Die Aufnahme des Regelbetriebs an den Schulen war von Beginn an ein Spiel mit dem Feuer. Um einen ausreichenden Gesundheitsschutz zu gewährleisten, braucht es Milliardeninvestitionen im Schulsystem, meinen Florian Fandrich und Jan Friedrichs
»Jeder hat das Recht auf Bildung«, heißt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Dieser vor Corona selten beachtete Artikel wurde im Herbst für die Kultusministerien zum vorgeschobenen Totschlagargument, um den Regelbetrieb an den Schulen so schnell wie möglich wieder aufzunehmen. Ein angemessenes Schutzkonzept sowie ein Milliardenprogramm für mehr Personal und zusätzliche Räume? Fehlanzeige.
Die Unvernunft der partyhungrigen Jugend – na klar!
Und so steigen seit der Öffnung der Schulen die Corona-Infektionszahlen besonders unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 14 und 35 Jahren. Fast jede zweite neu infizierte Person fällt in diese Altersgruppe. Die Unvernunft der partyhungrigen Jugend – na klar!
Dieser Kommentar ist eine Vorabveröffentlichung aus dem neuen marx21-Magazin mit dem Titel: »Alle reden vom Regieren. Wir nicht.« (Das Heft erscheint am 20. Oktober 2020). Bestelle jetzt Dein Jahresabo und Du erhältst die neue Ausgabe inklusive toller Prämien frei Haus
Mittlerweile befinden sich Zehntausende Schülerinnen und Schüler sowie mehrere Tausend Lehrkräfte in staatlich verordneter Quarantäne. Klassen, Jahrgangsstufen und teilweise ganze Schulen werden von heute auf morgen wieder dichtgemacht.
Schutzkonzepte zu teuer?
Ja, die dauerhafte Schließung der Schulen wäre auch keine Option, aber ohne einen ausreichenden Gesundheitsschutz sicherzustellen, war die Wiederaufnahme des Schulbetriebs von Anfang an ein Spiel mit dem Feuer.
Dabei wäre es sehr gut möglich, die Schulen für einen sicheren Betrieb auszurüsten. Aber die nötige Anschaffung von Luftfiltern und CO2-Messgeräten in den Klassenzimmern wurde als »zu teuer« befunden. Mehr Personal für kleinere, feststehende Lerngruppen und die Ausweitung der Schulräume fielen wie das flächendeckende Testen ebenso unter den Tisch.
Neun Milliarden Euro ist allein das deutsche Corona-Hilfspaket für die Lufthansa schwer. Die rund elf Millionen Schülerinnen und Schüler und etwa 800.000 Lehrkräfte können nicht mit so viel Großzügigkeit rechnen. Statt auch hier Milliardensummen in die Hand zu nehmen, wurde so getan, als seien Schulen als Infektionsort kein größeres Problem. Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) ließ eine Studie anfertigen, die auf Grundlage geringer Ansteckungszahlen an sächsischen Schulen im Mai und Juni behauptete, Kinder seien sogar »Bremsklötze der Pandemie«.
Tausende Corona-Fälle an Schulen
Nun hat es allein im Monat September bundesweit in mindestens 1.875 Schulen Corona-Fälle gegeben und in dieser Statistik sind nur Fälle erfasst, die durch die Medien gegangen sind. Auch wenn Covid19 für Kinder und Jugendliche weniger gefährlich zu sein scheint, sind die Langzeitfolgen einer Erkrankung noch längst nicht absehbar. Zudem gibt es auch hier Risikogruppen, insbesondere unter den Lehrerinnen und Lehrern, aber auch unter den Schülerinnen und Schülern selbst sowie ihren Angehörigen zuhause.
Die erzwungene flächendeckende Schulschließung im Frühjahr war eine harte Belastungsprobe für Eltern, Kinder und Jugendliche, für die Lehrkräfte wie für die über Jahrzehnte kaputt gesparten Schulsysteme insgesamt. Alleinerziehende, berufstätige Eltern oder Familien mit geringem Einkommen wurden genauso allein gelassen wie das überforderte Personal – der Lehrkräftemangel ist nicht erst seit Corona ein Problem und bereits der normale Unterricht kann nicht abgedeckt werden.
Wer es nicht packt, bleibt eben sitzen
Die Bildungsgerechtigkeit leidet, wenn die Schulen ihrem Auftrag nicht nachkommen können. Dass es bei der Rückkehr zum Regelbetrieb jedoch nicht um die Schülerinnen und Schüler geht, zeigte sich bereits, als die Abschlussjahrgänge inmitten der Pandemie zu ihren Prüfungen für Abitur und Mittlere Reife geordert wurden. Statt unter diesen Bedingungen den permanenten Leistungsdruck im neoliberalen Bildungssystem zu senken, wurde von Schülerinnen und Schülern erwartet, sich den Schulstoff weitgehend in Eigenregie anzueignen, Klausuren zu schreiben und wer es nicht packt, bleibt eben sitzen und wiederholt den Jahrgang.
Das »Recht auf Bildung« bleibt ein vorgeschobenes Argument. Es sind weder Lehrerinnen noch Schüler, die den verantwortlichen Politikerinnen und Politikern im Nacken sitzen, sondern Arbeitgeberinnen und Wirtschaftsvertreter. In Großbritannien hat die Lehrergewerkschaft eine erfolgreiche landesweite Kampagne für eine sichere Schulöffnung und gegen das gesundheitspolitische Versagen der Regierung gestartet. Die bräuchte es auch hierzulande.
Foto: Pixabay / Alexandra Koch
Schlagwörter: Bildung, Corona, Inland, Schule