»Der Richter fragte, ob Farah verstanden habe, dass sie gewonnen habe«, erinnerte sich ein Augenzeuge von Maraqas Prozess. Wird auf Farahs Wiedereinstellung die Rehabilitierung ihres Rufes folgen, die sie verdient? Von Emily Baumgartner
Diese Woche war ein weiterer wichtiger Meilenstein im laufenden Verfahren von Farah Maraqa gegen die Deutsche Welle (DW). Farah ist eine von sieben arabischen Journalist:innen, die von der DW aufgrund von Antisemitismusvorwürfen entlassen wurden. Anders als bei der letzten Verhandlung im Juli war der Saal auffallend leer. In Deutschland ist es nicht üblich, dass die Parteien bei der Urteilsverkündung physisch anwesend sind. Farah weigerte sich jedoch, zu Hause zu sitzen und passiv auf Neuigkeiten über den Fall zu warten, der ihr Leben seit Monaten bestimmt.
Als sich das Gericht am 20. Juli vertagte, erklärte der Richter, er erwarte, dass Farah und DW bis zum 2. September eine gemeinsame Erklärung abgeben. Diese gemeinsame Erklärung sollte die Vorwürfe der DW wegen Antisemitismus direkt entkräften (lies hier das FAQ zu Antisemitismus der marx21-Redaktion). Leider wurde keine solche Erklärung abgegeben, da die DW eindeutig kein Interesse an einer gemeinsamen Erklärung hatte.
Nach Angaben von Farahs Anwalt, Dr. Hauke Rinsdorf, bestritt der Anwalt der DW, jemals einer gemeinsamen Erklärung zugestimmt zu haben. In den letzten Wochen reichte Farahs Anwalt einen Entwurf der gemeinsamen Erklärung ein und leitete damit gerichtliche Schritte ein, um den von der DW verursachten Imageschaden zu beheben. Jedoch hat die DW nichts als Schweigen produziert.
Alice Garcia, die als Advocacy and Communications Officer beim European Legal Support Center arbeitet, gab eine Erklärung ab: »Das Ausbleiben einer Reaktion der DW auf Farahs vorgeschlagene gemeinsame Erklärung als Vergleich ist ein Zeichen dafür, dass sie nicht bereit sind, zu kooperieren und ihre Fehler einzugestehen, selbst nachdem sie verklagt wurden. Der neue Verhaltenskodex der DW – der unter anderem zur Unterstützung Israels aufruft – ist ein weiterer Hinweis auf diese Richtung: Sie haben ihre Praktiken oder Positionen nicht in Frage gestellt.«
In den letzten Sommermonaten gab es für eine Gruppe von sieben arabischen Journalist:innen, die von der DW im Februar aufgrund fadenscheiniger Behauptungen von Antisemitismus entlassen wurden, mehrere Momente des Feierns. Seit dieser Woche haben zwei der Journalistinnen, Farah Maraqa und Maram Salem, im Zusammenhang mit der politisch aufgeladenen Entlassung deutliche Siege errungen. Ein dritter Fall wurde außergerichtlich beigelegt, während die anderen noch anhängig sind.
Verhaltenskodex der Deutschen Welle
Inmitten ihrer Niederlagen vor Gericht hat es die DW kürzlich geschafft, Zeit zu finden, um einen auffälligen McCarthy-Zusatz zu ihrem obligatorischen Verhaltenskodex auszuhecken, der von ihren mehr als 4.000 Mitarbeitern aus mehr als 140 Ländern unterzeichnet werden soll. Der neue und verbesserte Verhaltenskodex der DW offenbart ihre unbestreitbare institutionelle Loyalität gegenüber dem Staat Israel, einer ausländischen Regierung, die weithin als Apartheid und systematische Menschenrechtsverletzungen gilt.
