Dem marx21-Netzwerk wird viel angedichtet: »Demokratiefeindlich«, »trotzkistische Unterwanderung«, »Pakt mit Islamisten« oder »von London gesteuert«. Was ist dran an den Vorwürfen und warum arbeiten Revolutionärinnen und Revolutionäre überhaupt in der Linkspartei? Ein FAQ der marx21-Redaktion
Habt ihr weitere Fragen an das marx21-Netzwerk? Stellt sie uns! Wir versuchen sie zu beantworten. Einfach eine Mail an redaktion@marx21.de schreiben.
Wer ist marx21?
marx21 ist ein Netzwerk von revolutionären Sozialistinnen und Sozialisten innerhalb der Partei DIE LINKE, ihrer Jugendorganisation linksjugend [’solid] und des Studierendenverbands Die Linke.SDS.
Wie viele Unterstützerinnen und Unterstützer hat marx21?
Das Netzwerk unterstützen derzeit etwa 450 Menschen (Stand September 2020).
Wofür steht das marx21-Netzwerk?
Wir meinen, der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte. Klimakrise, Rassismus, Massenarmut und Arbeitslosigkeit, Militarisierung und Kriege – der Kapitalismus verhindert weltweit eine sozial gerechte, demokratische und auf Nachhaltigkeit beruhende Gesellschaft. Unter ihm leiden junge Textilarbeiterinnen in Indonesien oder Mittelamerika, die für einen Euro am Tag teure Designerkleidung nähen, die sie niemals tragen können, genau wie indische Bauern, die ihr Land an die Agrarindustrie verlieren und ihre gesamte Ernte an sie abgeben müssen, oder Opel-Arbeiter in Bochum, die entlassen wurden, weil weltweit zu viele Autos hergestellt werden. Wenn wir nur die dringendsten Probleme lösen wollen, ist eine Gesellschaft ohne Kapitalismus notwendig.
Es gilt die Kämpfe im Hier und Jetzt aufzubauen und zusammenzubringen
Die Wirtschaft muss demokratisch kontrolliert werden. Das würde den blinden Wettbewerb beenden und es den Menschen ermöglichen, gemeinsam die drastischen Schritte einzuleiten, die zur Bekämpfung von Armut, Arbeitslosigkeit, Krieg und Klima- und Umweltkatastrophen notwendig sind. Wenn die Automobil- und Ölkonzerne entmachtet werden, kann die gesamte Energie aus regenerativen Quellen wie Sonne, Wasser und Wind gewonnen werden.
Um eine andere Welt zu schaffen, brauchen wir eine demokratische Wirtschaft ohne Konkurrenz und Profit. Das verstehen wir unter einem modernen Sozialismus – eine sozialistische Gesellschaft, in der nicht Profite, sondern die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt stehen. Wir sind überzeugt, dass eine solche demokratische Gesellschaft frei von ökonomischer Ausbeutung und politischer Unterdrückung nicht per Parlamentsbeschluss, sondern nur über die Selbstaktivität der Arbeiterklasse, also der überwältigenden Mehrheit der lohnabhängigen Bevölkerung erreicht werden kann. Um diesem Ziel näher zu kommen, gilt es die Kämpfe im Hier und Jetzt aufzubauen und zusammenzubringen.
Warum arbeitet ihr als Revolutionärinnen und Revolutionäre in der »reformistischen« LINKEN?
Wir sind in der LINKEN aktiv, weil sie die erste gesellschaftlich relevante sozialistische Massenpartei (links von der SPD) in der Geschichte der Bundesrepublik ist. DIE LINKE ist eine plurale Partei, in der unterschiedliche linke Strömungen gemeinsam aktiv sind und daher auch um den politischen Kurs der Partei streiten. Wir meinen: Eine Alternative links von der Sozialdemokratie und den Grünen ist bitter nötig. Die Rechtswendung von SPD und Grünen in den letzten Jahrzehnten hat ein politisches Erdbeben ausgelöst. Auch hierzulande bricht sich die Frustration nach endloser neoliberaler Politik Bahn in einem brandgefährlichen Aufstieg der Rechten. Wir wollen mit unseren Ideen und unserem Einsatz dazu beitragen, die Partei DIE LINKE zu stärken und so eine politische Alternative zum entfesselten Kapitalismus, dem Aufstieg der Rechten und zu den etablierten, neoliberalen Parteien aufzubauen.
