Wer den sozial-ökologische Umbau will, wird nicht um einen Bruch mit der kapitalistisch organisierten Landwirtschaft herumkommen. Von Eva Blum
Wie steht die Linkspartei zur Landwirtschaft? Ein Passus im Koalitionsvertrag von SPD und LINKEN in Mecklenburg-Vorpommern läßt aufhorchen: »Der wissensbasierte Einsatz neuer Züchtungsmethoden ist in Zeiten des Klimawandels notwendig. Wir fordern die Zulassung neuer Züchtungstechniken beim Bund und der EU ein.« Die Klimakrise soll es also erforderlich machen, dass auch in Deutschland gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden. Denn mit dem von der Agrarindustrie geprägten Begriff der »neuen Züchtungstechniken« sind eine Reihe neuer gentechnischer Verfahren gemeint. Eine erstaunliche Aussage, sprechen sich doch sowohl DIE LINKE auf Bundesebene, als auch der Landesverband in Mecklenburg-Vorpommern eigentlich klar gegen die Nutzung der Grünen Gentechnik aus.
»Smart Farming« für die Agrarkonzerne
Im nächsten Absatz folgt das Bekenntnis zur Digitalisierung in der Landwirtschaft: »Die Koalitionspartner wollen, dass Mecklenburg-Vorpommern führend bei der Digitalisierung der Landwirtschaft wird. [Wir] unterstützen (…) das »smart farming« (…).« Hier wird – bis in die Begrifflichkeiten hinein (»wissensbasiert«, »neue Züchtungsmethoden«, »smart farming«) – wiederholt, was sich auch bei CDU, FDP oder Agrarkonzernen wie Bayer findet. Dazu bezieht sich die hier explizit geäußerte Forderung nach einer Zulassung (also Deregulierung) der neuen Gentechnik nicht nur auf die Landesebene, sondern zielt auf den Bund und die EU als Ganzes. Angesichts der dort an Schärfe zunehmenden Diskussionen ist dies also eine klare Ansage und ein ebenso klares Bekenntnis zum technologiebasierten und durch Technologien stabilisierten Agrarproduktivismus – von links.
Wo liegen dessen Ursachen? Auch wenn die spezielle Agrarstruktur im Osten hierbei eine Rolle spielen mag, macht es wohl wenig Sinn, sich in der Erklärung vor allem auf regionale (historisch-politisch-ökonomische) Besonderheiten zu konzentrieren. Das Problem scheint tiefer zu liegen und wird (auch) damit zu tun haben, dass DIE LINKE (und die Linken) das Thema Landwirtschaft lange Zeit vernachlässigt hat. Um es deutlicher zu formulieren: Nicht nur in ihrem inkonsistenten Umgang mit der Grünen Gentechnik zeigt sich, dass DIE LINKE keinen kapitalismuskritischen Begriff von Landwirtschaft hat. Im Hinblick auf die dringend erforderliche Lösung der diversen ökologischen und sozialen Krisen, die durch die kapitalistisch organisierte Agrarproduktion (mit) verursacht oder verstärkt werden, ist dies fatal.
Positionen der LINKEN zur Landwirtschaft
Ein Blick in die Ausführungen der LINKEN zum Thema Landwirtschaft offenbart zunächst eine recht beliebige Mischung links-grüner Versatzstücke. Die Konsequenz dieses Sammelsuriums ist, dass sowohl die Kritik an der »modernen Agrarproduktion«, als auch die präsentierten Lösungsvorschläge notwendigerweise oberflächlich bleiben.
So beschränkt sich die Kritik auf die äussere, technische Form der Produktion oder betont selektiv die Verantwortung einzelner Akteure: Die ökologischen Schäden, die der Agrarproduktivismus verursacht – genannt werden »Gewässerbelastung, Artenschwund und die Freisetzung von Treibhausgasen« – seien eine Folge der »Intensivierung von Produktionsverfahren« oder werden »landwirtschaftsfremden Investor:innen« angelastet. Das Kernproblem – welchen Zweck die Agrarproduktion im Kapitalismus verfolgt und welche Konsequenzen sich daraus für Mensch und Umwelt ergeben – bleibt unangetastet. Folgerichtig erscheint die eigentliche Kernaufgabe der Landwirtschaft – die Versorgung aller Menschen mit guten Lebensmitteln, wobei die Produktionsgrundlagen dauerhaft zu erhalten sind – als »gemeinwohlorientierte Versorgungsfunktion« nur in einem Nebensatz. Konsequenterweise beziehen sich auch die Lösungsvorschläge vor allem auf die Ebene der Produktionsweise: DIE LINKE im Bundestag fordert den »Ausbau des Ökolandbaus und die stärkere Unterstützung umweltfreundlicher Produktionsformen in der konventionellen Landwirtschaft«.
