Vor 160 Jahren erschien das Kommunistische Manifest. Anne-Kathrin Krug und Jonas Rest erinnern an die berühmte Schrift von Marx und Engels.
Das Manifest der Kommunistischen Partei ist wohl die bekannteste und meist gelesene politische Schrift weltweit. Nur Bibel und Koran können mit der Verbreitung des Kommunistischen Manifests noch mithalten.
Auch konservative Theoretiker gestehen den Autoren Karl Marx und Friedrich Engels zu, dass sie in der im Auftrag des Bundes der Kommunisten verfassten Schrift bereits Mitte des 19. Jahrhunderts eine prägnante Beschreibung jenes Prozesses lieferten, der heute als "Globalisierung" bezeichnet wird. Marx und Engels schreiben in dem im Februar 1848 – gleichzeitig mit der Februarrevolution in Frankreich und somit unmittelbar vor der Märzrevolution in anderen europäischen Ländern – erschienen Manifest: „Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. (…) An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander."
Doch die Voraussetzungen, die Marx und Engels für die Ausdehnung des Kapitalismus formulieren und die Gesetzmäßigkeit, mit der eine Veränderung der Gesellschaft einhergehe, werden heute meist in Frage gestellt. Sie skizzieren eine von Ausbeutung durchzogene Gesellschaft, die gleichzeitig eine Klasse schafft, die Quelle des Mehrwerts und damit des Reichtums der Kapitalisten ist: das Proletariat – die Arbeiterklasse. Diese ausgebeutete Klasse habe das Potenzial durch ihre Selbstemanzipation die bestehende Gesellschaft zu überwinden. Dies sei jedoch nur durch kollektives Handeln möglich. Daher schließen Marx und Engels das Manifest mit dem viel zitierten Aufruf "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!"
Im ersten Kapitel beschreiben sie die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft als Geschichte von ununterbrochenen, versteckten und offenen Klassenkämpfen. Diese Kämpfe endeten mit dem gemeinsamen Untergang der sich bekämpfenden Klassen oder einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft. Eine Aufhebung der Klassengegensätze blieb hierbei aber bisher aus. So ist aus dem Untergang der feudalen Gesellschaft durch die industrielle Revolution und dem Entstehen des Weltmarktes die moderne bürgerliche Gesellschaft hervorgegangen, die neue Klassen und damit neue Kämpfe etablierte. Marx und Engels betonen, dass sich nun zwei feindliche Kräfte gegenüberstehen: "Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat".
Dieses Zitat wird oft verwendet, um die Antiquitiertheit der Marxschen Klassenanalyse zu belegen. Denn, so wird argumentiert, im Gegensatz zu der hier scheinbaren Gegenüberstellung zweier Klassen, könnten doch verschiedene Schichten ausgemacht werden. Das 20. Jahrhundert habe sich, entgegen Marx Prognose, gerade durch das Entstehen einer großen Mittelschicht ausgezeichnet. Doch diese Kritik übersieht die Substanz von seiner Klassenanalyse. Marx ist keineswegs davon ausgegangen, dass es nur zwei Klassen gibt: In seinem Werk "Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte" (1852) analysierte er mit großer Präzision die Interessen unterschiedlicher Klassen. Marx betonte jedoch, dass nur zwei Klassen sich antagonistisch gegenüberstehen: Arbeiterklasse und Kapitalistenklasse.
Der Grund für Marx Betonung dieser Dichotomie ist, dass das Kapital kein sich selbst erhaltendes Gebilde ist, sondern ein soziales Verhältnis: Die Profite der Kapitalisten entstammen der Ausbeutung der Lohnarbeit. Denn der Profit entsteht im Produktionsprozess, d.h. dadurch, dass den lohnabhängig Beschäftigten nicht der eigentliche Wert ihrer Arbeit bezahlt wird, sondern nur ein Teil. Die nicht-bezahlte Arbeitszeit, die der Arbeiter quasi "umsonst" arbeitet, eignet sich der Kapitalist als Mehrwert an. Der Kampf um die Ausbeutungsrate, das Verhältnis von unbezahlter zu bezahlter Arbeitszeit, ist die Grundlage des Klassenkampfes zwischen Arbeit und Kapital und findet täglich in immer neuen Formen und Graden statt. Dieses ökonomische Ausbeutungsverhältnis – das Herz des Kapitalismus – bedeutet jedoch umgekehrt, dass die Arbeiter, wenn sie sich gemeinsam organisieren, die Fähigkeit haben, die Kapitalistenklasse hart zu treffen, indem sie jenen ihre Arbeitskraft entziehen und somit den Mehrwertzufluss unterbrechen.
Marx und Engels stellten daher in den Mittelpunkt ihrer Analyse, dass der Kapitalismus gleichzeitig mit der Arbeiterklasse selber eine Macht schafft, die das Potenzial hat, zu einer Widerstandskraft heranzuwachsen und den Kapitalismus zu stürzen: "Aber die Bourgeoisie hat nicht nur die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen; sie hat auch die Männer gezeugt, die diese Waffen führen werden – die modernen Arbeiter, die Proletarier."
Für Marx bilden alle jene die Arbeiterklasse, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um überleben zu können, weil sie keine Produktionsmittel und kein Vermögen besitzen, von dem sie leben könnten. Sie ist "die Klasse der modernen Arbeiter, die nur so lange leben, als sie Arbeit finden, und die nur so lange Arbeit finden, als ihre Arbeit das Kapital vermehrt". Das betrifft die überwältigende Mehrheit der Erwachsenen in fortgeschrittenen Industriegesellschaften wie Deutschland, unabhängig davon wo die Menschen arbeiten – ob das im Bergbau ist, in der Musikschule oder im Call-Center.
Das Kommunistische Manifest skizziert nicht nur eine Gesellschaftskritik. Engels und Marx setzten sich auch damit auseinander, wie "die selbständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl" erfolgreich sein kann. Dass Marx und Engels sich mit der Frage beschäftigten, macht deutlich, dass sie keineswegs davon ausgingen, dass sich der Kapitalismus selbst erledigen würde und Sozialisten nur abzuwarten brauchen, um eine gerechte Gesellschaft zu erreichen. Für die beiden Autoren sind die Kommunisten "keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen".
Revolutionäre Sozialisten sollten also gemeinsam mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaften im Hier und Jetzt für Verbesserungen kämpfen. Doch sie dürfen nicht dabei stehen bleiben, sondern sollten für einen internationalistischen Standpunkt kämpfen, der dem Standortnationalismus entgegentritt und die Bewegung als "der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder" voranbringt.
Im Kommunistischen Manifest wird kondensiert eine umfassende Kritik der kapitalistischen Produktionsweise skizziert – allerdings wird diese Kritik nicht begründet. Wer die Argumentation von Marx und Engels wirklich verstehen möchte, muss weiterlesen. Etwa in Marx Hauptwerk: "Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie".
Zur Autorin / zum Autor:
Anne-Kathrin Krug ist Juristin und Mitglied von DIE LINKE.SDS an der Humboldt-Universität zu Berlin. Jonas Rest ist Mitglied von DIE LINKE.SDS an der Freien Universität Berlin.