Die Berliner Krankenhausbewegung kämpft gemeinsam mit anderen Beschäftigten in der Tarifrunde 2023 für höhere Löhne. Wir sprachen mit der Krankenpflegerin Lisa Schandl über die Situation in den Krankenhäusern, den Streik und die nötige Solidarität für den Kampf
Lisa Schandl ist Gesundheits- und Krankenpflegerin an der Charité in Berlin. Sie ist aktiv bei ver.di und in der Berliner Krankenhausbewegung.
Lisa, du bist aktiv in der Tarifbewegung 2023. Wofür streikt ihr genau?
Es geht vor allem um finanzielle Entlastung. Wir wollen einen echten Inflationsausgleich für alle Kolleg:innen, die im öffentlichen Dienst arbeiten (Lies hier den marx21-Artikel: Streik in Deutschland: Alle Räder stehen still).
Was heißt das konkret?
Eine Lohnerhöhung um 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro monatlich bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Für uns in den Krankenhäusern bedeutet eine spürbare Lohnerhöhung auch eine Wertschätzung. Diese ist dringend nötig, damit der Beruf attraktiver wird und so die Personalnot besser bekämpft werden kann.
Wie zufrieden bist du mit den Forderungen deiner Gewerkschaft ver.di?
Unsere ursprüngliche Forderung als Berliner Krankenhausbewegung waren eigentlich 19,5 Prozent. Natürlich mussten wir in Berlin schon Kompromisse eingehen, weil bundesweit nicht alle Betriebe so stark organisiert sind wie die Charité oder das Vivantes Krankenhaus. Dadurch trauen sich andere Betriebe eine so hohe Grundforderung nicht zu. Ich befürchte, dass wir um die übrigen 10,5 Prozent gemeinsam hart kämpfen müssen, damit im Verhandlungsprozess nicht noch mehr verloren geht.
Warum hast du diese Befürchtung?
Die Erfahrung ist, dass man im Verhandlungsprozess mit den Arbeitgeber:innen immer etwas verliert. Aber der Druck ist jetzt natürlich groß. Auch auf die Gewerkschaft. Die Kolleg:innen erwarten viel!
Wenn du dich entscheiden müsstest, was wäre dir lieber – eine Einmalzahlung oder mindestens 500 Euro Lohn?
Na, ganz klar der Mindestbetrag von 500 Euro! (lacht)
Warum ist euch die Forderung 500 Euro für die Reallohn-Sicherung so wichtig?
Weil es ein tabellenwirksamer Lohn ist. Das bedeutet, dass alle Beschäftigten im Öffentlichen Dienst diese Lohnerhöhung bekommen würden. Außerdem bedeutet es, dass die untersten Lohngruppen am meisten von diesen 500 Euro profitieren. Letztendlich ist es für alle eine notwendige Lohnerhöhung. Eine Einmalzahlung hilft nicht z.B. die Einzahlungen in die Rentenkasse zu erhöhen. Eine monatliche Lohnerhöhung schon. Sie ist vielleicht die wichtigste Forderung.
Was erwartet ihr von dem Berliner Senat?
Viel (lacht). Ich erwarte, dass jetzt mal ordentlich Geld in die Hand genommen wird für die Gesundheitsversorgung.
Was meinst du damit?
Ich erwarte, dass die Tarifverträge, die wir erstreikt haben, endlich umgesetzt werden. Ich erwarte, dass die Töchter von Vivantes ihren Lohn endlich erhalten und auch nicht erst ein Jahr später an die neuen Gehälter angepasst werden. Wir tragen gerade die Last von einer Krise nach der anderen auf unseren Schultern. Und das spüren ja nicht nur wir, also das Krankenhauspersonal, sondern auch der Rest der Bevölkerung, das kann nicht ignoriert werden.
Mehr für und von uns ist besser für alle!
Ich glaube, es ist klar, dass die Bedingungen in den Berliner Krankenhäusern spürbar verbessert werden müssen, wenn die Berliner Bevölkerung gesund bleiben möchte. In diesem Sinne sagen wir: Mehr für und von uns ist besser für alle!
Ihr fordert, den Personalmangel zu beheben. Dafür habt ihr gestreikt und einen Entlastungstarifvertrag erkämpft. Hat sich denn nun an der Situation etwas verbessert?
Es gibt Stationen an der Charité, da zieht der Entlastungsvertrag (Lies hier den marx21-Artikel: »Berliner Krankenhausbewegung: So haben wir gewonnen«). Ich bin überzeugt, er würde (auch bei Vivantes) noch besser funktionieren, wenn er denn richtig umgesetzt würde.
Die Entlastung ist in Teilen spürbar, aber da ist noch viel Luft nach oben. Das Ziel der bevorstehenden Auseinandersetzung sind höhere Löhne.
Warum?
Einerseits mehr Anerkennung. Andererseits, wer mehr verdient, muss beispielsweise weniger Stunden arbeiten. Eine Lohnerhöhung bedeutet dadurch auch, dass eine Stundenreduzierung möglich ist für Personen, die schon fast ausgebrannt sind. Ich denke da zum Beispiel an alleinerziehende Kolleg:innen. Oder Kolleg:innen in der Kinderkrankenpflege, die nach der COVID-Pandemie momentan die nächste Krise in Unterbesetzung bewältigen.
