Die Niederlande erlebten rechte Krawalle gegen Corona-Maßnahmen. Nun geben Faschisten Migranten die Schuld für die Gewalt, die sie selbst organisierten. Von Jeroen van der Starre
Im vergangenen Jahr hat die rechte Bewegung in den Niederlanden mit Straßenprotesten gegen die Corona-Maßnahmen einen qualitativen Sprung nach vorne machen können. Bisher konnten Rechte nur selten mehr als ein paar hundert Menschen mobilisieren. Doch Willem Engel, der bekannteste Anführer der Corona-Leugner*innen und eine ganze Reihe anderer rechter Demagog*innen haben es im letzten Jahr geschafft, ein ganz neues Publikum zu erreichen mit ihren antisemitischen Verschwörungstheorien und ihrer Verharmlosung des Holocausts – der im Vergleich zur Maskenpflicht angeblichen nicht so schlimm gewesen sei.
Die Proteste haben eine immer gewalttätigere Dynamik bekommen. Schon vorher haben rechte Proteste in Krawallen geendet und haben rechte Aktivist*innen und durchgedrehte Verschwörungstheoretiker*innen Politiker*innen und Journalist*innen verfolgt und bedroht. Das ist nicht verwunderlich, denn obwohl Engel und sein Gefolge sagen, sie würden »Liebe« predigen, steckt die Entwicklung zur politischen Gewalt schon im Keim in ihren Verschwörungstheorien. Diesen zufolge seien wir kurz davor, von einem gefährlichem »kommunistischen« Feind unterworfen zu werden. Die Zeit, das Unheil abzuwehren, sei fast abgelaufen. Als Wendepunkt habe sich die Einführung der Sperrstunde herausgestellt.
Die Gewalt begann am Sonntag, dem 16. Januar, als ein Protest der neofaschistischen Verschwörungsclique »Die Niederlande im Widerstand« auf dem Museumplein in Amsterdam aus dem Ruder lief. »Die Niederlande im Widerstand« ist eine Facebookseite, die behauptet, die eher esoterisch geprägte Teile der rechten Corona-Verschwörungsszene seien zu hippiemäßig. Reijingas Gruppe will härtere Aktionen und hat einen klar antisemitischen Character. Ihr Protest auf dem Museumplein eskalierte auch wegen der Anwesenheit organisierter Kerne von Nazis so gewaltig. Die antifaschistische Recherchegruppe Kafka hat auch einen Nazi aus Deutschland erkannt.
Proteste gegen Corona-Maßnahmen
»Die Niederlande im Widerstand« hatte im Vorlauf zur Parlamentswahl am 17. März eine ganze Demonstrationsreihe angekündigt. Die Krawalle des letzten Wochenendes sind direkt aus diesen Demonstrationen heraus entstanden. Auf der Binnenrotte in Rotterdam hat ein bekannter Neonazi eine kleine Aktion angeführt, die allerdings, wahrscheinlich nur wegen der niedrigen Teilnehmer*innenzahl, ohne Gewalt verlief. Im streng christlichen Insel-Dorf Urk, eine Hochburg der Rechten bei den Wahlen, sind örtliche rechte Jugendliche, angestachelt von Geert Wilders’ PVV, abends auf die Straße gegangen und haben eine Corona-Teststraße angezündet. Davor fiel dasselbe Pack auf mit dem Versuch, eine marokkanische Familie zu lynchen.
Für den Tag danach wurden erneut rechte Demonstrationen in Amsterdam und Eindhoven organisiert. Diese mündeten wieder in großflächigen Krawallen. In Eindhoven hat eine Koalition aus den in den Niederlanden rechts geprägten Gelbwesten, Pegida, und »Die Niederlande in Widerstand« zusammen mit Hooligans verschiedener Clubs aus Noord-Brabant die Zerstörung gefördert. Wie auf Urk ist die Gewalt auch in Eindhoven nicht vom Himmel gefallen. In den letzten Jahren hatten örtliche faschistische Fussballfans schon ihre Erfahrungen gesammelt mit Angriffen auf Aktivist*innen von »Kick Out Zwarte Piet«, die Bewegung gegen die rassistische mit dem niederländischen St. Nikolaus-Fest verbundene Karikatur »Zwarte Piet«. Jetzt fühlen sie sich stark genug, den Kampf mit der Polizei aufzunehmen.
Faschisten und die Niederlande
Die Krawalle zeigen, dass die rechte Bewegung, die sich im letzten Jahr auf der Straße aufbauen konnte, jetzt eine gewisse Massenmobilisierungskraft hat und sich stark genug fühlt, um Gewalt anzuwenden. Behauptungen, dass hinter diesem gewalttätigen Nazipack eine eigentlich vernünftige und zusammenhängende Kritik an der Corona-Politik steckt, sind reiner Unsinn.
