Extinction Rebellion: Was ist dran an den Vorwürfen gegen die Bewegung? Von Oliver Medina
Die Gruppe Extinction Rebellion (XR) muss sich einiges gefallen lassen: Aktivistinnen und Aktivisten seien Anhänger einer esoterischen Weltuntergangssekte, die hierarchisch von England aus gelenkt werde. XR-Mitbegründer Roger Hallam wird zum »Guru« aufgespielt und seine Gaulandsche Vogelschiss-Rhetorik zum Ausgangspunkt jeder Kritik an der gesamten Bewegung. Chefanklägerin ist die Ex-Grüne Jutta Ditfurth, die seit ihrer pauschalen Schelte gegen XR damit durch die bürgerliche Presse tourt.
Klimakrise in drastischen Bildern
Doch Extinction Rebellion ist kein monolithischer Block von »irrationalen Esoterikern«, die irgendwelchen »Gurus« folgen, sondern organisatorischer Ausdruck einer sich radikalisierenden, breiten Bewegung. Die Forderungen von linken Kritikerinnen und Kritikern, sich XR nicht anzuschließen oder sogar die Zusammenarbeit mit XR abzulehnen, sind falsch, weil sie die Klimabewegung insgesamt schwächen und spalten. Es trifft zu, dass Extinction Rebellion die Klimakrise in drastischen Bildern zeichnet, sie deshalb als Weltuntergangssekte zu diffamieren, verkennt jedoch die tatsächliche Dramatik der Lage. Auch der Weltklimarat spricht von einer »Bedrohung für die Menschheit«.
Extinction Rebellion in Deutschland
Ebenso sind die Vorwürfe der Hierarchie und Intransparenz ziemlich weit hergeholt. Die Gruppen sind dezentral organisiert und funktionieren über eine Art Franchise-Modell. Sie entscheiden selber, was sie tun. Wer sich zu den Prinzipien von XR bekennt, kann selbstständig Ortsgruppen gründen. In Deutschland gibt es mittlerweile mehr als Einhundert davon. Die Gruppen bekommen Materialien aus dem Umfeld der Gründer, was diese sicher einflussreich macht, aber noch lange nicht zu »Gurus«. Gerade Hallam ist auch unter XR-Mitgliedern eine umstrittene Figur – trotz Gründerstatus. Extinction Rebellion in Deutschland hat sich entschieden von seinen Aussagen zum Holocaust distanziert, weil diese den Prinzipien von XR grundsätzlich entgegenstünden.
XR ist keine rein linke Bewegung, sondern vereint ein breites Spektrum an Ideen. Doch anders als von Jutta Ditfurth behauptet, ist die Bewegung keineswegs nach rechts offen. So äußert sich XR eindeutig, dass Rassismus oder Sexismus in der Bewegung nicht geduldet werden. AfD-Mitglieder sind bei XR in Deutschland explizit nicht willkommen. Die lose Struktur bringt es mit sich, dass Extinction Rebellion Widersprüche unaufgelöst vereint. Doch sie hat auch Vorteile: Es ist leicht, bei XR mitzumachen, wodurch ein niedrigschwelliges Angebot für all jene entsteht, die in ihren Aktionen über Straßenproteste hinausgehen wollen. So öffnet XR die Aktionsform des zivilen Ungehorsams für ein neues Publikum. In London, wo die Bewegung international wohl am stärksten ist, beteiligen sich Schüler, Arbeiterinnen, Rentner und Studierende an ihren Sitzblockaden.
Extinction Rebellion ist kein monolithischer Block
Die Bewegung hat drei Grundforderungen, wobei die ersten beiden völlig unproblematisch sind. So fordert XR von den Regierungen erstens, den »Klimanotstand« ausrufen, also das Problem anzuerkennen, und zweitens, Klimaneutralität bis 2025 zu erreichen, also jetzt zu handeln.
Die schwächste Forderung ist die dritte, wonach »Bürgerversammlungen aus zufällig ausgewählten Männern und Frauen« über die passenden politischen Mittel entscheiden sollen. Hinter der Idee, Menschen per Losverfahren auszuwählen, die die Regierung dann beraten sollen, steht eine falsche Vorstellung, warum die Regierenden das Klima nicht schützen.
XR in der Klimabewegung
Es liegt nicht an der schlechten Beratung, wie der Vorschlag von XR nahelegt, sondern an der kapitalistischen Produktionsweise und der Macht der Konzerne, die mit fossilen Brennstoffen Profit machen. Trotz einzelner Differenzen: XR in der Klimabewegung zu isolieren, spielt nur den Profiteuren des Systems in die Hände. Statt sich in Fundamentalkritik zu üben, sollten Linke sich an Aktionen von XR beteiligen und auch sonst die Zusammenarbeit suchen. Durch gemeinsame Aktionen, Bündnisarbeit und Veranstaltungen können wir unsere eigenen Perspektiven stark machen, uns über gemeinsame Strategien austauschen und wenn nötig auch solidarische Kritik üben. Dafür wird es schon bald die Möglichkeit geben. XR ruft für das Frühjahr zu weiteren Protesten auf!