DIE LINKE im Berliner Senat preist sich für die angeblich erfolgreiche Regierungspolitik von R2G im Bündnis mit den sozialen Bewegungen der Stadt. Die letzten Monate zeigen jedoch genau das Gegenteil, meint Daniel Anton
Ganz tief im Herzen hofft man ja dann doch manchmal, dass die Abkürzung funktionieren könnte: Warum nicht einfach rebellisch regieren? Warum nicht einfach den Reichen dieser Stadt, den Immobilienmogulen und Investoren per Gesetz und progressiver Mehrheit die Grenzen aufzeigen? Warum nicht eine rote Insel Berlin vom Senat aus aufschütten? Es ist ja nicht so, als hätte sich DIE LINKE Berlin überhaupt nicht weiterentwickelt. Es ist ein weiter Weg von Harald Wolfs »progressiver Entstaatlichung«, dem Euphemismus, der dem Verkauf von 200.000 städtischen Wohnungen den Weg ebnete, hin zum Slogan der Wahlkampagne 2016: »Wir holen uns die Stadt zurück!«. Vielleicht war es sogar der Versuch einer Abrechnung mit den vergangenen Regierungskonstellationen und mit den damaligen Fehlern.
R2G: Anspruch und Wirklichkeit
Während früher noch ziemlich offen linke Traditionslinien, etwa der Widerstand gegen Privatisierung, in Frage gestellt wurden, gibt es nun verbale Kampfansagen. Doch die Logik der Regierungsbeteiligung bleibt die gleiche und Anspruch und Wirklichkeit prallen auch bei R2G weiter aufeinander. Die Farce wiederholt sich.
Möglicherweise ist die Frage von Haltung und Realität sogar schon einer der entscheidenden Punkte, der zum Nachdenken über die Regierungskoalition auffordern müsste: Vielleicht sind die Ansprüche der linken Mitglieder des Abgeordnetenhauses inzwischen andere, vielleicht identifizieren sie sich wirklich mit der antirassistischen, antikapitalistischen Stadtbewegung. Vielleicht ist das aber im Endeffekt auch egal. Denn die Bilanz der vergangenen Monate liest sich aus linker Sicht wie unter ganz anderen Farbkonstellationen im Senat des Abgeordnetenhauses und zwar quer durch die thematische Bank.
Abschiebung, Polizeigewalt und Rechtsterror
So wurden Ende Juli 200 Menschen, darunter Kleinkinder und Schwerkranke nachts aus ihren Betten geholt und nach Moldawien abgeschoben. Im Juni kam es bei der größten Black Lives Matter-Aktion zu massiver Polizeigewalt, vornehmlich gegen People of Colour. Der rechte Terror und die zahlreichen Verstrickungen der Berliner Polizei und Justiz sind Grund für ein fast schon tagtägliches Gefühl von Ohnmacht, Wut und Angst um Genossinnen und Genossen. Ein Untersuchungsausschuss gegen rechten Terror? Fehlanzeige.
Auf den Punkt lautet die Frage: Nehmen wir als LINKE in Kauf, dass von Koalitionsseite nahezu nichts gegen die Lebensgefährdung von Migrantinnen und Antifaschisten unternommen wird oder stellen wir schon allein an diesem Punkt die Zusammenarbeit mit den vermeintlichen »Partnerinnen« in der Regierungskoalition in Frage? Rühmen wir uns als LINKE glaubwürdig als antirassistischer Akteur oder lassen wir zu, für die rassistische Praxis der »Clanrazzien« in Geiselhaft genommen zu werden?
DWE und S-Bahn-Privatisierung
Weder bei diesen Fragen, noch in anderen Bereichen zeigen die Genossinnen und Genossen im Senat den Mut, sich mit der SPD anzulegen. So war es dem Innensenator Andreas Geisel und dem Bürgermeister Michael Müller möglich, über viele Monate die Entscheidung zur Zulässigkeit des Volksentscheids »Deutsche Wohnen und Co enteignen« zu verzögern. So hole ich mir die Stadt in der Koalition wohl eher nicht zurück.
Alles auf den Koalitionspartner zu schieben, wäre aber auch falsch. Unter tatkräftiger Mitwirkung der LINKEN wurde die Berliner S-Bahn öffentlich ausgeschrieben und die Zerschlagung droht. Im schlimmsten Fall könnten statt dem DB-Konzern, der immerhin noch teilweise unter öffentlicher Kontrolle steht, in Zukunft bis zu sieben Unternehmen für die Geschicke der S-Bahn verantwortlich sein, aber vor allem mit öffentlichem Gut Profite machen. Allein die vage Hoffnung, dass man sich mit einem städtischen Verkehrsunternehmen eventuell irgendwann die S-Bahn unter den Nagel reißen könnte, ist unter R2G schon genug, um die Gefahr einer Privatisierung bereitwillig mitzutragen.
R2G: Ausverkauf an Immobilienhaie
Weiter geht es dann direkt am Tatort Hermannplatz. Dort will der österreichische Milliardär Rene Benko das Karstadt-Gebäude in verklärter Nostalgie-Architektur als 20er-Jahre-Prachtbau ummodeln. Anwohnerinitiativen sorgen sich zurecht nicht nur um die Ästhetik des Platzes, sondern viel mehr um die Auswirkungen auf die Nachbarschaft, die Aufwertung des Kiezes und die damit fast zwangsläufig einhergehenden Mietsteigerungen. Während die hiesigen Bezirksverbände der LINKEN protestieren, unterschreibt der LINKE Vize-Bürgermeister Klaus Lederer einen »letter of intent«, der für die vage Zusicherung der Arbeitsplätze der Karstadt-Beschäftigten für drei bis fünf Jahre Benko freie Hand für seine Investitionen lässt. Stolz ließ Lederer sich bei der Unterschrift ablichten. Es ist der selbe Benko, der trotz 5,2 Milliarden Euro auf dem Konto 5.000 Karstadt-Beschäftigte vor die Tür setzen will.
