Der Kampf der Ukraine gegen die russische Invasion hat die Frage von nationaler Selbstbestimmung zurück ins Zentrum der Politik gebracht. Wie aber sollte die Linke reagieren? Welche Haltung hatten Marxist:innen in der Vergangenheit zur nationalen Frage? Ist der Kampf der Ukrainer:innen mit der Befreiungsbewegung in Vietnam zu vergleichen? Von Jürgen Ehlers
Der Angriff Russlands ist eine eklatante Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des ukrainischen Volkes. Das ist fast überall Konsens, auch unter Linken. Die politischen Konsequenzen aus dieser Einschätzung sind aber umstritten. Den Kritiker:innen an den Waffenlieferungen in die Ukraine und den Sanktionen gegen Russland bläst ein scharfer Wind entgegen. Hier eine kleine Auswahl: Der bei Fernsehsendern als Gast gern gesehene Politikwissenschaftler Herfried Münkler polemisiert gegen die »Unterwerfungspazifisten« und bezeichnete die Gegner:innen von Waffenlieferungen als »moralische Lumpen«. Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck behauptet, dass es ohne Waffenlieferungen zu einer »Dominanz des Bösen« käme. [1]
Im Zusammenhang mit dieser Kritik wird auch an die traditionelle Unterstützung von nationalen Befreiungsbewegungen durch die Linke erinnert und der Vorwurf erhoben, mit Rücksicht auf Russland der Ukraine militärische Hilfe zu verweigern.
Stefan Liebich, bis 2021 Mitglied für die Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, ist einer dieser Kritiker, die der Linken eine Doppelmoral vorwerfen. Kurz vor dem Ostermarsch 2022 erinnerte er an die vor mehr als vierzig Jahren in Westdeutschland populäre Kampagne mit dem Slogan »Waffen für El Salvador« [2]. Mit Blick auf die Gegner:innen von Waffenlieferungen an die Ukraine behauptet er, dass deren Ablehnung von Waffenlieferungen in einem Verständnis für die Motive und Ziele von Putin begründet sei:
»Als die sandinistische Regierung in Nicaragua gegen die von den USA unterstützten Contras kämpfte und in El Salvador die FMLN die von den USA unterstützte Militärregierung bekämpfte, sagte kein Linker, dass sie damit aufhören sollten, damit schneller ›Frieden‹ ist. Große Teile der Linken in Deutschland sammelten sogar Geld für ›Waffen für El Salvador‹. Heute lese ich, dass die Organisatoren des Berliner Ostermarschs Waffenlieferungen an die #Ukraine und jegliche Sanktionen gegen den Aggressor Russland ablehnen. Eine Friedensbewegung, die nicht auf der Seite der Angegriffenen, sondern nur auf der jeweils anderen Seite USA steht, braucht kein Mensch.« [3]
Eine Minderheit in der gesellschaftlichen Linken hegt tatsächlich Sympathien für Russland. Das rechtfertigt aber keinen Generalverdacht gegen all diejenigen, die Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnen. In einem Kommentar in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« werden ebenfalls Parallelen zwischen dem Krieg in der Ukraine und dem Kampf von Befreiungsbewegungen gezogen:
»… was hätten wir gesagt, als es um die nationalen Befreiungsbewegungen in Afrika und Asien ging? Hätten wir denen auch sagen sollen, dass ›der berechtigte Widerstand‹ in ›unerträglichem Missverhältnis‹ zu den Leiden der Zivilbevölkerung steht? Schwer vorstellbar.« [4]
Der Kommentator Georg Witte kritisiert hier den Offene Brief [5] an Olaf Scholz, der am 29.4.2022 in der von Alice Schwarzer herausgegebenen Frauenzeitschrift »Emma« [6] veröffentlicht worden ist. In diesem Brief werden die damals geplanten Lieferungen von schweren Waffen in die Ukraine wegen des dadurch von den Unterzeichner:innen befürchteten zunehmenden Leidens der Zivilbevölkerung kritisiert.
Die Fernsehbilder von Zivilist:innen zu Beginn des Krieges, die Molotowcocktails herstellen, Tarnnetze nähen, sich an Sturmgewehren ausbilden lassen und sich auch angesichts russischer Panzer nicht davon abbringen lassen, gegen den Aggressor auf den Straßen zu demonstrieren, zeigen eindrucksvoll, wie groß der Widerstandswille in der Bevölkerung gegen die russische Armee ist. Die Menschen wollen sich gegen die Invasoren verteidigen, und das ist auch ihr gutes Recht. Warum ist es vom Standpunkt revolutionärer Sozialist:innen dann trotzdem falsch, die Ukraine mit Waffenlieferungen aus den Arsenalen der Nato zu unterstützen?
Diese Frage ist nur plausibel zu beantworten, wenn alle Aspekte, die zu diesem Krieg geführt haben, mitgedacht und seine Ursachen im internationalen Kontext analysiert werden. Dazu gehören nicht nur die imperialistischen Interessen Russlands und der Nato, sondern auch die Herrschaftsverhältnisse in der Ukraine und die damit verknüpften gegensätzlichen Klasseninteressen in dem Land. Hier gilt: »Ausdrücklich und genau«, so der preußische Militärhistoriker Carl von Clausewitz, »muss festgestellt werden, dass der Krieg nichts ist, als die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln.« [7]
Sozialist:innen und Nationalismus
In der sozialistischen Arbeiterbewegung hat es mit dem Heranreifen des Kapitalismus zu einem die ganze Welt umspannenden imperialistischen Konkurrenzsystem kontroverse Diskussionen darum gegeben, in welchem Verhältnis der Kampf um nationale Selbstbestimmung zum Klassenkampf steht. Diese Frage ist bis heute von zentraler Bedeutung, denn der Klassenkampf ist Ausdruck von gegensätzlichen sozialen und politischen Interessen in einer Gesellschaft. Er steht in der Regel im Schatten des Nationalismus, wenn es keine selbstbewusste Arbeiterbewegung gibt. So hat der britische Historiker Eric Hobsbawm beispielsweise einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Versagen der britischen Gewerkschaften im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in Schottland und Wales und dem dort erstarkenden Separatismus in den 1970er Jahren hergestellt. [8] Ein niedriges Niveau an Klassenkämpfen und ein erstarkender Nationalismus können zusammenhängen – ob und in welchem Maß der Nationalismus an Gewicht gewinnt, hängt vom Niveau des Klassenbewusstseins in der Arbeiterklasse ab. Gewerkschaftliche, aber auch andere soziale und politische Kämpfe begünstigen die Herausbildung von Klassenbewusstsein. Aber ohne Revolutionär:innen, die für einen Sozialismus von unten kämpfen und damit eine Alternative zum Reformismus und Nationalismus anbieten, entsteht nicht automatisch ein sozialistisches Klassenbewusstsein. Wenn diese Voraussetzung aber erfüllt ist, dann können auch die Kämpfe um nationale Selbstbestimmung die Herausbildung von Klassenbewusstsein begünstigen.
Die 1848 von Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest verdichtete Erfahrung trifft auf den Nationalismus in besonderer Weise zu: »Was beweist die Geschichte der Ideen anders, als daß die geistige Produktion sich mit der materiellen umgestaltet? Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse.« [9]
Der Nationalismus ist ein Kind des Kapitalismus, und dieser braucht den Nationalstaat bis heute zu seiner Entwicklung. Daran hat auch die Weiterentwicklung des Kapitalismus im Verlaufe des 19. Jahrhunderts zu einem imperialistischen Konkurrenzsystem von Nationalstaaten, die sich zu Wirtschaftsblöcken und militärischen Bündnissen zusammenschließen, nichts geändert. Die politische Wirkung eines Nationalstaat geht weit über seine ökonomische Funktion hinaus. Er ist die über Jahrhunderte erprobte Basis, von der aus rassistische Ideologien, chauvinistische Kampagnen und Kriegspropaganda gegenüber der eigenen Bevölkerung verbreitet werden. Klassenwidersprüche im eigenen Land verblassen so hinter einem gemeinsamen Feindbild.