Welche Richtung schlägt marx21 für die LINKE vor?
»Eine glaubwürdige Linke muss links sein. Nicht halblinks, und auch nicht ein bisschen links. Nicht heute sehr links und morgen nicht mehr ganz so links. Einfach und konsequent links!«, mahnt einer der bekanntesten Theaterregisseure Deutschlands, Volker Lösch, zum zehnjährigen Parteijubiläum. Doch erfüllt DIE LINKE diesen Anspruch? Ist sie der Ort, an dem Menschen aktiv werden sollten, die die politischen Verhältnisse radikal ändern wollen, oder wird sie den gleichen Weg nehmen wie SPD und Grüne, die die Hoffnungen von Millionen von Menschen verraten haben. Das Programm der Linkspartei nimmt deutlich Stellung gegen die herrschenden Verhältnisse. Es ist allerdings keine Selbstverständlichkeit, dass DIE LINKE ihr Potenzial als sozialistische Kraft tatsächlich ausspielt.
Wir brauchen weder eine zweite SPD noch einen Klon der GRÜNEN
Denn auch sie ist vielfältigen Integrationsmechanismen in das kapitalistische Gesellschaftssystem unterworfen. Der Parlamentarismus begünstigt eine Stellvertreterpolitik, in der Abgeordnete und »Experten« das politische Geschäft fragmentiert und spezialisiert in Arbeitsbereichen und Ausschüssen betreiben. Die Partei erscheint hier als parlamentarische Repräsentantin statt als Akteur gesellschaftlicher Mobilisierung. Vor diesem Hintergrund erweckt DIE LINKE zu oft den Eindruck, dass sie das Land durch ihre bloße Präsenz und ihren Einfluss auf die anderen Parteien ändern könne. Es ist ein Problem, wenn die Partei nur in Wahlkämpfen so richtig zum Leben erwacht – und nicht etwa dieselbe Aktivität gegen Mieterhöhungen, Klimawandel, Privatisierungen, Entlassungen oder Rassismus an den Tag legt.
Wenn DIE LINKE glaubwürdig links sein und ausgreifen will, muss sie ganz anders sein als die etablierten Parteien – wir brauchen weder eine zweite SPD noch einen Klon der GRÜNEN. Das bedeutet einen Bruch mit der Fixierung auf Parlamente als wesentliches Aktionsfeld und als Hebel zur gesellschaftlichen Veränderung.
Wie steht marx21 zu Regierungsbeteiligungen der LINKEN?
Das marx21-Netzwerk lehnt Regierungsbeteiligungen der LINKEN auf der Grundlage der heutigen Kräfteverhältnisse ab. Ein Regierungswechsel bedeutet noch lange keinen Politikwechsel. Die Bilanz vergangener und aktueller Regierungsbeteiligungen linker Parteien zeigt, dass sich DIE LINKE damit nur zur Mitverwalterin des Status Quo macht oder sogar massive Verschlechterungen mitträgt. Dies führt zu Glaubwürdigkeitsproblemen. So zeigt DIE LINKE im Bundestag klare Kante gegen jede Privatisierung und die Verschärfung des Asylrechts. Gleichzeitig beteiligt sie sich in Landesregierungen am Abschieberegime und stimmt im Bundesrat der Privatisierung der Autobahn zu. Wo DIE LINKE Teil von Landesregierungen ist, fällt sie als Opposition aus und kann als antikapitalistische Kraft weniger in Erscheinung treten. Das ist gefährlich, weil es den linken Widerstand schwächt und Raum für die faschistische Rechte öffnet, von der Unzufriedenheit zu profitieren.
Wie steht marx21 zu den sogenannten roten Haltelinien?
