Die Deutsche Post AG hat ein neues Angebot für die Beschäftigten vorgelegt. Die ver.di-Verhandlungsführung empfiehlt die Annahme, doch damit sind nicht alle Beschäftigten einverstanden. Wir sprachen mit dem ver.di-Vertrauensleutesprecher Jan-Noah Friedrichs über die Kritik an dem Deutsche Post Angebot, die vorhandene Kampfbereitschaft in den Betrieben und wie es jetzt weitergehen kann
Jan-Noah Friedrichs ist Zusteller und ver.di-Vertrauensleutesprecher bei der Deutschen Post in Hannover.
Die Deutsche Post AG hat in der vierten Verhandlungsrunde ein neues Angebot vorgelegt. Wie bewertest du das Angebot der Chefetage?
Zuerst einmal klingt das Deutsche-Post Angebot ganz gut, aber wenn man genauer hinschaut, ist es gar nicht so viel besser als das erste. Fakt ist: es ist besser. Wir bekommen die 3.000 Euro Inflationsausgleichssonderzahlung (IASZ) früher ausbezahlt und bereits ab April 2024 tabellenwirksame 340 Euro mehr. Gerade die 1.020 Euro Einmalzahlung jetzt im April ist für viele attraktiv.
Wo siehst du Probleme?
Unterm Strich ist das neue Angebot immer noch weit von unserer 15 Prozent-Forderung entfernt und bedeutet Reallohnverluste für die Beschäftigten. Gerade für Kolleg:innen wie mich, die in Teilzeit arbeiten, ist die IASZ ganz schnell aufgebraucht und wir müssen 15 Monate warten, bis die eigentliche Erhöhung greift.
Wie reagieren deine Kolleg:innen auf das neue Angebot der Konzernleitung?
Als wir am 9. März das Ergebnis der Urabstimmung erfahren haben, waren wir mehr als bereit und entschlossen, in den unbefristeten Streik zu gehen. Mit dem Angebot, das dann zwei Tage später zur Empfehlung rausgegeben wurde, ist die Stimmung ziemlich gekippt. Wir hatten gerade erst mit 85,9 Prozent gegen das erste Angebot gestimmt und jetzt sollten wir ein nur leicht verbessertes Angebot annehmen. Als Vertrauensleute wussten wir sofort, dass wir das nur ganz schwer kommunizieren können, ohne uns massiv Vertrauen bei den Kolleg:innen zu verspielen. Die Reaktionen waren teilweise sehr emotional, wir haben schließlich monatelang auf einen guten Tarifabschluss hingearbeitet und die Deutsche Post AG will uns jetzt mit einer Lohnerhöhung unterhalb der Inflationsrate abspeisen.
… während die Deutsche Post AG ja Milliardengewinne einfährt…
Ja, am Tag der Verkündung des Urabstimmungsergebnisses sind auch die Bilanzzahlen der Deutschen Post veröffentlicht worden: 8,6 Milliarden Euro Gewinn im Jahr 2022. Viele Kolleg:innen fühlen sich verarscht und es gibt viel Unverständnis gegenüber ver.di. Sie haben den Eindruck, dass ver.di überhaupt nicht streiken will und überlegen, ob sie aus der Gewerkschaft austreten. Einige haben das auch schon sehr konkret angekündigt und fühlen sich nach dem schlechten Tarifabschluss 2015 und den Folgejahren hintergangen. Deswegen haben sich auch einige Vertrauensleute aus unterschiedlichen Niederlassungen zusammengefunden, um sich für ein »Nein« zum Angebot der Post auszusprechen und für ein »JA« zur Fortführung des Arbeitskampfes.
Aber bis zur vierten Verhandlungsrunde sah euer Arbeitskampf doch ziemlich erfolgreich aus, oder?
Auf jeden Fall! Wir haben in dieser Tarifrunde ganz vieles richtig gemacht und die Kolleg:innen können mächtig stolz auf sich sein. Mit der zeitlichen Planung und Festlegung der Verhandlungsrunden haben wir einen sehr guten Rahmen geschaffen. Die Warnstreiks waren mit fast 100.000 Streikenden und tausenden neuen Beitritten insgesamt super erfolgreich. Die Öffentlichkeitsarbeit war gut, die Kolleg:innen haben sich gegenseitig angetrieben und die Tarif-Onlinekonferenzen nach den Verhandlungsrunden waren sehr gut besucht. Bei uns vor Ort haben wir uns wöchentlich als Vertrauensleute zusammengeschaltet, um die aktuelle Lage zu diskutieren. Im Gegensatz zu 2015 nutzen wir dieses Mal die Methode der Urabstimmung, um alle Mitglieder entscheiden zu lassen.
Welche Auswirkungen hatte das auf die Kampfbereitschaft?