Um dem zu begegnen, haben Marx und Engels immer wieder die Bedeutung des proletarischen Internationalismus betont, ohne sich der Illusion hinzugeben, dass sich das dafür notwendige Klassenbewusstsein automatisch einstellen würde. Wird dieser Aspekt unterschlagen, dann kann leicht der Eindruck entstehen, die beiden hätten die Gefahr, die vom Nationalismus ausgeht, unterschätzt. So heißt es beispielsweise in einer Festschrift von Engels aus dem Jahr 1845:
»Die Proletarier aber haben in allen Ländern ein und dasselbe Interesse, einen und denselben Feind, einen und denselben Kampf vor sich; die Proletarier sind der großen Masse nach schon von Natur ohne Nationalvorurteil, und ihre ganze Bildung und Bewegung ist wesentlich humanistisch, antinational.« [10]
Worum es Engels hier geht, ist zu betonen, dass die Arbeiterklasse sich gegen den Nationalismus wenden muss, da er ihren politischen und sozialen Interessen zuwiderläuft. So wie auch drei Jahre später im gemeinsam mit Marx verfassten Kommunistischen Manifest, in dem die provokante Behauptung »Die Arbeiter haben kein Vaterland« [11] zu finden ist. Roman Rosdolsky, zu Beginn der 1930er Jahre Mitinitiator der trotzkistischen Bewegung in der Westukraine [12], hat die Beiträge von Engels zur nationalen Frage eingehend studiert und kommt zu dem Schluss:
»… das Proletariat jedes Landes [muss sich] die internationalistische Haltung, die die allgemeinen, historischen Interessen seiner Klasse von ihm erfordern, erst mühsam erringen. Man begreift daher, wie lange es dauerte, bis die marxistische Arteiterbewegung zur Klarheit auf dem Gebiet gelangte (von Engels zu Lenin war ein sehr weiter Weg!).« [13]
Auf diesem langen Weg spielt die Diskussion zwischen Rosa Luxemburg und W. I. Lenin um die Bedeutung des Nationalismus für die politische Arbeit von Sozialist:innen bis heute eine große Rolle. Die Debatte liegt mehr als hundert Jahre zurück, aber in ihr werden Grundsatzfragen aufgeworfen, die bis heute relevant sind. Denn damals wie heute bestimmt der Imperialismus als kapitalistisches Konkurrenzsystem die politischen Entscheidungen der herrschenden Klassen in allen Ländern . Somit spielt auch der Nationalismus weiterhin eine bedeutende Rolle.
Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen in der polnischen Arbeiterbewegung [14] lehnte Luxemburg die Forderung nach der nationalen Unabhängigkeit Polens ab. Ihrer Auffassung nach würde der Kampf um die Unabhängigkeit Polens die polnische Arbeiterbewegung vom Klassenkampf ablenken. Diese Position hat sie verallgemeinert und in der von ihr 1915 verfassten so genannten Junius-Broschüre zugespitzt:
»In der Ära dieses entfesselten Imperialismus kann es keine nationalen Kriege mehr geben. Die nationalen Interessen dienen nur als Täuschungsmittel, um die arbeitenden Volksmassen ihrem Todfeind, dem Imperialismus, dienstbar zu machen.« [15]
Luxemburgs Argumentation war abstrakt. Sie hatte prinzipiell recht mit ihrer These, dass nationale Interessen »nur als Täuschungsmittel dienen«. Doch diese Feststellung allein wurde dem widersprüchlichen Bewusstsein der Arbeiterklasse nicht gerecht und zeigte noch keinen Weg auf, wie der Anziehungskraft des Nationalismus in der Arbeiterbewegung zu begegnen wäre. Sie unterschätzte die Bedeutung eines Nationalismus in der Arbeiterklasse, deren Forderung nach nationaler Selbstbestimmung durchaus mit der Vorstellung verbunden sein kann, die eigenen Lebensverhältnisse auf diesem Weg verbessern zu können. Lenin hat die Junius-Broschüre 1916 einer solidarischen Kritik unterzogen und seine Position entwickelt, die das Recht auf nationale Selbstbestimmung und die Unterstützung des Kampfes durch Sozialist:innen als Chance begriff, dem Ziel der internationalen Einheit der Arbeiterklasse näher zu kommen:
»Wir sind nicht nur deshalb so ausführlich auf die Unrichtigkeit der Behauptung, daß es ›keine nationalen Kriege mehr geben kann‹ eingegangen, weil sie offensichtlich theoretisch falsch ist. (…) daraus wird (…) die direkt reaktionäre Gleichgültigkeit den nationalen Bewegungen gegenüber abgeleitet. Eine solche Gleichgültigkeit wird zum Chauvinismus [16], wenn Angehörige der europäischen ›großen‹ Nationen, d.h. der Nationen, die eine Masse kleiner kolonialer Völker unterdrücken, mit hochgefahrener Miene erklären: ›Nationale Kriege kann es nicht mehr geben!‹ Nationale Kriege gegen imperialistische Mächte sind nicht nur möglich und wahrscheinlich, sie sind unvermeidlich, sie sind fortschrittlich und revolutionär.« [17]
Die Unterstützung einer Kriegspartei machte Lenin jedoch davon abhängig, ob dadurch der Imperialismus, als Hindernis zur Vereinigung der Arbeiterklasse über alle Ländergrenzen hinweg, geschwächt werden könne. Das kann Lenin zufolge der Fall sein, wenn sich eine unterdrückte Nation von der unterdrückenden lossagt. Das kann auch der Fall, wenn sich ein Land gegen die vollständige Besetzung oder die Annexion von Teilen seines Staatsgebietes wehrt. Das kann sogar der Fall sein, wenn die unterdrückte oder besetzte Nation die Unterstützung einer konkurrierenden imperialistischen Macht erhält.
Lenin differenzierte zwischen dem Nationalismus der unterdrückten Nation und dem Nationalismus der unterdrückenden Nation. Diese Unterscheidung war der zentrale Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Der Nationalismus der unterdrückten Nation kann revolutionäre Züge aufweisen, weil er sich gegen die imperialistischen Interessen der Unterdrücker wendet und damit den Keim zum Kampf gegen den Imperialismus in sich trägt. Der Nationalismus der Unterdrücker ist dagegen vom Chauvinismus geprägt. Lenins Schlussfolgerung daraus war, dass die Arbeiterklasse in der unterdrückenden Nation grundsätzlich für das Recht der unterdrückten Nationen auf nationale Selbstbestimmung eintreten muss, während die Arbeiterklasse der unterdrückten Nation immer die internationale Einheit der Arbeiterklasse betonen muss.
»Das Proletariat muß die Freiheit der politischen Abtrennung der von „seiner“ Nation unterdrückten Kolonien oder Nationen fordern. Andernfalls wird der Internationalismus des Proletariats zu leeren Worten: weder Vertrauen noch Klassensolidarität unter den Arbeitern der unterdrückten und der unterdrückenden Nation sind möglich. (…) Andererseits müssen die Sozialisten der unterdrückten Nation auf die vollständige und bedingungslose, auch organisatorische Einheit der Arbeiter der unterdrückten Nation mit denen der unterdrückenden Nation besonders bestehen und sie ins Leben rufen. Ohne dies ist es unmöglich, auf der selbstständigen Politik des Proletariats sowie auf seiner Klassensolidarität mit dem Proletariat anderer Länder bei all den verschiedenen Streichen, Verrätereien und Gaunereien der Bourgeoisie zu bestehen.« [18]
Michael Löwy hat die Position Lenins und seine politischen Motive in der Frage des nationalen Befreiungskampfes sehr treffend so zusammengefasst:
»Es war ihm völlig gleichgültig, ob diese oder jene Nation einen unabhängigen Nationalstaat hatte oder nicht, oder wo Grenzen zwischen zwei Staaten verliefen. Sein Ziel war Demokratie und die internationalistische Einheit des Proletariats; und diese beiden Ziele erfordern die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Wichtiger noch: Gerade weil sie sich auf den politischen Aspekt konzentriert, macht seine Theorie des Selbstbestimmungsrechts auch nicht das kleinste Zugeständnis an den Nationalismus. Sie ist streng auf den Bereich des demokratischen Kampfs und der proletarischen Revolution beschränkt.« [19]
Am Beispiel der Ukraine heute und der Frage, ob Waffenlieferungen an eine Kriegspartei und Sanktionen richtig oder falsch sind, wird die Bedeutung dieser Position für revolutionäre Sozialist:innen, deutlich. Aus dem Kampf um nationale Selbstbestimmung gegen die russischen Invasoren ist sehr schnell ein Stellvertreterkrieg zwischen der Nato und Russland geworden. Die prowestlichen Oligarchen in der Ukraine suchen und bekommen Unterstützung durch die Nato, um ihre Herrschaft gegen den Aggressor zu verteidigen. Im Gegenzug verspricht sich die Nato Gegenzug davon eine künftige Ausweitung ihres Einflussbereiches nach Osten. Mit einem Sieg der Regierung Wolodymyr Selenksyjs ist keine Schwächung des Imperialismus oder Stärkung des Kampfes um Demokratie und die Interessen der Arbeiterklasse in der Ukraine verbunden, sondern lediglich eine Verschiebung von Kräfteverhältnissen unter den miteinander konkurrierenden kapitalistischen Mächten. Das ist der Grund, warum revolutionäre Sozialist:innen die Waffenlieferungen an die ukrainische Regierung und Sanktionen durch die Nato ablehnen.