Viele Wählerinnen und Wähler der LINKEN setzen ihre Hoffnungen auf ein Bündnis der »linken« Parteien. Gleichzeitig verbinden sie jedoch mit der Wahl der LINKEN die Erwartung auf einen echten Politikwechsel. Um für alle nachvollziehbar zu machen, dass DIE LINKE einen Politikwechsel will, Regieren aber kein Selbstzweck ist, hat die Partei die sogenannten roten Haltelinien entwickelt (Erfurter Programm). Dort heißt es: »An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen vornimmt, Sozial- oder Arbeitsplatzabbau betreibt werden wir uns nicht beteiligen.«
Das Netzwerk unterstützt diese Herangehensweise. In möglichen Verhandlungen um ein linkes Regierungsbündnis nach den Wahlen, sind »roten Haltelinien«, gemeinsam mit Mindestbedingungen, für DIE LINKE eine Möglichkeit, den Weg in die politische Isolation zu vermeiden, ohne die Identität der Partei zur verraten. Die »Haltelinien« definieren, was DIE LINKE unter keinen Umständen mitträgt. Mindestbedingungen formulieren einen linken Forderungskatalog, welcher die Lage der Menschen im Hier und Jetzt spürbar und schnell verbessern würde: Die Abschaffung der Hartz-IV-Gesetze, ein bundesweiter Mietendeckel, die Abschaffung der Schuldenbremse, der sofortige Ausstieg aus der Kohleverstromung, der massive Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs oder mehr Geld für Bildung durch eine Millionärssteuer. Ziel von Haltelinien und Mindestbedingungen ist, die Linie für eine Kompromissfindung öffentlich bekannt zu machen und die Partei gleichsam dafür zu wappnen, für diese Ziele aus der Opposition heraus zu kämpfen. Wenn Koalitionsgespräche an diesen Haltelinien der LINKEN scheitern, liegt die Verantwortung dafür bei den möglichen Koalitionspartnerinnen und nicht bei der LINKEN.
Die Existenz der »roten Haltelinien« ist kein Garant dafür, dass Politikerinnen und Politiker der LINKEN diese auch wirklich anwenden
Gleichzeitig ist auch klar: Die Existenz der »roten Haltelinien« sind kein Garant dafür, dass Politikerinnen und Politiker der LINKEN diese auch wirklich anwenden. In den Verhandlungen zu den Landesregierungen in Berlin, Bremen und Thüringen haben die Haltelinien keine oder eine untergeordnete Rolle gespielt – mit entsprechend negativen Konsequenzen.
Wir meinen: Der Schaden für DIE LINKE ist langfristig viel größer, wenn sie eine Politik mitmacht, die dem zuwiderläuft, wofür sie gewählt wird. Ein Verrat der LINKEN an ihren politischen Inhalten und der damit einhergehende Verlust an Glaubwürdigkeit ist die größte Gefahr für die Partei, denn damit würde sie ihren Daseinszweck verlieren. Es braucht keine weitere Partei, die ihr Programm, für das sie gewählt wurde, links liegen lässt und den »Notwendigkeiten« einer Regierungsbeteiligung opfert. Anstatt an der Seite von SPD und Grünen den Elendsverwalter zu geben, kommt es darauf an, außerparlamentarischen Widerstand aufzubauen und Druck auf die Regierung auszuüben.
Warum sind so viele Regierungsbeteiligungen von linken Parteien gescheitert?
Der Satz, »sie dachten, sie seien an der Macht, dabei waren sie nur an der Regierung«, stammt zwar nicht von Kurt Tucholsky, dem das Zitat oft zugeschrieben wird, beschreibt den Grund für das Scheitern des Reformismus aber sehr präzise: Die Macht in der Gesellschaft liegt nicht in erster Linie in den Parlamenten und Regierungen. Wir haben es mit einer ungeheuren Machtkonzentration großer Konzerne zu tun, die nicht bereit sind zuzuschauen, wenn eine linke Regierung Politik gegen sie machen möchte. Vielmehr versuchen sie, Regierungen zu einer kapitalfreundlichen Politik zu bewegen. Dabei ist den Herrschenden jedes Mittel recht: Von Diffamierungskampagnen über die Medien, zum wirtschaftsschädigenden Investitionsstreik, bis hin zum Einsatz von Gewalt. Der Staat selbst ist keine neutrale Institution – die Strukturen von Verwaltung, Justiz, Armee oder Polizei sind konservativ und weitgehend unabhängig von demokratischer Kontrolle. Dieses Demokratiedefizit kann auch eine Regierung unter Beteiligung von linken Parteien nicht grundsätzlich lösen.
