Die menschgemachte Klimakrise schreitet voran. Trotzdem hält das Kapital an seinem Kurs fest: kompromisslose Ausbeutung von Mensch und Natur. Dagegen formt sich weltweit radikaler Widerstand. In Algerien, Marokko und Tunesien mobilisiert sich ein »Umweltaktivismus der Armen«. Die Bevölkerung in Nordafrika kämpft gegen ihre ökologische und soziale Ausbeutung. Von Karim Khoury
Der Klimaforscher Peter Wadhams rechnet damit, dass in den nächsten Jahren der erste eisfreie Sommer in der Arktis kommen wird. Dies würde einen exponentiellen Anstieg der Erderwärmung und der Treibhausgase bedeuten. Die Klimakrise schreitet voran und zerstört Existenzen.
Im Kapitalismus wird die Natur für Profite ausgebeutet. Die Klimakrise ist also Teil des Kapitalismus, der nach wie vor in einem auf fossilen Brennstoffen basierenden System gefangen ist. Für multinationale Unternehmen sind, nach Martinez-Alier, »ihre Profite vom Zugang zu den wichtigsten Energieressourcen abhängig«. Es sind die Vermögenden der Welt, die den Löwenanteil an der menschengemachten Klimakrise zu verantworten haben. Unternehmen konkurrieren global um möglichst hohe Profite. Dabei »verlassen sie sich auf die Macht des eigenen Nationalstaates, um den Zugang zu diesen Ressourcen und Märkten zu sichern«. Innerhalb dieser Strukturen behalten die imperialistischen Wirtschaftsprozesse die Kontrolle.
Die dahinter liegende Logik blockiert tiefgreifende Maßnahmen, die die Klimakrise bremsen könnten. Denn diese Prozesse führen dazu, dass Kapital und Staat ihre Interessen »weiterhin mit dem Zugang zu und der Kontrolle über fossile Brennstoffe verknüpfen«.
Damit die Menschen aus den ärmsten Teilen der Welt dabei nicht stören, werden Gesetze verabschiedet und Mauern hochgezogen. Sie diskriminieren jene, die am meisten unter den Folgen leiden müssen und die am wenigsten zu dem Problem beigetragen haben. So in Afrika, das den niedrigsten Kohlenstoff-Fußabdruck pro Kopf aller Kontinente hat.
Klimakrise ist Klassenkampf
Wesentlicher Bestandteil des Umweltaktivismus in Nordafrika ist die Forderung nach sozialer und ökologischer Gerechtigkeit. Diesen Zusammenhang erkannte der Umweltaktivist Hamza Hamouchene. Er untersuchte soziale Umweltbewegungen in der Maghreb-Region und fand heraus: Die Aktivist:innen in Algerien, Marokko und Tunesien verlangen »sozioökonomische Rechte wie Arbeitsplätze, Entwicklung der städtischen und ländlichen Infrastruktur, Verteilung des Wohlstands und Demokratisierung der Entscheidungsfindung«. Sie kämpfen gegen ihre soziale Ausgrenzung, die Gewalt und den Autoritarismus des Neoliberalismus und seiner Eliten. Die sozialen Umweltbewegungen in Nordafrika sind ein Klassenkampf gegen jegliche Ausbeutung und Herrschaft. Dabei prangern sie das kapitalistische Entwicklungsmodell im Ganzen an.
So zum Beispiel in Salah, Algerien, eine der reichsten Städte auf dem Kontinent gemessen an Gasvorkommen. Trotzdem ist die lokale Infrastruktur miserabel. Das einzige Krankenhaus der Stadt nennen die Bewohner aufgrund des schlechten Zustands auch »Krankenhaus des Todes«. Die Imider-Mine in Marokko lässt die natürlichen Wasservorkommen versiegen. In Tunesien zerstörte eine phosphatverarbeitende Fabrik die Oase von Chenini.
