Vor zwölf Jahren gab die ägyptische Revolution Millionen von Menschen weltweit die Hoffnung, dass eine andere Welt möglich ist. Was mit dem Sturz des 30-jährigen Diktators Hosni Mubarak begann, endete 2013 mit einer Konterrevolution. Wir sprachen mit A.T., einem Mitglied der Revolutionären Sozialistischen Bewegung Ägyptens, über die Rolle der revolutionären Linken vor, während und nach der Revolution von 2011.
Die Revolutionären Sozialisten sind eine ägyptische Organisation, die Anfang der 1990er Jahre in Kairo gegründet wurde, in den 2000er Jahren an Streiks und Protesten beteiligt war, während der ägyptischen Revolution von 2011 schnell wuchs und seit dem Militärputsch von 2013 schwer von staatlichen Repressionen betroffen ist, aber trotz dieser weiterhin politisch aktiv ist.
Lehren aus der Revolution
marx21: Du bist Mitglied bei der Organisation der »Revolutionären Sozialisten«.Während der Revolution von 2011 traten Tausende bei euch ein. Warum konnten die Revolutionären Sozialisten (RS) in dieser Zeit so viele Menschen aus einer jüngeren Generation anziehen?
A.T.: Das sind die Auswirkungen der Revolution. Revolutionen tun das. Lenin sagte, dass in revolutionären Zeiten Veränderungen in Tagen geschehen, die in normalen Zeiten Jahre dauern: »Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts geschieht, und es gibt Wochen, in denen Jahrzehnte geschehen.« Das Bewusstsein der Menschen ändert sich während einer revolutionären Periode dramatisch. Die Menschen beginnen nach Wegen zu suchen, wie sie radikale Veränderungen verwirklichen können. So schlossen sich Tausende der RS an.
Für uns war das natürlich fantastisch, aber es stellte uns vor zwei Probleme. Erstens wurde unsere Fähigkeit, neue Mitglieder in diesem Umfang aufzunehmen, auf eine harte Probe gestellt, und zweitens waren viele der neuen Mitglieder jung und politisch unerfahren und neigten dazu, idealistische und ultralinke Positionen zu vertreten. Dies brachte die RS in ein Dilemma.
marx21: Könntest Du ein Beispiel dafür nennen, in welche Dilemmata ultralinke Positionen die Revolutionären Sozialisten konkret brachten?
A.T.: Eine ultralinke Position, der wir in unseren eigenen Reihen, vor allem von jungen Mitgliedern, entgegenwirken mussten, war zum Beispiel der Aufruf, jede Art von Wahlen zu boykottieren und nur Straßenpolitik (Demonstrationen und Besetzungen usw.) als wirklich revolutionär anzusehen. Das war Ausdruck der revolutionären Energie und des Idealismus der Jugend, aber es war politisch schädlich. In Ägypten gab es nach 2011 die ersten freien Parlamentswahlen, gefolgt von den ersten freien und fairen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2012.
Millionen von Menschen gingen zur Wahl, zum ersten Mal mit dem Gefühl, dass ihre Stimme etwas bedeutet. Die Schlangen vor den Wahllokalen waren riesig. Gewöhnliche arme Menschen standen zehn bis zwölf Stunden lang in der Schlange. Dies wurde von der Jugend der Revolution als eine Art Verrat an der Revolution angesehen. Sie sagten: »Diese Leute sollten auf der Straße sein und nicht in der Schlange stehen, um zu wählen« – eine typische ultralinke Position und eine elitäre Position, weil sie das Bewusstsein der Menschen nicht sieht.
Die revolutionär-sozialistische Position hingegen ist, dass man die Menschen dort abholen muss, wo ihr Bewusstsein ist. Die Menschen müssen durch den Versuch, wählen zu gehen, lernen, dass dies nicht zu einer wirklichen Veränderung führen wird. Aber die Tatsache, dass sie wählen gehen, ist an sich schon ein positiver Faktor, und man sollte sie dabei begleiten, wenn ihr politisches Bewusstsein wächst. Die große Mehrheit der Menschen, die 2011 und 2012 zur Wahl gingen, hatte zuvor noch nie gewählt. Sie hätten nie gedacht, dass ihre Stimme etwas bewirken könnte.