Nur auf den Trümmern des bürgerlichen Staates
Der Staatsapparat ist Ausdruck der kapitalistischen Klassengesellschaft und der Eigentumsverhältnisse. Die Konzerne kontrollieren die Produktion und damit die Grundlage jeder Gesellschaft. Die Medien, konzentriert in den Händen weniger Unternehmen, bestimmen die alltägliche Berichterstattung. Linke Parteien sollten sich daher der Grenzen des Parlamentarismus bewusst sein. Um die gegenwärtigen Besitz- und Eigentumsverhältnisse infrage zu stellen, kommt es auf eine Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse an. Dafür braucht es Klassenkampf von unten – die Selbstaktivität der »Vielen« in Betrieben, Büros, Universitäten, Schulen und Wohnvierteln.
Wir orientieren uns an Rosa Luxemburg. Sie schrieb im Jahr 1899: »Es ist freilich Tatsache, dass die Sozialdemokratie, um praktisch zu wirken, alle erreichbaren Positionen im gegenwärtigen Staate einnehmen, überall vordringen muss. Allein als Voraussetzung gilt dabei, dass es Positionen sind, auf denen man den Klassenkampf, den Kampf mit der Bourgeoisie und ihrem Staate führen kann. (…) In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Sozialdemokratie dem Wesen nach die Rolle einer oppositionellen Partei vorgezeichnet, als regierende darf sie nur auf den Trümmern des bürgerlichen Staates auftreten.«
Wo sieht marx21 Alternativen zur Regierungsbeteiligung von linken Parteien?
Linke Parteien müssen sich nicht an der Regierung beteiligen, um die Gesellschaft zu verändern und für Reformen zu kämpfen. Weil die wahre Macht außerhalb der Parlamente und Regierungsgebäude liegt, muss auch der Kampf um Verbesserungen dort geführt werden: auf der Straße und in den Betrieben. Soziale und politische Errungenschaften – von der Einführung der Versicherungssysteme unter Bismarck im 19. Jahrhundert über das allgemeine Wahlrecht bis hin zur Energiewende unter Merkel – wurden durch soziale Kämpfe von unten gegen die Regierenden durchgesetzt. Demgegenüber haben die Mitte-Links-Regierungen in Europa seit den 1980er Jahren den Neoliberalismus vorangetrieben, ob nun Felipe González in Spanien, Tony Blair in Großbritannien oder Schröder/Fischer in Deutschland.
Die Arbeit der LINKEN muss vom Kopf auf die Füße gestellt und von Basis, Bewegung und Widerstand her gedacht werden
Damit linke Parteien zu einem vorwärtstreibenden Teil in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen werden können, müssen sie anders sein als die etablierten Parteien. Eine linke Parlamentsfraktion kann dafür hilfreich sein – eine Regierungsbeteiligung nicht, weder im Bund und noch in den Ländern. Selbstverständlich engagieren sich schon jetzt viele Mitglieder und Parteigliederungen in außerparlamentarischen Initiativen. Was fehlt, ist die Ausrichtung der Gesamtpartei darauf. Die Arbeit der LINKEN muss vom Kopf auf die Füße gestellt und von Basis, Bewegung und Widerstand her gedacht werden – in der Kommune, im Land und auf Bundesebene.
Lehnt marx21 den Parlamentarismus ab?
Die parlamentarische Demokratie und einmal erkämpfte demokratische Rechte sind weltweit unter Beschuss. Auch in Deutschland findet seit Jahren ein systematischer Zersetzungsprozess verfassungsrechtlich garantierter Freiheitsrechte statt. Schon die ersten sogenannten Anti-Terror-Pakete, die noch unter der rot-grünen Regierung verabschiedet wurden, lehnten nahezu alle Bürgerrechtsorganisationen zu Recht als »Katastrophe« ab. Mittlerweile haben die verschiedenen Behörden ein bedrohliches Arsenal an Möglichkeiten.