Stellvertreterkrieg in der Ukraine
Am Ende des Kalten Krieges taten sich mit dem Zusammenbruch der UdSSR verschiedene Optionen für die weitere Entwicklung der Ukraine auf. Dabei spielte die organisierte Arbeiterklasse 1989 mit den Massenstreiks von Hunderttausenden in den Kohlegruben des Donbass und die dadurch ermutigte politische Opposition im Westen des Landes eine zentrale Rolle. Die politischen und sozialen Forderungen verbanden sich mit dem Kampf um Unabhängigkeit der Ukraine von der zerfallenden UdSSR. Der Versuch von Teilen des Staatsapparates, mit dem Putsch gegen Mikhail Gorbatschow 1991 das Rad der Geschichte zurückzudrehen, hatte die Hoffnungen auf einen ungefährdeten gemeinsamen Weg Russlands und der Ukraine in eine bessere Zukunft zerstört. [20] Der Putsch scheiterte zwar, beschleunigte aber den Zerfall der Sowjetunion und machte Gorbatschows Pläne, den Fortbestand einer, wenn auch dezentral organisierten Staatenunion, zunichte.
Die Hoffnungen, die die Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Ukraine von Russland am Ende des Kalten Krieges legte, stellten sich schnell als Illusion heraus. Große Teile der Bevölkerung leben bis heute in Armut, obwohl das Land reich an Bodenschätzen ist, über eine entwickelte Industrie verfügt und als Kornkammer der Welt gilt:
»Der monatliche Durchschnittslohn lag 2021 brutto gerade mal bei 450 Euro. Da in Polen und Russland die Durchschnittslöhne deutlich höher liegen, arbeiten viele Ukrainer in den beiden Nachbarländern oder in Westeuropa.« [21]
Die zerstörten Hoffnungen resultieren daraus, dass die herrschende Klasse im Land die Kulissen auf der politischen Bühne austauschte, aber weiter Regie führt und sich deswegen bis heute schamlos bereichern kann. [22] Eine Erfahrung, die auch die Arbeiterklassen in den anderen Staaten machte, die sich nach 1989 vom Joch der UdSSR befreiten. Diese Entwicklung folgte keinem Naturgesetz. Sie wäre zu verhindern gewesen, wenn sich die Arbeiterklasse um ihre eigenen Interessen herum organisiert und die Kontrolle über die Produktionsmittel übernommen hätte.
Am Ende der 1980er Jahre wollte sich während des Zusammenbruchs des Ostblocks aber kaum jemand in die Tradition Lenins stellen, der für diese revolutionäre Perspektive stand. Er galt den meisten Menschen auch in der Oppositionsbewegung als Wegbereiter Stalins. Die Oktoberrevolution war nach ihrer Vorstellung der Putsch einer Clique um Lenin, die 1917 die Macht eroberte und als ersten Schritt das gewählte Parlament ausschaltete. Die Existenz einer Massenbewegung, die sich in einer Rätedemokratie organisiert hatte, kam in dieser Geschichtsfälschung nicht vor. Der später einsetzende Prozess der Stalinisierung wurde deswegen nicht als Konterrevolution, sondern als Konsequenz aus einem Putsch interpretiert, der parlamentarische Strukturen beseitigt hatte. Damit waren in den Augen der meisten Oppositionellen alle Konsequenzen, die Lenin aus seinen politischen Erfahrungen gezogen hatte, diskreditiert. [23] So ist in der Ukraine keine einflussreiche sozialistische Organisation mit einer Massenbasis entstanden, die auf die mit der nationalen Befreiung verbundene Gefahr, dass die Klassenwidersprüche im Kampf um Unabhängigkeit durch den Nationalismus verdrängt werden, hätte hinweisen können.
Die positiven Erfahrungen der ersten Jahre nach der Oktoberrevolution sind in Vergessenheit geraten. Von 1918-1928 wurde in der kommunistischen Partei der so genannten Sowjetukraine, die nach der Oktoberrevolution entstanden war, kontrovers über die zukünftige Entwicklung des Landes diskutiert. In dieser Phase übte die Sowjetukraine auf die Westukrainer, die unfrei waren, weil sie auf vier Nationalstaaten verteilt lebten, eine große Anziehungskraft aus. [24] Mit der Stalinisierung ab 1929, die die erste Säuberungswelle in der Partei und die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft einläutete, wurde aus der demokratischen Sowjetukraine eine abstoßende Diktatur. Das war der Nährboden, auf dem dann der prowestliche Nationalismus und der Faschismus in der Westukraine gedeihen konnten. Das wirkt bis heute nach und schwächt die Opposition gegen die Oligarchen erheblich. [25]
Die Bewegung von unten, angefangen von den streikenden Bergarbeiter:innen bis hin zu den Studierenden, brachte vor dreißig Jahren die politischen Verhältnisse in der Ukraine ins Wanken. Das gilt auch für die Streiks in der UdSSR am Ende der 1980er Jahre, die den Teil des Staatsapparats um Gorbatschow herum dazu bewogen, politische und ökonomische Reformen auf den Weg zu bringen. Das Ziel der Staatsbürokratie war es, dadurch die bestehenden Herrschaftsverhältnisse, die auf ihrer Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und Rohstoffe basierten, zu retten. Das ist ihnen mit Hilfe des einflussreichsten, weil am besten organisierten Teil des alten Staatsapparates, des Geheimdienstes »KGB«, gelungen, auch wenn Teile der Bürokratie bei der Wandlung von einem reinen Staatskapitalismus in einen Monopolkapitalismus das Nachsehen hatten und verdrängt wurden.
Die Unabhängigkeit der Ukraine von der ehemaligen UdSSR war das Ergebnis einer Revolution, die auf halbem Weg stecken blieb. Die Bewegung von unten konnte vom reformwilligen Teil der herrschenden Klasse unter ihre Kontrolle gebracht werden. Ein Weiterführen der politischen Revolution hätte bedeutet, dass die Arbeiterklasse die Führung übernommen hätte, um die weitere politische und ökonomische Entwicklung zu bestimmen. Dazu fehlten aber nicht nur in der Ukraine die entscheidenden Voraussetzungen in Form einer sozialistischen Alternative gegenüber der Strategie der herrschenden Klasse. Die daraus resultierende Ohnmacht der linken Opposition in der Ukraine gegenüber der Regierungspolitik von Selenskyj und seinen Vorgängern ist tragisch. So werden heute auch aus den Reihen der linken Opposition in der Ukraine Stimmen laut, die sich für Waffenlieferungen aussprechen und für diese Position unter den Linken im Westen um Unterstützung bitten.
Es stimmt, dass die gesellschaftliche Linke in Deutschland in der Vergangenheit die Unterstützung nationaler Befreiungskämpfe durch Waffenlieferungen gefordert hat. Jedoch nur, wenn die Voraussetzungen erfüllt waren, um das imperialistische Konkurrenzsystem zu schwächen. Das ist in der Ukraine nicht der Fall. Das prominenteste Beispiel eines Befreiungskampfes, der diese Voraussetzung erfüllt hat, ist der Vietnamkrieg.