Trotz Drohungen und Einschüchterungsversuchen der Bosse haben sich 85,9 Prozent der Kolleg:innen bereit erklärt, in einen unbefristeten Streik zu gehen und für mehr zu kämpfen. Die Streikkassen sind voll und wir haben noch immer viel Rückhalt in der Bevölkerung. Deswegen waren wir alle auch so überrascht, dass wir jetzt doch nicht streiken. Wenn die Einschätzung ist, dass wir aus irgendeinem Grund doch nicht durchsetzungsfähig sind oder das Angebot aus anderen Gründen angenommen werden sollte, ist das voll in Ordnung. Das muss für die Kolleg:innen dann aber auch nachvollziehbar gemacht werden, statt das neue Angebot mit Argumenten der Konzernleitung zu bewerben.
Wie hast du den Arbeitskampf konkret in deinem Betrieb erlebt?
Ziemlich anstrengend, aber auch super erfolgreich. Ich bin erst seit anderthalb Jahren Vertrauensperson bei mir im Betrieb und hab in dieser Zeit extrem viel gelernt. Vor allem die Forderungsbefragung war eine Art »Wendepunkt« für mich. Statt einer Mitgliederbefragung habe ich eine Beschäftigtenbefragung gemacht, um gezielt auf Nicht-Mitglieder zuzugehen und sie für eine Organisierung zu gewinnen. Inspiriert vom öffentlichen Dienst, habe ich auch einen Anspracheleitfaden dafür geschrieben. In wenigen Tagen hatten sich dann mehr Kolleg:innen organisiert als in den letzten zwei Jahren.
Wieviele Kolleg:innen haben sich bei dir organisiert?
Insgesamt haben sich bei uns um die 40 Kolleg:innen neu in ver.di organisiert, wir haben uns insgesamt besser vernetzt und z.B. ein Treffen zur dritten Tarif-Onlinekonferenz auf die Beine gestellt, an dem über 25 Kolleg:innen teilgenommen haben. Im Vorfeld haben wir bei der bundesweiten Fotoaktion mitgemacht, viele unserer Teams waren geschlossen mit dabei und haben für unsere 15-Prozent-Forderung Gesicht gezeigt. Wir haben die Urabstimmung gemeistert und uns gemeinsam darum gekümmert, dass so viele wie möglich abstimmen. Wir haben im Betrieb viel über Streikstrategie und den Arbeitskampf des Arbeitgebers diskutiert. Die Stimmung war super und wir konnten es kaum erwarten, in den Streik zu gehen und für ein vernünftiges Angebot zu kämpfen. Wir waren uns so einig, dass es die Konzernleitung nicht schaffen konnte, uns davon abzubringen. Ich durfte hunderte toller Gespräche führen und viele meiner Kolleg:innen besser kennenlernen.
War das an anderen Orten ähnlich?
Ich weiß, dass es vielen Vertrauensleuten in den anderen Niederlassungen so ähnlich ging. Im Landesbezirk Niedersachsen-Bremen sind wir ganz gut vernetzt und haben uns regelmäßig online getroffen und Ideen ausgetauscht.
Was ist das für eine Vernetzung, von der du sprichst?
Anfang Februar haben wir uns mit ein paar Kolleg:innen aus verschiedenen Niederlassungen zusammengetan, um gemeinsam am »Organizing for Power«-Seminar, einer Online-Organizing-Schulung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, teilzunehmen. Wir sind mit ca. 10 Leuten gestartet und haben uns auf Anhieb super verstanden. Jeden Mittwoch haben wir am Seminar teilgenommen und uns danach noch zusammengeschaltet, um das Gelernte auf unsere Betriebe zu übertragen, gewerkschaftliche Praxis zu diskutieren und uns Aktionen auszudenken. Wir haben auch versucht, bei uns vor Ort Kontakt zu Kolleg:innen aus dem öffentlichen Dienst herzustellen und uns zusammenzutun. Mit der Zeit sind neue Kolleg:innen dazugekommen und nach der letzten Tarifverhandlung lag es natürlich nahe, dann auch über den Abschluss zu diskutieren und wie es jetzt weitergeht. Nachdem wir die Auswirkungen in unseren Gruppen und im Betrieb gesehen haben, kam auch der Impuls, eine eigene Bewertung des Angebots zu veröffentlichen und sich dabei klar für ver.di zu positionieren. Da haben wir dann auch entschieden, für ein »Nein« zum Angebot einzutreten.
Nun ist es ja eine Sache für ein »Nein« zum Angebot einzutreten. Aber eine andere ist es ja, die Einschätzung zu vertreten mit einem Streik was besseres herausholen zu können. Wie kommt ihr dazu?