Schließlich unterstreicht auch die etwas beliebig erscheinende Nennung gängiger Schlagwörter aus dem kritischen Agrardiskurs – »die Agrarwirtschaft« müsse die »Ernährungssouveränität« sichern, auch solle die Förderung die »Multifunktionalität der Landwirtschaft« berücksichtigen und regionale Wertschöpfungsketten stärken – den Anspruch, dass DIE LINKE zu einer sozial-ökologischen Modernisierung der Landwirtschaft im Kapitalismus beitragen will. Dass sich Technologien durchaus in eine sozial-ökologische Reformagenda integrieren lassen, zeigt sich zum Beispiel auch bei den Grünen, die gerade ebenfalls (zumindest in Teilen) eine Überprüfung und Anpassung ihrer grundsätzlichen Kritik an der Grünen Gentechnik vornehmen.
Grüne Gentechnik?
Zur besseren Einordnung des neuerlichen Hypes um die Grüne Gentechnik, dem sich auch DIE LINKE nicht entziehen kann, ein kurzer Blick auf die aktuelle Debatte: In der Politik und in den großen Bauernverbänden ist inzwischen durchaus angekommen, dass die sozialen und ökologischen Folgen der kapitalistischen Agrarmodernisierung weitreichend und diese Situation auf Dauer nicht tragbar ist. Auf der Agenda stehen daher nicht nur Forderungen nach einer Reduktion der Inputs (Mineraldünger, Pestizide) und der landwirtschaftlichen Emissionen. Die mit der Klimakrise zunehmenden Wetterextreme wie Starkniederschläge, Dürreperioden, Stürme und Hagel machen auch eine Anpassung der landwirtschaftlichen Produktion notwendig, sollen die Erträge auch in Zukunft einigermaßen stabil bleiben. Aus diesem Befund folgt nun allerdings keine grundsätzliche Abkehr vom produktivistischen Agrarmodell. Dies unterstreicht die gerade verabschiedete Förderperiode der GAP (Gemeinsame Agrarpolitik der EU), die nach wie vor am Dogma der Flächenprämien und der Exportorientierung festhält.
Um eine Reduktion der Inputs zu erreichen, die Anpassungsfähigkeit der Landwirtschaft zu gewährleisten und die Erträge pro Fläche zu steigern, setzen weite Teile der Politik einmal mehr auf technische Innovationen. Neben technisch gestützten Systemen wie dem »precision farming« und der Digitalisierung werden vor allem die neuen gentechnischen Verfahren als Lösung präsentiert. Mit deren Hilfe, so versichert es zum Beispiel das Unternehmen »Bayer Crop Science«, soll nun also endlich gelingen, was bereits im Zusammenhang mit der ersten Generation der Gentechnik versprochen wurde: Es sollen sich Pflanzen entwickeln lassen, die besser mit Trockenheit zurechtkommen, die gesünder sind und widerstandsfähiger gegen Krankheiten und Schädlinge; und all das sogar deutlich schneller als mit herkömmlichen Züchtungsmethoden.
Warum die Linkspartei Gentechnik ablehnt
Nicht nur Landwirt:innen sollen von diesen neuen Pflanzen profitieren, sondern auch Konsument:innen und die Umwelt, da dies eine ressourcenschonende Produktion ermögliche, in der weniger Dünger und Pestizide eingesetzt werden. Damit würden, so Bayer, die neuen Verfahren auch zum grundlegenden Baustein, um die Ziele des europäischen Green Deal zu erreichen.
