marx21-Leserinnen- und Leserdebatte zur Frage: »Mit einer Mitte-links-Regierung aus der Krise?« Lucia Schnell (Mitglied der LINKEN in Neukölln) meint, entscheidend ist weniger, wer regiert, sondern vielmehr, wer opponiert
Covid-19, Rassismus, Klimakollaps, Massenarmut – viele Krisen, ein System: Die Aufgabe der LINKEN ist es, gesellschaftliche Protestbewegung dagegen zu unterstützen und aufzubauen. Das bedeutet, gegen die verschärften Angriffe der Kapitalistenklasse auf soziale und politische Rechte der Lohnabhängigen in der Krise Widerstand zu leisten.
Die Mitte-links-Regierung in Berlin ist kein Beispiel für »rebellisches Regieren«
Die Einbindung in eine Mitte-links-Regierung, die die Krise verwaltet, steht diesem Ziel entgegen. Dies zeigen schon die Regierungsbeteiligungen der LINKEN auf Landesebene. Stichwort Berlin: Viele verweisen auf den »Mietendeckel« als Beispiel für erfolgreiches »rebellisches Regieren«.
Kuhhandel in der Mitte-links-Regierung
Doch dabei wird die Ausnahme zur Regel verklärt und verkannt, dass der »Mietendeckel« vor allem durch den jahrelangen Druck der außerparlamentarischen Bewegung zu Stande kam. Er kann über den Kuhhandel in der Koalition nicht hinwegtäuschen: Zustimmung zur Schuldenbremse, zur Schulbauprivatisierung und zur neoliberalen Ausschreibung der S-Bahn, Aufstockung des Polizeiapparats, Räumung von besetzten Häusern und Abschiebungen – die Liste der Kröten, die DIE LINKE zur Einhaltung der Koalition schluckt, ließe sich weiter fortsetzen.
Die Berliner LINKEN-Parteispitze rechtfertigt die neoliberale Ausschreibung der S-Bahn
Regierung bedeutet Verantwortung für die herrschende Politik in ihrer Gesamtheit. Das bringt DIE LINKE in Widerspruch zu außerparlamentarischen Bewegungen. Beispielsweise rechtfertigt die Berliner Parteispitze die neoliberale Ausschreibung der S-Bahn als alternativlos anstatt Widerstand aufzubauen. Wo DIE LINKE Teil von Landesregierungen ist, fällt sie als Opposition aus und kann als antikapitalistische Kraft weniger in Erscheinung treten. Das ist gefährlich, weil es Raum für die faschistische Rechte öffnet, von der Unzufriedenheit zu profitieren – der Erfolg der AfD in Thüringen muss uns eine Warnung sein.
Der Preis für den Regierungseintritt ist zu hoch
Eine Mitte-links-Regierung auf Bundesebene wäre noch fataler: Denn der Preis für den Regierungseintritt wäre mit den »roten Haltelinien« der LINKEN kaum vereinbar, die Sozial- und Stellenabbau, Privatisierungen, Militarisierung und Kriegseinsätze ausschließen. Doch SPD und Grüne haben in den Vergangenheit immer wieder klar gemacht, dass sie fest auf dem Kurs des deutschen Militarismus stehen und neoliberaler Politik nichts entgegensetzen. Eine LINKE, die ihre Prinzipien verteidigt, wäre für die Spitzen von SPD und Grüne nicht akzeptabel.
Was ist die Alternative zu einer Mitte-links-Regierung?
Dabei lehrt die Geschichte: Entscheidend ist weniger, wer regiert, sondern vielmehr, wer opponiert, und ob es gelingt, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu verändern und Zugeständnisse von Regierungen zu erkämpfen. Wie effektiv gesellschaftliche Gegenmacht sein kann, sehen wir momentan – ausgerechnet – in den USA: Auf Druck der Black-Lives-Matter-Bewegung beschließt der Stadtrat von Minneapolis die Auflösung der örtlichen Polizeibehörde.
Wir brauchen eine antikapitalistische, bewegungsaufbauende und oppositionelle LINKE
Ein Armutszeugnis sind dagegen die unterschiedlichen Regierungsbeteiligungen der LINKEN, die es nicht geschafft haben, Landesämter für Verfassungsschutz aufzulösen – in Brandenburg wurde sogar der Verfassungsschutz aufgestockt und das Polizeigesetz verschärft. Berlin, Bremen und Thüringen haben keine Fortschritte in der Klimapolitik gezeigt – die linke Senatorin in Bremen forderte sogar eine Abwrackprämie für Autos. Ein sozial-ökologischer Wandel wird nur durch außerparlamentarischen Druck erkämpft werden, da gibt es keine Abkürzung über Regierungsbeteiligung. Die sozialen Kämpfe in Deutschland brauchen eine antikapitalistische, bewegungsaufbauende und oppositionelle LINKE, nicht eine auf Regierungskurs getrimmte.
Zur Autorin:
Lucia Schnell ist Mitglied der LINKEN in Neukölln.
Weiterlesen:
Lucia Schnell und Irmi Wurdack über die Erfahrungen und Lehren aus 10 Jahre Rot-Rot in Berlin: »Eine linke Koalition für eine gerechtere Stadt?«. Lucia Schnell und Moritz Wittler über die Zwischenbilanz des aktuellen rot-rot-grünen Senats in Berlin: »R2G und DIE LINKE in Berlin: Ein Projekt auf dünnem Eis«.
DIE LINKE will grundlegende gesellschaftliche Veränderungen durchsetzen. Doch wie kann sie dies erreichen? Die marx21-Leserinnen- und Leserdebatte zur Frage: »Mit einer Mitte-links-Regierung aus der Krise?«. Manche plädieren für eine neue Mitte-links-Regierung, andere halten das für kontraproduktiv. Welche Chancen und Gefahren bringt eine linke Regierungsbeteiligung mit sich? Was bedeutet eine Mitte-links-Regierung für das Programm der LINKEN? Welche Erfahrungen mit Mitte-links-Regierung hat die Linke in der Vergangenheit gemacht? Diese und andere Fragen, wollen wir in den nächsten Wochen auf marx21.de mit Euch diskutieren
- Katja Kipping: »Die LINKE muss die Chance für Veränderung ergreifen«
- Lucia Schnell: »Eine Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen schadet der LINKEN«
- Lukas Eitel: »Die Logik der Regierungsbeteiligung hat zwei Kardinalfehler«
Was ist deine Meinung zu einer Mitte-links-Regierung?
Beteilige dich online an der Debatte via Facebook oder sende deinen Beitrag per E-Mail an redaktion@marx21.de. Oder schreibe uns per Post: marx21-Redaktion, Postfach 44 03 46 12003 Berlin. Bitte mit Absender. Wir freuen uns auf zahlreiche Zuschriften. Die interessantesten Beiträge veröffentlicht marx21 online sowie in der nächsten Ausgabe. Die Redaktion behält sich vor, Beiträge gekürzt zu veröffentlichen.
Schlagwörter: Debatte, R2G, Regierungsbeteiligung