Wir verteidigen die parlamentarische Demokratie gegen solche Angriffe. Allerdings täuscht das Parlament über die realen Machtverhältnisse hinweg. Die Kapitalistenklasse und der Staatsapparat (Ministerien, Polizei, Armee, Gefängnisse, Justiz) agieren weitgehend unabhängig von demokratischer Kontrolle. Die Institutionen des Staates schützen die Interessen der Konzerne gegenüber der Masse der Bevölkerung, weil auch der Staat von einer gelingenden Kapitalakkumulation abhängt und zudem eng mit den ökonomischen Eliten verflochten ist. Der bürgerliche Parlamentarismus ist deswegen nicht die höchste Form der Demokratie, sondern eine sehr begrenzte.
Ist marx21 demokratiefeindlich?
Die Kritik an den Grenzen der repräsentativen Demokratie im Kapitalismus ist nicht »demokratiefeindlich«. Im Gegenteil: Als revolutionäre Sozialistinnen und Sozialisten sind wir für eine vollständige Demokratisierung der Gesellschaft, insbesondere der Wirtschaft – wir streiten für eine Vergesellschaftung durch eine Rätedemokratie von unten. Dafür müssen der jetzige undemokratische Staatsapparat und die Wirtschaft durch Organe der direkten Demokratie ersetzt werden. Solche Organe können nicht durch Parlamentsbeschlüsse eingeführt werden. Sie entstehen immer dann, wenn soziale Massenbewegungen bis hin zu Revolutionen die Gesellschaft ergreifen – von der Pariser Kommune bis zur Oktoberrevolution in Russland 1917 oder der Novemberrevolution 1918 in Deutschland; von den »Cordones Industriales« während der Regierungszeit Salvador Allendes 1970 bis 1973 in Chile bis zu den lokalen Räten in den Massenbewegungen in Ägypten 2011 oder im Sudan 2019.
Rätedemokratie ist demokratischer, als die parlamentarische Demokratie je sein wird
Diese Strukturen entstehen von unten, weil Menschen in solchen Kämpfen einen Ort brauchen, um ihren Widerstand zu koordinieren und die wichtigsten Bedürfnisse gemeinsam zu organisieren. Gleichzeitig entwickelt sich in diesem Prozess ein neues Modell, wie die Gesellschaft ganz anders organisiert werden kann – ein Modell, das weitaus demokratischer ist, als die parlamentarische Demokratie je sein wird. Im Gegensatz zu dieser ist in einer Rätedemokratie auch die Wirtschaft, der Staatsapparat und die Medien einer beständigen demokratischen Kontrolle durch die Bevölkerung unterworfen. Kennzeichnend für solche Strukturen waren seit der Pariser Kommune beispielsweise ein imperatives Mandat: uneingeschränkte Wählbarkeit und jederzeitige Abwählbarkeit der Abgeordneten und sämtlicher hoher Beamtinnen und Beamten.
Wenn sich solche Räte gegen eine Regierung durchsetzen, haben sie die Chance, eine andere Gesellschaft aufzubauen – eine sich selbst verwaltende Gesellschaft, in der Menschen sich am Arbeitsplatz und am Wohnort organisieren, um ihr Leben durch demokratische Entscheidungen selbst zu bestimmen. Wie die Erfahrungen des Ostblocks und der Sozialdemokratie zeigen, kann Sozialismus nicht von oben durch eine Parteielite über staatliche Maßnahmen eingeführt werden. Die Bürokratisierung der russischen Revolution und das Entstehen des Stalinismus zeigen zudem, dass eine sozialistische Gesellschaft auf Dauer nur international und mit demokratischer Kontrolle überleben kann.
Ist marx21 »trotzkistisch«?
Das Etikett »trotzkistisch« ist eine Fremdzuschreibung, weil wir uns auch in der antistalinistischen, antifaschistischen und revolutionären Tradition von Leo Trotzki verorten – obwohl wir den orthodoxen Trotzkismus kritisieren. In dieser Logik könnten wir uns auch Leninistinnen, Luxemburgianer oder sonst wie nennen. Das lassen wir aber. Die Linke ist genug zersplittert. Wir selber nennen uns »revolutionäre Sozialistinnen und Sozialisten«, weil im marx21-Netzwerk Marxistinnen und Marxisten zusammenarbeiten, die sich aus unterschiedlicher Sicht auf die historischen Erfahrungen der internationalen Arbeiterbewegung beziehen, um gemeinsam wirksame Strategien für die Anforderungen in unserer Zeit zu entwickeln.
