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Nicht Berlusconis Medienmacht, sondern die neoliberale Regierungspolitik der Mitte-Links-Koalition führte zum Sieg der Rechten in Italien. Ein Kommentar von Stefan Bornost und Yaak Pabst, marx21-Redakteure
"Basta Berlusconi!" – so jubelten im April 2006 nicht nur Millionen Menschen in Italien. Aus den damaligen Wahlen ging das Mitte-Links-Bündnis als Sieger hervor. Der Konservative Berlusconi war abgewählt, die Rechte in Italien lag am Boden und die Kräfte links von der Sozialdemokratie konnten 4 Millionen Wähler für sich begeistern. Knapp zwei Jahre später kann davon keine Rede mehr sein. Die Wahlen im April 2008 endeten für die Linke in einer Katastrophe, Berlusconi feiert sein Comeback. Die linke Rifondazione Comunista erzielte nur noch 1,1 Millionen Stimmen und verfehlte damit den Einzug ins Parlament.
Schlimm genug, dass Berlusconi der Wahlsieger ist. Noch besorgniserregender sind die massiven Zugewinne der rassistischen Lega Nord. Die im relativ wohlhabenden Norden konzentrierte Partei erzielte nach längerer Krise das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte. Sie konnte ihre Sitzanzahl verdoppeln und einen nationalen Durchschnitt von über 8 Prozent erreichen. Auch viele Industriearbeiter, die bisher eher linke Parteien unterstützt hatten, haben für die Lega Nord gestimmt. In der hoch industrialisierten Lombardei wurde sie mit 30 Prozent zur stärksten Partei. Wie konnte es zu diesem Debakel kommen?
Medienzar Berlusconis
Fausto Bertinotti, der ehemalige Vorsitzende der Rifondazione Communista, führt den Sieg der Rechten auf die Manipulation der Bevölkerung durch Berlusconis Medienmacht zurück. Bertinotti sagte, die italienische Rechte gewinne "durch Manipulation die Stimmen jener, die keine kulturellen Wurzeln haben". Einer genaueren Betrachtung hält diese Erklärung nicht stand: Berlusconi konzentriert schon seit vielen Jahren wichtige Medien in seinen Händen. Auch bei seiner Abwahl im Jahre 2006 war Berlusconi schon der "Medienzar".
Trotzdem war in Italien der Widerstand gegen neoliberale Politik sehr stark. Schon die erste Regierung Berlusconi konnte sich 1994/95 nur wenige Monate im Amt halten, weil Millionen gegen ihre geplante Rentenreform auf die Straße gingen. Es folgten weitere Streiks und Proteste gegen Sozialabbau und Krieg.
Vor sieben Jahren demonstrierten Hunderttausende gegen den G8 Gipfel in Genua. Die globalisierungskritische Bewegung entfaltete nach diesen Protesten eine große Dynamik. Über eine Millionen Menschen gingen beim Europäischen Sozialforum 2003 in Florenz gegen den drohenden Krieg im Irak auf die Straße. Danach konnte die Antikriegsbewegung in Italien zehnttausende Menschen mobilisieren.
Auch unter der zweiten Regierung Berlusconis von 2001 bis 2006 gab es mehrere Generalstreiks und Massendemonstrationen an denen sich Hunderttausende beteiligten und die 2006 zur Abwahl Berlusconis führten.
Der Aufschwung der sozialen Bewegungen in Italien machte die Grenzen von Berlusconis Medienmacht deutlich. Die Ursachen für sein Comeback liegen tiefer. Sie liegen in der Enttäuschung der Menschen über die Politik der Mitte-Links-Koalition.
Bilanz von Mitte-Links
Die Mitte-Links-Regierung unter der Führung von Romano Prodi wurde oft als schwach, uneinheitlich und handlungsunfähig dargestellt. Tatsächlich war diese "linke" Regierung alles andere als gelähmt: Innerhalb von 18 Monaten senkte sie die Renten und erhöhte das Renteneintrittsalter, führte die Selbstbeteiligung bei ambulanter Hilfe in öffentlichen Krankenhäusern ein, baute 47.000 Stellen an den Schulen ab, senkte die Mittel für öffentliche Forschung, liberalisierte das Verkehrswesen, unterstützte den Bau von Müllverbrennungsanlagen gegen den Willen der Bevölkerung, ließ ein Gesetz verabschieden, dass Massenabschiebungen ermöglicht, erhöhte die Militärausgaben um 23 Prozent, stimmte dem Bau einer neuen US-Militärbasis in Vicenza zu und entsandte zusätzliche Truppen ins Ausland, vor allem nach Afghanistan, aber auch in den Südlibanon.
Durch rücksichtslose Sparpolitik gewann die Regierung Prodi die Anerkennung der europäischen und internationalen Wirtschaft. Es ist bezeichnend, dass sich mehrere führende internationale Zeitungen – die New York Times, der Economist, die Londoner Times sowie die Neue Zürcher Zeitung – offen gegen eine Rückkehr Berlusconis an die Macht ausgesprochen hatten.
Für den Jubel der Wirtschaft erntete die Mitte-Links-Regierung die Wut und Enttäuschung ihrer Wähler.