Während sich die CDU und die FDP aber auch Teile der Grünen seit Monaten vehement für eine Nutzung dieser Technologien, inklusive der dazu gehörenden Deregulierung der neuen Gentechnik, einsetzen und die weitreichenden Versprechen von Bayer und Co. mantraartig wiederholen, halten (zumindest) die LINKEN im Bundestag (noch?) an ihrer ablehnenden Haltung fest. In einem Themenpapier zur Gentechnik heißt es, die Fraktion DIE LINKE werde gegen alle Versuche Widerstand leisten, das ohnehin unzureichende Gentechnik-Recht zu Gunsten der so genannten neuen Züchtungstechniken weiter zu schwächen. Zur Begründung werden all jene Argumente aufgeführt, auf die auch die großen Umweltverbände wie der BUND und Greenpeace oder (klein-)bäuerliche Organisationen wie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) ihre Kritik an der Gentechnik abstützen: Gentechnisch veränderte Pflanzen – egal ob sie mit der herkömmlichen oder mit der neuen Gentechnik entwickelt wurden –, bergen agrarstrukturelle, ökologische sowie gesundheitliche Risiken für Mensch und Tier. Die »Koexistenz«, also das »harmonische« Nebeneinander von konventioneller oder ökologischer Landwirtschaft und dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen, funktioniert nicht und verursacht denjenigen, die keine Gentechnik auf dem Acker wollen, hohe Kosten.
Die falschen Versprechen der Gentechnik
Die mit der Gentechnik verbundenen Versprechen sind übertrieben, klimaangepasste »Superpflanzen« werden sich gentechnisch kaum entwickeln lassen. Im Gegenteil folgen aus dem Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen oft eine Verschuldung der Bäuer:innen und mehrfach resistente »Superunkräuter«.
Weil gentechnisch veränderte Pflanzen patentiert sind, geraten Bäuer:innen in zunehmende Abhängigkeit. Die Linksfraktion im Bundestag schreibt: »Bäuer:innen kaufen teures patentiertes Saatgut, müssen das dazugehörige Spritzmittel erwerben und haben im Folgejahr nicht das Recht, mit dem durch die Ernte gewonnenen eigenen Saatgut erneut den Acker zu bestellen. Dafür sind Lizenzgebühren fällig. GenTech macht also eher die Konzerne reich und die Landwirt:innen arm.«
Die genannten Punkte sind zigfach (in Studien, Artikeln, Filmen etc.) dokumentiert und lassen sich auch wissenschaftlich gut begründen. Trotzdem müssen die gentechnikkritischen Umwelt- und Bauernverbände seit einiger Zeit einmal mehr die Erfahrung machen, dass gute Argumente allein nicht viel ausrichten können. Der Druck, die Gentechnik auch in der europäischen Landwirtschaft durchzusetzen, ist noch deutlich stärker und wird noch deutlich aggressiver artikuliert als zu Zeiten des ersten Hypes ab den 1990er Jahren. Doch warum ist das so? Warum halten weite Teile der Politik und der Wirtschaft am Einsatz der Gentechnik fest, obwohl deren Chancen erneut überbewertet werden, ihre Risiken dagegen sehr real sind? Und warum soll gerade auch die Europäische Landwirtschaft, die in den letzten Jahren (nahezu) gentechnikfrei gewirtschaftet hat, in Zukunft nicht mehr ohne diese Technologie auskommen können?
LINKE umschifft den Kern des Problems
Nicht zu vergessen, dass sich mit diversen »Ohne Gentechnik«-Labeln auch ein wachsendes und erfolgreiches Segment im Lebensmittelsektor etablieren konnte. Von einer Partei wie der LINKEN, die sich selbst als »sozialistisch« bezeichnet, wären Antworten auf diese Fragen eigentlich zu erwarten. Im aktuellen Diskurs wären sie besonders wichtig, um die Debatten endlich auf die Ursachen der aktuellen Misere lenken und an echten Lösungen arbeiten zu können. Doch Antworten und Analysen dieser Art sucht man vergebens. Die Partei beschränkt sich in ihrer Position auf die NGO-Perspektive, die in ihren einzelnen Punkten zwar richtig ist, den Kern des Problems aber nicht trifft.
Anstatt die Grüne Gentechnik als ein spezielles Thema zu behandeln, sie also quasi aus ihrem Zusammenhang zu lösen, wäre die Frage zu klären, welche Funktionen Technologien in einer Landwirtschaft haben, in der die Kapitalverwertung an erster Stelle steht. Vor allem zwei Ebenen wären hier zu berücksichtigen: die der Unternehmen, die die Technologien entwickeln und auf den Markt bringen wollen und die der Landwirt:innen, die zum Beispiel gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen oder die andere technische Innovationen wie Jätroboter oder Drohnen nutzen.
