Wer »Querdenken« ernst nehmen will, muss Mehrheiten dagegen mobilisieren. Sonst droht die Bewegung zum weiteren Aufbaupol für Nazis zu werden. Von Daniel Anton
Der 29. August war, wie schon der 1. August, eine Niederlage für die antirassistische und antifaschistische Bewegung in Berlin. »Querdenken« konnte erneut Zehntausende auf die Straße bringen, obwohl inzwischen wirklich für alle klar ist, wer und was dort offen mitmarschiert (Lies hier den marx21-Artikel: »Hygienedemos: Die Brandstifter sitzen in den Chefetagen«).
Querdenken und die Nazis
Björn Höcke und Dutzende weitere AfD-Abgeordnete auf Landes- und Bundesebene riefen auf am 29. August nach Berlin zu kommen, viele waren bei den Aktionen vor Ort. Sie stehen dabei in illustrer Gesellschaft: die Nazi-Partei »III. Weg«, die NPD, die Identitäre Bewegung, rechte Kampfsportgruppen und Reichsbürger waren bei beiden Demonstrationen klar durch Auftreten, Fahnen und Sprüche vertreten. Das ist wichtig zu betonen. Es geht nicht um ein paar Rechte, die sich auf die Demonstrationen verirrt haben, sondern um eine massive Mobilisierung und vor allem um die Akzeptanz von Nazis durch die Mehrheit der anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Querdenken als Aufbaupol
Ja, auch auf großen, links-geprägten Demonstrationen tauchen Rechte auf, etwa bei den Massendemonstrationen gegen die Agenda 2010. Doch es besteht ein gewaltiger Unterschied: die Thematik der Corona-Leugner und Impfgegnerinnen bietet ein enormes Anschlusspotenzial nach Rechts und so kommt eine gefährliche Dynamik in Gang, an deren Ende die organisierte Rechte profitieren dürfte – wenn die Linke sich nicht entgegenstellt.
Die rechte Gefahr zieht ihre Kraft aus der Straßenmobilisierung
AfD und Co greifen mit Leichtigkeit in die heterogene Szene der Corona-Leugnenden aus, was sich beim Thema Verschwörungstheorien, Impfgegnerschaft und vielem mehr anbietet. Diese Entwicklung könnte zu einem Revitalisierungsmoment werden, für eine AfD, die zumindest am Anfang der Pandemie in den Hintergrund gedrängt wurde, auch durch Black Lives Matter und andere antirassistische Mobilisierungen. Die rechte Gefahr sitzt nicht einfach im Parlament den Hintern ab, sondern zieht ihre Kraft aus der Straßenmobilisierung. »Querdenken« ist dabei ein Biotop für die rechte Szene, von der AfD bis hin zu klassischen Stiefelnazis.
Was macht die Linke?
Warum aber hat die Linke dem aktuell nichts entgegenzusetzen? Gerade mal geschätzte 3.000 Menschen stellten sich den bis zu 40.000 am vergangenen Samstag entgegen, DIE LINKE Berlin war trotz einstimmig gefassten Beschlusses kaum als Partei sichtbar, auch wenn viele Einzelmitglieder vor Ort waren. Das stellt nicht nur allgemein die Rolle der LINKEN bei antirassistischen Mobilisierungen in Frage, sondern wird auch deshalb zum Problem, weil ein nicht-kollektives Auftreten der Partei zur Nicht-Mobilisierung der Mitglieder beiträgt. Gerade in einer unübersichtlichen und teilweise gefährlichen Lage wie an jenem Wochenende braucht es kollektive Anreisen, Treffpunkte und eine Orientierung für die Mitglieder. Ein nachvollziehbarer Grund nicht zu den Gegenaktionen zu gehen, könnte für viele Menschen die Vorsicht vor weiteren Infektionsketten sein, aber das ist nur ein kleiner Teil der Erklärung. Das antirassistische Potential war durchaus in den vergangenen Monaten da. Bundesweit gingen tausende im Rahmen von BLM auf die Straße, in Neukölln gelangen große Mobilisierungen in Gedenken an den rechten Anschlag in Hanau und gegen rechten Terror in Berlin.
Akzeptanz von organisierten Nazis
Die Vermutung liegt nahe, dass im Kontext von »Querdenken« allzu bekannte Diskussionen wieder Aufwind gewinnen: zum einen die Angst davor, dass man die »nicht-Nazis« unter den Schwurblerinnen abschreckt, zum anderen, dass man die tatsächliche Gefahr, die durch diese Demos ausgeht, nicht ernst nimmt. Es kann aber nicht angehen, dass eine Linke nahezu tatenlos am Rand steht, während Menschen, mit tatsächlichem oder vermuteten Migrationshintergrund sich gegenseitig vor Nazigruppen in der Stadt warnen und teilweise nicht auf die Straße trauten. Es kann auch nicht angehen, dass sich die politische Auseinandersetzung darin erschöpft ständig auf Hippies, Esoterikern und anderen rumzureiten. Die sind teilweise verrückt, teilweise zum Lachen und Weinen und voller gefährlicher Ideen. Das größere Problem bleibt aber die offene Intervention und die große Akzeptanz von organisierten Nazis wie AfD, NPD, Dritter Weg, Identitären und Reichsbürgern in diesem Gemisch.
Linke Offensive?
Es stimmt auch: sowohl am 29., als auch am 1.August gilt, dass es sich um eine sehr kleine Minderheit an Leuten handelt. Viel zu viel für eine rechte Mobilisierung, aber kein Vergleich mit dem Potential, was etwa antirassistische Mobilisierung oder auch die Klimabewegung in den vergangenen Jahren auf die Beine gestellt haben. Auch klar ist, dass ein Gesamtkonzept im Kampf gegen Rechts nur mit linker Offensive, eigenen Forderungen und Kampagnen einhergehen kann. Dazu bieten die kommenden Monate genug Chancen, etwa bei den Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst oder im öffentlichen Nahverkehr. Aber: die Gefahr von rechts ist klar und wir müssen ihr uns jetzt entgegenstellen. Wenn wir wieder so lange über die Gefahr von »Querdenken« diskutieren, wie wir jahrelang über den Charakter der AfD diskutierten, verlieren wir Zeit, die die Gegenseite zum Aufbau nutzt. Für die nächsten Proteste braucht es von linker Seite eine breite Gegenmobilisierung, am besten unter aktiver Beteiligung von Gewerkschaften und Sozialverbänden. Das ist kein Wunschdenken: laut RTL/ntv-Trendbarometer haben 91 Prozent der Befragten kein Verständnis für die Corona-Demonstrationen, 51 Prozent geben zudem an, dass sie die Demonstranten nahe der AfD verorten.
Antworten auf die Pandemie
Es muss übrigens kein Widerspruch zwischen der Gegnerschaft zu »Querdenken« und eigenen, linken Antworten auf die Pandemie und die Krise des Kapitalismus bestehen. Grund für Protest gäbe es genug: der Applaus für die Beschäftigten in den Krankenhäusern ist verklungen, die Personalsituation dort, aber auch in Schulen, Kitas und Gesundheitsämtern bleibt prekär und verschärft die Corona-Lage weiterhin (Lies hier den marx21-Artikel: »Exit-Strategie der Bundesregierung: Heiße Luft und falsche Prioritäten«). Dort fühlen sich tausende Menschen tatsächlich von den Regierenden im Stich gelassen, dort muss Protest sein – ohne Rassisten, ohne Antisemitismus und mit Abstand.
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Schlagwörter: Antifaschismus, Corona, Faschismus, Protest