Betreibt marx21 die Strategie des »Entrismus«?
Nein. Die Strategie des »Entrismus« wurde von verschiedenen revolutionären Kleingruppen ab den 1920er Jahren bis heute in unterschiedlichen historischen Kontexten angewendet – zumeist angelegt als kurzfristige Taktik, um in einem scharfen, harten Kampf mit den Reformisten und Zentristen die potentiell revolutionären Kräfte zu einigen, sich dann schnell abzuspalten und eine neue revolutionäre Partei zu gründen. Auch wenn das Netzwerk marx21 an dem Ziel einer revolutionären, linken Massenpartei festhält, begreifen wir unsere Arbeit in der LINKEN nicht als »Entrismus« – weder »deep«, noch »open«. Wir sehen die Gründung der LINKEN in Deutschland als Teil einer internationalen Neuformierung der Linken. In diesen neuen Parteien sind unterschiedliche politische Strömungen zusammengekommen, um eine Alternative links von der Sozialdemokratie aufzubauen. In diesem Prozess ringen Revolutionärinnen und Revolutionäre, genauso um Einfluss, wie linke Sozialdemokratinnen oder Post-Stalinisten.
Die Zukunft der Partei ist offen
Das marx21-Netzwerk agiert hierbei weder verdeckt, noch ist es unser Ziel, DIE LINKE »unter trotzkistische Kontrolle zu bringen« (Bayerischer Verfassungsschutz) oder möglichst schnell aus der LINKEN wieder auszutreten. Die Zukunft der Partei ist offen und das marx21-Netzwerk arbeitet gemeinsam mit anderen daran, dass DIE LINKE zu einem vorwärtstreibenden Teil in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen werden kann. Wenn schon historische Vergleiche bemüht werden, sehen wir das Netzwerk eher in der Tradition von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und der Spartakusgruppe.
Steht das marx21-Netzwerk für einen Schulterschluss der Linken mit »Islamisten«?
Nein. Der Vorwurf zeigt vielmehr: Die Debatte um den Umgang der Linken mit religiösen Minderheiten ist selbst von Rassismus durchdrungen. Musliminnen und Muslime werden pauschal dem Verdacht ausgesetzt »Islamisten« zu sein (siehe FAQ »Warum spricht das Netzwerk von antimuslimischen Rassismus?). Die bekanntesten Lautsprecher dieser Position sind Islamfeinde wie Thilo Sarrazin, Pegdia oder die AfD, die behaupten, der Islam sei unvereinbar mit dem Grundgesetz. Als Antirassistinnen und Antirassisten stellen wir uns gegen einen solchen Generalverdacht gegen Muslime. Für Linke sollte es selbstverständlich sein, im Kampf gegen Rassismus Solidarität mit allen Betroffenen zu üben.
marx21 ist areligiös, aber nicht antireligiös
Was Sarrazin und die AfD aussprechen, setzen andere in die Tat um: Die Islamfeindlichkeit in Deutschland wächst dramatisch. Von rassistischen Beschimpfungen auf der Straße, Drohbriefen oder hasserfüllten Postings in den sozialen Medien bis hin zu gewalttätigen Übergriffen. Für die Betroffenen ist der antimuslimische Rassismus nicht erst seit Hanau zu einer alltäglichen Bedrohung geworden. Mit von Rassismus Betroffenen üben wir Solidarität unabhängig von deren Glaubensinhalten und Überzeugungen. Das gilt für Muslime genauso wie für Angehörige anderer religiöser und ethnischer Minderheiten. Wir wollen nicht nur über Muslime reden, sondern mit ihnen über die Unterdrückung – auch, damit sie ihre subjektive Erfahrung einem Publikum zugänglich machen können, das diese Erfahrung nicht macht. Der gemeinsame Kampf für demokratische Rechte und gegen rassistische Unterdrückung ist auch eine Chance, den Einfluss reaktionärer politischer Strömungen unter egal welcher religiösen Konfession zurückzudrängen. marx21 ist genauso wie DIE LINKE areligiös, aber nicht antireligiös (Lies hier den marx21-Artikel: »Atheismus, Säkularismus und Religionsfreiheit«).
