Das Dorf Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier ist wichtiger Schauplatz im Kampf gegen die weltweite Klimakatastrophe. Die Klimaverbrecher:innen von RWE wollen an das fossile Kapital – Lützeraths Einwohner:innen sollen dafür weichen. Das 1,5-Grad-Ziel ist egal. Doch ein Landwirt wehrt sich mit Unterstützung der Klimabewegung. Von Mark Sahling
Mehr als 40.0000 Menschen haben bisher für die Braunkohle ihre Dörfer im Rheinland verlassen müssen – damit die größte Dreckschleuder Europas, RWE, weiter die Luft verpesten kann. Weitere fünf Dörfer sollen noch weichen. Das Dorf Lützerath am Rande des Tagebaus Garzweiler in der Nähe von Erkelenz soll als erstes an die Reihe kommen.
Von der ursprünglichen Bewohnerschaft des Dorfes widersetzt sich nur noch einer der Enteignung und Vertreibung. Seit Oktober sollen die Rodungs- und Räumungsmaschinen rollen. Allerdings ist in den letzten Monaten ein nicht enden wollender Zuzug von Unterstützer:innen aus ganz Deutschland zu beobachten. Linke Klimaktivist:innen solidarisieren und organisieren sich gemeinsam mit den Dorfbewohner:innen.
Letzte Enteignung steht bevor
Der letzte alteingesessene Bewohner Lützeraths, Eckhardt Heukamp, wehrt sich weiterhin gegen die Enteignung seines Hofes. Das Verwaltungsgericht Aachen hat RWE in diesem Fall bereits Recht gegeben. Daraufhin hat Heukamp Widerspruch von dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster eingelegt. Bis vor kurzem sah es so aus, als würde RWE die Entscheidung des OVGs nicht abwarten, möglichst schnell räumen und abreisen.
Allerdings ist die mediale Aufmerksamkeit durch den vielseitigen Widerstand zur Zeit so hoch wie nie. Erschwerend kommt hinzu, dass die Macht Armin Laschets, dem treuesten Erfüllungsgehilfe der Kohleindustrie, in den letzten Monaten kontinuierlich schwand. RWE hat nun also doch angekündigt erst mal das Gerichtsurteil des OVGs abzuwarten, das Anfang Januar 2022 fallen soll. Gegenüber der dpa gab ein RWE-Sprecher an, auch die anderen Häuser in Lützerath bis zum Urteil unangetastet zu lassen.
Der Kampf ist international
Dass es den Aktivist:innen nicht nur um den Erhalt eines Dorfes, sondern auch um die internationale Solidarität in der Klimakrise geht, macht die Aktivistin Lakshmi Thevasagayam von »Lützerath lebt« bei einer Pressekonferenz deutlich: »Lasst uns mit den Menschen verbünden, die es eh schon verstanden haben […]. Die verstanden haben das Kapitalismus nicht gleich Fortschritt heißt, sondern Zerstörung. Dafür müsst ihr endlich eure weiße Vorherrschaft hinterfragen, eure Rassismen hinterfragen, die Kolonialisierung unseres Denkens, unsere Art des Forschens und des Handelns hinterfragen.«
Nicht nur sind die Menschen im globalen Südens am stärksten von der Klimakatastrophe betroffen. Jeden Tag werden durch die Klimaveränderung Häuser und Lebensgrundlagen zerstört. Die Menschen im globalen Süden zahlen den Preis für unseren Wohlstand, der auf kapitalistischer, rassistischer Ausbeutung und auf Naturzerstörung beruht. Gleichzeitig werden ihre Meinungen und Proteste unsichtbar gemacht. Diese Menschen zu schützen wäre aber Kern einer gerechten Klimapolitik.