Die meisten Leute, die sich während der Revolution den RS anschlossen, waren dafür, die ganze Zeit auf der Straße zu bleiben und sich nicht an irgendwelchen Wahlen zu beteiligen, und sie hielten unsere Positionen zu Wahlen für »rechts« oder »konservativ« und für Zugeständnisse an den Staat.
marx21: Gibt es Möglichkeiten, eine solche chaotische Situation, die sich für sozialistische Organisationen während einer Revolution ergibt, zu mildern?
A.T.: Während einer Revolution bleibt keine Zeit für Bildung. Man hat jeden Tag Demonstrationen und Streiks. Es ist eine Revolution im Gange! Überall sind die Leute auf der Straße, wann sollen sie da Zeit haben, Lenin zu lesen? Die Ausbildung der Kader muss vor allem in der nicht-revolutionären Zeit, also vor der Revolution, stattfinden.
Wenn man über Revolutionen in der Geschichte liest, gibt es immer dieses Problem mit der Ultralinken. Es gibt junge Leute, die Feuer und Flamme sind, weil Millionen von Menschen auf der Straße sind und bereit sind, für die Revolution in diesem Moment zu sterben. Es bleibt nur wenig Zeit für Diskussionen und Debatten. Sie werden auf der Straße erzogen, sie werden durch die Ereignisse erzogen. Das ist ein komplizierter Prozess. Das war ein ernstes Problem für uns in den Jahren 2011 und 2012, als wir versuchten, dem Ultralinksradikalismus zu widerstehen, ohne diese jungen Menschen zu verlieren.
Das ist sehr schwierig. Neue Mitglieder mit ultralinken Positionen wären zum Beispiel gegen jedes Bündnis, gegen jede Einheitsfront mit irgendeiner Kraft, und sie werden sehr idealistisch und voller Hoffnung und so weiter, und verzweifeln völlig, wenn die Dinge nicht sofort funktionieren.
marx21: Was hätte Euch neben der politischen Bildung noch geholfen, gegen die Ultralinken in den eigenen Reihen vorzugehen?
A.T.: Wie ich schon sagte, wird die Attraktivität der Ultralinken in Zeiten der Revolution immer zunehmen. Wie gut man das auffangen kann, hängt davon ab, wie groß die eigene Organisation vor einer revolutionären Situation ist. Wir waren zu klein. Unsere Zahlen waren in den Hunderten, als die Revolution begann. Plötzlich wollten 2011 tausende und tausende der Organisation beitreten. Deshalb ist es so wichtig, viele Kader zu haben, die politisch gebildet sind und zum Beispiel über reformistische und revolutionäre Positionen zu Wahlen Bescheid wissen und über alle Arten von alltäglicher Arbeit, die man tun muss, um mit den Menschen in Kontakt zu treten.
Hintergrund zur Revolution von 2011
marx21: Kommen wir zu den Hintergründen, die zur Revolution von 2011 geführt haben. Vor über zweiundzwanzig Jahren, im September 2000, brach im besetzten Palästina die zweite Intifada aus. Welche Rolle hat die Zweite Intifada bei der Politisierung der ägyptischen Jugend gespielt?
A.T.: Anfang der 2000er Jahre löste die zweite palästinensische Intifada eine große Solidaritätsbewegung in Ägypten aus, die enorm war. Sogar Grundschulkinder gingen auf Demonstrationen für Palästina, und die Menschen sammelten Spenden und Medikamente aus dem ganzen Land, um sie den Palästinenser:innn zu schicken. Das war also eine Art politische Öffnung für alle. In Universitäten, Schulen und auf den Straßen gab es jeden Tag Demonstrationen.
Nach einer langen Zeit der Ruhe kamen die Dinge also in Bewegung. Man begann, alle möglichen Komitees zu gründen, eine Art Einheitsfrontkomitee für die palästinensische Frage. Das war die erste große Veränderung, die stattfand. Wir waren in einer sehr guten Position, um das auszunutzen. Es gab auch die Antikriegsbewegung gegen die US-Invasion im Irak. Das führte auch zu mehreren sehr, sehr wichtigen Demonstrationen, einschließlich einer großen Demonstration auf dem Tahrir-Platz, bei der große Plakate von Mubarak verbrannt wurden. Das war ein großes Ereignis.
marx21: Was hat die politische Szene nach der zweiten Intifada geprägt?