Befreiungskampf in Vietnam
Der Stellenwert von Waffenlieferungen an eine Kriegspartei geht immer über das unmittelbare militärische Kalkül hinaus. Es geht am Ende um politischen Einfluss und damit verbunden um die Hoffnung auf geostrategische und wirtschaftliche Vorteile. Das ist nicht erst seit der Unterstützung der Ukraine durch die Nato so. Auch alle Waffenlieferungen aus der UdSSR und China nach dem Zweiten Weltkrieg an Befreiungsbewegungen im Kampf gegen die alten Kolonialmächte und die USA folgten dieser Motivation. So war auch die Unterstützung der vietnamesischen Befreiungsbewegung und der Armee Nordvietnams im Kampf gegen den US-Imperialismus durch umfangreiche Waffenlieferungen aus der damaligen UdSSR kriegsentscheidend. Diese jahrelange Unterstützung führte aber nicht dazu, dass aus dem Befreiungskampf ein Stellvertreterkrieg wurde. Woran lag das und was macht den Unterschied zum Kampf in der Ukraine aus?
In Vietnam gab es eine selbstbewusste Befreiungsbewegung mit einer stolzen und langen Tradition, die fest unter der Dorfbevölkerung verwurzelt war. Ohne diese Bewegung hätten die Waffenlieferungen der UdSSR keine entscheidende Rolle beim Sieg über den US-Imperialismus spielen können. Diese Bewegung war ab den 1940er Jahren von Kommunisten um Ho Chi Minh systematisch in allen Dörfern aufgebaut worden. Das gab es in keinem der europäischen Ostblockstaaten – auch nicht in der Ukraine. Die bedeutsamste Ausnahme ist Polen, wo bereits 1980 mit Solidarność im Zusammenhang mit einer großen Streikbewegung eine unabhängige Gewerkschaft entstanden war.
»Ho kehrte 1941 nach Vietnam mit einem Plan zurück und überzeugte die anderen kommunistischen Führer von ihm. Sie begannen eine Massenorganisation, die Vietminh, die Vietnamesische Liga, aufzubauen, um mit ihr den Kampf für die Unabhängigkeit zu führen. Diese Organisation sollte alle vereinen – Arbeiter, Kapitalisten, Bauern, Großgrundbesitzer -, die gegen die Franzosen antreten wollten.« [26]
Ho Chi Minh setzte auf klassenübergreifende Interessen gegen die imperialistischen Unterdrücker. Im Programm der Vietminh [27] wurden folgende soziale Forderungen aufgestellt: »Einführung des allgemeinen Wahlrechtes, Gleichstellung von Mann und Frau, Schutz der ethnischen Minderheiten, die allgemeine Schulpflicht, den 8-Stunden-Tag und die Industrialisierung des Landes.« [28] Die Industrialisierung des Landes sollte nach den Vorstellungen Ho Chi Minhs gemäß dem Vorbild der UdSSR erfolgen. [29] Das umfasste einen Plan zur Industrialisierung mit staatskapitalistischen Methoden, den sehr viele Befreiungsbewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgten. [30] Der herrschenden Klasse in den Ländern, die sich befreit hatten oder auf dem Weg der Befreiung waren, ging es nicht um eine sozialistische Revolution, sondern um eine kapitalistische Entwicklung mit dem Ziel, den hochentwickelten Industrieländern auf Augenhöhe begegnen zu können. Es ging ihnen um eine Perspektive, die ihnen die Ausbeutenden aus Europa verweigerten. [31]
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war eine Aufteilung von großen Teilen der Welt in Interessensphären zwischen Ost und West verbunden. Diese Aufteilung wurde bis zum Ende des Kalten Krieges in Europa von den Siegermächten nie in Frage gestellt. Das war im Rest der Welt anders. Der Koreakrieg (1950-1953) war der erste Versuch, die Grenzen, die von den Siegermächten einvernehmlich festgelegt worden waren, zu verschieben. Die UdSSR ermutigte den von Stalinisten um Kim Il-sung [32] beherrschten Norden des Landes, mit ihrer Hilfe den Süden des geteilten Landes anzugreifen. Der UdSSR ging es dabei um den Versuch, die ganzjährig eisfreien Häfen im Süden unter ihre Kontrolle zu bringen, um diesen strategischen Vorteil für die eigene Flotte im Japanischen Meer nutzen zu können. Der Koreakrieg ist eines der eindringlichsten Beispiele für einen Stellvertreterkrieg, der immer auch dadurch gekennzeichnet ist, dass die Interessen der im Hintergrund agierenden kriegsführenden imperialistischen Staaten – in diesem Fall der UdSSR – verschleiert werden. Die Beurteilung des Koreakrieges war in der Linken umstritten und löste unter Trotzkisten eine Kontroverse um den Charakter der UdSSR aus. Die Kontroverse endete mit einer Spaltung. [33]
Auch in Vietnam gab es eine kommunistische Partei, die sich an der stalinistischen UdSSR orientierte. Diese war aber, anders als die Partei in Nordkorea, eng mit einer Befreiungsbewegung verbunden. Im Unterschied zu Nordkorea war Nordvietnam zu keinem Zeitpunkt von der Roten Armee Stalins besetzt. Ho Chi Minh war nie eine Marionette Stalins, anders als Kim Il-sung in Nordkorea. Stalins Herrschaft reichte nur so weit, wie die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg vorgedrungen war. Eine kleine Anekdote, die vom Besuch von Enrico Berlinguer, einem führenden Mitglied der italienischen Kommunisten, 1966 in Nordvietnam überliefert ist, illustriert das sehr eindrücklich.
»Ein Punkt, bei dem die Vietnamesen besonders unerschütterlich sind, ist der Abstand zu China und zur Sowjetunion in gleichem Maße. Als Berlinguer fragt, was sie über die Mao-Bibel denken, folgt ein peinliches Schweigen. „Wir lesen Shakespeare“, antwortet ein hoher Funktionär mit einer undurchdringlichen Miene.« [34]
Ho Chi Minh setzte im Kampf gegen die Kolonialmacht Frankreich und später die USA nicht einfach auf eine »Bruderhilfe« durch die mächtige UdSSR, sondern auf eine breite Bewegung. Diese Befreiungsbewegung vereinte Menschen mit sehr unterschiedlichen sozialen Interessen und verschiedenen politischen Vorstellungen darüber, wie der Kampf gegen die französische Kolonialmacht zu führen sei. Das zeigte sich bereits 1945, als die von den Vietminh initiierten Demonstrationen, die nur dazu dienen sollten, die Verhandlungsposition gegenüber den Franzosen und ihren westlichen Alliierten um Unabhängigkeit zu stärken, in einen spontanen Aufstand umschlugen. Die Vietminh distanzierten sich von dem Aufstand, anstatt ihn zu nutzen, um auf diesem Weg das Land von der alten Kolonialmacht zu befreien. Sie fürchteten, ihren politischen Führungsanspruch an die von ihnen nicht mehr kontrollierte Bewegung zu verlieren und damit auch ihre Verhandlungsposition gegenüber den Franzosen einzubüßen.
»Die Vietminh riefen zur Zurückhaltung auf und forderten Verhandlungen mit den Alliierten. Aber Saigon stand auf – die Trotzkisten, die Buddhisten, die religiösen Sekten, die vielen Kommunisten, die sich mit der Parteilinie nicht abfinden konnten, und vor allem die Arbeiter.« [35]
Der spontane Aufstand endete in einer Niederlage und die Franzosen brachten mit Hilfe der britischen Armee den Süden des Landes wieder unter ihre Kontrolle. Die Kommunist:innen zogen sich in den Norden zurück und führten Säuberungen durch, denen vor allem die vietnamesischen Trotzkist:innen zum Opfer fielen. Das schwächte zunächst die Opposition gegen die offizielle Parteilinie der Kommunistischen Partei im Norden, aber der Versuch die Befreiungsbewegung vollständig zu kontrollieren, scheiterte.
