Mit Massendemonstrationen, Streiks und Betriebsbesetzungen wehren sich die Menschen in Ägypten gegen steigende Nahrungsmittelpreise und gegen die Unterdrückung durch das Mubarak-Regime. Von Yaak Pabst, marx21-Redakteur
Bei landesweiten Protesten ist es in der vergangen Woche zu heftigen Auseinandersetzungen mit der ägyptischen Polizei gekommen. Rund 800 Menschen wurden festgenommen, darunter prominente Gewerkschafter und Vertreter der Demokratiebewegung Kifaya! (Es reicht!).
Zentrum der Proteste war die nordägyptischen Industriestadt Mahalla el Kobra. Dort befindet sich die größte Textilfabrik des Landes. Arbeiterinnen und Arbeiter dieser Farbiken wehrten sich bereits in der Vergangenheit gegen die unmenschlichen Arbeitsbedinungen (marx21 berichtete).
Zu den Zusammenstößen kam es, als die Polizei versuchte, Arbeiterinnen und Arbeiter an der Teilnahme des für Sonntag den 6. April ausgerufenen Generalstreiks zu hindern (siehe Fotostrecke). Der Generalstreik richtete sich gegen die enormen Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel, insbesondere Brot und gegen die niedrigen Löhne. Fast 40 Prozent der Ägypter leben unter oder nahe der Armutsgrenze von umgerechnet 1,25 Euro pro Tag. Nach Einschätzung der ägyptischen Regierung sind etwa 30 Prozent der Ägypter auf das subventionierte Weißbrot angewiesen. In den vergangenen 10 Monaten hat sich der Weltmarktpreis für Weizen jedoch verdreifacht.
Weil die Regierung zu wenig Geld zur Verfügung stellt können die staatlichen Bäckereien zur Zeit deutlich weniger billiges Brot abgeben. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Speiseöl und Reis haben sich in den vergangenen Monaten fast verdoppelt, subventioniertes Brot ist knapp. Umso heftiger ist das tägliche Gedränge an den Brotverteilstellen. In den letzten Wochen sind mindestens sieben Menschen in den Schlangen vor den Bäckereien ums Leben gekommen, 2 von ihnen wurden erstochen, 5 weitere kollabierten in dem Gedränge tödlich. Nicht subventioniertes Brot kostet das 10 bis 20 fache – daher ist es für viele Familien lebensnotwendig das Baladi-Brot an den staatlichen Stellen zu ergattern (siehe Video 1).
Der Streik sollte in Mahalla um 7.30 Uhr zum Schichtwechsel beginnen. Der Sonntag ist ein normaler Arbeitstag in Ägypten. Im ganzen Land zirkulierten Handynachrichten mit der Aufforderung, an diesem Tag zu Hause zu bleiben, Schwarz zu tragen und ägyptische Fahnen aus den Fenstern zu hängen. Das Mubarak-Regime geriet in Panik und beorderte Tausende Bereitschaftspolizisten und andere Sicherheitskräfte in die Industriestadt Mahalla el Kobra, im Nildelta. Bewaffnet mit Tränengaskanonen, Gewehren und Gummigeschossen umstellte die Polizei bereits am Samstag bevor der Streik beginnen sollte die Texttilfabrik und begann die Fabriktore zuzuschweißen. Die Regierung hatte die Bevölkerung vor einer Teilnahme an Streiks oder Demonstrationen am Sonntag ausdrücklich gewarnt. Wegen des Druckes der Regierung versuchten daraufhin Vertreter der Gewerkschaften die Protestaktionen abzusagen. Sie erklärten, das die Unternhemer der Staatsgewerkschaft Verhandlungen angeboten hätten. Trotz den Einschüchterungsversuchen der Regierung und der Demobilisierung der Gewerkschaftsführungen wollten sich am Sonntag Tausende an den Protesten beteiligen.
Am Sonntagmorgen um drei Uhr stürmte die Polizei in die Fabrikhallen und nahm 150 Arbeiter noch vor dem Schichtwechsel fest. Sicherheitskräfte lösten sofort jede Menschenansammlung in der Fabrik auf. Diese Aktionen der Polizei verhinderte zwar die geplante Arbeitsniederlegung in Der Fabrik. Aber an den Fabriktoren entwickelte sich ein angespanntes Kräftemessen. Um 15 Uhr, kam es zu einer Demonstration auf dem Marktplatz der Industriestadt. Rund 7.000 Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Anwohner begannen, Parolen gegen die Preissteigerungen zu skandieren. Mubaraks Polizei eröffnete das Feuer und tötete vier Menschen, darunter einen zwanzigjährigen Mann und einen neunjährigen Jungen. Es gab über 90 Verletzte. Daraufhin griffen die Demonstrierenden die Polizei und die Wasserwerfer an. Die Polizei eröffnete daraufhin das Feuer auf einen Bus voller Arbeiter, der in Flammen geriet. Die Straßenkämpfe hielten den ganzen Nachmittag bis in die Abendstunden an (siehe Video 2).
Als sich die Arbeiterinnen und Arbeiter in ihre Wohngebiete zurückzeihen wollten schlug die Polizei zrurück. Hunderte Oppositionelle und Zuschauer wurden verhaftet, unter ihnen zwei maßgebliche Organisatoren des Streiks, Kamal al-Fajumi und Tarek Amin al-Senussi. Auch in anderen Betrieben des Landes versuchten Arbeiterinnen und Arbeiter zu streiken. Trotz der enormen Repression des ägyptischen Staates blieben tausende Ägypter der Arbeit fern oder ließen Seminare an der Universität ausfallen. Menschenansammlungen mit Zehntausenden von Teilnehmern ließen sich nicht einschüchtern und rissen Großporträts des von den USA unterstützten ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak herunter (siehe Video 3).
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