Reichen dafür 10,5 Prozent?
Nein, deswegen wollten wir ja auch 19,5 Prozent. Es wäre jetzt eher eine Lohnsicherung anstatt einer Lohnsteigerung. Eigentlich müsste noch zusätzlich eine Gehaltserhöhung erfolgen, damit der Beruf wieder attraktiv genug ist, um Leute zurückzuholen, damit die Beschäftigten nicht weiterhin so ausbrennen in den Kliniken. Denn egal in welchem Bereich: Überall leiden die Kolleg:innen unter der enormen Arbeitsbelastung und Arbeitsverdichtung – sei es jetzt in der Pflege, der Reinigung oder bei den Therapeut:innen.
Es geht euch auch um Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Hast du ein Beispiel aus deinem Arbeitsalltag? Was bedeutet die Personalnot konkret?
Ich helfe gerade tatsächlich auf einer Kinderstation aus. Ich bin eine von den Erwachsenen-Pflegekräften, die gerade ohne eine Ausbildung zu haben, mit Kindern arbeiten. Das ist für mich krass herausfordernd und auch für die Kolleg:innen.
Warum?
Ich muss gut ausgebildet sein, wenn ich gute Arbeit machen möchte. Oft ist keine Einarbeitung möglich. In dem Fall muss darauf vertraut werden, dass ich das gut mache, obwohl ich die spezielle Pflege und Versorgung von Kindern nicht gelernt habe. Da wird deutlich, wie gefährlich der Personalmangel ist.
Diese Probleme hängen auch direkt mit dem DRG- Fallpauschalensystem zusammen. Kannst du uns kurz erklären, was sich dahinter verbirgt?
Das Fallpauschalen-System war eine miserable Idee. Es bedeutet, dass Behandlungen, Operationen, Diagnosen von Patient:innen als Fallpauschalen abgerechnet werden. Aus einer Diagnose wird ein pauschaler Preis festgelegt, den die Klinik dann durch Krankenkassen erhält. Eine Pauschale bedeutet, egal wie schwierig die Behandlung von den Patient:innen letztendlich ist, die Krankenhäuser bekommen immer die gleiche Summe an Geld dafür.
Das ermöglicht den Kliniken, innerhalb dieser Pauschale an verschiedensten Ecken zu sparen. Zum Beispiel am Personal. Sie kriegen das Geld sowieso. Den Arbeitgeber:innen ist egal, ob eine Pflegekraft zwei oder vier oder noch mehr Patient:innen betreuen muss. Die Pauschalen ermöglichen, dass unkontrolliert Gewinn in Krankenhäusern gemacht werden kann. Patient:innen werden schlechter versorgt und das Personal wird stärker ausgebeutet. Dass Profite mit unserer Gesundheit gemacht werden, sollte verboten werden.
Gibt es an diesem Gesundheitssystem keine Vorteile?
Es gibt zum Beispiel den Vorteil, dass alle Menschen in der Notaufnahme versorgt werden, egal ob sie krankenversichert sind oder nicht. Es gibt die Pflicht, niemanden abzuweisen, beziehungsweise alle Menschen erstzubehandeln. Aber das ist für mich eine Selbstverständlichkeit.
Karl Lauterbach verspricht, die Fallpauschalen abzuschaffen. Glaubst du ihm?
Nein, er hat sie ja mit eingeführt. Aber wir werden weiterhin Druck machen.
Ihr organisiert eine Demo am 25.3. in Berlin. Was erhofft ihr euch ?
Es wird eine Solidaritätsdemo, die zeigen soll, dass die Berliner:innen hinter der Forderung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes stehen. Dass aber auch nicht nur die TVÖD-Beschäftigten, sondern auch viele andere, z.B. Erwerbslose, die 500 Euro mehr bräuchten und wir deswegen zusammenstehen müssen.
Warum?
Wir alle sind momentan stark von der Inflation betroffen und wir sollten solidarisch eine Lösung finden. Es braucht jetzt gesellschaftlichen und politischen Druck, damit nicht wieder die Reichen von der Krise profitieren, sondern diejenigen, die dafür sorgen, dass Berlin nicht untergeht. Das soll die Demo zeigen!
Was können Menschen tun, um euch zu unterstützen?
Laut sein und zusammendenken! Je mehr Leute hinter dem Streik stehen, umso stärker sind wir. Je mehr Medien dabei sind und uns unterstützen, desto besser und stärker fühlt sich eine Verhandlungskommission. Je größer die Bewegung wird, umso mehr Angst kriegen die Arbeitgeber:innen und Regierenden. Jede:r kann mit uns zusammen Ideen entwickeln, um Druck zu machen. Wer kämpft, kann gewinnen!
Interview: Anais Cherif
Bild: Umbruch Bildarchiv e.V. / heba
Schlagwörter: Gewerkschaften, Krankenhaus, Öffentlicher Dienst, Streik, Tarifauseinandersetzung, Tarifrunde, Ver.di