Warum spricht das Netzwerk von antimuslimischem Rassismus?
Rassistische Ideologien sind keine fixen, konstanten Gebilde, sie sind einem historischen Formwandel unterworfen. Das Wesen des Rassismus besteht darin, Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder anderer äußerlicher Merkmale oder anderer ethnisch-kultureller Herkunft als Menschen zweiter Klasse abzuwerten, zu diskriminieren und auszugrenzen bis hin zur Deportation und zur physischen Vernichtung. Rassismus ist ein Angriff auf die Gleichwertigkeit und Einheit der Menschheit unabhängig von ihrer Hautfarbe oder kulturell-religiösen Besonderheiten. Rassismus entsteht, indem Menschen wegen ihres Äußeren, ihrer nationalen oder ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer Religion negative Eigenschaften zugeschrieben werden. Gemeinsam ist allen Erscheinungsformen des Rassismus, dass die den vermeintlich Anderen zugeschriebenen negativen Eigenschaften als unveränderlich und unhistorisch dargestellt werden.
Islamfeindlichkeit ist eine Ideologie, die Muslimas und Muslime sowie den Islam insgesamt als völlig anders als die eigene Gruppe – in unserem Fall die »deutsche Mehrheitsgesellschaft« – darstellt und damit ausgrenzt. Ihnen werden aufgrund ihrer Religion besondere Merkmale und Verhaltensweisen unterstellt. Folglich werden Menschen mit einem vermeintlich muslimischen Hintergrund unabhängig von ihrer Selbstverortung nur noch über ihre Religion definiert: Ein Mensch handelt so oder so, weil er Muslim sei. Anstelle der Konstruktion der »Rasse« werden Menschen in das Korsett einer kulturell-religiösen Gruppe gesteckt. Diese fiktive Gruppe wird als Einheit gesehen.
Die zunehmende Islamfeindlichkeit erfüllt mittlerweile alle Merkmale des klassischen Rassismus
So wird seit Jahren der Islam in der Öffentlichkeit gezielt mit überwiegend negativ besetzten Themen in Zusammenhang gebracht: Terrorismus, Frauenunterdrückung, Homophobie oder Antisemitismus. Das passiert, obwohl in Deutschland die allermeisten Terrorangriffe auf das Konto des Rechtsterrorismus gehen. Überwiegend sind Menschen muslimischen Glaubens Opfer von Gewalt und nicht Täter. Auch die Angriffe auf das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und auf die Rechte von Homosexuellen stammen in Deutschland hauptsächlich nicht von islamischen Gläubigen, sondern von fundamentalistischen christlichen Strömungen und der politischen Rechten. Bundesweit demonstrieren seit mehreren Jahren tausende sogenannte Lebensschützer gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Verschwiegen wird zudem, dass antisemitische Einstellungen in Deutschland nach dem Krieg nie verschwunden sind und dabei 95 Prozent aller als antisemitisch registrierten Straftaten auf das Konto von deutschen Rechten gehen. Die zunehmende Islamfeindlichkeit erfüllt mittlerweile alle Merkmale des klassischen Rassismus – deswegen sprechen wir von einem antimuslimischen Rassismus.
Wie steht marx21 zum Verfassungsschutz?
Das »Bundesamt für Verfassungsschutz« ist ein Inlandsgeheimdienst. Er wird als politisches Instrument eingesetzt, um politische Gegnerinnen und Gegner zu bespitzeln, zu diskreditieren und pauschal als »verfassungsfeindlich« zu brandmarken. Diese Behörde schützt weder die Verfassung, noch hilft sie dabei, Nazis zu bekämpfen. Spätestens aus der Geschichte des NSU wissen wir, dass der »Verfassungsschutz« Teil des Problems und nicht Teil der Lösung ist. Wir haben in den NSU-Untersuchungsausschüssen gesehen, dass die V-Mann-Struktur zu einer Stärkung der rechten Szene beigetragen hat, weil dadurch Geld in die Szene geflossen ist. Im direkten Umfeld des NSU waren über 40 V-Männer von verschiedenen Verfassungsschutzämtern. Diese haben überhaupt nichts zum Kampf gegen rechts beigetragen. Der Geheimdienst ist ein Fremdkörper in einer Demokratie und mit einem Rechtsstaat nicht vereinbar. DIE LINKE fordert zu Recht, den Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form aufzulösen.