Im Verlauf des weiteren Befreiungskampfes kam es 1954, nach einer schweren Niederlage der französischen Truppen bei Dien Bien Phu, im Rahmen von Friedensverhandlungen mit der alten Kolonialmacht zur Teilung des Landes. Russland und China setzten sich gegenüber den Kommunisten um Ho Chi Minh mit dem Plan durch, den Süden des Landes aufzugeben, um im Norden einen eigenen Staat aufzubauen. [36] Hintergrund war die veränderte Außenpolitik der UdSSR, die zu diesem Zeitpunkt die Generallinie von der »friedlichen Koexistenz« [37] mit den westlichen dominierten Staaten verfolgte. Die Umsetzung des Teilungsplans hatte zur Folge, dass sich im Süden mit dem kommunistischen Vietcong [38] eine starke Befreiungsbewegung gegen die Regierung aus Großgrundbesitzern etablierte. Diese Regierung in Saigon, der Hauptstadt Südvietnams, wurde von den USA unterstützt. Der Vietcong, der den bewaffneten Kampf gegen die USA und die Regierung im Süden führte, wurden von den Bewohner:innen des Landes in den Dörfern unterstützt. Folgende Beschreibung einer Hilfsaktion des Vietcong nach einer Überschwemmung macht deutlich, wie eng die Befreiungsbewegung im Süden mit den Dorfbewohner:innen verbunden war:
»Die Studenten sahen, daß dieses »Viet Kong« Vietnamesen wie sie selber waren, mit dem einzigen Unterschied, daß sie ausdauernder und selbstloser arbeiteten und aus ihrer Hilfe weder eine publizitäre Aktion noch ein spannendes, die Gleichförmigkeit des Alltags durchbrechendes Erlebnis machten. Sie säuberten die verschlammten Hütten, schleppten Reis an, eröffneten kleine Ambulanzen (…). Viele dieser »Viet Kong« waren einfache Dorfbewohner, teils kürzlich aus dem Norden wieder in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt, die sie 1954 verlassen hatten, teils neu zur Befreiungsbewegung hinzugestoßen.« [39]
Die Befreiungsbewegung in Südvietnam fand sich nicht damit ab, von den Kommunisten im Norden auf Grund der Interessen der mit den USA konkurrierenden imperialistischen Staaten aufgegeben zu werden. Der Vietcong konnte die Unterstützung durch die vietnamesische Kommunistische Partei im Norden erzwingen, weil deren Vertreter nicht einfach der verlängerte Arm Moskaus waren. Wie schon 1945 zeigte sich erneut, dass die Befreiungsbewegung nicht einfach der verlängerte Arm der Kommunistischen Partei war und deren Führung deswegen nicht widerspruchsfrei die Pläne der UdSSR und Chinas umsetzen wollte. Das war nicht selbstverständlich, denn ohne die militärische Unterstützung durch die UdSSR und die Reislieferungen Chinas wäre es dem Vietcong nicht möglich gewesen, den Krieg gegen die USA zu gewinnen.
Internationale Solidaritätsbewegung
Wichtig für die Beendigung des Krieges durch die USA war, dass eine weltweite Solidaritätsbewegung mit dem Vietcong entstand und sich in den USA eine immer größer werdende Antikriegsbewegung entwickelte. Entscheidend war, dass immer mehr amerikanische Soldaten desertierten oder ihren Offizieren den Befehl verweigerten. Das hat die USA 1975 letztlich zum Rückzug aus Vietnam gezwungen. Eine Situation, die Parallelen zum Ende des Ersten Weltkriegs aufweist, als sich 1918 die Besatzungen der deutschen Kriegsflotte in Kiel weigerten auszulaufen, weil das ihren sicheren Tod bedeutet hätte. Fast 60.000 Soldaten haben die USA in diesem Krieg verloren. Angesichts der zwischen drei und vier Millionen getöteten Vietnamesen erscheint der Blutzoll gering. Aber die politische Wirkung in den USA war umso größer, auch weil die Behauptung, dass es in dem Krieg um die Verteidigung von Freiheit und Menschenwürde gehe, im krassen Widerspruch zur Rassentrennung in den USA und den Erfahrungen der aus Vietnam heimkehrenden US-Soldaten stand.
Rudi Dutschke hielt1968 auf dem Vietnam-Kongress eine bemerkenswerte Rede, in der er den Zusammenhang von nationalen Befreiungskämpfen gegen den Imperialismus mit dem Klassenkampf im Kapitalismus aufzeigte:
»In Vietnam werden auch wir tagtäglich zerschlagen, und das ist nicht ein Bild und ist keine Phrase. Wenn in Vietnam der US-Imperialismus überzeugend nachweisen kann, daß er befähigt ist, den revolutionären Volkskrieg erfolgreich zu zerschlagen, so beginnt erneut eine Periode autoritärer Weltherrschaft von Washington bis Wladiwostok. (…) Vietnam kommt näher, in Griechenland beginnen die ersten Einheiten der revolutionären Befreiungsfront zu kämpfen. Die Auseinandersetzungen in Spanien spitzen sich zu. Nach 30 Jahren faschistischer Diktatur ist in der Einheitsfront der Arbeiter und Studenten eine neue revolutionäre Kraft entstanden.
Die Bremer Schüler haben angefangen und gezeigt, wie in der Politisierung unmittelbarer Bedürfnisse des Alltagslebens – Kampf gegen Fahrpreiserhöhungen – subversive Sprengkraft entfaltet werden kann. Ihre Solidarisierung mit den lohnabhängigen Massen, (…) zeigen sehr deutlich, welche großen Möglichkeiten des Kampfes im System des Spätkapitalismus liegen.« [40]
Die Streikbewegung im Mai 1968 in Frankreich, die sich mit der Studentenbewegung verband und auf ihrem Höhepunkt den Präsidenten des Landes, Charles de Gaulle, um seine politische Macht fürchten ließ, hatte zeigt, dass Dutschke die Zeichen der Zeit richtig erkannte. Auch wenn sich seine Annahmen damals als viel zu optimistisch herausstellen sollten, weil sich der Kapitalismus als stabiler erwies, als von ihm angenommen, so waren seine grundsätzlichen Überlegungen doch richtig. Er hoffte, den Befreiungskampf der Vietnamesen gegen des US-Imperialismus mit den sozialen und politischen Kämpfen in Europa verbinden zu können.
Die Stabilität des kapitalistischen Systems hat seit Mitte der 1970er Jahren deutlich abgenommen, die von ihm hervorgerufenen Probleme sind noch größer geworden und die Kriegsgefahr zwischen den imperialistischen Lagern wächst. Auch der Krieg in der Ukraine spiegelt diese Entwicklung wider.
Die weltweite Bewegung gegen den Vietnamkrieg ist ein Lehrstück gewesen, das gezeigt hat, dass Kriege durch eine Massenbewegung von unten beendet werden können. Eine so starke Bewegung aufzubauen kann aber nur gelingen, wenn das nicht mit dem Ziel verbunden ist, einen der konkurrierenden Imperialisten zu stärken. [41] Die Forderung nach Waffenlieferungen durch die Nato an die Ukraine und die Sanktionen gegenüber Russland haben aber genau das zur Folge. Das Ziel der Nato ist es, mit Hilfe der von ihr unterstützten ukrainischen Armee, einen Abnutzungskrieg gegen Russland zu führen, um dessen militärische Handlungsfähigkeit zu schwächen.
Die massive Unterstützung der UdSSR und Chinas mit Waffen und Reislieferungen an Nordvietnam hatte nach dem Sieg nicht zur Folge, dass sich Vietnam den imperialistischen Interessen seiner Unterstützer unterordnete. Das obwohl die UdSSR allein bis 1968 etwa 2.000 Militärberater im Land und Kriegskredite im Wert von fünf Milliarden US-Dollar gewährt hatte. [42] Die Regierung in Hanoi versuchte nach der Wiedervereinigung mit dem Süden zunächst, die größten Kriegsschäden zu beseitigen und eine Basis für die Industrialisierung des Landes zu legen. Finanziert werden sollte das über den Export von Reis, der zu einem festgelegten niedrigen Preis von den Bauern und Bäuerinnen an die Regierung verkauft werden sollte. Die Reisbauern und -bäuerinnen im Süden verweigerten sich dem erfolgreich, und der Versuch, das durch eine verschärfte Ausbeutung der Bauern und Bäuerinnen im Norden zu kompensieren, scheiterte ebenfalls.
Dazu kam das Ausbleiben der vertraglich mit den USA vereinbarten Reparationszahlungen und die Einstellung der Reislieferungen durch China, das neuerdings die Kooperation mit den USA suchte und deswegen politische Zugeständnisse an den US-Imperialismus machte. Die vietnamesische Regierung sah in dieser Situation keinen anderen Weg, als 1978 ein Bündnis mit der UdSSR einzugehen, und wurde darüber in einen Krieg mit China und Kambodscha getrieben. [43] Das Festhalten der stalinistischen Kommunistischen Partei Vietnams an dem Plan, das Land mit staatskapitalistischen Methoden zu industrialisieren, anstatt sich auf die Versorgung der Bevölkerung zu konzentrieren, machte Vietnam zum Spielball imperialistischer Interessen, gegen die es sich jahrzehntelang gewehrt hatte. Diese Entwicklung hatte auch für die internationale Solidaritätsbewegung schwerwiegende Folgen.