Klimacamp-Atmosphäre
Und so wartet die Klimabewegung nicht auf die Räumung, sondern geht in die Offensive. Die Aktivist:innen beleben das Dorf wieder und errichten die nötige Infrastruktur für die kommende Verteidigung gegen das Massenaufgebot und die Angriffe der Polizei. Aufgrund der kämpferischen Erfahrungen aus dem Hambacher Forst rufen sie nach dem Vorbild der französischen Klimabewegung eine ZAD (Zone a Défendre) aus – eine zu verteidigende Zone.
Am ersten Oktober begann die Rodungssaison, die auch bereits im Hambacher und Dannenröder Forst den Startschuss für die heiße Phase der Auseinandersetzung markierte. Auch in der Ortschaft Lützerath stehen Bäume, die für die Ausweitung des Kohlelochs Garzweiler gefällt werden sollen und der Zerstörung des Dorfes im Weg stehen. Nach Vorbild des Hambis bestücken Aktivist:innen bereits unzählige Bäume mit Baumhäusern.
Vor allem nach der »Kultur ohne Kohle« (KuloKo), einem Kultur- und Aktionscamp im August, setzt eine intensive Phase der Neubebauung und -gestaltung des Dorfes ein. Die Atmosphäre eines dauerhaften Klimacamps hat Einzug gehalten.
Eine alte Villa im Dorfkern ist die wichtigste Anlaufstelle. Hier eröffnen die Aktivist:innen ein Café zum Ankommen, geben Möglichkeiten sich einzubringen bekannt und rorganisieren egelmäßige Treffen. Auf der dahinter liegende Wiese stehen Hüttenkonstruktionen auf Stelzen, die die Räumung erschweren sollen. In dieser widerständigen Zone kämpfen die Aktivist:innen für eine Utopie und gegen das zerstörerische kapitalistische System.
Vielseitiger Widerstand
Dafür bündeln die Aktivist:innen ihre Kräfte. Der Protest in Lützerath zeichnet sich durch eine große Vielfalt aus. Für alle Interessierten gibt es Aufgaben und geeignete Aktionsformen. Es werden keine Erfahrungen vorausgesetzt, um sich dem Widerstand anzuschließen.
Am letzten Oktober-Wochenende fand das »Unräumbar-Festival« statt, ein Ort des inhaltlichen und praktischen Austausches, das 1.000 Teilnehmer:innen anzog.
Dem Aufruf von »Alle Dörfer bleiben« und anderen zur Demo durch Lützerath folgten Anfang November mehr als 5.000 Menschen. Mit dabei ein Block von rund 600 Ende Gelände-Aktivist:innen. Dieser brach aus der Demo aus, überwand eine Polizeikette und drang zur Tagebaukante vor. RWE ließ daraufhin einen Bagger abschalten.
Am Folgetag besetzen Aktivist:innen zwei Häuser in Lützerath, die bereits in RWE Besitz sind und jetzt wieder bewohnt werden.
Parallel zur Weltklimakonferenz in Glasgow, blockieren Aktivist:innen die Kohlezufuhr zum größten Kohlekraftwerk Deutschlands, Neurath, und zwingen RWE dieses zu drosseln. Sie hatten sich dafür an Betonklötze, die unter die Gleise der Kohlebahnschienen gegossen waren gekettet und zwei Aktivist:innen fuhren mit E-Rollstühlen auf die Gleise. Für 14 Stunden rollte kein Kohlezug zum Kraftwerk.
Während in Lützerath alles ganz im Zeichen des Aufbaus steht, ist dennoch sichtbar, was auch dem restlichen Ort droht: Wo im vergangenen Herbst noch Häuser standen, erstreckt sich heute eine Brache. Was von Lützerath noch übrig ist, soll diesen Herbst der kapitalistischen Zerstörungswut zum Opfer fallen.