Für Unternehmen sind Technologien ein unverzichtbares Mittel in der Konkurrenz. Mit ihnen lassen sich nicht nur die Produktionskosten senken (Rationalisierung), sondern auch neue, profitable Märkte erschliessen. Sie treiben den Wettlauf um Wachstum, Profite und Marktanteile voran und führen (auch) im Agrarbereich dazu, dass die Märkte im vor- und nachgelagerten Bereich der eigentlichen Produktion inzwischen hoch konzentriert sind. Und die Fusionen gehen weiter. Denn inzwischen verlangt auch das in den großen Konzernen platzierte Finanzkapital seinen Anteil an Zins und Dividende. Das Resultat: Um diese zusätzlichen Ansprüche bedienen zu können, werden die Konzerne auf ein weiteres Größenwachstum und auf Fusionen setzen, Rationalisierungen und Reorganisationen der Arbeitsverhältnisse zulasten der Arbeiter:innen vornehmen und Produkte entwickeln, die sich teuer und auf möglichst großen Märkten verkaufen lassen.
Auch landwirtschaftliche Betriebe stehen unter Druck. Wollen sie in der Konkurrenz überleben, müssen sie die Erträge steigern. Dazu haben sie nur zwei Möglichkeiten: Flächenwachstum oder mehr ertragssteigernde Inputs, die die Produktivität pro Flächeneinheit erhöhen. Zu letzteren gehört auch der Anbau gentechnisch veränderter, also technisch »optimierter« Pflanzen. Betriebe, die eine technische Innovation – die produktiver oder kostengünstiger sein muss, als der allgemeine Stand der Technik – frühzeitig einführen, erhalten gegenüber anderen Betrieben zunächst einen Konkurrenzvorteil. Sie können mehr in kürzerer Zeit produzieren und verkaufen. Sobald weitere Betriebe die neue Technologie einsetzen, steigt die Produktionsmenge und die Preise beginnen zu fallen. Auf dem Markt überleben letztlich nur jene Betriebe, die erneut durch Rationalisierung oder Größenwachstum der Konkurrenz einen Schritt voraus sind: »Wachsen oder weichen« heisst also die Devise.
Stärkung des industrialisierten Agrarmodells
Sowohl auf Ebene der Unternehmen, als auch in den Betrieben, treibt und beschleunigt der Technologieeinsatz also den Kreislauf der Kapitalverwertung. Doch während die meisten Bäuer:innen von weiteren Produktivitätssteigerungen kaum profitieren können – sie geraten, im Gegenteil, immer stärker in die »landwirtschaftliche Tretmühle« – machen die Unternehmen in den vor- und nachgelagerten Bereichen (landwirtschaftliche Inputs wie Düngemittel, Futtermittel, Saatgut, Tiergenetik, Maschinen etc. sowie Verarbeitung und Distribution) gute Geschäfte. Damit diese weiterlaufen, werden sie auch in Zukunft Produkte entwickeln, die das industrialisierte Agrarmodell nicht nur weiter festigen, sondern noch ausbauen werden. Sie müssen dies tun, weil sich nur im Rahmen eines großstrukturierten, input- und technologieintensiven Modells, das darüber hinaus die Nutzung geistiger Eigentumsrechte zulässt und befördert, die erforderlichen Gewinne realisieren lassen. Erforderlich meint: einerseits gegenüber der Konkurrenz, die sie zwingend durch mehr Marktanteile, Patente etc. überbieten müssen, und andererseits gegenüber den Anteilseigner:innen, die einen möglichst steigenden Anteil der Gewinne erwarten.
Darüber hinaus müssen sie für die Kosten (Schäden), die dieses System verursacht, nach wie vor nicht aufkommen. Auch deshalb haben sie ein großes Interesse daran, dass die Agrarproduktion auch weiterhin so Input-intensiv betrieben wird. Zwar hat dies inzwischen nicht nur auf betrieblicher Ebene, sondern im gesamten System – die diversen ökologischen Krisen sind Ausdruck davon – zu Abhängigkeiten und »Lock-ins« geführt; doch weil auch in der Landwirtschaft, wie in jeder anderen industriell-kapitalistisch organisierten Branche, die Kapitalverwertung die Art und Weise des Produzierens vor gibt, ist ein Ausscheren aus diesem Wettbewerb und Wettlauf kaum noch möglich.