Wir sind der Meinung, dass wir in diesem Jahr die Chance haben, einen unbefristeten Streik zu gewinnen. Der Logistiksektor ist allgemein sehr störungsanfällig und mit gezielten Streiks in den Zentren lässt sich das gesamte Brief-, v.a. aber das lukrative Paketgeschäft lahmlegen. Die Kolleg:innen aus den Zustellstützpunkten können sich aktiv in Massenstreikposten zusammenschließen, um den Konzern da zu treffen, wo es wirklich wehtut.
Aber würden die Bosse der Deutschen Post wirklich nachgeben?
Dass wir streiken können, »bis wir schwarz werden« hat die Konzernleitung vorher auch schon gesagt. Als klar war, dass wir mit einer riesigen Menge an Mitgliedern in den Streik gehen würden, haben sie dann doch schnell ein neues Angebot vorgelegt. Warum sollte das nicht wieder so sein, wenn wir wirklich alles lahmlegen? Außerdem gab es schon erste Pläne, mit den Kolleg:innen im öffentlichen Dienst gemeinsam in den Streik zu gehen, wie schon 1974 und 1992. Zusammen können wir richtig Stärke entwickeln, gemeinsame Massenstreikposten organisieren und uns gegenseitig unterstützen. Dieses Jahr ist jetzt schon ein historisches Jahr der Arbeiter:innen- und Gewerkschaftsbewegung, diese Chance werden wir nicht so schnell wiederbekommen.
Du sagst in der Tarifrunde wurde vieles richtig gemacht und gleichzeitig habt ihr auch Kritik daran, wie die Tarifrunde angegangen wurde. Was hättest du anders gemacht in der Planung der Tarifrunde?
Ich hätte mir gewünscht, dass wir viel früher mit der Planung angefangen hätten, um die gemeinsame Stärke und den Zusammenhalt unter den Kolleg:innen systematisch aufzubauen. So richtig losgegangen ist es erst mit der Mitgliederbefragung zur Forderungsfindung (Lies hier den marx21-Artikel: Streik bei der Post: Fünf Punkte für den Sieg)
Was ist das Problem dabei?
Ein Streik braucht gute Vorbereitung. Es wäre wichtig gewesen, eine Beschäftigtenbefragung zu organisieren, mit dem Ziel, systematisch auf alle Nicht-Mitglieder zuzugehen. Wie die Kolleg:innen im öffentlichen Dienst hätten wir eine Mehrheitspetition machen können, um mit der Forderung noch einmal alle in der Entschlossenheit zu sammeln und Kolleg:innen neu zu organisieren. Das größte Problem sehe ich in der Einbeziehung der aktiven Kolleg:innen und Vertrauensleute vor Ort.
Wir sind diejenigen, die es betrifft – wir sollten den Arbeitskampf mitführen können
Im öffentlichen Dienst wurde in meinem Bezirk in Hannover schon früh eine betriebliche Arbeitskampfleitung auch aus dem Kreis der Ehrenamtlichen gebildet, die auch aktiv an der Streikplanung und wichtigen Entscheidungen teilhaben konnten. Im Rahmen von Arbeitsstreiks gab es große Planungstreffen, Schulungen und Workshops sogar auch zur Streikgelderfassung. Das war wichtig, um die Kolleg:innen fit für den Arbeitskampf zu machen und große Kundgebungen und Demonstrationen vorzubereiten. Das brauchen wir bei uns auch.
Was ist der Vorteil von so einem Herangehen?
Durch die übernommene Verantwortung gibt es dann auch eine hohe Identifikation mit dem eigenen Arbeitskampf. Die Arbeit kann so auf mehr Schultern verteilt werden, wir sind dann noch durchsetzungsfähiger und flexibler und können z.B. auch so streiken, dass wir die Konzernleitung überraschen und er sich nicht großartig vorbereiten kann. Wir brauchen mehr »Gegnerbewusstsein« und Wissen darüber, was die andere Seite macht. Insgesamt müssen die Vertrauensleute und aktiven Mitglieder besser und früher an der Planung der Arbeitskampfmaßnahmen beteiligt werden, sie wissen am besten, wie das gehen kann. Und das betrifft Streikplanung genauso wie Urabstimmung. Wir sind diejenigen, die es betrifft – wir sollten den Arbeitskampf mitführen können.
Eine Demokratisierung des Arbeitskampfes also?
Ja, die Reaktion der Kolleg:innen nach der vierten Verhandlungsrunde zeigt auch deutlich, dass die Mitglieder gerade bei den Verhandlungen viel mehr beteiligt und miteinbezogen werden müssen. Um Rückendeckung aus der Belegschaft zu bekommen, muss es eine Rückkopplung mit den Vertrauensleuten aus den Betrieben geben. Die Kolleg:innen müssen einbezogen werden in die Debatte, ob ein Ergebnis gut ist oder ob man sich noch mehr zutraut. Das entlastet dann auch die Verhandlungsführung und wenn sich genug Kolleg:innen entschlossen zeigen, können sie aktiv miteinbezogen werden und die Durchsetzungsfähigkeit ist viel höher.