Nur ein paar Meter weiter ist dann der Schauplatz für das nächste Lehrstück darüber, wer sich unter R2G tatsächlich die Stadt holt. Dort befand sich seit 35 Jahren die linke Kiezkneipe »Syndikat«, die nun auf Geheiß der Investorengruppe »Pears Global« mit 700 Polizisten, Straßensperren und Hubschraubern geräumt wurde. Die Reaktion der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus war dabei symptomatisch für die Logik von vermeintlich rebellischer Regierungsbeteiligung. In einem Tweet äußerte sie sich wie folgt: »Die geplante Räumung des #Syndikat ist zweifellos ein schwerer Schlag im Kampf um eine Stadt, in der es Platz für alternative Freiräume geben soll. Die rechtliche Situation ist aber leider eindeutig.«
Das ist zu gleichen Maßen juristisch richtig, wie es für eine linke Haltung arm und falsch ist. Doch es ist eines der vielen Muster, mit denen R2G legitimiert, verteidigt und aufgehübscht wird. Mal würde man ja gerne anders, aber kriegt leider die Koalitionspartner nicht überzeugt, mal muss man leider den Bundesgesetzen folgen, mal ist man ja immerhin weniger schlimm als die nächstrechte Koalition und pflegt das Bild des kleineren Übels so lange, bis man selbst das große Übel ist.
Hinterzimmer statt Einbindung der Basis
Zugegeben, der Autor dieser Zeilen ist vorbelastet und hat ein grundsätzliches Problem mit Regierungsbeteiligung. Aber neben den konkret benannten Punkten scheitert DIE LINKE in Berlin auch aus regierungswohlwollender Perspektive an den Ansprüchen des »rebellischen Regierens«, einem Regieren in engem Austausch mit den zahlreichen widerständigen Bewegungen dieser Stadt und mit der Basis der Partei.
Konkret wird das etwa bei der Diskussion um den Mietendeckel. Dieser wird zurecht von vielen linken Kräften gefeiert. Ja, der Mietendeckel ist ein linker Coup, den es – trotz mancher Schwäche – zu verteidigen gilt. Aber zur Wahrheit gehört auch: Ohne die außerparlamentarische Kraft der Mieterinnenbewegung hätte DIE LINKE in der Regierung niemals den Rückenwind gehabt, um mit diesem kühnen Vorschlag um die Ecke zu kommen. Trotzdem hat man im Prozess genau diesen Rückenwind ignoriert. Statt frühzeitig mit den Initiativen und Protestbewegungen ins Gespräch zu kommen, statt die Parteibasis frühzeitig ins Boot zu holen, folgte die Genese des Deckels der Logik des Hinterzimmers. Erst ein Leak der Boulevardpresse brachte den Stein ins Rollen und setzte die Genossinnen und Genossen darüber ins Bild, was dort überhaupt diskutiert wird. Die LINKE-Bezirksverbände wurden erst Wochen später bei einer Basiskonferenz vor vollendete Tatsachen gestellt. Erst dann gab es die Möglichkeit, Kritik zu äußern, die dann wiederum als den Abgeordneten in den Rücken fallend markiert wurde.
Quadratur des Kreises
Es gab und gibt womöglich Spielräume für das »rebellische Regieren« oder »linken Munizipalismus« oder wie immer man die Quadratur des Kreises nennen möchte. Aber selbst die wurden nicht genutzt. Die Grünen machen nicht den Eindruck, dass sie sich von ihrer neoliberalen Grundausrichtung verabschieden werden und die SPD führt den linken Koalitionspartner am Nasenring durch die Manege und zieht knallhart ihre Law-and-Order-Innenpolitik durch.
Und wenn wir noch einen Schritt zurückgehen, werden die Aussichten auch nicht besser. Ließen die einigermaßen sprudelnden Steuereinnahmen der vergangen Jahre vielleicht noch etwas Gestaltungsraum, so werden die Coronakrise und wegfallende kommunale Einnahmen DIE LINKE wieder viel stärker in die Rolle des Elendsverwalters drängen.
R2G: Which side are you on?
Machen wir es kurz. Frei nach Müntefering: Linke Regierungsbeteiligung ist Mist. Einzelne Beispiele für positives Wirken werden dem selbstgesteckten Anspruch nicht gerecht und sie verkennen die Möglichkeiten, die die polarisierte Gesellschaft bietet. Nein, die Revolution steht auch nicht vor der Tür, aber eine außerparlamentarische Stadtgesellschaft, die in nicht zu verachtenden Teilen offen über Enteignung, die Rolle von Großinvestoren, Rassismus und Polizeigewalt diskutiert und die im Zweifel ohne eine linke Regierungspartei die Frage stellt: »Wem gehört die Stadt?«.
Wir stehen wieder einmal vor einem »which side are you on?«-Moment und die Abgeordnetenhauswahl im kommenden Jahr wäre der richtige Zeitpunkt, um die Frage auch in der LINKEN Berlin neu zu stellen.
Schlagwörter: Berlin, R2G, Regierungsbeteiligung