A.T.: Im Jahr 2004 haben wir die Demokratiebewegung gestartet. Die Kampagne war eine Einheitsfront, an der Islamisten, Linke, Nationalisten und alle möglichen Leute beteiligt waren. Wir, die Revolutionären Sozialisten, waren von Anfang an mit dabei. Die erste Demonstration war im Dezember 2004. Wir waren bei dieser Demonstration dabei und haben unsere politischen Erklärungen verteilt und so weiter.
marx21: Gab es zu dieser Zeit bedeutende Arbeiter:innenbewegungen?
A.T.: 2006 begannen in Mahalla große Streiks, die sich über das ganze Land ausbreiteten und die größte Streikwelle zu dem Zeitpunkt der ägyptischen Geschichte auslösten, viel größer sogar als die Streikwellen in den 1940er und 1970er Jahren. Es war eine besondere Art von Streikwelle, denn viele Bereiche, die vorher nicht gestreikt hätten, traten in den Streik: Lehrer, Ärzte, Krankenschwestern, Bankangestellte, alle Arten von Menschen begannen zu streiken und setzten sich für unabhängige Gewerkschaften ein. Diese Ereignisse bildeten den Hintergrund für die Revolution von 2011.
2011 ist nicht einfach aufgetaucht, es gab einen Prozess der Politisierung der Bewegungen, der Zusammenarbeit verschiedener Tendenzen, an dem unsere Organisation der RS stark beteiligt war. Natürlich waren wir eine kleine Organisation, aber man kannte uns. Die streikenden Arbeiter:innen wussten von uns. Der Staat wusste über uns Bescheid. Wir waren Teil der Szene, was für die Linken lange Zeit nicht der Fall war.
Wir haben die Linke in gewisser Weise wieder auf die politische Landkarte gesetzt.
Die Revolution
marx21: Wie waren die Revolutionären Sozialisten an der Revolution 2011 beteiligt?
A.T.: Für den 25. Januar 2011 waren Demonstrationen geplant. Nach dem Beginn der tunesischen Revolution war die Atmosphäre extrem angespannt. Wir rechneten nicht mit einer Revolution, als wir uns den Demonstrationen am 25. in Kairo anschlossen. Am 28. Januar gab es im ganzen Land Demonstrationen, bei denen einige unserer führenden Mitglieder eine führende Rolle spielten. Wir begannen, Erklärungen abzugeben. Jeden Tag.
Wir veröffentlichten jeden Tag eine Erklärung zu den Entwicklungen, zu den Forderungen und zum weiteren Vorgehen. Wir waren von Anfang an gegen die Armee. Wir hatten ihr gegenüber keine Illusionen. Als der 30-jährige Diktator Hosni Mubarak am 11. Februar 2011 abtrat, gaben wir eine Erklärung ab, in der wir darauf hinwiesen, dass es noch nicht vorbei ist und wir der Armeeführung nicht vertrauen sollten. Aber offensichtlich war dies eine kleine Minderheitenmeinung.
marx21: Welche Rolle spielten die Streiks während der Revolution?
A.T.: In den letzten Tagen der Besetzung des Tahrir-Platzes gab es eine massive neue Streikwelle. Alle fingen an zu streiken: Bankangestellte, Eisenbahner, Busfahrer, Lehrer:innen, Reinigungskräfte, die die Straßen kehren, Mitarbeiter:innen der Müllabfuhr. Es war eine Streikwelle, die noch größer war als die Streikwelle von 2006/2007.
Die Idee, dass ein Streik etwas ist, das man nutzen sollte, um zu bekommen, was man will, wurde verallgemeinert. Nach dem 11. Februar wollten alle politischen Kräfte außer uns, den RS und vielleicht ein paar anderen Gruppen, ein Ende der Streiks. Sie begannen zu sagen, dass Ägypten wieder arbeiten muss, dass wir so nicht weitermachen können, dass die Menschen wieder zur Arbeit gehen müssen und dass die politische Übergangszeit nach dem Sturz Mubaraks respektiert werden sollte. Das staatliche Narrativ, das von den Muslimbrüdern unterstützt wurde, war, dass die streikenden Arbeiter:innen egoistisch seien und der Revolution schaden würden.
marx21: Welche Rolle hat die Muslimbruderschaft gespielt?
