Glosse von Thomas Walter
Vor dreißig Jahren fiel der Kommunismus. In ihrer zweitausendjährigen Geschichte hatte es die katholische Kirche schon mit vielen Gegnern zu tun gehabt. Jetzt war es wieder einmal einer weniger. Und ihr damaliger polnischer Papst Johannes Paul der Zweite hatte sogar an zentraler Stelle mitgewirkt, diese gottlose Ideologie auszutreiben. Doch schon dreißig Jahre später, für die Kirche eine historische Sekunde, droht neues Ungemach. Ausgerechnet die erzkonservative Frankfurter Allgemeine Zeitung legt ihren Lesern den Austritt aus der Kirche nahe und das auch noch in ihrer Ausgabe zum heiligen Sonntag. Welcher Teufel hat die FAZ geritten, dass sie in Kirchenfragen in die Schuhstapfen des SED-Zentralorgans Neues Deutschland tritt?
Stein des Anstoßes ist die letzte Enzyklika des Papstes »Fratelli tutti«. Eine Enzyklika ist laut Wikipedia ein »belehrendes päpstliches Rundschreiben«. Traditionell sind solche Schreiben in Kirchenlatein abgefasst. »Fratelli tutti« ist aber kein Latein, sondern Italienisch für »Alle Brüder…«. Den Päpsten ist inzwischen aufgefallen, dass Jesus in seinen Predigten kein Latein sprach, sondern die Sprache derjenigen, von denen er gehört werden wollte. Von Jesus lernen heißt siegen lernen.
Neoliberalismus glaubt an Wunder
Bisher hatte nur Marx die Esoterik des Kapitalismus aufgedeckt, in der Waren und Kapital zu »Fetischen« werden. Das sind tote Gegenstände, von denen geglaubt wird, dass sie »übersinnliche« (esoterische) Eigenschaften hätten. Inzwischen stört sich der Papst daran, dass die kapitalistische Lehre des Neoliberalismus schwer im religiösen Terrain wildert. Erschrocken stellt der Papst fest, dass der Neoliberalismus sogar eigene »Dogmen« hat mit einem eigenen »Credo«. Das sind Dinge, auf die eigentlich die katholische Kirche die Urheberrechte beansprucht. Und dann ist der Neoliberalismus auch noch der schwarzen Magie verfallen. So würde der Reichtum der Reichen laut »Dogma des neoliberalen Credos«, das auch noch »gebetsmühlenartig wiederholt« wird, auf »magische« Weise zu den Armen herunter sickern (trickle down) oder zu diesen hinüber schwappen (spill over). Dem Papst sind Wunder sicherlich nicht fremd, aber hier kommt er doch ins Zweifeln.
Allerdings hat der Papst schon früher gesündigt. In »Evangelii gaudium« (etymologisch mit dem bayerischen »Gaudi« verwandt, hier: »Freude des Evangeliums«) stellte er 2013 fest: »Diese Wirtschaft tötet.« Neoliberale bangten: Meint er mit dieser Wirtschaft etwa den Kapitalismus? Schließlich stehen ihnen schon die Haare zu Berge, wenn sie einen Blick in die Urtexte des Christentums werfen: »Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Kapitalist in den Himmel« (Übersetzung angepasst). Neoliberale setzten allerdings Sprachwissenschaftler auf diesen Text an. Diese wurden fündig. Ersetzt man im griechischen Originaltext »kamelos« durch »kamilos«, kommt ein völlig anderer Inhalt heraus: »Eher kommt ein Seil durch ein Nadelöhr, … « (Die Sprachwissenschaftler warten übrigens bis heute auf ihre Gutachtengebühr.)
Zinsverbot inzwischen aufgehoben
Es könnte die Neoliberalen beruhigen, dass die Kirche in der Vergangenheit durchaus lernfähig war. So sind die drei Religionen Judentum, Christentum und Islam, die sog. drei »abrahamitischen Religionen«, die alle Abraham als einen der Urväter kennen, ursprünglich auf das Zinsverbot festgelegt. Dieses steht in jenen Teilen der Bibel, die für alle diese drei Religionen verbindlich sind. Doch die Entwicklung der Produktivkräfte wirkte sich im ideologischen Überbau aus: Im Mittelalter kamen findige Kaufleute auf die Idee, über »mercationes ad terminum«, über Termingeschäfte, das Zinsverbot auszuhebeln. Wachsamen Theologen blieb dies nicht verborgen. Doch kein anderer als der Heilige Thomas von Aquin stellte in einem Gutachten seines in Paris angesiedelten scholastischen Thinktanks fest, dass diese »Termingeschäfte« keine Sünde seien. Seitdem stehen die Finanzmärkte auch für Christen offen.
Ansonsten lieben Neoliberale auch das »Subsidiaritätsprinzip« der katholischen Soziallehre. »Subsidiarität« heißt eigentlich Beihilfe, Unterstützung. Das »Subsidiaritätsprinzip« meint aber eher das Gegenteil: Nur die Individuen sollen unterstützt werden, die das nicht selbst können. Also eine Art »Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!« Kein Wunder, dass hier Neoliberale frohlocken. Nach ihrem Credo gilt ja: »Wer Arbeit sucht, findet auch Arbeit«. Also muss nach katholischer Soziallehre, wenn richtig, also neoliberal interpretiert, niemand unterstützt werden.
Der nächsten Produktionsweise entgegen
Der Kirche selbst sind auch neoliberale Umtriebe keineswegs fremd, im Gegenteil. Der Vatikan hatte sogar einmal einen »Bankier Gottes«, einen gewissen Roberto Calvi. Dieser trieb sich öfters im Londoner Finanzviertel herum. Dort wurde er dann allerdings 1982 unter einer Themsebrücke erhängt aufgefunden – nicht weil er den Märtyrertod für die Katholische Soziallehre starb, sondern weil er wohl bei den falschen Leuten irgendwelche Rechnungen schuldig geblieben war.
Doch vielleicht macht gerade diese Anpassungsfähigkeit der Kirche die Neoliberalen nervös. Bisher hat es die Kirche geschafft, mit drei Produktionsweisen klar zu kommen, mit der Sklavenhaltergesellschaft, dem Feudalismus und schließlich dem Kapitalismus. Wenn sie es jetzt aufgrund ihrer zweitausendjährigen Erfahrung für ratsam hält, neue Pilgerrouten in Richtung Sozialismus, der nächsten Produktionsweise, zu erkunden, ist das jedenfalls für Anhänger der historisch überkommenen Produktionsweise Kapitalismus alarmierend.
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Schlagwörter: Katholische Kirche, Papst Franziskus