Grenzen sozial-ökologischer Reformprogramme
Um auf die am Anfang formulierte Kritik zurückzukommen: Mit einem sozial-ökologischen Reformprogramm, wie es (auch) DIE LINKE propagiert, werden sich diese Prozesse und Dynamiken weder im erforderlichen Umfang umbauen, noch stoppen lassen. Angesichts der durch und mit der kapitalistisch organisierten Landwirtschaft hervorgerufenen sozialen und ökologischen Verwüstungen, besteht zu einem solchen Stopp jedoch keine Alternative mehr. Um den Raubbau an Mensch und Natur zu beenden und den Hunger wirksam bekämpfen zu können, muss also mit der profitorientierten Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte gebrochen werden. Erst dann lässt sich die Landwirtschaft großflächig auf biologische und arbeitsintensivere Methoden umstellen und die Produktion wieder tatsächlich bedürfnisorientiert organisieren.
Bernd Riexinger, der Thesen zur Auswertung der Bundestagswahl formuliert und erste Schlussfolgerungen skizziert hat, ist zuzustimmen, wenn er fordert, dass DIE LINKE die Idee des sozial-ökologischen Systemwechsels weiterentwickeln und für ihre Außenwirkung prägend machen müsse. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Idee sollte eine fundierte Analyse der kapitalistisch organisierten Landwirtschaft sein und – daraus abgeleitet – Vorschläge für eine Agrarwende, die diesen Namen tatsächlich verdient. Das heisst: DIE LINKE und die Linken wären gut beraten, sich wieder der Agrarfrage zu stellen.
Hintergrund:
Wie verändert der Kapitalismus die Landwirtschaft?
Die Frage ist seit über 100 Jahren, auch in linken Kreisen, Gegenstand kontroverser Diskussionen. Einigkeit herrscht meist darüber, dass die Landwirtschaft ein spezieller Wirtschaftssektor ist, der ihrer kapitalistischen »Durchdringung« Widerstände entgegensetzt. Während beispielsweise in der Industrie die Taktung des Produktionsprozesses durch technische Möglichkeiten, den Einsatz von Arbeitskräften, von Wissen und Kapital präzise gesteuert werden kann, gibt in der landwirtschaftlichen Produktion die nur bedingt kontrollierbare Natur vor, wann Arbeiten wie die Aussaat oder die Ernte beginnen können. Trotzdem soll, spätestens ab den 1950er Jahren, auch die Landwirtschaft so weit wie möglich »industrialisiert« werden. Unter Zuhilfenahme aller möglichen Mittel – Züchtung, Düngung, Pestizide, Maschinen – wird die Beschleunigung und Intensivierung der Produktion vorangetrieben. Die Folge: Die »Eigenzeit« der Natur und die Akkumulation des Kapitals befinden sich in einem permanenten Spannungsverhältnis: Fruchtbarer Boden wird zerstört, Wälder gerodet, Nutztiere und Wildtierbestände bis zu deren Kollaps ausgebeutet – weil der Kapitalismus die natürlichen Zyklen der Reproduktion permanent missachten und »überholen« muss. Mit »missachten« ist gemeint: natürliche Prozesse wie Wachstums- , Reife- oder Regenerationszeiten sind für das Kapital »tote Zeit«; »tot« weil es sich in diesen Zeiten nicht vermehren kann, sondern ungenutzt »herumliegt«.
»Der ganze Geist der kapitalistischen Produktion, der auf den unmittelbaren nächsten Geldgewinn gerichtet ist, widerspricht der Agrikultur, die mit den gesamten ständigen Lebensbedingungen der sich verkettenden Menschengenerationen zu wirtschaften hat«, schreibt Marx im dritten Band von »Das Kapital«.
Dieser Produktivismus schädigt nicht nur Menschen, Tiere und Umwelt. Er garantiert landwirtschaftlichen Betrieben noch nicht einmal ein taugliches Einkommen. Deshalb sind massive staatliche Subventionen notwendig, um eine »industrialisierte« Landwirtschaft aufrecht zu erhalten.
Zur Autorin: Eva L. Blum ist Geografin und Agrarwissenschaftlerin. Sie ist aktiv in der Bewegung für den Sozialismus (BfS) in Zürich.
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Schlagwörter: Agrarkapitalismus, DIE LINKE, Linke