Es gibt guten Grund, sauer zu sein auf die Sperrstunde der Regierung. Sie ist ein grober Eingriff in unsere Freiheit, die obendrein kaum helfen wird, die Verbreitung von Corona vorzubeugen. Und viel wirkungsvollere Maßnahmen hat die Regierung eben nicht beschlossen – Homeoffice ist immer noch komplett freiwillig und das Kabinett weigert sich, gegen Arbeitgeber*innen, die ihre Belegschaft in Gefahr bringen, vorzugehen. Das ist immer das Motiv der Corona-Politik der Regierung gewesen: Die Kapitalinteressen gehen vor Gesundheit. Das ganze Ziel der Sperrstunde ist es, einen Sündenbock dafür zu bieten, um davon abzulenken, dass die Regierung scheitert.
Bei den Krawallen blieb eine inhaltliche Kritik aus. Sie wurden angestachelt von den Rechten, die Corona klein reden und benutzen, um ihre Verschwörungstheorien zu verbreiten. Ihre Aktionen sind auch ein Angriff auf die Pfleger*innen, denn diese seien angeblich auch Teil der großen Verschwörung. Die Gewalt folgte genau dieser Logik. Außer der Teststraße auf Urk ist ein Krankenhaus in Enschede angegriffen worden. Das Jeroen-Bosch-Krankenhaus in Den Bosch hatten die Krawallmacher*innen ebenfalls zum Ziel. Obwohl sie das Krankenhaus nicht erreichen konnten, haben sie doch die Notaufnahme deutlich behindert. Dazu sind viele Kleinunternehmer angegriffen worden, obwohl das die Leute sind, die die Corona-Leugner*innen zu vertreten meinen.
Migrantische Jugendliche seien Schuld
Die Teilnehmer*innen an den Krawallen wurden mobilisiert mittels rechtsextremer Propaganda und angestachelt von PVV und FvD. Nach dem Wochenende hat sich aber etwas geändert. Die rechten Krawalle hielten an, in deren Kielwasser gingen nun aber auch Jugendliche aus Brennpunktvierteln wie dem Schilderswijk in Den Haag auf die Straße. Diese leiden am meisten unter der Sperrstunde, da sie oft mit einer ganzen Familie in einem kleinen Apartment wohnen und meist lange bei ihren Eltern bleiben, weil eine eigene Wohnung unbezahlbar ist. Die Straße ist dann der einzige Ort, wo man in der Freizeit hingehen kann.
Gleichzeitig sind es Jugendliche in diesen Vierteln, die in den letzten Jahrzehnten am meisten unter der neoliberalen Kürzungspolitik gelitten haben. Wenn Nachbarschaftstreffpunkte noch nicht weggekürzt wurden, sind sie nun wegen Corona geschlossen. Dazu kommt, dass die Sozialarbeit massiv weggekürzt wurde und dass die Flexibilisierung der Arbeitsmarktes, die Wohnungsnot und hohe Wohnungspreise ihre Zukunft nicht gerade vielversprechend aussehen lassen. Außerdem kennen sie die Polizei als die rassistische Behörde, die sie ist. Manche lassen es sich nicht nehmen, es den »Bullen« heimzuzahlen, wenn sich die Chance anbietet.
Rassistische Grundstimmung
Obwohl ein Großteil der Gewalt immer noch in weißen Kleinstädten stattfand, wurden die Fernsehkameras auf das arme Viertel Hillesluis in Rotterdam gerichtet, wo etwa 150 bis 200 Jugendliche randaliert und Läden geplündert haben. Die antirassistische Partei Bij1 in Amsterdam sagt, dass es Anzeichen gibt, dass ein Teil der Krawallaufrufe in Brennpunktvierteln von außen kamen, von sogenannten »akzelerationistischen« Rechten. Obwohl die Krawalle in armen Großstadtvierteln viel kleiner waren als die rechten Krawalle in Amsterdam und Eindhoven, kehrte der öffentliche Diskurs direkt wieder zur gewohnten rassistischen Stimmung zurück. Die Alternative wäre, die rechte Radikalisierung ernsthaft zum Thema zu machen, aber das will offenbar niemand.
Unterstützt von der rassistischen Fixierung von Medien und Politik machten auch die Rechten eine Kehrtwende. Dies war die perfekte Chance, ihre Hände in Unschuld zu waschen und weiter rassistische Hetze gegen muslimische Jugendliche zu machen. Die Partei »Forum für Demokratie« von Thierry Baudet, welche die Krawalle vorher angestachelt hatte, verkündete plötzlich, dass die »Massenimmigration« Schuld war. Der faschistische Ideologe Joost Niemoller tat dasselbe. Corona-Hauptleugner Willem Engel fand, dass er gleichzeitig zur Gewalt ermuntern als auch seine Hände in Unschuld waschen kann. Einerseits behauptete er, dass die Krawallen »von einem bestimmten Geheimdienst gesteuert« werden, andererseits legitimierte er bewaffnete Gewalt, indem er behauptete, dass die Niederlande wie im Zweiten Weltkrieg einer ausländischen Besetzung unterworfen seien. Als »Beweis« dafür diene, dass die Polizei überlegt hatte, um Unterstützung von Sondereinsatzkräften aus Belgien und Deutschland zu bitten.