Zwischen Umwelt- und Klimakrise
Verarmt und marginalisiert entspringt der Widerstand der Aktivist:innen den »Verteilungskonflikten um die Nutzung der für den Lebensunterhalt notwendigen ökologischen Ressourcen«. Es geht um Umweltgerechtigkeit verbunden mit Kritik an den nationalen Eliten. Denn letztere rauben im Schulterschluss mit imperialistischen Staaten und internationalen Konzernen ihren Ländern die natürlichen Ressourcen und den Menschen ihre Lebensgrundlage. Zum Beispiel durch die Agroindustrie, den Massentourismus oder den Ressourcenabbau in Algerien, Marokko und Tunesien: Die Landwirtschaft in Nordafrika richtet die EU insbesondere auf die eigenen Bedürfnisse aus. Die exportorientierte und wasserintensive Monokultur-Agrarindustrie in (Halb-)Trockengebieten erschöpft die Grundwasservorkommen. Die Umwandlung von Ackerland der örtlichen Nahrungsmittelproduktion hin zum Anbau von für den Export bestimmten Oliven und Zitrusfrüchten sorgt für eine Importabhängigkeit zu (teils spekulativen) Weltmarktpreisen.
Sie sind dreist
In Algerien formierte sich die sog. Arbeitslosenbewegung, die sich in das informelle Netzwerk Nationale Koordination für die Verteidigung der Rechte von Erwerbslosen (NCDUR) eingliedert. Seit 2013 mobilisierte das Netzwerk zehntausende Arbeitslose. Sie lehnen die Ausbeutung von Schiefergasvorkommen ab, begehren gegen ihre wirtschaftliche Ausgrenzung auf und fordern menschenwürdige Arbeitsplätze sowie soziale Gerechtigkeit. »Warum profitieren wir nicht von dem Ölreichtum, der unter unseren Füßen liegt?«, fragt der algerische Aktivist Karim. Er protestierte im Februar 2015 in Ouargla gegen Fracking. Währenddessen wurde bekannt, dass französische Unternehmen wie Total und Engie SA (Fusion aus Gaz de France und Suez, GDF Suez) bald in Algerien Schiefergas abbauen könnten, nachdem es ihnen in Frankreich verboten wurde.
»Man sieht die schlimme Situation unserer Stadt und seiner Infrastruktur, und jetzt haben sie [die Politiker] die Dreistigkeit zu kommen und unser Wasser zu verschmutzen. Sie wollen uns opfern […]. [W]ir werden angesichts dieser Ungerechtigkeit nicht still bleiben«, so der Aktivist Salah. Derweil versuchten die Behörden, die Bewegung zu zerschlagen, sie zu diskreditieren oder auch für ihre Ziele zu kooptieren.
Wasserquellen versiegen
Ähnliche Prozesse fanden in Marokko statt. Die Amazigh-Gemeinschaften in Imider kämpfen gegen die größte und produktivste Silbermine Afrikas. Auf ihrem Land befindet sich die Imider-Mine, die von der Societé Metallurgique d’Imider (SMI) betrieben wird und sich im Besitz der privaten Holdinggesellschaft (SNI) der marokkanischen Königsfamilie befindet. Im Jahr 2017 katapultierte die Mine Marokko unter die größten 20 Silberproduzenten der Welt.
Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung, vornehmlich junge Erwachsene, schaffte sie keine. Stattdessen verschmutzte das Unternehmen die Umwelt und grub Brunnen für die Produktion, was die Wasserquellen versiegen ließ. Das traditionelle unterirdische Kanalnetz (Khettara-System) aus dem 14. Jahrhundert wurde zerstört und kann Felder nicht mehr mit Wasser versorgen.
Entsprechend setzten sich in Imider die Bäuerinnen und Bauern, die Arbeitslosen und die Wanderarbeiter:innen seit fast drei Jahrzehnten zur Wehr. Protestmärsche und Sitzstreiks vor der Mine gehörten ebenso zu ihren Aktionen wie die Besetzung der Mine selbst. Auf letztere reagierte der Staat mit Gewalt und der Inhaftierung von Aktivist:innen.
Die Mine setzt ihren Betrieb fort
Im Jahr 2011 errichteten junge Erwachsene – überwiegend Student:innen, Arbeitslose und proletarisierte Landarbeiter:innen – ein Protestcamp auf dem Berg Alebban. Dies galt als der längste Protest in der Geschichte Marokkos. Die Forderungen an das Unternehmen und die Behörden: Schluss mit dem Wasserraub lokale Entwicklungsprojekte und Arbeitsplätze für die Bewohner:innen der Region.