Stimmen die Informationen des Verfassungsschutzes über marx21?
Nein, marx21 ist weder »die deutsche Sektion des internationalen trotzkistischen Dachverbandes ›International Socialist Tendency‹ (IST) mit Sitz in London (Großbritannien)«, noch hat marx21 »rund 300 Mitglieder«, noch unterstützt das Netzwerk den bundesweiten Zusammenschluss »Sozialistische Linke« (SL).
Wird das marx21-Netzwerk telefonisch von »London gesteuert«?
Eines der witzigsten Gerüchte über uns. Und ja, es stimmt, wir haben tatsächlich einen Telefonanschluss. Und ja (liebe FAZ) wir telefonieren auch mal mit Menschen aus London. Genauso wie mit Genossinnen und Genossen aus Paris, Beirut oder New York. Als Internationalistinnen und Internationalisten lassen wir uns das nicht nehmen. Aber unsere »Zentrale« ist wirklich nicht in London. Das ist uns zu teuer.
Wie ist marx21 aufgebaut?
Wir sind ein wachsendes Netzwerk und haben uns bewusst den Namen eines »Netzwerks« gegeben. Das bedeutet, dass unserer Strukturen nicht statisch sind, sondern organisch wachsen und sich den veränderten politischen Rahmenbedingungen anpassen. Einmal im Jahr findet die marx21-Unterstützendenversammlung (UV) statt. Sie ist das höchste beschlussfassende Gremium des Netzwerks. Wir kommen dort zusammen, um über die politischen Perspektiven zu diskutieren. Auf der Versammlung wird der marx21-Koordienierungskreis gewählt. Er ist verantwortlich für die politische Leitung des Netzwerks zwischen den UV’s. Zudem gibt es im Netzwerk lokale Gruppen von Unterstützerinnen und Unterstützern. Alle Gremien des Netzwerks treffen Entscheidungen mit einfacher Mehrheit, soweit nicht anders festgelegt. Unser Ziel: solidarische Diskussion und vereinte Aktion.
Wie kann ich bei marx21 mitmachen?
Wir müssen mehr werden, um wirklich etwas zu erreichen. Wenn du die politischen Leitsätze, die Regeln und unseren Text »Das marx21-Netzwerk stellt sich vor« richtig findest, melde dich bei uns, um mitzumachen. Wir können Deine tatkräftige Unterstützung gebrauchen. In etlichen Regionen sind bereits Unterstützergruppen aktiv. Eine Liste von lokalen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern findest du hier. Bei Fragen und Anregungen kannst du dich auch gerne telefonisch an uns wenden.
Was sagt das Netzwerk zur Kandidatur von Janine Wissler zum Parteivorsitz der LINKEN?
Unsere langjährige Unterstützerin Janine Wissler hat ihre Bereitschaft erklärt, für den Parteivorsitz der LINKEN zu kandidieren. Die Entscheidung für eine Kandidatur zum Parteivorsitz ist eine persönliche Entscheidung von Janine und keine von marx21. Für den linken Flügel in der LINKEN bietet ihre Kandidatur eine Chance: Nicht nur, weil damit die Chancen erhöht werden, den Kurs einer bewegungsorientierten und klassenkämpferischen Mitgliederpartei weiterzuentwickeln, sondern auch, um das antikapitalistische und antirassistische Profil der Partei zu schärfen.
Mit ihrer Kandidatur beendet Janine ihre Mitgliedschaften in der Sozialistischen Linken, der Bewegungslinken und auch bei marx21. Diese Entscheidung ist eine Konsequenz für die Kandidatur zum Parteivorsitz. Als Netzwerk sehen wir die Entscheidung daher auch mit einem weinenden Auge, verlieren wir doch eine prominente Unterstützerin. Wie mit den vorherigen uns nahestehenden Parteivorsitzenden werden wir gemeinsam den Kampf um eine klassenkämpferische, sozialistische Mitgliederpartei führen. In diesem Sinne unterstützen wir Janines Kandidatur und freuen uns auf die nächsten Wochen bis zum Parteitag.