Druck des Kapitals
Für die italienischen Unternehmer war die Mittte-Links-Koalition eine wichtige Stütze. Sie waren unzufrieden mit Berlusconis Regierungsbilanz. Kein Wunder. Denn in seiner Regierungszeit 2001 bis 2006 wuchs die italienische Wirtschaft nur um durchschnittlich 0,35 Prozent im Jahr, im Vergleich zu 1,45 Prozent im restlichen Europa.
Nachdem in Deutschland die rot-grüne Regierung unter Schröder durch die Agenda 2010 auf Kosten der lohnabhängig Beschäftigten die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gestärkt hatte, wuchs der Druck auf die italenische Wirtschaft gleichzuziehen. Angesichts des stetigen Zurückfallens gegenüber der internationalen Konkurrenz übte das italenische Kapital immensen Druck auf die neu gewählte Regierung Prodi aus. Es wollte wirtschaftliche Reformen nach deutschen Beispiel und eine Stärkung der militärischen Präsenz Italiens im Ausland.
Bisherige Reformversuche nach dem Muster der Agenda 2010 waren auch an großen gewerkschaftlichen Mobilisierungen gescheitert, in denen die Rifondazione Communista eine zentrale Rolle gespielt hat. Die Unternehmer erhofften sich von der neuen Regierung, das sie ihre gewerkschaftliche Verankerung nutzen kann, um Proteste im Zaum zu halten und die Gewerkschaften zum Stillhalten zu zwingen. Genau das geschah.
Die Politik von Rifondazione Communista
Diese äußeren Rahmenbedingungen wurden nicht breit in der Rifondazione diskutiert, als die Partei sich entschloss, in die Prodi-Regierung einzutreten. Die Frage, ob die Linke unter den gegeben wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ihre Ziele in der Regierung erreichen kann, verschwand hinter dem Wunsch, Berlusconi zu verhindern. Erst wurde der Regierungseintritt damit gerechtfertigt, später die Unterwerfung der Rifondazione unter die rechteren Kräfte in der Regierung.
Claudio Grassi, der für die Partei im Senat saß, beschreibt das eigene Verhalten: "Aus Loyalität und um einen Sturz der Regierung zu verhindern, hat die Linke für alle Maßnahmen gestimmt, die sie inhaltlich nicht teilte, während die in der Mitte angesiedelten Kräfte häufig, auch bei Dingen, die im Programm nicht vereinbart worden waren, per Diktat vorgegangen sind".
Innerhalb der Koalition hatte die Rifondazione nicht viel zu sagen, wurde aber als möglicher "Wackelkandidat" ständig mit dem Argument unter Druck gesetzt, die Disziplin müsste gewahrt bleiben, um Berlusconi von der Macht fern zu halten. Diesen Druck hat die Rifondazione dann über Parteiauschlüsse von Dissidenten nach innen weitergegeben – ein Vorgehen, welches die Partei in die Krise gestürzt hat.
Politisch genützt hat diese Politik weder der Rifondazione noch der Linken. Da es keine Kraft gab, die die Entfremdung von Prodi nach links hätte kanalisieren können, wurden die Rechten stark. Die Prodi-Koalition wurde von einer kleinen konservativen Partei gesprengt und Berlusconi ist wieder an der Macht, weil er die Enttäuschung über Prodis Sparpolitik auf seine Mühlen gelenkt hat. Das vermeintliche "kleinere Übel", nämlich Regierungsbeteiligung, um Berlusconi zu verhindern, hat dem "großen Übel" Berlusconi die Tür geöffnet und eine schwächere und desorientierte Linke hinterlassen.
Konsequenzen für die Linke
Die Ereignisse in Italien zeigen die verheerende Wirkung von Regierungsbeteiligungen in Zeiten "leerer Kassen" und sich verschärfender wirtschaftlicher Konkurrenz. Die Auseinandersetzung um Regierungsbeteiligung der Linken ist nicht neu. Bereits die Sozialistin Rosa Luxemburg betonte 1898 in einem Artikel in der Sächsischen Arbeiter-Zeitung, dass es ein Irrtum sei zu glauben, "dass man auf dem Weg der Konzessionen die meisten Erfolge erziele". Wer zur Durchsetzung von Verbesserungen für die Masse der arbeitenden und sozial schwachen Menschen nur auf Verhandlungen mit den Mächtigen setze, ohne politischen Druck von unten aufzubauen, werde nie ans Ziel kommen, meinte sie. Auf dem Weg solcher parlamentarischen "Tauschgeschäfte (…) gelangen wir bald in die Lage des Jägers, der das Wild nicht erlegt und zugleich die Flinte verloren hat", schrieb sie.
Grundlegende Reformen lassen sich auf solchem Wege nicht durchsetzen. Dafür aber verlieren Linken das Vertrauen ihrer Unterstützer, weil sie ihnen eine Verschlechterung nach der anderen als notwendigen Kompromiss präsentieren. Eben das ist in Italien passiert.
Sozialistische Politik darf nicht die Verhältnisse und den von anderen Parteien gesteckten Rahmen hinnehmen. Die Alternative liegt in dem Aufbau einer außerparlamentarischen Gegenmacht, die sich auf die Selbstorganisation und Selbstaktivität der Menschen stützt, und die aus deren Kämpfen gegen das Kapital entstehen kann. Dabei kann eine sozialistische Partei eine große Hilfe sein – und diesem Zweck sollte auch ihre parlamentarische Arbeit dienen.