Die Kritik am Ausrichter der WM ist zu Recht groß. Doch wer über die Verbrechen der katarischen Regierung spricht, sollte über jene des nächsten WM-Gastgebers nicht schweigen, meint Hans Krause
Der katarische Staat hat die Männerfußball-Weltmeisterschaft 2022 mit Bestechung in sein Land geholt. Er hat die teuerste und umweltschädlichste WM aller Zeiten veranstaltet. Beim Bau der Stadien tausende Menschen unter Zwangsarbeit-ähnlichen Umständen gezwungen, sich buchstäblich zu Tode zu arbeiten.
Zudem wird Homosexualität in Katar nicht nur mit mindestens(!) einem Jahr Gefängnis bestraft. Auch wurde dem Kapitän der deutschen und anderer Mannschaften verboten, eine entfernt an Regenbogenfarben erinnernde Armbinde mit der Aufschrift „One Love“ zu tragen.
Die riskante Armbinde
Wobei der Weltfußballverband FIFA für das Tragen der Binde bereitwillig mit Punktabzug drohte und die deutschen Spieler bereitwillig darauf verzichteten. Statt es darauf ankommen zu lassen, ob die FIFA wirklich wagt, einen Mitfavoriten aus dem Turnier zu werfen, weil jemand auf Rechte für Homosexuelle hinweist.
Die Iraner hatten den Mut, vor dem Spiel gegen England die Nationalhymne demonstrativ nicht mitzusingen. Obwohl sie in einem Land leben, in dem man für Demonstrieren zum Tode verurteilt werden kann. Doch den deutschen Fußball-Multimillionären war das angebliche Risiko der Armbinde lächerlicherweise zu groß.
Wobei Rechte für Lesben und Schwule auch in der europäischen Geschichte nicht durch Armbinden, sondern radikale Kämpfe erreicht wurden. Angefangen von der Französischen Revolution, nach der Homosexualität in Frankreich bereits 1791 legalisiert wurde. Über die Deutsche Revolution 1918, nach der schon 1920 der „Bund für Menschenrecht“ als deutschlandweiter Verband von Homo-, Bisexuellen und Transpersonen gegründet wurde. Bis hin zur westdeutschen 68er-Bewegung und die folgenden Christopher Street Days auf der ganzen Welt.
WM in Russland, Olympische Spiele in China
Noch nie gab es in Sport-Medien so viele politische Texte und Videos wie während der jetzigen WM. Doch warum wird Katar so scharf kritisiert und nicht die Herrscher anderer Länder, die Fußball-Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele austragen? Wer diese Frage für unsinnig hält, weil andere Regierungen nicht annährend so schlimme Verbrechen begingen, täuscht sich.
Denn einerseits fanden die Männerfußball-WM 2018 in Russland und die Olympischen Winterspiele im Februar 2022 in China statt. Solange die langjährigen Diktatoren Wladimir Putin und Xi Jinping wichtige Handelspartner deutscher Konzerne waren, hatten weder Politiker, Medien noch Sportverbände damit ein Problem.
Massenmörder USA
Erst als Putin im Februar 2022 Krieg gegen den NATO-Verbündeten Ukraine begann, hat der europäische Fußballverband die russischen Vereine aus dem Europapokal und die Männer-Nationalmannschaft aus der WM-Qualifikation ausgeschlossen. Auch Russlands Bewerbung für die Männer-Europameisterschaft 2028 wurde wegen des Krieges abgelehnt.
Zudem findet schon die nächste Männer-WM 2026 überwiegend im Land mit der größten Massenmörder-Regierung der letzten Jahrzehnte statt: den USA. Ein Austragungsort, den Medien und Politiker zu Unrecht kein bisschen in Frage stellen werden.
Denn zum einen werden auch in den USA die Menschenrechte massenhaft verletzt. Allein 2021 tötete die Polizei etwa 1100 Menschen. Aber vor allem sind durch die Kriege der USA hunderttausende unschuldige Menschen ermordet wurden.
1 Million Tote in Irak
Die Brown University in Providence schätzt, dass durch den US-amerikanischen Krieg in Afghanistan von 2001 bis 2021 bis zu 360.000 Menschen getötet wurden. Das Opinion Research Business in London errechnete für den US-amerikanischen Krieg in Irak von 2003 bis 2011 etwa 1 Million Tote. Der damalige Präsident der USA George Bush ist für weit mehr Morde verantwortlich als heute Wladimir Putin oder der katarische Emir Tamim bin Hamad Al Thani.
Für uns wirkt das selbstverständlich, weil Politiker und Medien die Kriege der NATO-Staaten trotz gelegentlicher Kritik grundsätzlich als Einsatz für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit darstellen. Während angeblich nur die Gegner der NATO Verbrecher seien, die für die Ausweitung ihrer Macht tausende in den Tod schicken.
Doch unsere gefühlte Wahrheit entspricht nicht der Realität. In Wirklichkeit hat nach 1945 kein Militärbündnis auch nur annährend so viel gemordet wie die Armeen der NATO. Nicht um Menschen zu befreien, sondern um ihre Macht über die ganze Welt auszudehnen.
Die Verbrecher tragen Anzug
Es ist richtig, die Diktatoren und Könige im Nahen Osten scharf zu kritisieren und die WM in Katar ist ein guter Anlass dafür. Denn diese Herrscher sind verbrecherische Milliardäre und unterdrücken ihre Bevölkerung mit brutaler Gewalt. Doch sollten wir niemals vergessen, dass die größten Verbrecher der Welt keine weißen Gewänder tragen, sondern Anzug und Krawatte oder Bluse und Kleid.
Die Männerfußball-WM in Katar ist aus dutzenden Gründen eine Katastrophe und jeder Boykott-Aufruf ist mehr als gerechtfertigt. Der Erfolg einer solchen Kampagne hängt weniger davon ab, ob jede einzelne in ihrer Wohnung das Finale anschaltet oder nicht. Doch wenn auf der ganzen Welt Kneipen die Spiele nicht zeigen und Medien über die Unterdrückung der Menschen in Katar berichten, verliert die Fußball-WM genau das positive Image, das sie für die Werbung globaler Konzerne so interessant macht. Weil Fußballfans Kampagnen wie #BoycottQatar2022 mit Veranstaltungen in Dutzenden Städten organisieren, machen sich heute fast genauso viele Menschen Gedanken über die Rechte der Arbeiter in Katar, wie darüber, ob die deutsche Mannschaft mal wieder in der Vorrunde ausscheidet.
Noch besser wäre natürlich, wenn der Deutsche Fußball-Bund die WM tatsächlich boykottiert und die Teilnahme seiner Mannschaft abgesagt hätte. Auch so etwas ist möglich: Nachdem die sowjetische Armee 1979 Afghanistan angriff, boykottierten 66 Staaten aus Protest die Olympischen Sommerspiele 1980 in Moskau und schickten keine Sportlerinnen und Sportler, darunter Westdeutschland, China und die USA.
Doch einen mindestens genauso großen Boykott wie Katar 2022 verdient haben die WM 2026 in den USA und auch die Europameisterschaft 2024 in Deutschland. Denn es ist auch die deutsche Regierung, die Erdgas aus Katar kauft und Waffen in Kriege wie in der Ukraine liefert, die keinen Frieden bringen, sondern nur immer mehr tote, verwundete und verarmte Menschen.
Hans Krause ist aktiv in der LINKEN Berlin-Neukölln
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Schlagwörter: DFB, Fifa, Fußball, Fußball-WM, Menschenrechte, USA, Weltmeisterschaft, WM