Was hätte das für den jetztigen Arbeitskämpf bedeutet?
Konkret hätte ich mir gewünscht, zu einer gemeinsamen Bewertung des Ergebnisses zu kommen und dann auch gemeinsam zu diskutieren, was für einen erfolgreichen Erzwingungsstreik nötig wäre und wie man konkret gewinnen kann. Eine Ablehnung des Angebots hieße dann auch, für einen ambitionierten Arbeitskampf bereit zu sein. Jetzt wurden wir als Kolleg:innen vor vollendete Tatsachen gestellt, trotz 85,9 Prozent gehen wir in die zweite Urabstimmung ohne uns mit der Tarifkommission rückzukoppeln. Das ist auch ein Grund für die Wut und die Verunsicherung, die gerade da ist.
Welche Lehren ziehst du noch aus dem Konflikt?
Diese Tarifrunde hat bisher auch gezeigt, wie wichtig funktionierende Basisstrukturen in den Betrieben sind, daran müssen wir in den kommenden Monaten arbeiten, auch unabhängig davon, wie unser Arbeitskampf jetzt ausgeht. Diese Tarifrunde wäre eine gute Gelegenheit gewesen, uns als Vertrauensleute und aktive Kolleg:innen auszubilden und als ver.di langfristig präsenter und aktiver in den Betrieben zu sein. Wir sollten die Vertrauensleutestrukturen jetzt weiter aufbauen, eigenständiger werden und uns auch mehr betriebsübergreifend vernetzen, um voneinander zu lernen und uns zu unterstützen.
Was glaubst du, wie es jetzt weitergeht?
Noch ist die Urabstimmung nicht vorbei und die Mitglieder können entscheiden. Solange werden wir uns für ein »Nein« einsetzen. Die Hürde von 75 Prozent ist natürlich hoch, aber es ist noch möglich, eine Ablehnung zu erreichen. Gleichzeitig kämpfen wir weiter für eine starke und durchsetzungsfähige ver.di. Wir alle haben jetzt unglaublich viel gelernt und ich wünsche mir, dass Räume geöffnet werden, um unsere Erfahrungen zu teilen und gemeinsam daraus zu lernen.
Wenn es trotzdem zu einer Annahme des Angebots kommt. Welche Aufgaben stellen sich für aktive Gewerkschafter:innen bei der Post aus deiner Sicht?
Wir müssen die Zeit nutzen, um die nächste Tarifrunde besser vorzubereiten. 2024 werden die Kolleg:innen feststellen, dass die Lohnerhöhung unsere Reallöhne nicht gesichert hat und der Konzern wird wieder einen neuen Rekordgewinn einfahren. Ausstritt aus der Gewerkschaft ist keine Alternative. Wir müssen uns kampfbereit halten. Ich freue mich darauf, mit all dem Gelernten und vielen anderen Vertrauensleuten gemeinsam, die nächste Tarifrunde vorzubereiten.
Was können interessierte Kolleg:innen bei der Post jetzt tun?
Natürlich bei der Urabstimmung mit »Nein« stimmen (lacht). Aber das reicht nicht. Wir müssen die Vernetzung weitertreiben. Einer wichtiger Schritt dazu wird auch die »Konferenz gewerkschaftliche Erneuerung« der Rosa-Luxemburg-Stiftung sein.
Wann findet die statt?
Sie wird vom 12. – 14. Mai in Bochum stattfinden. Schon über 1.000 Gewerkschafter:innen aus ganz Deutschland haben sich dazu angemeldet und es wird auch ein Vernetzungstreffen für Postler:innen aus dem gesamten Bundesgebiet geben. Das ist die perfekte Gelegenheit, um sich langfristig zu vernetzen und gemeinsam in die Auswertung der Tarifrunde zu gehen, v.a. aber um den Blick in die Zukunft zu werfen.
Was erwartest du?
Bei Annahme des Angebots bleiben uns noch 18 Monate bis zum Ende der Friedenspflicht. Das ist genau der richtige Zeitpunkt, um mit möglichst vielen Kolleg:innen die Planung der nächsten Tarifrunde anzugehen. Das beinhaltet eben auch, dass wir unsere Vertrauensleutestrukturen und Betriebsgruppen stärken und neues Selbstbewusstsein entwickeln. Wir haben längst gezeigt, was wir können. Wir müssen wieder mehr in unsere eigene Stärke vertrauen und beim nächsten Mal ohne Angst in den Konflikt gehen, wenn wir gewinnen wollen.
Interview: Yaak Pabst
Bild: marx21/ Freepik
Schlagwörter: Deutsche Post AG, Streik