Ali Abunimah schreibt in The Electronic Intifada über diese zutiefst beunruhigende Entwicklung: »Trotz ihrer gerichtlichen Niederlagen gibt es kaum Anzeichen dafür, dass die Deutsche Welle von ihrer institutionalisierten antipalästinensischen Politik abrückt.« Er fährt fort: »Man kann nicht auf der einen Seite ›Freiheit, Demokratie und Menschenrechte‹ unterstützen und auf der anderen Seite Israels rassistische Staatsideologie, den Zionismus, unterstützen.«
Wie Hebh Jamal in der Zeitschrift +972 darlegt, »folgt der Sender in vielerlei Hinsicht einfach dem Beispiel der deutschen Regierung. Seit der Bundestag 2017 die umstrittene Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) verabschiedet hat, die Kritik an Israel mit Antisemitismus gleichsetzt, hat sich das Vorgehen gegen Israelkritik in Deutschland deutlich verschärft.«
Anmerkung der marx21-Redaktion: Im Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist die Deutsche Welle, als Auslandsrundfunk, von der deutschen Bundesregierung finanziell abhängig und befindet sich im Eigentum der Bundesrepublik.
Im aktualisierten Verhaltenskodex heißt es: »Freiheit, Demokratie und Menschenrechte sind Eckpfeiler unserer journalistischen und entwicklungspolitischen Botschaft und unseres Profils. […] Wir treten für die Werte der Freiheit ein und beziehen überall dort, wo wir sind, unabhängig und klar Stellung, insbesondere gegen jede Art von Diskriminierung, einschließlich Sexismus, Rassismus und Antisemitismus.« Während das Dokument vorgibt, dem Antirassismus Priorität einzuräumen, heißt es weiter: »Aufgrund der Geschichte Deutschlands haben wir eine besondere Verpflichtung gegenüber Israel. […] Die historische Verantwortung Deutschlands für den Holocaust ist auch ein Grund, warum wir das Existenzrecht Israels unterstützen.«
Man kann nicht auf der einen Seite ›Freiheit, Demokratie und Menschenrechte‹ unterstützen und auf der anderen Seite Israels rassistische Staatsideologie, den Zionismus, unterstützen.
Ein freier Mitarbeiter der DW äußerte sich gegenüber The Left Berlin anonym zu den jüngsten Aktualisierungen des Verhaltenskodex für Mitarbeiter der DW: »Ich habe das sofort als einen Eingriff in die Privatsphäre empfunden. Als Journalist:innen sollen wir natürlich so weit wie möglich ›Neutralität‹ und ›Objektivität‹ bewahren, daher verstehe ich – bis zu einem gewissen Grad – dass wir nicht sehr offen politisch sind. Ich glaube nicht, dass das die Arbeit beeinträchtigt, aber es macht einen angreifbar für Kritik, dass man parteiisch ist. Aber die Art und Weise, wie der Verhaltenskodex formuliert wurde, besagt explizit, dass wir Vertreter:innen der DW in unserem Privatleben sind, was aus meiner Sicht sehr unangemessen ist, zumal der ganze Grund für die Änderung des Verhaltenskodex (Farahs Prozess) völlig verbaut ist. Um ehrlich zu sein, empfinde ich die Bestimmungen des neuen Verhaltenskodex als einen Eingriff in meine Möglichkeit, ein Privatleben abseits der DW zu führen.« Mit diesem Dokument wird die Unterstützung Israels weiter institutionalisiert und verpflichtend gemacht, nicht nur im beruflichen Umfeld, sondern auch in den privaten Ansichten der Mitarbeitenden.
Rechtfertigung
Am Montag nahm Farah an ihrer Anhörung teil, begleitet von dem Aktivisten Phil Butland. In dem kleinen Gerichtssaal waren auch die vermeintlichen Vertreter anwesend: der Richter, ein Rechtsreferendar und ein Protokollführer. Auffallend war die Abwesenheit jeglicher Vertretung von Seiten der DW.
Als der Richter das Urteil verkündete, erklärte er, dass die juristische Begründung in sechs Wochen veröffentlicht werden würde. Farah sagte, der Richter habe sein Urteil mit großem Respekt und Aufrichtigkeit verkündet, und sie schätzte seine Bemühungen, es zu wiederholen und zu erläutern, damit sie die Bedeutung seiner Entscheidung klar verstand.
Phil Butland bezeichnete das Ereignis als einen »vollständigen Sieg«. »Der Richter war Farah wohlgesonnen und zitierte sogar ihren Anwalt in der Zusammenfassung des Urteils. Obwohl er sich nur zu einer einzigen Äußerung Farahs äußern konnte, als sie für die DW arbeitete, schien es klar, dass er wusste, dass sie keine Antisemitin ist und dass die Deutsche Welle keinen Grund hatte, sie zu entlassen.« Der Richter ging sogar so weit, sie ausdrücklich zu fragen, ob sie »verstanden hat, dass sie gewonnen hat«, ein Verhalten, das gegen das übliche Protokoll in Fällen wie diesem verstößt.