Die Niederlande, Bürgerwehren und Polizei
Die mehr auf die Straße orientierenden Teile der rechten Szene folgten dem Vorbild ihrer politischen Führer. Während rechte Hooligans in Eindhoven eine zentrale Rolle bei den Krawallen spielten, gingen dieselben nun in anderen Städten auf die Straße, um angeblich »ihre Städte« zu schützen. Eine ganze Reihe Hooligan-Gruppen gaben eine Erklärung ab mit fast genau derselben Inhalt: Sie unterstützen die »Corona-Proteste«, können die »Plünderer«, womit sie migrantische Jugendliche meinten, aber nicht leiden. In Groningen kam eine solche Erklärung von »Groningen Hooligan Crew«, eine gewalttätige Nazi-Hooligan-Gruppe, die in den letzten Jahren dadurch auffiel, dass sie Antirassistist*innen bei bei der Ankunft von St. Nikolaus angegriffen haben und dabei den Hitlergruß machten. Auch die Maastrichter Hooligans scheuten nicht vor physischen Angriffen auf linke und antirassistische Aktivist*innen zurück. Im Achterhoek hat die faschistische »Farmers Defence Force« der Polizei ihre Hilfe angeboten.
Auf diese Weise versuchten faschistische Gruppen, die Schuld für die rechten Krawalle von sich zu weisen und gleichzeitig auf migrantische Jugendliche zu lenken. Und obendrauf stellten sie sich selbst dar als hilfsbereite Bürgerwehren, die helfen würden, die Ordnung zu wahren und schufen damit eine Basis für Schlägertrupps.
Manchmal hat die Polizei dieses Spiel mitgemacht. In Den Bosch arbeiteten faschistische Hooligans und die Polizei zusammen. Die Hooligans haben sogar Jacken bekommen. Im Nachhinein verneinte die Polizei dies wieder, warscheinlich nach einer Intervention der nationalen Polizei. Sie wurde am Dienstagabend, den 26. Januar, nicht müde zu betonen, dass sie die Hooligans zwar sehr schätzte, die Aufrechterhaltung der Ordnung sei aber Polizeiaufgabe und die Hooligans sollten sich auch an die Sperrstunde halten. Emile Roemer, der ehemalige Vorsitzende der Sozialistischen Partei und nun Bürgermeister von Alkmaar – wo es überhaupt keine Krawalle gegeben hat – erklärte, dass er »stolz« sei und dass er es »außergewöhnlich positiv« fand, dass fünfzig uniformierte Rechte auf die Straße gingen, um eine Schlägerei zu provozieren. Die Hooligans können jetzt unter Anführung eines Nachbarschaftsbeamten auf Streife gehen.
Grundrechte in Gefahr
Es ist mehr als beunruhigend, dass die Polizei auf lokaler Ebene dermaßen mit rechten Hooligans zusammengearbeitet hat. Damit hilft sie, die faschistische Gewalt zu legitimieren. Dies kann man nicht verstehen, ohne die vielen Berichte über Rassismus und rechte Sympathien in der niederländischen Polizei. Die Polizei und die Polizeigewerkschaften nehmen die Krawalle zum Anlass, ihre Befugnisse auszudehnen, was die Innenbehörden zum Glück bisher noch nicht unterstützen. Doch werden an unterschiedlichen Orten ohne offensichtlichen Anlass Notverordnungen verhängt, wodurch die Polizei schon vor der Sperrstunde nach Gutdünken kontrollieren und verhaften kann.
Die Tatsache, dass unsere Grundrechte auch an dieser Front unter Druck stehen, unterstreicht, wie wichtig es ist, das wir aktiv werden müssen, um das Demonstrationsrecht zu verteidigen. Wir wissen, dass jede Einschränkung des Demonstrationsrechts vor allem gegen Links angewendet werden wird. Da die Rechten sich zum ersten Mal stark genug fühlten, in Amsterdam und Eindhoven die frontale Konfrontation mit der Polizei zu suchen, ist es eine Frage der Zeit, bis sie ihre Gewalt auch mehr gegen linke Aktionen wenden werden – wie sie es schon seit Jahren gegen Aktivist*innen gegen »Zwarte Piet« tun.
Teile der Linken meinen, dass es wegen Corona nicht praktikabel sei, Straßenaktionen zu organisieren. Damit geben sie den Rechten alle Gelegenheit, sich weiter aufzubauen und so wird die Linke weiter in den Hintergrund rücken. Anstatt dem Druck der Reaktionäre stattzugeben, sollten wir uns viel öfter auf der Straße sehen lassen. Denn wir müssen eine breite wie kämpferische antifaschistische Bewegung aufbauen, um die faschistische Bedrohung zurückzudrängen.
Jeroen van der Starre ist Chefredacteur der niederlänischen Zeitung De Socialist.
Aus dem Niederländischen von Freek Blauwhof.
Foto: Roel Wijnants CC BY-NC
Schlagwörter: Corona, Covid-19, Faschisten, Nazis, Niederlande