Die Aktivist:innen bauten einen Gemeindeverband auf, die Bewegung auf der Straße 96. Sie vernetzten sich mit internationalen Bewegungen, nahmen an den internationalen Klimagesprächen in Marrakesch (COP22) teil, setzten ihren Kampf auf die internationale Agenda und konnten dadurch den Widerstand aufrechterhalten. Unternehmen und Staat ignorierten das Protestcamp in Alebban. Unter dem Schutz der Sicherheitsbehörden setzte die Mine ihren Betrieb fort.
Auslöser war der Tod zweier Kinder
Auch in Gabès, Tunesien, kam es regelmäßig zu Protesten gegen die Ausbeutung der Umwelt. Das Aussterben einheimischer Arten und durch industrielle Umweltverpestung hervorgerufene Krankheiten waren und sind Alltag.
Bei den Aufständen von 2010/11 nahmen die Arbeiter:innen die Phosphatindustrie ins Visier. Sie legten die Produktion in vielen Minen im Süden des Landes lahm. Ausrüstung wurde sichergestellt und die Wasserzufuhr gekappt. Nach den Umbrüchen erhöhte die Raffinerie die Produktion.
Im Jahr 2013 zogen wiederholt Protestierende durch die Straßen. Unmittelbarer Auslöser war der Tod zweier Kinder in Chott Esselam, der von der Gemeinde mit massiver industrieller Verschmutzung in Verbindung gebracht wurde. Jährlich sollen 13.000 Tonnen an Giftmüll in den Golf von Gabès gelangt sein. Beim Raffinieren von Phosphat entsteht radioaktiver Abfall, der Uran und Radium enthält. Eine Untersuchung des Golfes von 2011 stellte eine »allgegenwärtige Verschmutzung« durch Schmiermittel, Treibstoffe, Rohöle und Abwässer fest.
Gabès verkommt zum »Strand des Todes«
Die Transparente der Demonstrierenden auf Arabisch, Englisch und Französisch kündeten von 40 Jahren ökologischer Katastrophen in ihrer Gemeinde mit gravierenden Auswirkungen: Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten, Lebensraumzerstörung und Todesfälle. Angelehnt an die Parolen von 2011 rufen sie »Verschmutzung, raus hier!«. Die Polizei setzte Tränengas ein und unterdrückte den Protest südlich des großen Raffineriekomplexes.
Einst war Gabès für seinen guten Fisch bekannt, aber den könnten sie aufgrund der Verschmutzung nicht mehr essen, sagte die Aktivistin A’muri. Die Oase von Gabès wurde von den Vereinten Nationen zum Weltkulturerbe bestimmt. Sie ist Heimat vieler Vogelarten, mehr als 40 verschiedener Dattelpalmarten und eines komplexen, indigenen Bewässerungssystems. Jedoch mischen sich Klimawandel, Raubbau und Überfischung mittlerweile mit der Verschmutzung, was das Ökosystem zerstört. Den Strand nennen die Einheimischen nur noch den »Strand des Todes«.
Klimakrise ist Systemkrise
Die genannten Beispiele aus Algerien, Marokko und Tunesien verdeutlichen den Widerspruch: Die neoliberalen Reformen können der Klimakrise nicht entgegentreten, sondern verschärfen diese noch weiter. Armut, Arbeitslosigkeit, Giftmüll, Verpestung der Luft und Verschmutzung des Grundwassers sowie der Meere plagen Nordafrika.
Der Kapitalismus wird weder die Klima- noch die Umweltkrise beheben. Um sich dem entgegenstellen zu können, müssen Unternehmen, die globale Produktion und die Verteilung ihrer Güter demokratisiert werden. Eine solche Demokratisierung der Wirtschaft und die damit verbundene Umverteilung wird auf dem Weg der Reformen durch die Institutionen des Staates nicht erreichbar sein. Das ist nur auf den Trümmern des Neoliberalismus und des kapitalistischen Wirtschaftssystems möglich.
Stattdessen vertieft die imperialistische Außenpolitik der EU und USA diese Strukturen weiter. Der globale Norden kontrolliert die Ressourcen mit politischem, militärischem und wirtschaftlichem Druck. Gegen den Widerstand aus der Bevölkerung antworten die Regime mit polizeilicher und militärischer Repression. Diese hat ihren Ursprung in Europa, hier in Deutschland, wo die Unterstützung, Ausrüstung und Ausbildung der Sicherheitskräfte zu großen Teilen herkommt.
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Schlagwörter: Imperialismus, Kapitalismus, Klima, Klimakrise, Nordafrika