A.T.: In der Zeit zwischen dem Sturz Mubaraks im Februar 2011 und der Wahl von Mohammad Morsi von der Muslimbruderschaft im Jahr 2012 gab es eine Art angespanntes Bündnis zwischen der Muslimbruderschaft und der Armee. Aber es war kein vollständiges Bündnis, sie vertrauten einander nicht.
Die Armee versprach den Muslimbrüdern, dass es freie und faire Wahlen geben würde, wenn die Bruderschaft eine Rolle dabei spielen würde, die Straßen zu befriedigen, die Menschen dazu zu bringen, nach Hause zurückzukehren und den sozialen Frieden zu wahren. Die Militärführung fuhr fort, eine Übergangswahl vorzubereiten. Die Bruderschaft spielte bei der »Befriedung« der Straßen die größte Rolle, die sie spielen konnte.
Herrschaft der Muslimbruderschaft
marx21: Welche Position haben die Revolutionären Sozialisten eingenommen, als Morsi von der Muslimbruderschaft 2012 gewählt wurde?
A.T.: Als Mohammad Morsi Präsident wurde, waren wir in völliger Opposition zur Präsidentschaft der Muslimbruderschaft. Morsi war völlig gelähmt. Er begann, mit dem IWF (Internationaler Währungsfonds) zu verhandeln und Sparmaßnahmen zu vereinbaren. Wir sprechen hier von einem Land, in dem Millionen von Menschen für bessere Lebensbedingungen und bessere Löhne streiken. Er ist in die entgegengesetzte Richtung gegangen und hat damit viel Wut auf sich gezogen. Gleichzeitig sabotierten natürlich die Armee und die Polizei seine Präsidentschaft.
Es war nicht nur er, der gelähmt war. Sie legten auch den Staatsapparat lahm. Vom ersten Tag an begann die Armee, das gesamte Projekt zu sabotieren und die wachsende Wut gegen die Herrschaft der Muslimbruderschaft zu nutzen. Dies war ein sehr kluger Plan, an dem Abdel Fattah el Sisi, Morsis Verteidigungsminister und Feldmarschall, vom ersten Tag an beteiligt war, bis er 2013, ein Jahr nach Beginn von Morsis Herrschaft, einen Staatsstreich gegen ihn durchführte.
marx21: Wie sah die politische Situation für die Revolutionären Sozialisten aus?
A.T.: Als das Bündnis zwischen den Muslimbrüdern und dem Militärzu zerbrechen begann, begann die Armee gegen die Muslimbrüder an der Macht zu arbeiten, und es entstand ein neues Bündnis zwischen der Armee und der liberalen und reformorientierten linken Opposition. Das Narrativ war, dass die Herrschaft der Muslimbrüder bei weitem das schlimmstmögliche Szenario ist und dass wir sie loswerden müssen, selbst wenn dies ein Bündnis mit der Armee und den Überresten des alten Mubarak-Regimes bedeutet. Da wir sie nicht allein loswerden können und auch nicht durch Wahlen, da sie dafür viel zu mächtig sind, müssen wir uns mit den Generälen der Armee verbünden, so das Narrativ. Wieder war Sisi die Hauptfigur bei der Schaffung dieser neuen Front.
Die Position der RS war, dass wir gegen die Muslimbruderschaft an der Macht waren. Aber wir waren auch gegen jede Allianz mit dem alten Regime oder der Armee. Das begann, uns zu isolieren. Diese Klarheit, von der ich spreche, ist eine nachträgliche Klarheit. Damals war es nicht so klar, es war sehr verwirrend und änderte sich schnell.
marx21: Könntest Du erklären, inwiefern sich die Zeit der Herrschaft der Muslimbrüder von Juli 2012 bis Juli 2013 von der Zeit der Revolution unterscheidet?
A.T.: In den Jahren 2011 und 2012 lief es rund um die Revolution sehr gut für uns. Unsere Organisation wuchs und wuchs und wuchs, und zwar überall. Gruppen der RS entstanden an Orten, an denen wir zuvor keine Mitglieder hatten. Plötzlich gibt es zum Beispiel in Assuan eine Gruppe von 50 Leuten, die verkünden, dass sie eine neue Sektion der RS sind.
