Elektromobilität« mit riesige Summen an Steuergeldern subventionieren.
Das heißt auch: Eine alternative Verkehrsorganisation, in der der Fußgängerverkehr, das Radeln und der ÖPNV im Zentrum stehen, wird nur gegen die Macht der Autokonzerne durchsetzbar sein. Die Forderung nach Enteignung und Vergesellschaftung, die im Bereich Mieten und Bodenspekulation endlich populär wurde, muss auch für den Bereich Mobilität aktualisiert werden.
Anmerkungen:
[1] Agora, Mit der Verkehrswende die Mobilität von morgen sichern, Berlin 2017. [2] Financial Times vom 11. September 2017. [3] EBIT = Earnings before interest and taxes – Gewinn vor Zins und Steuern.Der Autor:
Winfried Wolf ist Verkehrsexperte und Autor. Sein Buch »Verkehr – Umwelt – Klima. Die Globalisierung des Tempowahns« ist ein Klassiker für alle Klimaaktive. Er ist Chefredakteur der linken Wirtschaftszeitschrift Lunapark21.
Weiterlesen:
Von Winfried Wolf erschien neu das Buch: »Mit dem Elektroauto in die Sackgasse. Wie die E-Mobilität den Klimawandel beschleunigt«. Wien (Promedia), 220 Seiten, 17,90 Euro.
Foto: JayUny
Schlagwörter: Elektroauto, Klima, Klimakrise, Klimaschutz, Verkehrswende