Große Teile der Solidaritätsbewegung gegen den Vietnamkrieg verbanden mit ihrer politischen Arbeit die Illusion, dass es in Vietnam um eine sozialistische Revolution ging, und hofften nach dem Endes des Krieges in Vietnam auf den Aufbau einer besseren Gesellschaft in dem Land. Sie haben die Befreiungsbewegung nicht nur in Vietnam überhöht, weil die Klassenkämpfe im eigenen Land auf einem sehr niedrigen Niveau waren und ihnen die Arbeiterklasse in ihren Heimatländern deswegen kein revolutionäres Subjekt mehr zu sein schien.
Diese Hoffnungen wurden bitter enttäuscht. Alle Versuche, die Industrie durch eine zentrale Planung zu entwickeln, waren in den ehemaligen Kolonien damit verbunden, die Ausbeutung der Bauern und Bäuerinnen sowie der Arbeiterklasse in diesen Ländern zu verschärfen. Der Export von Rohstoffen und Lebensmittel war die Voraussetzung, um die Kredite zur Finanzierung der Industrialisierung und dem Ausbau der Infrastruktur bedienen zu können. Das verschlechterte die Versorgungslage der Bevölkerung und begünstigte die Ausbreitung von Korruption. Das zusammen führte schnell zu einer Entfremdung zwischen den Führern der Befreiungsbewegung und der Bevölkerung und damit auch zu wachsenden Protesten. Vor allem die USA nutzten darüber hinaus jede Möglichkeit durch die Unterstützung von konterrevolutionären Gruppen, die innenpolitische Situation durch einen Bürgerkrieg noch weiter zu destabilisieren, um eine ihnen genehme Marionette einsetzen zu können.
Die Enttäuschung über diese Entwicklung führte in Teilen der Linken zu politischen Schlussfolgerungen, die in einer allgemeinen Distanzierung gegenüber nationalen Befreiungsbewegungen mündete. [44] Sie nahmen damit die Position ein, die Luxemburg fast hundert Jahre zuvor mit ihrem prinzipiellen Internationalismus, in dem sie die Bedeutung von nationalen Befreiungsbewegungen unterschätzte, vertreten hatte. Gegen diese Schlussfolgerungen wendeten sich 1992 die Initiatoren des Aufrufs »Waffen für El Salvador« ausdrücklich:
»Von Anfang an wurde den Befürwortern der Sammlung Revolutionsromantik und eine blauäugige kritiklose Unterstützung der Guerilla vorgeworfen. Aber bereits im Aufruf vom 3. November 1980 stand: ›Auch das Scheitern und die Perversion von Befreiungsbewegungen und Revolutionen muß die Linke kritisch diskutieren. Aber: Wer in Deutschland im Warmen sitzt und sagt: ,Wer gibt mir die Garantie, daß die salvadorianische Revolution nicht ebenso im bürokratischen Sozialismus oder weiterem Blutvergießen endet wie andere auch?‘ muß sich den Vorwurf gefallen lassen, das Recht auf Selbstbestimmung zu mißachten.‹« [45]
Diese berechtigte Kritik konnte die Schwächung der Linken in Deutschland und die Entwicklung der Grünen nach rechts nicht aufhalten. Die Kampagne zur Unterstützung der Befreiungsbewegung in El Salvador begann zu einem Zeitpunkt an dem sich der Niedergang der sozialen und politischen Bewegungen abzuzeichnen begann. Das führte bei den Grünen dazu, dass die Orientierung auf den Parlamentarismus immer mehr an Gewicht gewann. Die Kampagne »Waffen für El Salvador« hat deswegen in den über zehn Jahren ihrer Existenz nie auch nur annähernd die Popularität der Solidaritätsbewegung mit dem vietnamesischen Volk erreicht. Das zeigte sich auch daran, dass die parallel dazu laufende Kampagne »Hände weg von Nicaragua« [46] in der westdeutschen Linken viel präsenter war. Diese Solidaritätsarbeit entsprach dem Zeitgeist. Im Vordergrund dieser Kampagne stand nicht die politische Solidarität im Kampf gegen den Imperialismus, sondern die Unterstützung von konkreten Projekten, die vom Ausbau der Infrastruktur bis hin zu einfachen Ernteeinsätzen in dem lateinamerikanischen Land reichte.
»Nachdem die marxistischen Theoriedebatten der 1970er Jahre die Linke ermüdet und gespalten hatten und Enttäuschung über die kaum erreichten Ziele im eigenen Land wuchs, stand Nicaragua für einen neuen Aufbruch (…) Der linksalternative Rückzug in ländliche Kommunen und alternative Stadtteile korrespondierte mit dem Ziel, nun in Nicaraguas wildromantischer Natur in konkreten Einzelprojekten etwas Neues aufzubauen. Nicht die Weltrevolution war mehr das Ziel, sondern eine greifbare Hilfe (…).« [47]
Das war ein deutlicher Rückschritt gegenüber dem politischen Anspruch, den Dutschke 1968 auf dem Vietnam-Kongress formuliert hatte, und spiegelte damit auch den weltweiten Niedergang der Klassenkämpfe am Ende der 1970er Jahre wider.
Fazit
In der Ukraine gab es 1990 – so wie in den anderen Ländern, die sich vom Joch der UdSSR befreiten – eine große und oft auch streikerfahrene Arbeiterklasse. Das ist der Unterschied zu den nationalen Befreiungsbewegungen in den unterentwickelten Ländern, die sich vom Kolonialismus der alten Großmächte befreiten. Es gab aber am Ende der 1980er Jahre in der Ukraine keine unabhängige politische Organisation der Arbeiterklasse, die aufbauend auf den Kampferfahrungen in der Lage gewesen wäre, die Oligarchen zu stürzen.
Das hat es den Oligarchen ermöglicht, die Massenbewegung von 1988-1991 unter ihre Kontrolle zu bringen, um ihre Herrschaft zu sichern, indem politische Reformen versprochen wurden und aus dem Staatskapitalismus ein privater Monopolkapitalismus wurde.
Angesichts der Invasion durch Russland bildet sich in der Ukraine ein Burgfrieden [48] zwischen regimekritischer Opposition und der herrschenden Klasse heraus. Der am Westen orientierte Teil der Oligarchie sucht – unterstützt von großen Teilen der linken Opposition – sein Heil in der finanziellen und militärischen Unterstützung durch EU und Nato, die diese gewährt, um ihre eigenen imperialistischen Ziele zu verfolgen.
Der Befreiungskampf gegen die Invasoren in der Ukraine wird von der Selenskyj-Regierung, gestützt auf den stalinistischen Staatsapparat und dessen Armee, angeführt. Es gibt keine Befreiungsbewegung in der Ukraine, die ihre eigenen Interessen gegenüber einer Regierung vertritt, die den Staat der Oligarchen repräsentiert, oppositionelle Parteien verbietet und Gewerkschaftsrechte einschränkt. Das war in Vietnam anders. Dort brachte die Befreiungsbewegung – vor allem die Reisbäuerinnen und -bauern – ihre Anliegen gegenüber der Regierung in Hanoi während des Krieges und danach vor und setzte diese durch. Die Bevölkerung der Ukraine dagegen ist heute zugleich der eigenen Regierung, der Nato und Russland ausgeliefert. Erschwert wird die Situation noch dadurch, dass seit den Protesten auf dem Maidan in Kiew 2014 – dem sogenannten Euromaidan –, die politische Spaltung der Bevölkerung in der Ukraine in einen dem Westen und einem Russland zugeneigten Teil vertieft worden ist.
Ohne die militärische Unterstützung durch den Westen hätte die Invasion Russlands einen völlig anderen Verlauf genommen. Das Land wäre höchst wahrscheinlich längst durch Putins Truppen besetzt worden. Damit wäre zwar der Verteidigungskrieg der ukrainischen gegen die russische Armee beendet, aber nicht zwangsläufig auch der Widerstandswille der Bevölkerung gebrochen.