Das zeigt, wie sehr revolutionäre sozialistische, marxistische Ideen in Ägypten ein ernstzunehmendes Publikum haben können. Es gibt Perspektiven für die radikale Linke in Ländern wie Ägypten. Das Problem begann, als es diese Allianz aus Armee, Liberalen und Stalinisten gegen die Muslimbruderschaft gab. Wir als Revolutionäre Sozialisten versuchten, mit einer unabhängigen Position durchzubrechen, was extrem schwierig zu bewerkstelligen war. Aber im Allgemeinen haben wir unsere Unabhängigkeit bewahrt. Wir haben uns nie der Allianz gegen die Muslimbruderschaft angeschlossen.
Konterrevolution
marx21: Als der Militärputsch am 3. Juli 2013 stattfand, wie haben die Revolutionären Sozialisten darauf reagiert?
A.T.: Wir waren eine der ersten Gruppen außerhalb der Islamisten, die den Putsch als solchen bezeichneten. Wir begannen unsere Arbeit gegen den militärischen Staatsstreich und die Konterrevolution in derselben Woche des Putsches. Wir haben so viel wie möglich gegen alle Mobilisierungen gearbeitet, die die Armee zur Unterstützung der Zerschlagung der Muslimbruderschaft ins Leben gerufen hat. Zu dieser Zeit erhielt der Militärputsch von Sisi internationale Unterstützung, von der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten.
marx21: In welche Situation hat die Konterrevolution, die nun schon neuneinhalb Jahre andauert, die Revolutionären Sozialisten gebracht?
A.T.: All dies schuf eine neue Krise für die Revolutionären Sozialisten: Wie kann man unter solchen Bedingungen überleben? Offensichtlich gab es viele Leute, die während der Revolution beigetreten waren und deren erste politische Aktivität darin bestand, an Demonstrationen mit Hunderttausenden von Menschen teilzunehmen. Man kann sich also vorstellen, wie frustriert und demoralisiert diese Menschen waren. Es wurde also sehr schwierig, die Mitgliederzahl aufrechtzuerhalten, damit wir weiterarbeiten konnten. Es gibt also zwei Elemente.
Das eine war die Angst, denn es wurde extrem gefährlich, die politische Arbeit fortzusetzen. Das andere war die Demoralisierung. Wir mussten also gegen diese beiden Faktoren ankämpfen, um unsere Existenz zu sichern. Viele Gruppen konnten ihre Existenz nicht aufrechterhalten.
Mehrere unserer führenden Mitglieder wurden für sehr lange Zeit ins Gefängnis gesteckt. Die Opposition wurde vollständig niedergeschlagen. Die Armee ging mit überwältigender Gewalt vor. Die Arbeiter:innenbewegung wurde zerschlagen, die unabhängige Gewerkschaftsbewegung wurde zerschlagen. Wir haben keine unabhängigen Gewerkschaften mehr.
marx21: Glaubst Du, dass die Militärdiktatur von Sis nachhaltig ist?
A.T.: Die Militärdiktatur ist seit fast 10 Jahren nachhaltig, es ist schwer zu sagen, dass sie nicht nachhaltig ist. Aber sie ist auf lange Sicht nicht nachhaltig, und sie fängt an, Risse zu bekommen. Wir glauben ernsthaft, dass sie zu bröckeln beginnt und dass wir uns darauf vorbereiten müssen, wenn sie tatsächlich bröckelt. Die Wirtschaftskrise ist ernst. Die Projekte von Sisi sind monetär gesehen extrem teuer, zum Beispiel der Bau unproduktiver neuer Städte in der Wüste. All diese Projekte bedeuten weniger Ausgaben für Krankenhäuser oder für Bildung.
Was wir tun müssen, ist, weiterhin zu überleben und unser Bestes zu geben, um weiterzumachen. Wenn es zu einem Zusammenbruch kommt, müssen wir uns darauf vorbereiten. Wir müssen anfangen, unsere Taktiken und Strategien zu ändern, um jede Öffnung zu nutzen, die sich ergeben könnte.
Wir glauben fest daran, dass es eine zweite ägyptische Revolution geben wird, aber wann und wie sie beginnen wird, ist völlig unvorhersehbar. Wir müssen uns immer »die Aktualität der Revolution« vor Augen halten, egal wie schwierig die Dinge werden.
marx21: Vielen Dank für das Interview!
Das Interview wurde geführt durch Omnia Ismail.
Foto: Hossam El Hamalawy
Zur englischen Version des Interviews gehts hier.
Schlagwörter: Ägypten, Konterrevolution, Revolution