Die Autorinnen und Autoren einer neuen Broschüre wollen die Theorie der Sozialen Reproduktion für die Debatte in Deutschland fruchtbar machen. Was uns erwartet, erklärt Mitherausgeberin Ronda Kipka
Ob Wäsche waschen, Kochen, Einkaufen, Putzen oder Kinder erziehen – noch immer tragen Frauen die Hauptlast der Hausarbeit, bei gleichzeitig steigender Frauenerwerbsquote. Aber warum ist das so? Und warum verdienen Frauen weniger als Männer? Weshalb kommt es zum systematischen Abbau des Sozialstaats oder zum Personalnotstand in der Pflege? Wie also entwickeln sich Hausarbeit, sozialstaatliche Dienste, Pflege- und Sorgearbeit im Kapitalismus, welchen Dynamiken sind sie unterworfen und was hat das mit Frauenunterdrückung zu tun?
Diesen Fragen gehen wir in einer neuen Broschüre auf den Grund. Ausgangsthese ist, dass wir Kostendruck und ideologische Zuspitzungen nur verstehen können, wenn wir sie vor dem Hintergrund des kapitalistischen Produktionsprozesses betrachten.
Widerspruch zwischen Kapital und Leben
Die Theorie der Sozialen Reproduktion versucht den Widerspruch zwischen reproduktiven Tätigkeiten, mit denen wir unsere Arbeitskraft (wieder)herstellen, und den mehrwertschaffenden Tätigkeiten, die der Kapitalakkumulation dienen, zu erklären. Letzteres kann nur geschehen, wenn ersteres gewährleistet ist. In anderen Worten: Die soziale Reproduktion der Arbeitskraft ist eine notwendige, jedoch kostspielige – und damit für die Herrschenden lästige – Bedingung für den Produktionsprozess in kapitalistischen Gesellschaften. Aus der Perspektive der Unterdrückten und Ausgebeuteten vollzieht sich dieser Widerspruch alltäglich, wenn der Profit mehr zählt als unser Leben und unsere Bedürfnisse.
Mit unserer Broschüre wollen wir einen Beitrag dazu leisten, die Theorie der Sozialen Reproduktion, die in den letzten Jahren vor allem im angelsächsischen Raum unter Aktivistinnen und Marxistinnen diskutiert wurde, in Deutschland einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Neben einem grundsätzlichen, einleitenden Artikel gibt es drei weitere Beiträge, die unterschiedliche Aspekte der Debatte vertiefen.
Zentrales Anliegen ist, ein genaueres Verständnis für die Rolle des Staates in der Organisierung und Strukturierung der Reproduktion im nationalstaatlichen Raum zu entwickeln.
Neben einem Beitrag mit historischen Beispielen und dem aktuellen Wirken im Gesundheitsbereich befassen wir uns hierzu auch mit der Migrationspolitik. Zudem stellt die US-Marxistin Tithi Bhattacharya in einem Gastbeitrag die Erfahrungen aus den Streiks der Lehrerinnen und Lehrer in den USA dar.
Differenzierter Blick auf den Sozialstaat
Anknüpfend an die klassische marxistische Staatstheorie, etwa an Engels’ Konzept des »ideellen Gesamtkapitalisten«, versuchen wir, eine neue Perspektive auf die Dynamiken und Potenziale des Klassenkampfs sowie auf Ansätze zur Bildung von Klassenbewusstsein zu entwickeln. Das bedeutet auch einen differenzierten Blick auf den »Sozialstaat« zu werfen, der nicht nur »Errungenschaft« der arbeitenden Klasse ist, sondern zugleich kapitalistischer Kompromiss und systemerhaltende Instanz. Deutlich wird ebenso, dass auch der Rückzug des Staates aus dem Sozialwesen in Zeiten der Austeritätspolitik keineswegs etwas an seiner Funktion als grundsätzlichem politischen Gestalter der Reproduktion ändert, sondern lediglich eine organisatorisch-strategische Verschiebung darstellt.
Unsere Broschüre ist jedoch keine rein theoretische Fingerübung im luftleeren Raum: Wir beobachten das Erstarken einer sich nach links entwickelnden Frauenbewegung, die sich unter der Fahne des »International Women’s Strike« formiert und mit ihrer Aneignung des Streikkonzeptes die Klassenperspektive in den feministischen Kämpfen stärkt.
Während etwa in Spanien dieses Jahr mehrere Millionen Menschen am Internationalen Frauentag in den Generalstreik traten, steckt die Bewegung in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Doch viele arbeiten daran, dass sich das ändert. Hierbei kann eine vertiefte Auseinandersetzung mit den systematischen Dynamiken der kapitalistischen Gesellschaft uns Orientierung geben.
Das Buch:
Ronda Kipka / Vincent Streichhahn (Hrsg.)
Kapital gegen Leben – Beiträge zur Theorie der Sozialen Reproduktion im Kapitalismus
Edition Aurora Verlag
2019
125 Seiten
EUR 8,50
Schlagwörter: Care-Arbeit, Feminismus, Kapitalismus, Reproduktion, Reproduktionsarbeit