Lenin hat am Ende seiner Kritik an der Junius-Broschüre 1916 vor einem Voluntarismus gewarnt, der den Klassenkampf pauschal als bestes Mittel gegen eine Invasion proklamiert, ohne die konkreten Rahmenbedingungen und die daraus abzuleitenden politischen Schritte zu benennen. Er hat in seiner Kritik deswegen darauf hingewiesen, dass dieser Kampf der jeweiligen historischen Situation entsprechen muss. Er hat aber Empfehlungen ausgesprochen, die bei der Diskussion über Strategie und Taktik des Widerstands nützlich sein können: Bruch des Burgfriedens mit der eigenen Regierung durch die Opposition, Bildung illegaler Organisationen, Verbrüderung der Soldaten und Unterstützung revolutionärer Massenaktionen. [49] Die Befreiungskämpfe der Vietnames:innen gegen die USA, der Algerier:innen gegen die Franzosen oder der Inder:innen gegen die englischen Kolonialherren haben gezeigt, dass dieser Weg erfolgreich sein kann.
Wladimir Putin ist es bisher leicht gefallen, über die von ihm kontrollierten Medien den Krieg gegen die Ukraine in seinem Sinne der eigenen Bevölkerung als Spezialoperation gegen die USA und die Nato zu verkaufen. Sein chauvinistischer Nationalismus trifft auf einen chauvinistischen Nationalismus der ukrainischen Regierung. Das erleichtert ihm die Unterdrückung der Opposition im eigenen Land. Die mutige Opposition in Russland und die mutige Opposition in Belarus hätten es leichter, mehr offenen Zuspruch zu bekommen, wenn die linke Opposition in der Ukraine nicht der eigenen Regierung in einem nationalistischen Konsens verbunden wäre. Meldungen zufolge haben kürzlich belarussische Eisenbahner die Bahnverbindung zwischen der Ukraine und Belarus unterbrochen, um den Transport kriegswichtiger Ausrüstung für die russische Armee zu verhindern. [50] Diese Art konkreten Widerstands erinnert daran, dass das belarussische Regime 2020 kurz vor seinem Sturz durch anhaltende Massenproteste stand. [51] Solcher Widerstand gegen den Krieg der Oligarchen, über Grenzen und Nationalitäten hinweg, könnte den Krieg rasch beenden und die Grundlage für eine internationale Verbrüderung von unten legen.
Es gibt nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Belarus und Russland ein großes Widerstandspotential. Dieses zu wecken und zusammenzuführen ist der einzige Weg, um sich der Oligarchen in allen Ländern zu entledigen.
Dieser Text ist ein Auszug aus theorie21 Nr. 9/2022 »Imperialismus und der Kampf gegen Aufrüstung und Kriegspropaganda«.
Textsammlung:
Mit Beiträgen von Jürgen Ehlers, Rob Ferguson, Stefanie Haenisch, Sascha Radl, Lukas Sennecker, Horst Haenisch, Rosemarie Nünning
ISBN 978-3-947240-09-8
172 Seiten, 2022
Referenzen:
[1] Alle Zitate aus: Wolfgang Michal, in: »der Freitag«, 21.7.2022
[2] Die Kampagne »Waffen für El Salvador«, die 1980 ganz wesentlich von der im Jahr zuvor zum ersten Mal erschienenen »die tageszeitung« initiiert worden ist, war zu Beginn der 1980er Jahre recht erfolgreich. Bis 1992, in dem Jahr wurde ein Waffenstillstand zwischen Befreiungsbewegung und Regierung geschlossen, sind umgerechnet rund 2,4 Millionen Euro gesammelt worden. Es entstanden parallel dazu Solidaritätskomitees. Höhepunkte der Kampagne waren 1981 und 1982 zwei Demonstrationen mit jeweils 20.000 Teilnehmern. Im gleichen Jahr fand ein Kongress mit 1.500 Teilnehmenden zur Koordination und Diskussion der weiteren Solidaritätsarbeit statt.
[3] Stefan Liebich, über Twitter 3:42 nachm. 17.4.2022, https://twitter.com/berlinliebich/status/1515684289500884994
[4] Georg Witte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.5.2022.
[5] Der Brief ist von 28 Intellektuellen und Kunstschaffenden zuerst unterschrieben worden, darunter die Theologin Antje Vollmer, prominentes Mitglied der Grünen und Juli Zeh, erfolgreiche Schriftstellerin und Mitglied der SPD.
[6] https://www.emma.de/artikel/offener-brief-bundeskanzler-scholz-339463 (aufgerufen am 3.8.2022)
[7] Carl von Clausewitz, Vom Kriege, [Berlin 1832-34], Hamburg 2016, S. 21
[8] Eric Hobsbawm, Bemerkungen zu Tom Nairns »Modern Janus«, in: Tom Nairn, Eric Hobsbawm, Régis Debray, Michael Löwy, Nationalismus und Marxismus, Berlin 1978, S. 66.
[9] Karl Marx und Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei [1848], in: MEW, Bd. 4, Berlin-Ost 1983, S. 480
[10] Friedrich Engels, Das Fest der Nationen in London [1845], in: MEW Bd. 2, Berlin-Ost 1972, S. 614
[11] Karl Marx und Friedrich Engels, Manifest, S.
[12] »Nach der Vernichtung der trotzkistischen Opposition in der gesamten Sowjetunion bestand – abgesehen von den ukrainischen Trotzkisten in Kanada – noch eine kleine trotzkistische Gruppe in der Westukraine. Sie hatte sich Ende der zwanziger Jahre aus einer Strömung in der westukrainischen KP entwickelt, die die Opposition gegen die Russifizierungspolitik in der Ukraine, die sich in der KP der Sowjetukraine Mitte der zwanziger Jahre herausgebildet hatte, unterstützte.« Fussnote 28 in: Leo Trotzki, Die Ukrainische Frage [22.4.1939] von Hrsg.: Helmut Dahmer, Rudolf Segall und Reiner Tosstorff, Leo Trotzki, Schriften 1, Bd. 1.2, Hamburg 1988, S. 1184.
[13] Roman Rosdolsky (1898-1967), Zur nationale Frage – Friedrich Engels und das Problem der »geschichtslosen« Völker [1929], Berlin 1079, S.176.
[14] Siehe dazu im Detail: Paul Frölich, Rosa Luxemburg – Gedanke und Tat [Paris 1939], Berlin 1990, S. 45-59
[15] Zitiert nach: Lenin Werke Bd. 22, Berlin-Ost 1981, S. 313
[16] Damit ist ein aggressiver Nationalismus, der die Überlegenheit der eigenen Nation gegenüber anderen zum Ausgangspunkt hat, gemeint.
[17] W. I. Lenin, Über die Junius-Broschüre [1916], in: Lenin Werke Bd. 22, Berlin-Ost 1981, S. 317-318
[18] W. I. Lenin, Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen [Januar/Februar 1916], in: Lenin Werke Bd. 22, Berlin-Ost 1981, S. 149
[19] Michael Löwy, Die Nationale Frage und die Klassiker des Marxismus, in: Tom Nairn, Eric Hobsbawm, Régis Debray, Michael Löwy, Nationalismus und Marxismus, Berlin 1978, S. 121
[20] Siehe dazu: Klaus Henning, Krieg im Osten – Die Ukraine zwischen Nationalismus, Imperialismus und Revolution, Berlin 2017, S. 47-49
[21] https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/517582/Ein-Land-zerstoert-sich-selbst-Die-Probleme-des-Herrn-Selenskyj (aufgerufen am 3.8.2022)
[22] Eine wichtige Grundlage für die ungehinderte Bereicherung ist die Korruption im Land, die heute vom Westen immer wieder kritisiert wird, weil Hilfsgelder wirkungslos bleiben und damit auf Dauer die politische Stabilität im Interesse der EU gefährdet wird. Die »Frankfurter Rundschau« zitierte am 4.8.2022 aus dem Sonderbericht des EU-Rechnungshofes, darin heißt es, dass sich auf Kosten der Allgemeinheit einige wenige Personen dank guter »Verbindungen zwischen Regierungsbeamten, Parlamentsmitgliedern, Staatsanwälten, Strafverfolgungsbehörden und Geschäftsführern von staatseigenen Unternehmen« die Taschen füllen.