Der Staatsapparat rüstet auf
Um den Widerstand zu brechen, setzt der Staat auf seine repressiven Organe. In der Klimabewegung ist es zur gängigen Praxis geworden, die erkennungsdienstliche Behandlung zu erschweren: Fingerkuppen werden verklebt, Tattoos übermalt und der Personalausweis auch mal zu Hause gelassen. Diese Praxis überfordert den Polizeiapparat, was sich unter anderem an der Verschärfung des NRW-Polizeigesetzes 2018 zeigt – abgesegnet vom damaligen Ministerpräsidenten Armin Laschet.
Neben anderen repressiven Instrumenten führte die NRW-Regierung die von der Bewegung als »Lex Hambi« betitelte Änderung ein: Wer sich weigert, seine Personalien preiszugeben, kann bis zu sieben Tage festgehalten werden. Ein bundesweit einmaliges Instrument – in den meisten anderen Bundesländern können Personen zur Personalienfeststellung maximal zwölf Stunden inhaftiert werden.
Das Lex Hambi kann sich, wenn es nach Innenminister Herbert Reul geht, bald in guter Gesellschaft wähnen. Mit der geplanten Verschärfung des Versammlungsrechts könnte es zu einem weiteren autoritären Zuschnitt von Gesetzen auf die Praxis der Klimabewegung kommen. Das Verbot der »Uniformierung bei Versammlungen« zielt unter anderem auf die weißen Maleranzüge der Bewegung. Weitere Angriffspunkte sind die Aktionstrainings, die im Vorfeld von Mobilisierungen stattfinden und durch die Verschärfung kriminalisiert werden sollen. Auch andere linke Bewegungen sind von den Änderungen betroffen.
Von der Ampel ist nichts zu erwarten
Doch Widerstand ist notwendig, denn die Klimakatastrophe ist jetzt! Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung müssen die Kohlebagger vor Lützerath gestoppt werden, damit die 1,5-Grad-Grenze nicht reißt. Trotzdem will der Energiekonzern RWE weiter Braunkohle verfeuern und den Tagebau mit der Abrisskugel radikal ausweiten – unterstützt wird RWE nach wie vor aus der Politik.
SPD, Grüne und FDP müssen handeln und die Landesregierung NRW auffordern, die geplante Räumung und Zerstörung von Lützerath zu stoppen. Dass die Grünen unter Verweis auf fehlende Zuständigkeit den Räumungen nichts entgegensetzen, zeigten sie nicht nur im Dannenröder Forst.
Massiver Druck ist nötig
Die laufenden Sondierungen verdeutlichen, dass eine Ampel-Koalition die 1,5-Grad-Grenze ohne »massiven Druck« aus der Gesellschaft nicht einhalten wird. So sieht das Papier der voraussichtlichen Ampel-Koalition den Kohleausstieg idealerweise im Jahr 2030 vor. Mit den bisherigen Kompromissen verhindern die drei Parteien einen radikalen Politikwechsel. Der aber ist für das Abwenden der Klimakatastrophe notwendig.
Das Kapital zerstört die Grundlagen für eine klimagerechte Welt. RWE will noch 650 Millionen Tonnen Braunkohle verfeuern. Das würde die Klimakatastrophe erheblich anfachen. Dafür sollen bewohnte Dörfer abgerissen und landwirtschaftliche Kulturflächen abgebaggert werden. Lützerath und andere vom Tagebau bedrohte Dörfer müssen erhalten und die Kohle im Boden bleiben, damit Deutschland die Pariser Klimaziele einhält.
Es liegt also an uns, an Aktivist:innen, die Konzerne und ihre Verwertungslogik in die Schranken zu weisen. Wenn diesen Herbst Lützerath zerstört werden soll, legen sie sich mit Bewegungen an, die sich nicht aufhalten lassen. Ende-Gelände-Sprecherin Dina Hamid bringt es auf den Punkt: »Lützerath ist überall! Wir werden wiederkommen, bis alle Dörfer bleiben – weltweit«.
Foto: Christoph Schnüll
Schlagwörter: Inland, Klimabewegung, Klimakatastrophe, Kohle, Lützerath, Repression, RWE