Der Richter erklärte, dass Farah den Prozess gegen die Deutsche Welle gewonnen habe, und begründete dies mit mehreren wertvollen Positionen, die nach dem deutschen Arbeitsrecht als rechtswidrig angesehen wurden. Erstens habe die DW die gesetzlichen Kündigungsfristen nicht eingehalten. Aufgrund des politisch brisanten Charakters dieser speziellen Kündigung benötigte die DW zwei volle Monate, um Farah zu kündigen, anstatt der gesetzlich vorgeschriebenen zwei Wochen.
Die israelischen Expert:innen bringen Gift in die Geschichte ein.
Was zweitens die höchst umstrittenen, angeblich antisemitischen Schriften betrifft, so verwarf das Gericht alles, was vor Farahs Anstellung bei der DW veröffentlicht worden war, da diese im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit bei der DW nicht als relevant angesehen wurden. Übrig blieb eine einzige Aussage, die Farah während ihrer Tätigkeit als freie Mitarbeiterin für die DW gemacht hat. In dieser Aussage sagte sie: »Die israelischen Expert:innen bringen Gift in die Geschichte ein.« Das Gericht stellte fest, dass diese Äußerung keine Rechtfertigung für die harte Kündigung Farahs darstellte.
Die Entscheidung des Gerichts im Fall Farah Maraqa gegen die Deutsche Welle ermöglichte die sofortige Wiedereinstellung von Farah bei der DW, und Farah hat wieder Anspruch auf ihr Gehalt und ihre Leistungen von der DW. Die sofortige Wiedereinstellung bedeutet auch, dass von ihr erwartet wird, dass sie ihre Aufgaben auf Verlangen sofort erfüllt.
Das Gericht entschied, dass DW alle Anwaltskosten in Höhe von über 37.000 Euro zahlen muss. Hohe Gerichtskosten wie diese schrecken Arbeitnehmer:innen in der Regel davon ab, gegen große Institutionen wie die staatlich finanzierte Deutsche Welle, die sich langwierige Gerichtsverfahren leisten können, vor Gericht zu ziehen.
Eine umfassende Erläuterung des Urteils muss innerhalb von drei Wochen erfolgen. Danach hat die DW sechs Wochen Zeit, um gegen das Urteil Berufung einzulegen, wodurch sie von den Gerichtskosten befreit würde. Wenn sie die Berufung gewinnen. Dies würde jedoch voraussetzen, dass das höhere Gericht eine Entscheidung aufhebt, die Farah in allen Punkten für unschuldig erklärt hat.
Was nun?
Unklar bleibt, ob DW gegen das Urteil Berufung einlegen wird. Farah und ihr Anwalt warten gespannt auf die Veröffentlichung eines ausführlichen Dokuments durch das Gericht, das innerhalb von drei Wochen erwartet wird. Dieses wird eine ausführliche Prüfung des vorliegenden Falles enthalten, in der die Rechtsauffassung des Gerichts und die Auslegung des Gesetzes in Farahs Fall dargelegt werden. Auf der Grundlage dieser Informationen und je nach der spezifischen rechtlichen Begründung der Entscheidung des Gerichts können sich für Farah und/oder DW weitere Möglichkeiten für Berufungen oder andere rechtliche Schritte ergeben.
Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels ist noch unklar, ob das Arbeitsgericht Farah irgendeine Möglichkeit zur Rehabilitierung seines Rufes zugestehen wird, indem es die DW auffordert, eine Erklärung abzugeben, in der sie sich von ihren früheren Darstellungen Farahs als antisemitisch distanziert. Auch wenn das Urteil ein Grund zum Feiern ist, wünschen sich Farah und ihre Unterstützer:innen, dass die DW ihre verleumderischen Anschuldigungen öffentlich klarstellt und den Sachverhalt richtigstellt.
Dieser Text erschien zuerst bei The Left Berlin.
Foto: Farah Maraqa
Schlagwörter: Antirassismus, Antisemitismusvorwurf, Deutsche Welle, Farah Maraqa