[23] Siehe dazu auch: 1917-2017 – 100 Jahre Oktoberrevolution, Theorie 21 – Nr. 7, Hrsg. Verein für solidarische Perspektiven im 21. Jahrhundert, Berlin 2017
[24] Klaus Henning, Krieg im Osten, Berlin 2017, S. 30-31.:»Die USRR [Sowjetukraine] wurde in den 1920er Jahren zum »Sehnsuchtstraum« der Westukrainer. Die Westukrainer lebten verteilt in vier Nationalstaaten, die nach dem Ersten Weltkrieg in Osteuropa entstanden waren. Polen, Tschechoslowakei, Rumänien und Ungarn. Alle diese Staaten wurden mit Ausnahme der Tschechoslowakei durch autoritäre Regime regiert, die separatistische Tendenzen der Westukrainer mit allen Mitteln zu unterdrücken versuchten.« Siehe dazu auch: Leo Trotzki, Die ukrainische Frage, 1939, in: Hrsg. Helmut Dahmer u.a., Leo Trotzki, Schriften 1 – Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur, Band 1.2 (1936-1940) Hamburg 1988, S. 1168-1184.
[25] Siehe dazu auch den Sammelband: Euromaidan – Was in der Ukraine auf dem Spiel steht, Hrsg. Juri Andruchowytsch, Berlin 2014. In diesem Sammelband kommen die unterschiedlichsten Oppositionskräfte aus der Ukraine zu Wort.
[26] Jonathan Neale, Der amerikanische Krieg, Vietnam 1960-1975 [2001], Bremen und Köln 2004, S. 40
[27] Jonathan Neale, Der amerikanische Krieg, Vietnam 1960-1975 [2001], Bremen und Köln 2004, S. 40
[28] Jürgen Horlemann, Peter Gäng, Vietnam – Genesis eines Konflikts [1966], Frankfurt am Main 1968, S. 44
[29] Jonathan Neale, S. 39.
[30] Vergl. hierzu: China und die Revolution in der Dritten Welt, Frankfurt am Main 1971, Hrsg. Sozialistische Arbeitergruppe.
[31] Sehr lesenswert in diesem Zusammenhang: Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde [1961], Frankfurt 2021.
[32] Das Regime in Nordkorea ist bis heute ein getreues Spiegelbild der UdSSR unter Stalin. Der Personenkult um Kim Il-sung ist ein zentraler Teil der politischen Ideologie im Land, um den sich die Staatsbürokratie schart. Der heute herrschende Kim Il-sung ist der Enkel des gleichnamigen Diktators in den 1950er Jahren.
[33] Tony Cliff, Die Ursprünge der Internationalen Sozialisten [1999], Frankfurt am Main 2000. Der Autor ist 1950 aus der Vierten Internationale ausgeschlossen worden, weil er sich weigerte für Russland und Nordkorea gegen die USA Partei zu ergreifen. Seine Analyse zum Charakter der Klassenverhältnisse in der UdSSR ist bis heute von großer Bedeutung, weil sich nur so das Wesen der Oligarchie – der Herrschaft von wenigen, die über ökonomische Macht verfügen – in Russland und der Ukraine verstehen lässt. Cliff schrieb dazu: »Der stalinistische Staat verhält sich zur verfügbaren Gesamtarbeitszeit der russischen Gesellschaft wie ein Fabrikbesitzer zur Arbeit seiner Beschäftigten.« Nach dieser Definition gab es Ausbeuter und Ausgebeutete in der UdSSR, damit konnte der Überfall auf Südkorea kein Beitrag zu einem Befreiungskampf sein. Cliff war Mitbegründer der Socialist Workers Party (SWP) in Großbritannien und der International Socialist Tendency.
[34] Chiara Valentini, Der eigenartige Genosse Enrico Berlinguer, Bonn 2022, S. 152
[35] JonathanNeale, S.47, Der Autor stützt sich auf den Augenzeugen bericht von Ngo Van Xuyet, einem trotzkistischen Revolutionär in Vietnam. Siehe dazu auch: Horlemann und Gäng, S. 52
[36] Jonathan Neale, S. 92, Horlemann und Gäng kommen zu der gleichen Einschätzung, Jürgen Horlemann, Peter Gäng, S. 74
[37] Die absurde Vorstellung von einer friedlichen Koexistenz von Kapitalismus und Kommunismus, die 1956 von Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU offiziell verkündet worden ist, warf bereits 1954 ihren Schatten voraus. Der gescheiterte Versuch der UdSSR in Korea, die Aufteilung der Welt in die nach dem Zweiten Weltkrieg festgelegten Interessensphären zu verändern, war der Hintergrund für diesen Kurswechsel.
[38] Die Vietcong waren die Massenorganisation im Süden des Landes analog zu den Vietminh im Norden.
[39] Georg W. Alsheimer (Pseudonym), Vietnamesische Lehrjahre – Bericht eines Arztes aus Vietnam 1961-1967 [1968], Frankfurt am Main 1979, S. 277-278. Hinter dem Pseudonym verbarg sich Erich Wulff, Professor für Sozialpsychiatrie und Mitdirektor der psychiatrischen Klinik an der Medizinischen Hochschule in Hannover, der von 1961-1967 an der südvietnamesischen Universität in Hué eine Lehrtätigkeit ausübte. Er beschreibt hier die Erfahrungen seiner Studenten mit dem Vietcong bei deren Hilfe nach einer Überschwemmung.
[40] Rudi Dutschke, Geschichte ist machbar – Texte über das herrschende Falsche und die Radikalität des Friedens, Hrsg. Jürgen Miermeister, Berlin-West 1980, S. 79-80.
[41] Die vietnamesische Befreiungsbewegung hatte immer wieder betont, dass sie keinem Militärbündnis beitreten will und bereit ist wirtschaftliche und technische Hilfen aus jedem Land anzunehmen, das damit nicht Versuch verbindet, politischen Einfluss auszuüben. Horlemann und Gäng, S. 121-122.
[42] Marc Frey, Geschichte des Vietnamkrieg, München 2011, S. 112-113 und 203-204.
[43] Jonathan Neale, S. 192-198.
[44] Ein ganzes »Kursbuch« mit dem Titel: Der Mythos des Internationalismus, widmet sich diesem Thema, Kursbuch 57, Berlin-West 1979.
[45] die tageszeitung, 20.1.1992.
[46] Die Revolution in Nicaragua begeisterte in den ersten Jahren, weil die Befreiungsbewegung der Sandinisten um Daniel Ortega nach dem Sturz der Diktatur, versucht hat, die Lebensbedingungen der Bevölkerung in Nicaragua zu verbessern. Die anfänglichen Kooperationsversuche mit den Kapitalisten im Land, um dieses Ziel zu erreichen, scheiterte aber. Die USA beobachteten die Entwicklung im Land von Anfang an mit großem Argwohn und unterstützen die konterrevolutionären Contras im Kampf gegen die neue Regierung. Die damalige Bundesregierung in Westdeutschland unterstützte den harten Kurs der USA. »Während die Bundesregierung unter Kohl ihre staatliche Unterstützung einstellte, bildeten sich zahlreiche Basisgruppen, die konkrete Hilfe vor Ort leisteten.« Helmut Schaaf in: »ila 357 Das Lateinamerika-Magazin« Juli 2012. Diese Basisgruppen umfassten unter anderem Stadtteilinitiativen, die Naturfreunde, die Jungsozialisten, Frauengruppen und sogar Betriebsgruppen. Der Befreiungsbewegung in El Salvador hingegen gelang es nicht, siegreich zu sein. Das Land versank in einem über zehn Jahre andauernden blutigen Bürgerkrieg.
[47] Frank Bösch, Zeitenwende 1979 [2019], München 2020, S. 118.
[48] Siehe dazu: Jan Ole Arps, Sebastian Bäcker und Nelli Tügel, Im Mahlwerk der Geopolitik, in: analyse & kritik, 12.5.2022 (https://www.akweb.de/ausgaben/682/was-wollen-linke-in-der-ukraine-solidaritaets-delegation-in-lwiw/) (aufgerufen am 3.8.2022)
[49] Lenin Werke Bd.22, Berlin-Ost 1981, S. 322-323.
[50] https://www.labournet.de/internationales/belarus/gewerkschaften-belarus/lukaschenko-zwingt-belarussen-zum-kriegsdienst-doch-viele-weigern-sich/ (aufgerufen am 7.8.2022)
[51] Artur Klinaŭ, Acht Tage Revolution – Ein dokumentarisches Journal aus Minsk, Berlin 2021.
Titelbild: Karsten Schmitz
Schlagwörter: Nationale Befreiung, Nationalismus, Russland, Ukraine, USA, Vietnam, Vietnamkrieg